Jk-11 - PREVIEW

nr-Jahreskonferenz 2011

Referenten
Fritz Vorholz
Jeanne Rubner
Ranga Yogeshwar
Mod.: Holger Wormer
Programm
Tag Freitag - 2011-07-01
Raum K3
Beginn 16:15
Dauer 01:00
Info
ID 131
Track Debatte
Sprache der Veranstaltung deutsch
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Von Tschernobyl bis Fukushima

Die Halbwertszeit des Wissens über Atomkraft

Déjà-vu oder alles ganz anders: Die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima weisen zahlreiche Parallelen auf – und fanden medial doch unter völlig anderen Rahmenbedingungen statt: Damals wenige Bilder und Nachrichten, noch dazu gefiltert durch den Eisernen Vorhang; heute steht jede Explosion in Japan live im Netz und kommt via social media direkt ins Haus oder aufs Handy. Doch wurden wir 2011 tatsächlich besser und nachhaltiger informiert als im Katastrophenjahr 1986?

Leitfragen

  • Wie unterscheidet sich Ihrem Eindruck nach die Berichterstattung über Fukushima von der Berichterstattung über Tschernobyl?
  • Welche Rolle spielte dabei die seit Mitte der 80er Jahre veränderte Medienlandschaft (auch im Hinblick auf das Internet und social media)? Wie hat sich die "Halbwertszeit" von Nachrichten verändert?
  • Hat sich die Qualität der Berichterstattung der klassischen Medien im Vergleich verbessert oder haben die Medien "aus Tschernobyl nichts gelernt"?
  • Wie bewerten Sie die schnelle Fokussierung auf innenpolitische Themen rund um deutsche Kernkraftwerke / AKW? Bestand hier Nachholbedarf nach der zuvor eher zurückhaltenden Mediendebatte um eine Laufzeitzeitverlängerung?
  • Wie haben Sie das Zusammenspiel zwischen den aktuellen Redaktionen und den Fachredaktionen bzw. Wissenschaftsjournalisten empfunden? Wo besteht Verbesserungsbedarf?

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FRITZ VORHOLZ:

Wie unterscheidet sich Ihrem Eindruck nach die Berichterstattung über Fukushima von der Berichterstattung über Tschernobyl?

  • Zwei Aspekte: Die Tschernobyl-Katastrophe wurde auf die Unfähigkeit der russischen/sozialistischen Technik zurückgeführt. Mit diesem Argument wurde die Betroffenheit klein geredet. Und: Wir wissen heute besser als vor einem Vierteljahrhundert, dass der Verzicht auf die Atomkraft möglich ist. Allerdings war Tschernobyl keineswegs der Beginn der Atomdebatte in Deutschland. Abgesehen von den Protesten in Wyhl etc. ereignete sich 1979 der Beinahe-Super-Gau in Harrisburg, was in Deutschland zur Einsetzung einer Bundestags Enquete-Kommission "Zukünftige Kernenergiepolitik" führte. Das hatte durchaus publizistische Relevanz. Fukushima hatte deshalb einen so starken Effekt auf die deutsche Debatte, weil es bereits einen beschlossenen Atomausstieg gegeben hatte, der allerdings gerade unter mehr oder weniger obskuren Bedingungen wieder rückgängig gemacht worden war. Ein Aspekt war 1986 ff. kaum relevant: Der tatsächliche oder vermeintliche Zielkonflikt Atomkraft vs. Klimaschutz. Fast sämtliche anderen Aspekte wurden auch damals schon thematisiert. Ich selbst arbeitete Anfang der 1980er Jahre an einem "Funkkolleg" mit, in dem auch die ethische Problematik ausführlich thematisiert wurde.

Welche Rolle spielte dabei die seit Mitte der 80er Jahre veränderte Medienlandschaft (auch im Hinblick auf das Internet und social media)? Wie hat sich die „Halbwertszeit“ von Nachrichten verändert?

  • Die Informationsbeschaffung ist einfacher geworden, die Einordnung von Information nicht unbedingt. Beispiel: Nach der Abschaltung der 7 Altmeiler in Deutschland sind die Stromimporte gestiegen. Das ließ sich im Internet nachvollziehen (www.entsoe.net). Aber kam da wirklich französischer Atomstrom ins Land, wie gerne behauptet wurde? Das war schon sehr viel schwieriger zu beantworten und setzte einige Recherche voraus.

Hat sich die Qualität der Berichterstattung der klassischen Medien im Vergleich verbessert oder haben die Medien „aus Tschernobyl nichts gelernt“?

