Jk-11 - PREVIEW

nr-Jahreskonferenz 2011

Referenten
Klaus Weidmann
Markus Becker
Rolf Stahl
Susanne Glasmacher
Mod.: Holger Wormer
Programm
Tag Samstag - 2011-07-02
Raum R1
Beginn 11:30
Dauer 01:00
Info
ID 161
Track Debatte
Sprache der Veranstaltung deutsch
Feedback

Zwischen Desinteresse und medialer Panik

Ehec und die Journalisten

Vor der Gurkenkrise hat sich kaum jemand für den Ehec-Erreger interessiert. Dieses Desinteresse hat eine lange Tradition, bereits der ARD-Journalist Klaus Weidmann kritisierte die Ignoranz gegenüber den potentiell gefährlichen Bakterien Ende der neunziger Jahre. Wird aber eine neue Krankheit akut und führt sie innerhalb kurzer Zeit zu mehreren Todesfällen, kehrt sich das mediale Desinteresse schnell in Panik um. Zu beobachten war das vor allem in den Zeiten der Schweinegrippe vor zwei Jahren. Damals hat BILD in gelben Horrorlettern zigtausend Tote in Deutschland prophezeiht, der Impfstoff wurde sehnsüchtig erwartet und selbst ein wenig nützliches Medikament wie Tamiflu wurde so beworben, als ob ein Bundesland ohne große Bevorratung dieses Präparate dem Untergang geweiht ist. Haben die Medien in diesem Jahr aus den Übertreibungen der Schweinegrippe gelernt und sind sie rationaler mit der Ehec-Krise umgegangen? Oder ist es einfach so, dass bei jeder neuen Krankheitskrise die gleiche Hysterie wieder von vorne losgeht? Können Medien auch auf der Seite eins Geschichten über neue Krankheiten bringen, ohne in Alarmismus zu verfallen oder ist das per se unmöglich?

Leitfragen

Susanne Glasmacher:

1.) Empfanden Sie die Berichterstattung über den jüngsten Ehec-Ausbruch im Durchschnitt als angemessen, als übertrieben oder als untertrieben?

  • Die Berichterstattung war zu massiv. Selbst in Phasen, wo es keine Neuigkeiten gab, war praktisch jeden Tag mindestens ein Übertragungswagen eines Nachrichtensenders vor dem RKI platziert (auch dann, wenn Neuigkeiten offenkundig nicht den Aufgabenbereich des RKI betrafen).

2.) Wo lagen konkret die Stärken und Schwächen oder der Berichterstattung?

  • Die Stärken lagen in der Schnelligkeit der Information. Zu den Schwächen kann gezählt werden, dass das Risiko selten eingeordnet wurde (etwa mit einem Vergleich zu anderen Infektionsgeschehen oder anderen Todesursachen in Deutschland). Auffällig vielen Medien waren die Aufgaben der Behörden nicht klar, selbst die grundlegende Unterscheidung in Lebensmittel und Humanmedizin war manchem nicht bewusst. Die Expertise vermeintlicher Experten wurde selten hinterfragt.

3.) Würde eine klarere Zuordnung der Zuständigkeiten unter den Behörden, Bund und Ländern auch für mehr Klarheit in der Berichterstattung sorgen?

  • Das ist möglich. Aber wichtige Medienmechanismen sind Konflikt und Kritik, und das hat wenig mit der Zahl der Behörden zu tun. Es gab auch früher eine andere Zuordnung auf Bundesebene. Die Meinungen über das Bundesgesundheitsamt waren offenkundig nicht nur positiv. Auch der Föderalismus hat Vor- und Nachteile, wie auch der Zentralismus.

4.) Wie ist die reale Gefährdung durch Ehec im Vergleich zu früheren Ausbrüchen / Pandemien etc. von "Schweinegrippe", "Vogelgrippe" und "SARS" einzuschätzen? Bildete die jeweilige Berichterstattung diese unterschiedliche Gefährdung Ihrer Beobachtung nach entsprechend ab?

  • Nimmt man die Zahl der EHEC-/HUS-Todesfälle und schweren Verläufe pro Zeitraum, dann gibt es stärkere Infektionsgeschehen und schwächere. Die Medienberichterstattung bildet das nicht ab. Berücksichtigt werden muss auch, dass es am Anfang oft nicht möglich ist, die Entwicklung eines Infektionsgeschehens einzuschätzen, zum Beispiel bei der Pandemie. Bei Vogelgrippe dagegen hatte das RKI sehr rasch geäußert, dass die breite Bevölkerung in der konkreten Situation nicht gefährdet ist - das hat eine massive Berichterstattung allerdings nicht verhindert.

5.) Wie sieht für Journalisten der Königsweg zwischen angemessener Warnung bzw. Information der Bevölkerung und Vermeidung von unangemessenen Panikreaktionen aus? Was sind die "do's und don't's"?

  • Die do's: Selbst nachfragen, für Argumente offen sein, die Zuständigen fragen, eigene Linie verfolgen, Expertise und Interessen von Kritikern hinterfragen, Fachkunde haben oder erwerben, fair sein. Die don't's: ergeben sich aus den do's.

