Der schwierige Abschied vom Amtsgeheimnis (2011)
Dr. Manfred Redelfs – Netzwerk Recherche e.V./Greenpeace e.V.
Vortrag auf dem Symposium
„Perspektiven der Informationsfreiheit”
des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit am 8. Juni 2011 in Berlin
Sehr geehrter Herr Schaar,
sehr geehrte Damen und Herren,
im Januar haben wir den Geburtstag eines äußerst jungen Jubilars gefeiert: Fünf Jahre Informationsfreiheitsgesetz – was ist das schon im Vergleich zu den 45 Jahren, auf die z.B. der Freedom of Information Act in den USA zurückblicken kann? Ganz zu schweigen von einem wahren Methusalem wie dem schwedischen Gegenstück: Seit 1766 ist die Öffentlichkeit der Verwaltung dort in der Landesverfassung garantiert und längst zum selbstverständlichen Bestandteil der politischen Kultur des Landes geworden. In Deutschland dagegen muss man auch nach fünf Jahren oft genug erklären, was das eigentlich ist, dieses neue Rechtsprinzip der Informationsfreiheit. Und diese Erklärung wird – so meine Erfahrung – manchmal sogar nötig, wenn man sich an Bundesbehörden wendet, die die neue Transparenz ja eigentlich praktizieren sollen.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass unser Geburtstagskind gewissermaßen unter schwierigen Bedingungen groß geworden ist. Was wurde ihm bei der Geburt nicht alles an Lebensrisiken prophezeit! Nach fünf Jahren bietet sich eine gute Gelegenheit, die damaligen düsteren Zukunftsprognosen einmal mit der Wirklichkeit abzugleichen: Was also waren die Befürchtungen – und was ist daraus geworden? Und – wichtiger noch – was verraten uns diese Befürchtungen über den politischen Diskurs, wenn es in Deutschland um Fragen der Behördentransparenz geht?
Ich habe vor rund sieben Jahren die Debatte um ein allgemeines Informationszugangsgesetz des Bundes aus der Perspektive der Journalistenorganisationen verfolgt. Zusammen mit Transparency International und der Humanistischen Union haben wir im Jahr 2004 einen eigenen Gesetzentwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt und an alle Bundestagsabgeordneten verschickt. Das war ein Akt zivilgesellschaftlicher Notwehr, denn die wenigen Parlamentarier, die sich wirklich für diese Reform interessierten, hatten erhebliche Schwierigkeiten, sich gegen die Widerstände in der Verwaltung selbst und aus der Wirtschaft durchzusetzen. Deshalb ist das IFG des Bundes letztlich eines der wenigen Gesetze geworden, die aus dem Parlament heraus erarbeitet worden sind, und nicht durch die Ministerialbürokratie.
Das ist nicht überraschend, wenn man sich die Interessenlage anschaut. Denn schon Max Weber hat in seiner Analyse der Bürokratie herausgearbeitet, dass die Verwaltung in diesem Punkt klare Eigeninteressen verfolgt. Ich zitiere aus seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft”: „Allein weit über …. Gebiete rein sachlich motivierter Geheimhaltung wirkt das reine Machtinteresse der Bürokratie als solches. Der Begriff des ‘Amtsgeheimnisses’ ist ihre spezifische Erfindung, und nichts wird von ihr mit solchem Fanatismus verteidigt wie eben diese…”
Die Debatte um das IFG lieferte für diese Analyse reichlich Anschauungsmaterial. Denn alle Ressorts begrüßten zwar abstrakt das Ziel von mehr Bürgernähe und Transparenz. Ging es dann aber um das eigene Zuständigkeitsgebiet, wurden stets viele Gründe angeführt, warum gerade für dieses Ressort Ausnahmeklauseln nötig seien.
Was waren nun, abseits von Spezialinteressen, die grundsätzlichen Befürchtungen, die damals immer wieder vorgetragen wurden?
