Jk-12 - PREVIEW
nr-Jahreskonferenz 2012
DigiTal der Ahnungslosen: Recherche jenseits von googeln und mogeln
Referenten | |
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Jakob Augstein | |
Christian Bommarius | |
Georg Mascolo | |
Volker Zastrow | |
Mod.: Ines Pohl |
Programm | |
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Tag | Samstag - 2012-06-02 |
Raum | K1 |
Beginn | 11:00 |
Dauer | 01:00 |
Info | |
ID | 250 |
Track | Forum |
Sprache der Veranstaltung | deutsch |
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Sarrazin, Wulff, Grass: Aufklärungswille oder Krawalljournalismus?
Die Entfremdung zwischen Machern und Nutzern
Ein Skandal jagt den nächsten: Erst Sarrazin, dann Guttenberg, dann Wulff, dann Grass, jetzt wieder Sarrazin. Das Empörungspendel schlägt jedesmal über den Rand, aber sind das alles aus wirkliche Skandale, haben sie eine gesellschaftliche oder politische Relevanz? Ist das, was aufgedeckt wird, tatsächlich Ausdruck schlimmen Fehlverhaltens. Die Fälle sind jeweils sehr unterschiedlich zu bewerten, aber die Reaktion vieler Leser ist eindeutig. In massenhaften Leserbriefsendungen signalisieren viele Menschen den Medien: Ihr übertriebt doch! Haben sie vielleicht ein bisschen recht? Natürlich haben Wulff, Grass und Co. Fehler gemacht. Aber ist das Ausmass und die Vehemenz, mit der über diese Fehler berichtet wird, noch angemessen, oder lassen sich vielleicht auch seriöse Medien vom Krawalljournalismus des Boulevard treiben? Fallen wir (wie im Fall Sarrazin) vielleicht auch auf eine geschickte Skandalisierung herein, die letztlich doch dem nützt, der den Skandal bewusst losgebrochen hat?
Aus dem stern vom 20. Mai 2012:
Vorsicht, Satire: Thilo Sarrazin Entfachen wir den Sturm! Sarrazin wütet gerne: gegen Immigranten, Muslime, Bedürftige. Jetzt erscheint sein neues Buch. stern-Autor Arno Luik wurde ein Brief zugespielt - wie ihn Sarrazin geschrieben haben könnte.
Berlin, den 20. April 2012
Lieber Henryk M. Broder, mit diesem Brief schicke ich ein Buch, das am 22. Mai erscheint. Mich würde bei Gelegenheit sehr interessieren, was Sie davon halten. Überaus geehrt und dankbar wäre ich natürlich für eine Rezension durch Sie. Bitte fühlen Sie sich jedoch in keinem Fall gedrängt. Es wäre schrecklich, unser so nettes Verhältnis durch Anfragen dieser Art zu trüben.
Aber ich wende mich an Sie aus mehreren Gründen. Ich weiß, wir sind Brüder im Geiste. In schöner Erinnerung habe ich noch immer, wie Sie mich bei meinem letzten Buch, "Deutschland schafft sich ab" gegen die üblen Schmähattacken der Gutmenschen und der Kanzlerin verteidigten. Mehrere wunderbare Sätze von Ihnen hängen bei mir über dem Schreibtisch: "Diejenigen, die über Sarrazin herfallen, tun es nicht, weil er mit seinen Thesen danebenliegt, sondern weil er im Prinzip recht hat." Und: "Das kollektive Verlangen, Sarrazin zum Schweigen zu bringen, hat auch eine nach innen gerichtete Funktion: Die eigenen Zweifel sollen unterdrückt werden, Sarrazin ist der klassische Sündenbock. Er wird mit den Sünden der Gesellschaft beladen und in die Wüste hinausgejagt. Die Selbstgerechten aller Klassen und Fraktionen treten zur virtuellen Steinigung an."
So wahre wie wärmende Worte.
Ich wende mich aber auch an Sie, weil Sie - wie kaum ein anderer in unserem Land - weiß, wie man Debatten entfacht und lenkt. Sie sind, wenn ich das mal so salopp-lobend sagen darf, ein begnadeter Brandstifter. Das war neulich wirklich ganz große Klasse, wie Sie mit ein paar Sätzen die Republik zum Wackeln brachten und beinahe Günter Grass vom unverdienten Denkmal schubsten. Kaum einer hätte ja sein sogenanntes Gedicht "Was gesagt werden muss" registriert. Aber Sie erkannten sofort das inhärente Vernichtungspotenzial dieser 15 Schmock-Zeilen, sozusagen die Grass'sche Selbstschussanlage. Sie wussten sofort, wo und wie man hinlangen muss. Große Klasse Ihre Analyse, dass dieser Großschriftsteller "der Prototyp des Antisemitismus" ist. Chapeau!