-

Prof. Dr. Rolf Stahl

1.) Empfanden Sie die Berichterstattung über den jüngsten Ehec-Ausbruch im Durchschnitt als angemessen, als übertrieben oder als untertrieben?

  • Ich empfand die Berichterstattung über die EHEC Epidemie als angemessen. Da ich es täglich mit Inhalten zu tun habe, wünscht man sich aber immer eine präzisere Darstellung der Fakten.

2.) Wo lagen konkret die Stärken und Schwächen oder der Berichterstattung?

  • Die Schwächen lagen aus meiner Sicht in der zeitlich versetzten Darstellung in der Anfangsphase der Epidemie. Man hat sich journalistisch mit einer Durchfallerkrankung befasst, da war längst die inhaltlich viel stärker geprägte Problematik des HUS schon ganz dominierend.

3.) Würde eine klarere Zuordnung der Zuständigkeiten unter den Behörden, Bund und Ländern auch für mehr Klarheit in der Berichterstattung sorgen?

  • Das ist für mich nur schwer zu beurteilen, da die Wege, wie Journalisten zu ihren Informationen kommen, nicht eindeutig klar sind. Ob hier Zuständigkeiten wirklich eine Rolle spielen, wage ich zu bezweifeln.

4.) Wie ist die reale Gefährdung durch Ehec im Vergleich zu früheren Ausbrüchen / Pandemien etc. von "Schweinegrippe", "Vogelgrippe" und "SARS" einzuschätzen? Bildete die jeweilige Berichterstattung diese unterschiedliche Gefährdung ihrer Beobachtung nach entsprechend ab?

  • Für Deutschland ist die reale Gefährdung im Vergleich zu anderen Pandemien durch den EHEC-Erreger wesentlich größer. Die Berichterstattung kann diese nur abbilden, wenn der Inhalt besser dargestellt wird. Journalisten sollten sich eben noch mehr als bisher um Inhalte kümmern.

5.) Wie sieht für Journalisten der Königsweg zwischen angemessener Warnung bzw. Information der Bevölkerung und Vermeidung von unangemessenen Panikreaktionen aus? Was sind die "do's und don't's"?

  • Sachliche Information, die durchaus den individuellen Stil des Journalistenfreien Raum lassen. Die Größe besteht in der Einfachheit der Darstellung, ohne inhaltlich falsche Aussagen zu machen.

-

Klaus Weidmann:

1.) Empfanden Sie die Berichterstattung über den jüngsten Ehec-Ausbruch im Durchschnitt als angemessen, als übertrieben oder als untertrieben?

  • Ich fand die Berichterstattung bisweilen bedenklich. Bei der Frage, wo der Erreger herkommt, wurde häufig mehr Angst geschürt als eingeordnet.

2.) Wo lagen konkret die Stärken und Schwächen oder der Berichterstattung?

  • Die Stärken: Der Erreger und seine Wirkung im Körper wurde zumeist gut erklärt, auch hatte ich den Eindruck, dass die Persönlichkeitsrechte der Erkrankten zumeist gewahrt blieben. Die Schwächen: Jedes noch so kleine Detail wurde häufig gierig aufgegriffen und zu einer reißerischen Story verarbeitet. Das hat viele Verbraucher verunsichert und vielen Produzenten geschadet. Außerdem wurde m.E. nach zu wenig Wert auf die Aufklärung gelegt, wie man sich vor Ehec schützen kann. Die Rolle der "Experten" war streckenweise zweifelhaft - ich selber wurde zum "Experten" aufgebaut, der ich gar nicht (mehr) bin. Deshalb habe ich im weiteren Verlauf der Berichterstattung Interviewanfragen abgelehnt.

3.) Würde eine klarere Zuordnung der Zuständigkeiten unter den Behörden, Bund und Ländern auch für mehr Klarheit in der Berichterstattung sorgen?

  • Auf jeden Fall bin ich dafür, dass die Kommunikation seitens der Behörden im Falle von Epidemien bei einer zentralen Behörde liegen muss. Hier bietet sich das Robert Koch-Institut an. Alles andere schürt Panikmache.

4.) Wie ist die reale Gefährdung durch Ehec im Vergleich zu früheren Ausbrüchen / Pandemien etc. von "Schweinegrippe", "Vogelgrippe" und "SARS" einzuschätzen? Bildete die jeweilige Berichterstattung diese unterschiedliche Gefährdung ihrer Beobachtung nach entsprechend ab?

  • Im Vergleich zu anderen Epidemien kann ich das nicht beurteilen.

5.) Wie sieht für Journalisten der Königsweg zwischen angemessener Warnung bzw. Information der Bevölkerung und Vermeidung von unangemessenen Panikreaktionen aus? Was sind die "do's und don't's"?

  • Journalisten müssen besonders auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen achten. Sie sollten die Sorgfaltspflicht bei der Recherche besonders ernst nehmen - und auch die sogenannten "Experten" (wie in meinem Fall) hinterfragen sowie im Detail prüfen, ob der Newscharakter einer Meldung wirklich relevant ist und sich im Zweifel gegen eine Story entscheiden.