- Ganz grundlegend wurde von den Gegnern argumentiert, es gebe doch für ein Transparenzgesetz gar keinen Bedarf, denn jeder Bürger könne bereits nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz und dem Datenschutzgesetz mehr als genug Informationen erhalten.
Abgesehen davon, dass es immer problematisch ist, wenn die Verwaltung paternalistisch darüber urteilen will, was ein Antragsteller braucht und was nicht, zeigt die Empirie, dass die Bürger das anders entschieden haben: Rund 1.500 Anträge pro Jahr sind ein hinreichender Beleg, dass es sehr wohl einen Bedarf gibt. Im Vergleich mit den Anträgen in anderen Ländern sind das übrigens recht moderate Zahlen. Folgt daraus etwa, dass der Aufwand sich doch nicht lohnt? Dies wäre unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten ein verheerendes Argument, denn bürgerliche Rechte müssen nicht durch die Quantität ihrer Inanspruchnahme legitimiert werden. Unter den 82 Millionen Bundesbürgern werden es immer nur sehr wenige sein, die etwa das Petitionsrecht jemals in Anspruch nehmen – geschweige denn das Recht, eine Zeitung herauszugeben oder eine Partei zu gründen. Gleichwohl würde wohl niemand auf die Idee kommen, diese Errungenschaften der Demokratie in Frage zu stellen.
- Interessanterweise ist im Streit um das IFG auch das gegenteilige Argument immer wieder zu hören gewesen: Es drohe mit dieser Gesetzesreform die Lahmlegung der Verwaltung. Die Behörden würden mit seitenlangen Anträgen überschwemmt und könnten ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen.
Bemerkenswert ist zunächst, dass die beiden Gegenargumente oft in einem Atemzug gefallen sind, obwohl nur eine Annahme richtig sein kann: Entweder gibt es keinen Bedarf, oder es droht eine Antragsschwemme. Heute wissen wir, dass Bürger, Journalisten und zivilgesellschaftliche Gruppen sehr maßvoll von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, so wie die Erfahrungen mit den IFG- Landesgesetzen das auch erwarten ließen. Es wurde z.B. gefragt, welche Firmen als private Sponsoren von Bundesministerien auftreten oder welche Durchführungsbestimmungen es bei der Bundesanstalt für Arbeit zur Auszahlung von Arbeitslosengeld-II-Bezügen gibt – nachvollziehbare Anliegen also, die auch einen größeren Personenkreis interessieren dürften.
- Bei der Debatte um die zu erwartenden Antragszahlen schwang implizit auch immer die Frage mit, ob Deutschland sich dieses Recht in Zeiten der Krise überhaupt leisten könne – ob es nichts Wichtigeres gebe?
Nun ist es schwierig, demokratische Rechte mit einem Preisschild zu versehen. Auch bei den meisten Gerichtsverhandlungen wird zwar ein großer Saal vorgehalten. Aber die Öffentlichkeit ist nicht immer zugegen. Sollten wir deswegen etwa auf das Prinzip der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen verzichten? Erst wenn man die Frage anhand der Beispiele stellt, an die wir uns gewöhnt haben, wird die Absurdität der Frage offenbar. Auch rechnet leider niemand gegen, wieviel Geld denn auf der anderen Seite durch Behördentransparenz eingespart wird. Dazu ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Ich habe für Greenpeace auf die Veröffentlichung der Spitzenempfänger von Agrarexportsubventionen geklagt, unter Berufung auf das Umweltinformationsgesetz und das Informationsfreiheitsgesetz. Das Bundesverwaltungsgericht hat mir Recht gegeben und wir haben diese Daten zu den 40 größten Subventionsempfängern ins Internet gestellt. Einige Wochen später gab es bei dem zweitgrößten Empfänger von der Liste, der 61 Millionen im Jahr erhielt, eine Razzia unter Einsatz von sieben Staatsanwälten und 270 Beamten von Zollfahndung und Polizei. Der Vorwurf lautet auf Subventionsbetrug in Höhe von insgesamt 370 Mio. Euro. Die Firma wird verdächtigt, in großem Stil Subventionen für den Export von Zucker zu Unrecht bezogen zu haben. Aufgefallen war das, weil die von uns publizierten Zahlen so ungeheure Subventionsmengen offenbarten, dass der Gegenwert an Zucker die physikalischen Lagermöglichkeiten der Firma im Hamburger Hafen überschritten. Das konnte z.B. auch jeder fachkundige Konkurrent erkennen, der sich die Zahlen anschaute. Dies ist also ein konkretes Beispiel dafür, wie ein Subventionsbetrug von einer guten Drittel Milliarde Euro durch Transparenz aufgefallen ist. Ich fürchte nur, niemand wird, wenn es um meinen Prozess geht, diese Summe gegenrechnen. Eine Drittel Milliarde Euro, die die öffentliche Hand einspart – dafür kann die Verwaltung ziemlich viele Informationsanträge beantworten!