  • Das kann ich schwer beurteilen. Es gibt jedenfalls viel mehr Informationen als damals. Und es gibt eine neue Dimension, die Klimaproblematik. Allerdings scheinen Teile der Öffentlichkeit das erst gerade entdeckt zu haben, obwohl es schon seit 20 Jahren einen völkerrechtlichen Vertrag dazu gibt. Klimaschutz, Preise, Versorgungssicherheit – nach meinem Eindruck wird nach wie vor viel zu uninformiert über die Bedeutung der Kernenergie geschrieben. Ihr Stellenwert für die Energieversorgung der Menschheit ist z.B. laut Internationaler Energie Agentur geringer als der von getrockneten Kuhfladen und Brennholz.

Wie bewerten Sie die schnelle Fokussierung auf innenpolitische Themen rund um deutsche Kernkraftwerke / AKW? Bestand hier Nachholbedarf nach der zuvor eher zurückhaltenden Mediendebatte um eine Laufzeitzeitverlängerung?

  • Ja, das ist ein Grund. Ein anderer ist, dass die Informationsbeschaffung in Japan offenbar sehr schwierig war/ist.

Wie haben Sie das Zusammenspiel zwischen den aktuellen Redaktionen und den Fachredaktionen bzw. Wissenschaftsjournalisten empfunden? Wo besteht Verbesserungsbedarf?

  • Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an Informationen über den Unfallhergang, die Wirkung von Strahlen etc. Vollkommen unabhängig davon stellt sich allerdings die Frage nach den politischen/ökonomischen Konsequenzen von Unfällen a la Fukushima. Fällt die Auseinandersetzung damit in die Domäne von "Wissenschaftsjournalisten" – oder in die der aktuellen ("ahnungslosen"?) Berichterstattung? Es darf m.E. nicht sein, dass die Abteilung Aktuelles fachlich Defizite hat. Genau die hat sie aber aktuell.

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JEANNE RUBNER:

Wie unterscheidet sich Ihrem Eindruck nach die Berichterstattung über Fukushima von der Berichterstattung über Tschernobyl?

  • Schwer zu sagen, weil ich damals Lesende und nicht Gestaltende war. Zu Fukushima gab es sicher mehr fundierte Berichte, erstens, weil der Wissenschaftsjournalismus professioneller geworden ist und zweitens, weil die Japaner mehr Informationen geliefert haben als die Sowjets. Daher: fundierter, profunder und vielseitiger.

Welche Rolle spielte dabei die seit Mitte der 80er Jahre veränderte Medienlandschaft (auch im Hinblick auf das Internet und social media)? Wie hat sich die „Halbwertszeit“ von Nachrichten verändert?

  • Vor allem das Internet erlaubt es, sehr schnell an Informationen heranzukommen und sie aufzuschreiben. Teilweise waren wir in München schneller als der Kollege in Japan, der dort zu einer Pressekonferenz gegangen ist (Japan ist ohnehin etwas speziell, weil viele Websites nur auf Japanisch sind). Das Netz beschleunigt die Nachrichten und verringert deshalb deren Halbwertszeit, aber fördert gewissermaßen auch das Abschreiben und das Mainstreaming der Medieninhalte.

Hat sich die Qualität der Berichterstattung der klassischen Medien im Vergleich verbessert oder haben die Medien „aus Tschernobyl nichts gelernt“?

  • Wissenschaftsjournalismus ist vor allem in den neunziger Jahren professioneller geworden – das Bewusstsein dafür, dass das notwendig ist, ist bereits in den Achtzigern entstanden. Ob das eine Folge von Tschernobyl war, kann ich nicht sagen. Aber es hat sich auf die Berichterstattung über Fukushima ausgewirkt.

Wie bewerten Sie die schnelle Fokussierung auf innenpolitische Themen rund um deutsche Kernkraftwerke / AKW? Bestand hier Nachholbedarf nach der zuvor eher zurückhaltenden Mediendebatte um eine Laufzeitzeitverlängerung?

  • Die Berichterstattung über Fukushima war eher politisch getrieben als medial. In diesem Fall hat die Politik das Thema gesetzt. Da die Deutschen ein spezielles Verhältnis zur Kernkraft haben, war zwar klar, dass die Fokussierung sich sehr schnell auf Deutschland richten würde. Logisch ist das nicht, da sich aus dem Unfall von Fukushima und seiner Bewältigung nicht auf die Gefahr von Flugzeugabstürzen folgern lässt, die zuvor kaum thematisiert wurde. Aber in dem Moment, als die Union beschlossen hat, dass Kernkraft zu gefährlich ist, und Merkel höchstpersönlich das Restrisiko als zu hoch eingestuft hat, gab es keine Atom-Befürworter mehr. Die Kernschmelze hat da einen Hebel umgelegt.

