Jk-11 - PREVIEW

nr-Jahreskonferenz 2011

Speakers
Jörg Wagner
Martin Blumenau
Ralf Müller-Schmid
Mod.: Eleni Klotskias
Schedule
Day Samstag - 2011-07-02
Room R2
Start time 10:15
Duration 01:00
Info
ID 70
Track Recherchepraxis
Language used for presentation German
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Formatradio ade

Plädoyers für ein vielfältiges Programm

Adult Contemporary - Contemporary Hit Radio - Easy Listening - das Formatradio ist auf die Vorlieben seiner Hörer zugeschnitten, bietet eine homogene Programmgestaltung und hat einen Wiedererkennungswert. Mit Hilfe von Marktforschung und Marketing soll ein unverwechselbares Programm entstehen, dass sich an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientiert und den Sender als Marke etabliert. Bei der Suche nach Werbekunden ist das hilfreich, ob es auch dem journalistischen Anspruch nützt, ist fraglich. In dem entstandenen Einheitsbrei ist wenig Platz journalistische Vielfalt. Wir plädieren für ein buntes Programm, Radiomacher von vielfältigen Programmen zeigen, wie man mit starken Inhalten ein erfolgreiches Programm macht.

Leitfragen

  • Wie setzen Sie Ihr Konzept um und wie viel Erfolg haben Sie damit?
  • Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Hörer? Was darf man seinen Hörern zumuten?
  • Ermöglicht die Nähe zu einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt eine größere Freiheit oder schränkt sie eher ein?
  • Ist das strikte "Formatradio" ein Irrweg?

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MARTIN BLUMENAU, ORF fm4

Zuerst die Gag-Antwort: Eine Voraussetzung um gutes Radio zu machen wäre es in Österreich zu machen. Dort sind Medien nämlich nicht wie in Deutschland Länder-, sondern Bundesangelegenheit; und das erleichtert vieles, verhindert vor allem kleingärtnerische Einmischung in Detailarbeit. Ein Teil meiner These, warum in Deutschland trotz hervorragender Möglichkeiten kein Radioprogramm existiert, das mit dem Anspruch und der Qualität von FM4 mithalten kann, gründet sich auf diesem Punkt. Ganz ohne Gag.

Der zweite Punkt ist genauso wichtig. Das Programm, besser: das Schema, die Grundidee, die Philosophie muss von den Machern kommen; denen die tagtäglich damit arbeiten. Nicht von Entwicklern und Direktoren, Konzeptionisten oder gar auswärtigen Konsulenten, die sich nach der theoretischen Vorarbeit verziehen; der angewandte McKinseyismus macht Programme, die inhaltlich funktionieren sollen, kaputt.

Punkt 3: das Schielen oder gar Glotzen auf das was einem potentiellen Publikum gefallen könnte ist zu unterlassen. Das unternimmt bereits Mainstream Media; und zwar mit höchst geteiltem Erfolg. Die Mehrzahl der ‚Produkte‘ funktioniert nicht. Und die Angebote, die sich gezielt auf Bedürfnisse einstellen, bedienen die ohne auf das eigentliche und zentrale Ziel jeglichen Mediums (nicht nur der öffentlich-rechtlichen) zu achten: nämlich etwas zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen, die neugierige Vorhut, der Vermittler tatsächlicher Aktualität zu sein. Das mag zur Gewinnmaximierung von Medienhäusern beitragen – Erfolg ist das meiner Ansicht nach keiner. In diesem Zusammenhang hilft ein Medienhaus, das auf die Vorgabe von Quoten verzichtet.

Das trifft im Fall des ORF in Bezug auf FM4 zu. Wie auch die anderen Punkte. Deshalb funktioniert unser Ding.

FM4 hat eine kritische Masse an Hörern, 3% overall, 8% in der Zielgruppe 14-49 im urbanen Bereich, mit zweistelligen Werten in der engeren Gruppe der 14 bis 35jährigen. Die Messung findet ausschließlich in Österreich statt – das internationale Publikum ist da nicht enthalten. Täglich hören aktuell etwa 280.000 Menschen zu. Das ist eine Menge, für Österreich und für unsere Ansprüche, für ein Programm das einerseits mit ungewohnt langen Wortstrecken, mit einem gesellschaftspolitisch kritischen Ansatz und mit explizit alternativer (=anstrengender) Musik Menschen tendenziell vertreibt. Soll heißen: wir werden gehört, und zwar weil wir vorgaben- und damit druckfrei arbeiten können. Genau diese Freiheit ist auch das, was die Hörerschaft als größten Wert empfindet.

Dazu kommt eine Vielzahl an österreichischen Spezifika. Wie etwa die, dass sowohl die Hörerschaft als auch Musikbranche hierzulande ihre Veröffentlichungen in „Ö3-Musik“ und „FM4-Musik“ unterteilt, also die Trennlinie zwischen Pop-Mainstream und alternativen Angeboten über unsere Programme definiert. Das ist ganz ohne Werbe-Campaigns, nur aus word of mouth entstanden. Hier noch anzumerken, als ganz wichtiger Punkt: die Marketing/Außendarstellung-Abteilung ist Teil der Redaktion, sitzt mit im Boot.

FM4 hat auch außerhalb der Hörerschaft einen hohen Bekanntheitsgrad – und sei es nur um sich über die Ablehnung dieses zu „wilden“ Programms abzugrenzen. FM4 funktioniert bei den Unter 30jährigen als medialer Kitt zwischen den relevanten Szenen der Jugendkultur; und bei den Ü30jährigen gilt es als Barometer und Trendscout für die Gefühligkeiten der Jungen.

Zu den zwei Fragen, die aus dieser eher prinzipiellen Grunddarstellung rausfallen: man darf seinen Hörern alles zumuten, was man sich auch selber, in seiner Verantwortung als Redakteur, Moderator, Reporter, Gestalter zumutet: lieber Risiko als Gewohnheit, besser ein weiterer Aspekt als die 1:30-Regel, lieber der lange Album-Cut als die Single. Auch da gilt die anfangs unter Punkt 2 angeführte Philosophie der Macher, die die Philosophie des Senders bestimmt. Formatradios sind ein Teil der Verwertungs-Logik des Kapitalismus: den Menschen das zu verkaufen, was sie kennen, und das was sie kennen sollen, bekannt zu machen. Das ist kein Irrweg, sondern die folgerichtige Umsetzung eines Kernsatzes unseres Systems, gesellschaftlich und ökonomisch. Für Nischen-Bewirtschaftung bleibt Platz. Und mehr als eine Nische wird das auch weiterhin dominierende Formatradio nicht freimachen.