- Ein zentrales Argument gegen das IFG, das vor allem vom Bundesverband der Deutschen Industrie vorgetragen und über das Wirtschaftsministerium in die politische Debatte eingespeist wurde, war die Befürchtung, es könnten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offenbart werden. Nun sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in jedem Informationszugangsgesetz aus guten Gründen geschützt. Trotzdem ist diese Furcht offenbar durch keinen Erfahrungswert auszurotten, denn bis heute sind die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ein oft bemühter Ablehnungsgrund, bei dem man vermuten darf, dass er häufig auch nur vorgeschoben ist.
Dabei kann die Industrie auf keinen einzigen Fall verweisen, in dem wirklich durch ein Informationszugangsgesetz Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bekannt geworden sind. Ich habe immer wieder nach Beispielen gefragt, aber bis heute nicht ein einziges gefunden. So groß kann das Risiko also nicht sein, wenn man bedenkt, dass das Umweltinformationsgesetz im Bund wie in den Ländern bereits seit 1994 greift. Hier haben wir es also über die Jahre mit vielen tausend Informationsanträgen zu tun, ohne dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verraten wurden. Verwiesen wird, wenn es um den vermeintlichen Schaden für die Industrie geht, stattdessen gerne auf den Birkel-Fall aus dem Jahr 1985. Damals hatte das Regierungspräsidium Stuttgart vor dem Genuss verdorbener Eiernudeln gewarnt, und fälschlich die Firma Birkel beschuldigt. Deren Produkte waren zwar laut Oberlandesgericht Stuttgart nicht zum Verzehr geeignet, aber sie blieben unterhalb der Schwelle einer akuten Gesundheitsgefährdung. Aus diesem Grunde musste ein hoher Schadensersatz gezahlt werden. Das Beispiel taugt aus meiner Sicht allerdings überhaupt nicht als Beleg für die Risiken, die mit Informationszugangsgesetzen verbunden sein sollen: Erstens liegt der Fall vor dem Inkrafttreten von UIG oder IFG in Deutschland. Er zeigt also, dass falsche Behördenentscheidungen leider vorkommen können – und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob es Transparenzgesetze gibt. Man kann sogar argumentieren, dass der geregelte Informationszugang nach IFG, UIG oder VIG ein Sicherheitsnetz gegen Fehler ist. Zum zweiten ist es doch eher beruhigend, wenn alle Bedenkenträger immer nur auf ein einziges – und noch dazu ungeeignetes – Fallbeispiel verweisen können, das zudem ein viertel Jahrhundert zurück liegt.
