SEED Nr.16

SEED-Newsletter Nr. 16, Dezember 2022

SEED Newsletter zum Nonprofitjournalismus
Der Newsletter zum Nonprofitjournalismus
von Netzwerk Recherche

HERZLICH WILLKOMMEN BEIM SEED-NEWSLETTER!

Liebe Leser:innen,

wenn wir die vergangenen elfeinhalb Monate Revue passieren lassen, ergibt das eine Melange aus verstörenden Ereignissen und hoffnungsvollen Entwicklungen.

Während hier die Weihnachtsbeleuchtung funkelt, herrscht in Europa noch immer Krieg. Wer sich ein Bild davon machen möchte, was das für die Menschen in der Ukraine bedeutet, dem sei die schwer erträgliche Reportage „Der letzte Zeuge“ empfohlen, für die Alexandra Rojkov jüngst mit dem Reporter:innen-Preis ausgezeichnet wurde. Im Lichte des darin beschriebenen Schicksals erscheinen die meisten unserer Probleme profan. Und doch lohnt es sich, auch sie ernst zu nehmen. Denn guter Journalismus, gründliche Recherchen und nachhaltig finanzierte Medien sind überlebenswichtig für unsere Demokratie.

Was heißt es beispielsweise für Medienprojekte, die sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge oder Spenden finanzieren, wenn wir alle wegen in die Höhe schnellender Energiekosten und Inflation sparen müssen? Bei Bio-Lebensmitteln ist das schon spürbar. Da greifen die Deutschen wieder vermehrt zu preiswerteren Alternativen. Es ist also nicht ganz abwegig anzunehmen, dass manche:r die acht Euro pro Monat für das tolle lokaljournalistische Projekt in der Heimat jetzt lieber für die nächste Abschlagszahlung beiseitelegt.

Wir möchten das mit der Spendenbereitschaft und Zahlungsmoral genauer wissen und haben dafür erstmals das Greenhouse Fellowship ausgeschrieben, das sich mit der Frage auseinandersetzt, ob der spendenfinanzierte Journalismus in der Krise steckt – vor allem im ländlichen Raum. Nachgehen wird dem die Lokaljournalistin Dörthe Ziemer, die uns mit ihrem Konzept überzeugt hat (mehr dazu unten).

Das Fellowship ist Teil unseres im Herbst eröffneten Grow Greenhouse, einem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt, das von der Schöpflin Stiftung unterstützt wird. Wir haben viele Monate Arbeit in das Projekt gesteckt und bieten neben den etablierten Grow-Stipendien und dem Greenhouse Fellowship auch noch den Fortbildungskurs Förderkosmos Journalismus an, der auf großes Interesse gestoßen ist.

Deshalb blicken wir gespannt und mit einer gehörigen Portion Vorfreude auf die Zusammenarbeit mit den Grow-Stipendiat:innen (mehr über die 2022er Kohorte erfahrt Ihr unten), mit Dörthe und unseren „Kosmonaut:innen“.

Euch allen wünschen wir von Netzwerk Recherche friedliche Weihnachten. Und wer den Menschen in der Ukraine konkret helfen möchte, kann ihnen kostenlos Care-Pakete schicken.

Bis zum nächsten Jahr

Malte Werner

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Greenhouse Fellowship geht an Dörthe Ziemer

Grow Greenhouse Fellowship

Die Lokaljournalistin Dörthe Ziemer wird von Netzwerk Recherche und der Schöpflin Stiftung mit dem Greenhouse Fellowship ausgezeichnet. Im Rahmen des Fellowships wird sie untersuchen, wie spendenfinanzierte Lokalmedien im ländlichen Raum Unterstützer:innen gewinnen können. Was erwarten die Menschen auf dem Land vom Lokaljournalismus – und wie müssen Angebote gestaltet sein, für die sie regelmäßig zahlen würden? Welche Rolle spielen derzeit Inflation und steigende Energiepreise bei der Spendenbereitschaft? Und welche Erfahrungen haben andere gemeinnützige Lokalmedien in Deutschland bereits gesammelt?