Ich bin ja auch recht gut im Provozieren. Noch immer muss ich lachen, wie die Gutmenschen-Meute kollektiv hochging, als ich in der Hartz-IV-Debatte sagte: "Schon für 3, 76 Euro pro Tag gibt es drei volle Mahlzeiten. Man kann sich also auch von einem Transfereinkommen ausgewogen und gesund ernähren". Über den Aufschrei der moralisch Entrüsteten freu ich mich noch heute! Wie immer hatte ich doch nur eine tabuisierte Wahrheit laut ausgesprochen: Im Urlaub esse ich mit meiner Frau im Rahmen des Hartz-IV-Regelsatzes. Und es schmeckt. Mein Sohn hat immer wieder, die Gutmenschen-Presse hat überaus hämisch darüber berichtet, Hartz IV beantragt, er ist weder dünn noch abgemagert, und er hat auch immer genügend Zeugs zum Trinken!
Aber Sie, lieber Broder, sind der wahre Meister der perfekten Provokation. Deswegen wende ich mich an Sie. Ich glaube, Sie werden Ihre Freude mit meinem Buch haben - noch mehr als bei Grass. Die Grass-Debatte war schon recht gut, aber letztendlich doch nur ein Strohfeuer. Mein neues Buch aber hat das Potenzial, eine richtige Raserei im Land auszulösen: Nein, lieber Broder, Sie müssen dem Euro jetzt nicht antisemitistische Tendenzen unterstellen, das nicht, aber Sie können herrlich alle Vorurteile und Ängste, alle Stereotype, die im Land herumwabern, ausbeuten und genussvoll ausleben - all das lässt der Euro zu. Wenn Sie nun gekonnt draufschlagen, sitzen Sie, ich sag es Ihnen voraus, die nächsten paar Wochen in fast jeder Talkshow.
Der Euro ist gefährlicher als der Immigrant
Ich will Ihnen nun ein paar Stichworte hinwerfen: Mein neues Buch "Europa braucht den Euro nicht" (Erscheinungsdatum: 22. Mai) ist die logische Fortsetzung meines letzten Aufregers "Deutschland schafft sich ab". Da hatte ich ja aufgezeigt, dass der Immigrant, der Türke, der Araber, dass all diese Fremdländer - unterstützt von tumben Gutmenschen - Deutschland erobern. Dass die Immigration unsere abendländische Tradition und all unsere Werte zerstört.
Der Euro aber ist noch gefährlicher als der Immigrant. Der Euro ist Teufelszeug. Der unser Land der Fleißigen auffrisst und unser Land der Eifrigen abnagt. Es ist doch so: Wir zum Beispiel produzieren im Schweiße unseres Angesichts perfekte Autos. Die Griechen, Spanier, Portugiesen oder Italiener kaufen auf Pump diese herrlichen Maschinen made in Germany, setzen diese Wunderwerke der Technik gegen die Wand, verschrotten sie - und wir Deutschen kommen mit unserem Geld für den Schaden auch noch auf. Das ist doch irre. Diese Leute, diese Südländer, die wahrscheinlich alle das gleiche Faul-Gen haben, gucken ins Mittelmeer, kippen sich Ouzo hinter die Binden, knallen sich beim Stierkampf Wein in die Birne - leben in Saus und Braus, und wir überweisen für diesen Spaß Milliarden Euro. WIR! Das Land der Dichter und Denker, Sie wissen es, lieber Broder, ist wegen des Euros verkommen zu einem Land der Deppen und Trottel.
Diese Dummheit ist doch Stoff, der betört, da bin ich mir sicher!
Thilo Sarrazin... ... ist SPD-Mitglied und war bis 2009 Finanzsenator in Berlin, danach bis Ende September 2010 im Vorstand der Deutschen Bundesbank. Sein erstes Buch "Deutschland schafft sich ab" erschien im August 2010, mit seinen provokanten Thesen zum Thema Migration und Sozialpolitik entfachte er hitzige Debatten, in der SPD wurde über seinen Ausschluss diskutiert. Sein nächstes Buch "Europa braucht den Euro nicht" erscheint am 22. Mai 2012.