Wie beliebt der Rückgriff auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist, zeigt aktuell auch die Debatte um eine Reform des Verbraucherinformationsgesetzes: Die automatische Veröffentlichung von Grenzwertüberschreitungen, die als Folge des Dioxinskandals geplant ist, stößt auf den Widerstand von BDI und Wirtschaftsministerium, weil durch die Veröffentlichung der Daten Rückschlüsse auf Rezepturen möglich seien. Diese Debatte gab es auch schon beim Immissionsschutzgesetz. Schlimmes passiert ist nach dessen Verabschiedung nicht. Im Übrigen frage ich mich, welche Rezeptur eigentlich die Beimischung von Dioxin erfordert?
- Gegen das IFG des Bundes wurde vor fünf Jahren auch der Datenschutz ins Feld geführt, so als drohe da irgendeine Gefahr. Hier ist eher zu vermuten, dass manch’ Gegner der Informationsfreiheit seine plötzliche Liebe für den Datenschutz entdeckt hat, um ein Argument in der Hand zu haben, mit dem sich öffentlich gut punkten lässt.
Dabei ist die Informationsfreiheit das komplementäre Gegenstück des Datenschutzes: Beiden geht es darum, die Informationsmacht staatlicher und privater Datenverarbeiter gegenüber dem einzelnen Bürger zu begrenzen. Deshalb hat sich auch bewährt, dass die Datenschutzbeauftragten sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene gleichzeitig für das IFG zuständig sind. An dieser Stelle möchte ich dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Herrn Peter Schaar und seinen Mitarbeitern, ausdrücklich für ihr großes Engagement und ihre Hartnäckigkeit danken! Die positive Bilanz des IFG nach 5 Jahren Anwendungspraxis ist ganz entscheidend Ihr Verdienst.
- Dass ein starker Mentor für unseren Sprössling IFG unerlässlich ist, zeigt das letzte, sehr grundlegende Argument der Kritiker: Der bedingungslose Zugang des Bürgers zu Verwaltungsinformationen, so wurde in der Expertenanhörung des Bundestages vorgetragen, stehe im Widerspruch zur deutschen Verfassungstradition. Es sei ein Bruch mit deutschem Verwaltungsrecht.
Als Nicht-Jurist habe ich mich gefragt, warum denn die Fortentwicklung des deutschen Verwaltungsrechts nicht möglich sein soll. Gäbe es stets nur die Fortschreibung der Tradition, wäre Deutschland bis heute nicht über das Allgemeine Preußische Landrecht hinaus gekommen. Das Leitbild des mündigen Bürgers, der sich für staatliche Planungsprozesse interessiert und sich engagiert, verlangt doch zwingend, dass diesem Bürger auch die Informationen zugänglich gemacht werden, die eine sinnvolle Partizipation überhaupt erst zulassen. Aufschlussreich war an dieser Stelle bei der Expertenanhörung die Einlassung des schwedischen Informationsfreiheitsbeauftragten: Er merkte trocken an, er sei ja kein Experte in deutschem Recht. Aber er könne einfach nicht verstehen, warum die deutsche Verfassung nach Meinung mancher Juristen es nicht zuließe, dass die Bürger erfahren, was die Verwaltung mit ihrem Geld macht. Der Blick von außen kann manchmal sehr hilfreich sein.
Mittlerweile haben wir in der Bundesrepublik sehr deutlich erfahren, wie zentral es für die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen ist, dass sie transparent und nachvollziehbar getroffen wurden. Der Streit um Stuttgart 21 ist in dem Zusammenhang ein Lehrstück, gerade auch, was die Befriedungsstrategie angeht: Erst die öffentliche Moderation durch Heiner Geißler hat wieder einen Dialog ermöglicht und die Fronten aufgebrochen. Wenn plötzlich das Vorrechnen von Taktfrequenzen der Züge und von Gleisabständen zu Spitzen-Einschaltquoten auf Phoenix führt, dann sollte eine clevere Verwaltung daraus lernen, dass Ihr Heil in der Transparenz liegt, nicht in der Abschottung.