Das Greenhouse Fellowship, mit dem zu einer Zukunftsfrage des Journalismus recherchiert und geforscht werden kann, wird 2022 erstmalig vergeben. Es umfasst eine Förderung in Höhe von 2.500 Euro, fachliche Beratung, Zugang zu Netzwerken im gemeinnützigen Journalismus und die Publikation der Ergebnisse im Frühjahr 2023. Dörthe Ziemer hat vor knapp zwei Jahren das lokaljournalistische Online-Magazin Wokreisel im Landkreis Dahme-Spree gegründet, in diesem Jahr ging ihr kostenpflichtiger Newsletter Wochenkreisel an den Start. (ts)

NEWS

+++ Karla und Journalismus? Da mussten viele bislang spontan an Karla Kolumna denken, die rasende Reporterin aus den Hörspielen ihrer Kinder. Seit November ist nun nicht mehr die Benjamin-Blümchen-Freundin die erste Adresse für feinen Karla-Journalismus, sondern das gemeinnützige Karla Magazin in Konstanz. Nach Rekord-Crowdfunding und Aufbau der Redaktion startete das Online-Magazin vom Bodensee mit einem Schwerpunkt zur Energiekrise. Aktuell recherchieren Redaktion und Bürger:innen mit Hilfe des Crowd-Newsrooms von Correctiv zu den steigenden Strom- und Heizkosten in Konstanz. +++

+++ Ausgewählt: Die neuen Grow-Stipendiat:innen haben mit der Arbeit an ihren Vorhaben begonnen. Zuvor hatten Netzwerk Recherche und die Schöpflin Stiftung drei besonders spannende Projekte aus dem Bereich des gemeinwohlorientierten Journalismus ausgezeichnet. Gefördert werden nun das Lokalmagazin bloq aus der Rhein-Neckar-Region, das Reporterslam-Team, das gemeinnützigen Live-Journalismus auf die Bühne bringen möchte, sowie die inklusive Redaktion des Online-Magazins andererseits aus Österreich. +++

+++ Ziel verfehlt, dennoch zufrieden: Das beschreibt die Gefühlslage beim Team von tag eins aus Österreich wohl ganz gut. Weil sich die sehr ambitionierte Zielmarke von 10.000 Unterstützer:innen zum Start des neuen Projekts als unrealistisch erwies, wurde deutlich nach unten korrigiert. Letztlich überzeugte die Idee des selbsternannten „Magazin für Veränderung“ mehr als 1.100 Menschen. Was heißt das für tag eins? „Wir können starten, was uns riesig freut. Wir müssen jedoch ein bisschen runterskalieren, was die Quantität angeht“, schreibt uns das Team. Etwas weniger Texte zu Beginn, auch die Audio-Funktion muss warten. Die nächste Ausbaustufe kommt „dann eben ein bisschen später als geplant“. Guten Start! +++

+++ Schulgeld: Wer über Bildung berichtet, sollte etwas von der Materie verstehen –  Lehrkräftemangel, wachsende Bildungsdefizite, ungleiche Bildungschancen, Sanierungsstau. Weil es dafür nicht reicht, selbst mal ein paar Jahre die Schulbank gedrückt zu haben, gibt es jetzt das Nina Grunenberg Fellowship. Die Zeit-Stiftung, die Schöpflin Stiftung und die Wübben Stiftung möchten mit dem Weiterbildungsstipendium Journalist:innen (fest oder frei) Einblicke in das Schulsystem gewähren und so zu einer fundiert(er)en Berichterstattung beitragen. Bewerbungsschluss ist der 19. Januar 2023. +++