Die Griechen werden sich mächtig aufregen
Ich habe, das sage ich Ihnen ganz offen, es geht ja um Schicksalsfragen unserer Nation, noch ein paar andere Publizisten angeschrieben. Etwa den Joffe von der "Zeit". Er stimmt das Thema gerade ab mit seinen Freunden in Washington und den Leuten von der "Atlantikbrücke". Er wird die Zukunft des Euros und damit Europas wohl in den ganz großen transatlantischen Zusammenhang stellen, mit geschichtlichen Aus- und Rückblicken, er wird wahrscheinlich mit typischem Joffe-Geschwurbel seine Sorge um das Abendland ausdrücken. Für Emotionen ist das nichts. Aber meine Agentin ist auch an der "Bild"-Zeitung dran. Vielleicht gibt es ja wieder, wie bei meinem letzten Buch, so einen genialen Doppelaufschlag Bild-Spiegel? Also der Bild-Diekmann hätte da nichts dagegen, er möchte so gerne seinem Blatt einen seriösen Anschein vermitteln.
Georg Mascolo vom "Spiegel" hat mir gestern einen potenziellen Euro-Titelentwurf gezeigt. Die Jungs vom "Spiegel" haben sich richtig angestrengt. Man sieht Jens Weidmann, den Chef der Bundesbank, wie er vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund ein dickes Bündel von Euroscheinen zerreißt. Mascolo glaubt, dass so ein Titel sich gut verkaufen wird. Sie hätten, hat er mir erzählt, mit einem ähnlich gestalteten Titel vor einigen Jahren sehr viel Erfolg gehabt. Da zerreißt ein Typ, Reich-Ranicki, den ich nicht kenne, ein Buch von Grass. Ist doch ein gutes Omen.
Aber vielleicht werden die Hamburger vom Münchner "Focus" ausgebremst. Die Münchner rangeln auch um einen Vorbadruck. Die haben ebenfalls schon einen Titel-Entwurf. Er ist, ganz ehrlich, sogar für mich ein wenig zu plump, aber sicherlich hochwirksam. Ich sag nur: Die Griechen, diese angeblichen Erfinder der Demokratie, werden sich mächtig aufregen.
Ach, es ist schön, in unserem Deutschland zu leben! Alle wichtigen Medien haben sich brav dem Marketing-Diktat meines Verlags unterworfen, der die Verkaufe inszeniert - und darauf bin ich als deutscher Autor nun wirklich sehr stolz - wie sonst nur bei Harry-Potter-Büchern. Vor dem 20. Mai wird keine Zeile über mein Eurobuch erscheinen, um dann - patsch! - auf einen Schlag auf allen Kanälen, Zeitungen und Zeitschriften zu sein. Und wenn Sie, lieber Broder, wortgewaltig wie Sie sind, noch als Brandbeschleuniger eingreifen, dann, dann!!!
Die TV-Quatschköpfe steigen voll ein
Vorhin hat übrigens meine Agentin angerufen. Sie war ganz begeistert. Fast alle TV-Quatschköpfe, meinte sie, steigen voll auf das Thema ein, es sei "richtig sexy". Bei Jauch habe die Kanzlerin schon für die große Euro-Diskussion zugesagt. Allerdings, sagt Merkel, werde sie sich wie bei meinem letzten Bestseller verhalten: Sie werde das Buch nicht lesen, es sei "verletzend und polemisch", für die "Diskussion um Europa und den Euro überhaupt nicht hilfreich". Eine Bombenwerbung, dass mein Buch kanzlerische Lesefähigkeit überfordert! Falls die Kanzlerin keine Zeit haben sollte, weil bei ihr im Kabinett wieder irgendwas knallt, wird natürlich der Steinbrück einspringen.
Meine Agentin schwärmt von den TV-Leuten, sie ist begeistert von deren "Einfalt in der Vielfalt": Plasberg plant eine Runde mit dem Titel "Können wir uns den Euro noch leisten?" Wie ich höre macht Sinn vom Ifo-Institut mit, der Rürup ist dabei, der Lauterbach sowieso und irgendeine Quotenfrau sitzt auch noch rum, ich glaube eine Frau von der taz, Ulrike Irgendwas.
Anne Will plant auch eine Euro-Sendung: "Wie lange leisten wir uns den Euro noch?" Der Unsinn vom Ifo-Institut hat schon zugesagt, auch der Lauterbach will kommen, der Rürup überlegt noch.