Wenn die großen Sorgen, die die Verabschiedung des IFG begleitet haben, durch die Empirie widerlegt wurden, gibt es dann eine Erklärung für die bis heute anhaltende Zögerlichkeit Deutschlands bei der Verwaltungstransparenz? Dieser Frage möchte ich in einem historischen Abriss nachgehen, der weiter zurückgreift als nur ein paar Legislaturperioden.
Es war der absolutistische Staat, der die Geheimhaltung zum Herrschaftsinstrument gemacht hat. Die Geheimnisse der Herrschaft, die „arcana imperii”, wurden zum Schlüsselbegriff dieser Epoche. Die absolute Herrschaft verpflichtete auch den Verwaltungsapparat auf sich, sah also die Staatsdiener in persönlicher Loyalität zum Monarchen, dessen Herrschaftswissen nur durch Geheimhaltung gesichert werden konnte. Ausdruck dieser Machtstrategie ist die Institution des „Geheimen Rates”, also eines höheren Verwaltungsbeamten, der das Geheimhaltungsprinzip als prägendes Verwaltungsmerkmal schon im Namen trägt; denken Sie etwa an den Geheimrat Goethe. Diesen Ehrentitel trugen Beamte, auf deren Rat sich der Landesherr im kleinen Kreis stützen konnte, befreit von der Kontrolle durch die Stände. Vermutlich kam das Vorbild für die zur Vertraulichkeit verpflichteten fürstlichen Ratgeber aus Italien. Dort waren in den aufstrebenden Handelsstädten Frühformen moderner Verwaltung entstanden. Der uns bis in die Gegenwart geläufige Beruf des Sekretärs, der auf der politischen Bühne hier in Berlin z.B. als „Staatssekretär” fortlebt, hat deshalb seinen Ursprung in den italienischen „secretarii”, also den Geheimen, die mit dem staatlichen Wissen vertraulich umgingen. Der Raum, in dem die wichtigsten politischen Entscheidungen fielen, hieß in Deutschland „Kammer”, „Kabinett” oder „Heimlich”. Auch das bis heute gebräuchliche „Kabinett” verweist somit zunächst auf den Aspekt der Abschottung von der Öffentlichkeit.
Die geheime Verwaltung des absolutistischen Staates fand ihr Spiegelbild darin, dass ein Privatgeheimnis nicht anerkannt wurde, der Staat also gewissermaßen das Monopol auf Geheimhaltung für sich reklamierte. Dies drückte sich u.a. im fortlaufenden Bruch des Briefgeheimnisses aus. In Deutschland wurde das private Postunternehmen derer von Thurn und Taxis den Anforderungen insofern gerecht, als dass eine leistungsfähige Briefkontrolle zum selbstverständlichen Aufgabenspektrum gehörte. Die Orte wichtiger Konferenzen wurden sogar anhand des Kriteriums ausgewählt, ob dort eine effiziente Postkontrolle gewährleistet war. Die Erforschung der Geheimnisse der Untertanen ist staatsrechtlich mit dem Begriff der „potestas inspectoria” beschrieben worden, also der Herrschaftsbefugnis zur Inspektion. In dieser Logik war das Privatgeheimnis illegitim und nur der Staat zur Abschottung von Wissen berechtigt.
Der Bruch mit dem Geheimhaltungsmonopol des Staates vollzog sich mit dem Siegeszug der liberalen Freiheitsbestrebungen des Bürgertums. Die Philosophen der Aufklärung verurteilten die Geheimhaltungsideologie und setzten ihr ein Ideal von Öffentlichkeit und Transparenz entgegen. Ein zeittypisches Plädoyer für die Transparenz enthält das Staatslexikon, dass Carl-Theodor Welcker und Carl von Rotteck 1841 herausgegeben haben, also in der Zeit des Vormärz. In dieser Streitschrift des liberalen Bürgertums wird nicht nur die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren und der Regierungsarbeit gefordert, sondern auch das Amtsgeheimnis der Verwaltung in Frage gestellt:
„Es ist eine bedauernswürdige Krankheit …, wenn allen Beamten über alle Amtsangelegenheiten mündliche und gedruckte Mitteilungen … als Verbrechen des verletzten Amtsgeheimnisses bei Strafe verboten sind…” So ein Monitum nicht von heute, sondern von 1841.
