Jk-11 - PREVIEW

nr-Jahreskonferenz 2011

Referenten
Eldad Beck
Stefan Buchen
Mod.: Christoph Schult
Programm
Tag Freitag - 2011-07-01
Raum R1
Beginn 10:30
Dauer 01:00
Info
ID 35
Track Ausland
Sprache der Veranstaltung deutsch
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Israel in den Medien

Vom demokratischen Vorbild ins Abseits?

In Kooperation mit journalists.network

Es gibt ein Phänomen, das lange für deutsche Medien zu gelten schien: der Zwang, alles und jedes in Bezug auf die Frage zu untersuchen, ob es gut oder schlecht für Israel ist. Dies hing einerseits mit der deutschen Geschichte, andererseits mit der Tatsache zusammen, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten war, also "wie wir". Das ist nun vorbei. Wird die Bedeutung Israels in den deutschen Medien abnehmen?

Leitfragen

Haben die arabischen Revolutionsbewegungen in Nordafrika Israels Monopol als "einzige Demokratie Im Nahen Osten" zerstört?

  • Beck: Es gibt kein "Demokratie-Monopol" im Nahen Osten seitdem die Türkei etwas demokratischer geworden ist und seitdem die Amerikaner den Irak von Saddams Diktatur befreit haben

  • Buchen: Seit der Staatsgründung hat Israel sich als "einzige Demokratie des Mittleren Ostens" dargestellt und diese Sicht in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern, den arabischen Staaten und seit einigen Jahren mit dem Iran als politischen Trumpf auf der internationalen Bühne eingesetzt. Angesichts freier Wahlen, geordneter Regierungswechsel, einer weitreichenden Pressefreiheit und der innerhalb der Grenzen von 1948 praktizierten Rechtsstaatlichkeit stützt sich dieser Anspruch auf starke Grundlagen. Allerdings wird dieser Monopolanspruch einerseits wegen der Besetzung der Palästinensergebiete und der rechtsfreien Räume des Besatzungsregimes von Israel selbst und andererseits von der Konkurrenz anderer Staaten in Frage gestellt. Schwerlich wird man der Türkei den Rang einer Demokratie abstreiten können, zumal nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre. Die Islamische Republik Iran ihrerseits erhebt den Anspruch, "das demokratischste Land des Mittleren Ostens" zu sein ("demokratitarin keshvar-e khavar-e miyane"). Auch wenn der Iran nach wie vor "demokratischer" ist als etwa Saudi Arabien, erscheint dieser als Konkurrenz zur israelischen Sicht ins Feld geführte Anspruch spätestens seit der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinejad im Juni 2009 wenig überzeugend. Der Ausgang der Revolutionen in Tunesien, Ägypten, Libyen etc. ist völlig ungewiss und damit ebenso die Frage, ob dort Demokratien entstehen werden. Fest steht lediglich, dass es dort politische Kräfte und Bewegungen gibt, die nach einem demokratischen System streben und mit dem Sturz der Diktatoren Bin Ali und Mubarak sowie dem Einleiten demokratischer Prozesse beeindruckende Erfolge feiern konnten.

Werden die arabischen Revolutionsbewegungen in den deutschen Medien in unkritischer Weise glorifiziert?

  • Beck: Ja.

  • Buchen: Nein. Es kann allerdings sein, dass man, zumal in der Anfangsphase der ägyptischen Revolution, für manche Dinge blind war. So wollten manche in den deutschen Medien nicht wahrhaben, dass in Ägypten eben nicht nur ein Volksaufstand stattfand sondern gleichzeitig auch ein Militärputsch. Zu wenig beachtet wird, wie bereits in den vergangenen Jahrzehnten, der Einfluss Saudi Arabiens. Im arabischen Frühling stehen die Saudis auf der Seite der Gegenrevolution, nicht nur in Bahrein, wohin sie sichtbar für alle Soldaten zur Unterdrückung des Aufstands geschickt haben sondern auch in Ägypten. Insgesamt fürchten sich die Saudis viel mehr vor den demokratischen Umwälzungen in der arabischen Welt als die Israelis. Das haben die deutschen Medien nicht zur Genüge herausgearbeitet. 

Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass islamistische Kräfte wie die Muslimbruderschaft in einem Land wie Ägypten eine große politische Rolle spielen werden. Den deutschen Medien empfehle ich, den Kontext der israelischen Deutungen, der israelischen Regierungspolitik und des arabischen und islamistischen Radikalismus mehr unter dem Aspekt der "self-fulfilling prophecy" zu betrachten.

Warum werden die Sorgen vieler Israelis, der Nahe Osten könne durch den Umbruch instabiler und islamistischer werden, in den deutschen Medien kaum aufgegriffen?

  • Beck: Weil die deutsche Medien längst nicht objektiv über den Nahen Osten berichten, und weil nur eine kleine Gruppe von Pseudo-Nahost- und Islamexperten ihre Meinung in diesen Medien verbreiten können.

  • Buchen: Die Frage geht von falschen Prämissen aus. Diese Sorgen werden aufgegriffen. Dafür gibt es etliche Beispiele. Man muss nur in das Zeitungs- und Fernseharchiv des Norddeutschen Rundfunks gehen. Allerdings wäre es unjournalistisch und falsch, Israel, den Israelis, der israelischen Regierung, den israelischen Medien und Meinungsmachern aus dem akademischen Sektor die Deutungshoheit über die Ereignisse im Mittleren Osten zuzusprechen. Dies würde, auch wenn es in manchen israelischen Medien und bei einigen Vertretern der akademischen Elite durchaus große Sympathien für den arabischen Frühling gibt, zu einer groben Verengung der Sicht auf die Ereignisse führen. Israel hat ein Jahrzehnt lang, nämlich seit den Anschlägen vom 11.09.2001, auf der internationalen politischen Bühne und in der westlichen Öffentlichkeit sehr erfolgreich dazu beigetragen, die Deutung der Konflikte im Mittleren Osten auf die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror und mit dem Iran und auf die Notwendigkeit des Schutzes vor diesen beiden Bedrohungen zu reduzieren. Diese erfolgreiche Arbeit ist ein Grund dafür, dass die politische Klasse und die Medien in Deutschland blind für Entwicklungen und Konflikte in den arabischen Staaten und im Iran waren, die zu den gegenwärtigen Umwälzungen geführt haben.

Verliert Israel durch die Politik seiner gegenwärtigen Regierung die letzten Sympathien deutscher Journalisten?

  • Beck: Nein, wenn es um seriöse Journalisten geht, die nicht nur ideologisch tätig sind.

  • Buchen: Mit dieser Frage kann ich nichts anfangen. Ich bin ein deutscher Journalist. Ich werde immer Sympathien für Israel haben. Jeder Journalist muss für sich entscheiden, von welchen Motiven er sich leiten lässt.

Hat die öffentliche und veröffentlichte Meinung in Israel das wahre Ausmaß der Entwicklungen in den Nachbarländern nicht verstanden?

  • Beck: Wer versteht schon, was zur Zeit in Teilen der "arabischen Welt" passiert?

  • Buchen: Der öffentliche Diskurs in Israel ist sehr lebendig. Ich maße mir nicht an zu sagen, dass dort etwas "nicht verstanden" wurde. Es scheint den politischen und militärischen Entscheidungsträgern sowie den Meinungsführern in den Medien und im akademischen Bereich nur schwerzufallen, eindeutige Konsequenzen aus dem Geschehen im Mittleren Osten zu ziehen. Das gilt nicht erst seit Ausbruch des arabischen Frühlings. Grundsätzlich wird in Israel darum gerungen, ob ein Ausgleich mit den Nachbarn - auf der Grundlage eines Ausgleichs mit den Palästinensern - und damit eine Normalisierung der politischen Beziehungen in der Zukunft möglich ist oder ob sich das Land mit den ihm zur Verfügung stehenden politischen und militärischen Machtmitteln abschotten und bewusst isolieren sollte. Zunehmend setzt sich die zweite Option als die bessere Existenzgarantie für Israel in der herrschenden Meinung und damit in den politischen Entscheidungen durch. Meine Prognose ist, dass der arabische Frühling daran nicht viel ändern wird.