Seit mehreren Jahren wird über die Gemeinnützigkeit von Journalismus diskutiert. Jetzt bringt ein Rechtsgutachten neuen Schwung in die Debatte: Die im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung erstellte Expertise empfiehlt, die Abgabenordnung zu ergänzen und den Journalismus steuerrechtlich als gemeinnützig anzuerkennen.
„Die Vielfalt der Medien ist integraler Bestandteil des Gemeinwohls“, betonen die Gutachter Daniel J. Fischer, Peter Fischer und Anke Warlich. Der Markt alleine könne diese Vielfalt jedoch nicht gewährleisten, insbesondere im Lokaljournalismus. Diese Lücke könne der gemeinnützige Journalismus füllen, denn er sorge für „Vielfalt in journalistischen Aktionsfeldern, in welchen die gewinnorientierten Medien mangels Marktrelevanz nicht tätig werden.“ Für die Medien habe die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht nur steuerliche Vorteile, sondern auch die „Bedeutung eines öffentlichkeitswirksamen zivilgesellschaftlichen Qualitätssiegels.“
Die vorgeschlagene Gesetzesänderung schaffe zudem Rechtssicherheit. Denn den Pionieren im gemeinnützigen Journalismus (z.B. der in Stuttgart erscheinenden Wochenzeitung Kontext, dem Recherchezentrum Correctiv oder dem Online-Magazin MedWatch) ist gemein, dass sie ihre Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch die Finanzbehörden nur über Umwege haben erreichen können, z.B. durch die „Förderung der Volksbildung“.
Die Abgabenordnung regelt, was von den Finanzämtern als gemeinnützig anerkannt werden kann. In § 52 sind die „gemeinnützigen Zwecke“ abschließend aufgezählt, neben der Bildung auch die Förderung von Wissenschaft und Forschung, von Religion, von Tierschutz, Sport, Kleingärtnerei, Karneval, Amateurfunk und manchem mehr. Journalismus wird dort bislang nicht genannt. Die Gutachter kommen in ihrer 160-seitigen Analyse nun zu dem Schluss, dass eine Ergänzung des Zwecke-Katalogs des § 52 Abs. 2 Satz 1 AO um eine Begünstigung von Journalismus nachdrücklich zu befürworten ist, wie es in der Sprache der Steuerrechtler heißt. Übersetzt bedeutet dies: Macht den Journalismus gemeinnützig!
Netzwerk Recherche setzt sich seit mehreren Jahren für die Stärkung des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland ein. Dazu gehören Informationsangebote, Reports, regelmäßige Fachkonferenzen, die Grow-Stipendien für Gründer im gemeinnützigen Journalismus ebenso wie die Beteiligung an der Fachdebatte. So hat Netzwerk Recherche beispielsweise im Jahr 2015 an der Experten-Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag mitgewirkt (Protokoll: „Beitrag zu Vielfalt und Qualität im Journalismus leisten – Gemeinnützigkeit von Journalismus anerkennen“).
Dieser Blick in das Landtagsarchiv zeigt: Schon seit Jahren befasst sich die nordrhein-westfälischen Medienpolitik mit der Gemeinnützigkeit von Journalismus. Daran hat auch der Regierungswechsel 2017 nichts geändert. Das Thema hat sogar Eingang in den Koalitionsvertrag von CDU und FDP gefunden. Dort heißt es: „Zur Stärkung der Presse- und Medienvielfalt werden wir mit einer Bundesratsinitiative die Voraussetzungen dafür schaffen, die Anerkennung von Journalismus als gemeinnützige Tätigkeit in der Abgabenordnung zu ermöglichen.“
Im März 2018 hatte die nordrhein-westfälische Staatskanzlei das nun veröffentlichte Gutachten vergeben. Die damit beauftragte Kanzlei BKL Fischer Kühne Lang in Bonn ist spezialisiert auf Gemeinnützigkeitsrecht und hat ihre Expertise beispielsweise auch beim Tag des Nonprofitjournalismus 2016 eingebracht. Prof. Dr. Peter Fischers Vortrag „Im Labyrinth des Steuerrechts: Wie überzeuge ich das Finanzamt?“ wurde von Netzwerk Recherche hier dokumentiert.
Das Anliegen solle nun auf Bundesebene diskutiert werden, empfehlen die Gutachter: „Das politische Klima der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages scheint für eine Gesetzgebungsinitiative günstig.“