Das liberale Bürgertum formulierte also seinen Öffentlichkeitsanspruch sehr wohl für alle Bereiche staatlichen Handelns. Durchsetzen konnte es sich mit dieser Forderung bekanntlich nur nach und nach – und gerade in Deutschland erst nach vielen Rückschlägen. So hielt die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens im Zuge der napoleonischen Besetzung Einzug und konnte danach nicht mehr abgeschafft werden. Die Pressefreiheit musste weitaus schwieriger im Laufe des 19. Jahrhunderts erstritten werden. Während die parlamentarische Öffentlichkeit und die Budgetöffentlichkeit mit der Abschaffung feudaler Privilegien einher gingen, wurde die Verwaltungsöffentlichkeit ein Opfer des konstitutionellen Kompromisses: Das Bürgertum arrangierte sich damit, dass der Monarch weiterhin die Kontrolle über den Beamtenapparat behielt, der auf ihn persönlich verpflichtet war. Dieses Loyalitätsverhältnis der Verwaltungsspitze gegenüber dem Landesherrn brachte es mit sich, dass das Amtsgeheimnis weitgehend unangetastet als Teil der sogenannten „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums” überdauern konnte. In Deutschland entstand damit das Phänomen, dass ein wesentlicher Grundzug der Verwaltung überhaupt nicht kodifiziert war: Wer den Paragraphen sucht, in dem das Amtsgeheimnis festgeschrieben ist, wird ihn nicht finden. Vielmehr wird in der deutschen Verwaltungstradition nur das Gegenteil explizit geregelt, also der ausnahmsweise gestattete Zugang zu Informationen. Die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums” sind als Strukturprinzipien der Verwaltung in Artikel 33 des Grundgesetzes fortgeschrieben worden. Dass damit auch an der alten Amtsverschwiegenheit festgehalten wurde, erschien nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus offensichtlich als nachrangiges Problem.
Erst mit dem nächsten gravierenden Einschnitt in der deutschen Geschichte erhielt die Debatte um das „Amtsgeheimnis” auch in Deutschland neue Impulse: Die friedliche Revolution in der DDR basierte nicht zuletzt auf der Erfahrung, dass ein unterdrückerisches System mit perfiden Methoden der Geheimhaltung Hand in Hand gegangen war, versinnbildlicht durch den Spitzelapparat der Staatssicherheit. Das politische Ziel, Einblick in die geheimen Papiere des untergegangenen Regimes zu erhalten, wurde mit dem Stasi-Unterlagengesetz erreicht. Es konnte aber in diesem Spezialfall wegen der vielen personenbezogenen Daten nicht im Sinne eines Akteneinsichtsrechts für jedermann ausgestaltet werden. Dass es in Kreisen der Bürgerbewegung allerdings auch die weitergehende Forderung gab, ein allgemeines Akteneinsichtsrecht einzuführen, zeigt sich anhand der einzigen ostdeutschen Landesregierung, an der Bündnis 90 unmittelbar nach der Wende beteiligt war: In Brandenburg setzten die Abgeordneten von Bündnis 90 in der ersten Regierung Stolpe durch, dass die Informationsfreiheit in der Landesverfassung von 1992 garantiert wurde – ein Novum in der Geschichte Deutschlands und bis heute die einzige verfassungsrechtliche Absicherung der Informationsfreiheit in der Bundesrepublik.
Wer diesen geschichtlichen Werdegang betrachtet, der versteht leichter, warum sich Deutschland bis heute so schwer tut mit dem Abschied vom Amtsgeheimnis. Gleichwohl ist dies kein Grund, vor Modernisierung zurück zu schrecken. Deshalb möchte ich enden mit einem Ausblick, wie denn die Weiterentwicklung des IFG aussehen könnte.