Schon vor einer Woche hat sich übrigens der Gottschalk bei mir gemeldet. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm zusagen soll. Ich kann den Typen nicht ab. Ich mag seine Kleidung nicht, seine Stiefel finde ich hässlich, er lümmelt immer so rum, keine Haltung, kein Zug, nichts - und er hat doch jetzt so ein Loser-Image? Er hat mich jedenfalls mit allen Mitteln gelockt. Sein Ansatz ist ja gar nicht so schlecht, ist richtig schön populistisch: "Ist der Euro so weich wie Gummibärchen?"
Naives Denken alter Denker
Haben Sie mir, lieber Broder, noch einen Tipp, wie man die überfällige Diskussion eventuell eine Etage höherschrauben könnte - mehr ins Intellektuelle drehen könnte? Meinen Sie, der Enzensberger sagt etwas dazu? Haben Sie noch einen Draht zu ihm? Vielleicht schreibt er einen Essay, aber das wird, so fürchte ich und so wie ich ihn kenne, viele Euros kosten.
Meine Agentin hat auch den Habermas, den alten Denker, kontaktiert. Aber der sträubt sich. Er hängt naiv-idealistisch noch am vereinten Europa. Für ihn ist der Euro eine Frage des Friedens. Da tickt er wie Kohl, Kriegserinnerungen spielen da mit, auch Sentimentalitäten von seinen Reisen als Jugendlicher nach Portugal und Spanien. Er will partout nicht einsehen, dass der Euro sein Europa und mein Deutschland zerstört.
Das schönste Gesicht des Kommunismus gegen den klügsten Kopf des Kapitals
Ach so, fast, lieber Broder, habe ich es vergessen: Wahrscheinlich steigen auch die Jungs vom "Handelsblatt" groß ein. Sie planen zu dem Thema ein Spitzentreffen der besonderen Art. Sie wollen das schönste Gesicht des Kommunismus gegen den klügsten Kopf des Kapitals diskutieren lassen: Wagenknecht versus Ackermann. Das ist aber erst im Juni, wenn der Ackermann weg von der Deutschen Bank ist. Er hat allerdings, habe ich gehört, ein wenig Angst, dass er bei dem Gespräch der Wagenknecht intellektuell unterliegt - aber was soll's? Für den Klamauk ist es gut, und wie ich höre, will er kundtun, dass er "dem Euro keine Chance mehr gibt". Ein unbezahlbarer Satz! Mein Gott, von diesem Satz können die Schreiberlinge wochenlang leben! Ich seh schon, wie der Piper von der SZ und der Beise von der SZ sich um die Aufmacher balgen!
Ein Letztes: Bei Beckmann wird Wolfgang Grupp sitzen, das ist der mit dem Affen in der Werbung. Er wird sich, das hat er schon klar gemacht, "glasklar" gegen den Euro aussprechen. Dazu sei er als sparsamer schwäbischer Unternehmer geradezu verpflichtet: "Meine Angestellten, die jetzt 1200 Euro verdienen, denen gebe ich in Zukunft gerne 1200 D-Mark. Dazu stehe ich!"
Also, lieber Broder, ich will Sie, wie gesagt, nicht drängen. Aber Sie sehen, beim Euro geht es wirklich um Fragen, die auch Ihnen wichtig sind. Kulturelle Identität. Finanzielle Souveranität. Also alles Schicksalsfragen unserer Nation. Was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Wir können nicht warten, bis unsere letzte Tinte vertrocknet ist.
Sagen Sie es also jetzt - und entfachen Sie gemeinsam mit mir den Sturm, den unser Land so dringend braucht.
Mit den besten Grüßen Ihr Thilo Sarrazin
P.S.: Ich darf Sie schon heute auf meinen nächsten Knaller hinweisen. Unserem Vaterland droht eine noch viel größere Gefahr als der Immigrant oder der Euro: Unsere Muttersprache schafft sich ab.
Bis vor wenigen Jahren war unsere großartige Sprache zu 100 Prozent Deutsch. Und heute? Heute ist unsere Sprache zu großen Teilen, ich schätze mal schon zu 70 Prozent, durchrasst mit Anglizismen, türkischem Gebrabbel oder arabischem Gestammel. Ich möchte aber, lieber Broder, und ich weiß, dass Sie das auch möchten, dass meine Urenkel in 100 Jahren sich in unserem Land noch auf Deutsch unterhalten können.
Ich möchte Deutsch reden. Auch wenn im Greisenalter meine Pflegerinnen aus Polen oder der Ukraine kommen. Im Frühjahr 2013, bitte notieren Sie sich den Termin, wird mein neues Werk erscheinen. Der Titel: "Volk ohne Sprache. Wie wir uns selbst vernichten".