Wie haben Sie das Zusammenspiel zwischen den aktuellen Redaktionen und den Fachredaktionen bzw. Wissenschaftsjournalisten empfunden? Wo besteht Verbesserungsbedarf?

  • Die Zusammenarbeit zwischen aktuellen und fachlichen Redaktionen klappt gut. Das liegt daran, dass die SZ seit etlichen Jahren viele Wissenschaftsthemen im Politikteil behandelt und die Wissenschaftsredakteure viel „für vorne“ schreiben. Sie sind nicht mehr die Exoten und Spezialisten, die man tunlichst nicht mit Aktuellem betrauen sollte.

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RANGA YOGESHWAR

Wie unterscheidet sich Ihrem Eindruck nach die Berichterstattung über Fukushima von der Berichterstattung über Tschernobyl?

  • Im Kontext von Tschernobyl machte ich meine ersten Schritte vor der Kamera. Damals gab es kein oder kaum Privatfernsehen, kein Internet und die Reaktionszeit des TV war langsam. Aus Tschernobyl gab es kaum Bilder. Heute leben wir in einer medialen Welt mit Online-Tickern, Facebook und Handyvideos. Dieses führt zu enormen Resonanzphänomenen. Alle berichten, überall Sondersendungen, Talkshows etc.

Welche Rolle spielte dabei die seit Mitte der 80er Jahre veränderte Medienlandschaft (auch im Hinblick auf das Internet und social media)? Wie hat sich die „Halbwertszeit“ von Nachrichten verändert?

  • Mir scheint, dass wir in den letzten Jahren immer häufiger Extremausschläge in den Medien beobachten (Sarrazin, Guttenberg etc.) . Häufig gibt es dabei eine sehr emotionale Vorgehensweise. Die wenigsten haben Sarrazins Buch gelesen oder sich im Detail mit der Plagiatsaffäre auseinandergesetzt. Eine besonnene Reflexion fehlt: Was z.B. ist aus der Bohrinsel "deep water horizon" geworden? Wie geht es den Menschen in Haiti heute, ein Jahr nach dem Beben...

Hat sich die Qualität der Berichterstattung der klassischen Medien im Vergleich verbessert oder haben die Medien „aus Tschernobyl nichts gelernt“?

  • Man muss sich fragen: Nach welchen Kriterien erfolgt heute die Information? Sendet man, weil man mehr weiß oder vielleicht nur weil das Thema "in" ist. In meinem Fall versuchte ich, anhand der vorliegenden Fakten ein möglichst präzises Bild zu erstellen, doch im allgemeinen Konzert der Apokalypse ist das nicht ganz einfach. Erstaunlicherweise ebbt die Berichterstattung danach schnell ab obwohl die Situation in Fukushima keinesfalls unter Kontrolle ist.

Wie bewerten Sie die schnelle Fokussierung auf innenpolitische Themen rund um deutsche Kernkraftwerke / AKW? Bestand hier Nachholbedarf nach der zuvor eher zurückhaltenden Mediendebatte um eine Laufzeitzeitverlängerung?

  • Wenn ein mediales Thema erst einmal so hoch gekoch ist, fokussiert sich ohnehin alles darauf. Durch die mediale Dramatisierung gibt es auch kein zurück mehr. Politik, Wirtschaft und auch die Medien sind gezwungen, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen; man kann schwer im nachhinein relativeren. Die Politik hat dann versucht, mit dem Moratorium Zeit zu gewinnen. Ähnliche Phänomene sind nun in anderen Ländern zu beobachten – Deutschland ist also nur zum Teil ein Sonderfall. Gleichwohl ist die Sensiblität in Deutschland gegenüber dem Thema Kernernergie immer besonders hoch. So spielte in anderen Ländern in der initialen Berichterstattung der Tsunami selbst eine viel größe Rolle als bei uns.

Wie haben Sie das Zusammenspiel zwischen den aktuellen Redaktionen und den Fachredaktionen bzw. Wissenschaftsjournalisten empfunden? Wo besteht Verbesserungsbedarf?

  • Es gab einen gewaltigen Unterschied zwischen Print, Hörfunk und dem Fernsehen. Print und Hörfunk waren wesentlich besser aufgestellt. Dort waren viel mehr kompetente Wissenschaftsjournalisten präsent. Im TV fehlten die erklärenden Wissenschaftsjournalisten weitgehend und man landete oft bei mehr oder weniger geeigneten Experten, die dann eher als schmückendes Beiwerk einer laufenden Katastrophe angesehen wurden. Zudem ist die Einordnung einer Gefahr im Fernsehen besonders schwierig – das konnte man am Beispiel Fukushima sehr deutlich sehen. Gerade der Fall Fukushima zeigte, wie das Fernsehen zum Gefangenen seiner eigenen Mediengesetzte wurde.