Das Gesetz in seiner jetzigen Form lässt einigen Spielraum für Verbesserungen: So sind die Ausnahmetatbestände z.T. sehr weit und vage gefasst, während der internationale Standard hier die
enge, genau definierte Ausnahmeklausel ist, um Missbräuche und Auslegungsschwierigkeiten zu verhindern. Auch fehlt bei den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine Abwägungsklausel mit dem öffentlichen Interesse an der Freigabe der Information, analog zu der Regelung im Umweltinformationsgesetz.
Wichtiger noch als diese handwerklichen Probleme, die sicherlich Gegenstand der Evaluierung des IFG sein werden, sind aus meiner Sicht vier grundlegende Reformen:
Erstens sollte ein modernes Informationszugangsgesetz für möglichst viele Informationen die automatische Publikation im Internet vorschreiben. Hier hat nicht der Bürger eine Holschuld, sondern die Behörden haben eine Bringschuld. Die USA haben unter Obama mit ihrem Portal www.data.gov vorgemacht, wie soetwas aussehen kann. Die Zukunft gehört nicht mehr dem Antrag, der dann bearbeitet und beschieden wird. Die Informationspolitik des 21. Jahrhunderts folgt dem Prinzip von Open Data.
Zweitens brauchen wir in Deutschland eine Vereinheitlichung der Informationsrechte: Wir haben derzeit auf Bundesebene mit dem Umweltinformationsgesetz, dem Verbraucherinformationsgesetz und dem Informationsfreiheitsgesetz drei verschiedene Rechtsgrundlagen – mit durchaus unterschiedlichen Regelungen, was Fristen, Ausnahmen und Kosten angeht. Auf Landesebene kommen 15 UIG und 11 IFG hinzu. Das macht 29 verschiedene Informationszugangsgesetze! Ausgerechnet die Transparenzgesetze sind in Deutschland alles andere als transparent. Netzwerk Recherche, Greenpeace und die Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit haben deshalb Ende vorigen Jahres einen Gesetzesvorschlag für ein einheitliches Bürgerinformationsgesetz vorgelegt, das die Regelungen zusammenführt und sich dabei weitgehend an dem Standard des Umweltinformationsgesetzes orientiert. Die Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes und die Evaluierung des IFG bieten eine gute Gelegenheit, zusammenwachsen zu lassen, was zusammen gehört.
Drittens braucht die Informationsfreiheit auch eine Öffentlichkeitsoffensive. Die Bürger können nur die Rechte in Anspruch nehmen, die sie auch kennen. Das IFG scheint mir manchmal jedoch ein gut gehütetes Geheimnis zu sein – schon der Begriff ist sperrig, zumindest nicht selbsterklärend. Hier wünsche ich mir, dass die Behörden selbst stärker auf das Gesetz aufmerksam machen. Auch meine eigene Branche, die Journalisten und die NGOs, sind hier in der Pflicht.
Viertens halte ich es für notwendig, die Informationsfreiheit auch in der Verfassung zu verankern. Dass der Staat seinen Bürgern ein Recht einräumt, die treuhänderisch für die Öffentlichkeit verwalteten Informationen auch direkt zu erhalten, ist eine logische Fortentwicklung demokratischer Rechte. Ein Verfassungsrang würde nicht nur die Bedeutung von staatsbürgerlicher Teilhabe unterstreichen. Er hätte auch ganz praktische positive Folgen: Dann wäre die Informationsfreiheit nämlich endlich gleichgewichtig mit anderen Rechten, gegen die sie abzuwägen ist, wie etwa der Gewerbefreiheit. Vor allem aber wäre der Verfassungsrang auch ein klares politisches Signal: Der Abschied vom alten obrigkeitsstaatlichen Prinzip des Amtsgeheimnisses wäre damit für alle sichtbar vollzogen.
Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des IFG bleibt also noch viel zu tun. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!