+++ Es ist kompliziert: Wir hatten das Thema Presseförderung schon ein paar Mal in SEED. Wie ein neuer Anlauf in Deutschland aussehen könnte, steht noch in den Sternen. Laut epd medien ist innerhalb der Bundesregierung nicht einmal klar, welches Ressort dafür zuständig wäre. Aber auch in anderen Ländern hakt’s. Die österreichische Digitalisierungsförderung schließt rein digitale Medien aus und auch das Förderpaket für „qualitätsvollen Journalismus“ macht es Online-Redaktionen übertrieben schwer. Digital-Expertin Anita Zielina nennt das „eine Geschichte versäumter Gelegenheiten und feiger Kompromisse“. Ähnlich kritisch beurteilen unabhängige Beobachter:innen in den USA einen Gesetzentwurf, der den Lokaljournalismus retten soll, aber jene kleinen (digitalen) Angebote außen vor lässt, die mit innovativen Ansätzen nachhaltige Geschäftsmodelle erproben. Es gäbe aber auch Profiteure: die großen Verlage, die für den Niedergang des Lokaljournalismus mitverantwortlich sind. +++

Jahreskonferenz: Jetzt Ideen für NR23 einreichen!

Der Termin für die nächste Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche steht fest: Die Tagung findet vom 15. bis zum 17. Juni 2023 in Hamburg statt. Ab sofort sind Vorschläge für unser Programm möglich. Habt Ihr eine Idee, einen Wunsch? Dann beteiligt Euch gerne jetzt am Call for Papers, zum Beispiel für unseren Schwerpunkt zum gemeinnützigen Journalismus und zur Medienvielfalt.

Wo wir uns im kommenden Jahr außerdem treffen können:

Reporter Slam – Das Jahresfinale
07. Januar 2023 in Berlin, Heimathafen Neukölln

Fachkonferenz „Ungleichheit: Ein Wort, viele Facetten“
24. März 2023 in Berlin, WZB

Dataharvest – European Investigative Journalism Conference
01.-04. Juni 2023 in Mechelen, Belgien (Early Bird Tickets)

Ostsee-Werkstatt für neue Lokalmedien 2023
06.-08. September 2023 auf Gut Siggen

Global Investigative Journalism Conference
19.-22. September 2023 in Göteborg, Schweden (Early Bird Tickets)

SciCAR-Konferenz für Datenjournalismus
29./30. September 2023 in Dortmund

AUSLESE

FÜR DEN GUTEN ZWECK?

Streit um ORF-Spendengala in Österreich

Viel Zeit für die Freude über das Grow-Stipendium blieb der österreichischen Redaktion von andererseits im November nicht, denn sie veröffentlichte kurz darauf ihre bislang aufwändigste Recherche. In einem Film schildern sie, wie die ORF-Spendengala „Licht ins Dunkel“ bei behinderten Menschen auf Kritik stößt. Damit greift das inklusive Redaktionsteam eine Traditionssendung an, die in diesem Jahr bei der Gala rund 3,6 Millionen Euro an Spenden einsammelte. Was für spendende Unternehmen ein Charity-Highlight ist, nehmen Betroffene als stigmatisierend wahr. Die andererseits-Doku, die Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam produziert haben, sorgte für Schlagzeilen in Österreich. Der ORF hat inzwischen ein Gespräch am Runden Tisch angekündigt, um über die Zukunft der Spenden-Aktion zu beraten.

KONTROLLIERTER DRUCK

Correctiv.Lokal-Recherche zu Amazon

Weihnachtszeit ist Päckchen- und Paketezeit. Nur bringt die nicht der Weihnachtsmann, sondern sie werden immer häufiger von Amazon geliefert. Was die kurzen Lieferzeiten, mit denen der Handelsriese wirbt, für die Menschen in der „Maschine Amazon“ bedeuten, schildern die Autor:innen eindrücklich. Nicht einmal der Tod hält den Betrieb auf.

SHADOW DIPLOMATS

Internationale Recherche zu diplomatischer Halbwelt

Für eine globale Recherche zu Honorarkonsul:innen haben das International Consortium of Investigative Journalists und ProPublica, der US-amerikanische Pionier im Nonprofitjournalismus, erstmals kollaboriert. 160 Journalist:innen aus 46 Ländern beteiligten sich an der Investigation, in Deutschland berichteten u. a. der Rechercheverbund NDR/WDR/SZ und der Spiegel. Weltweit wurden mehr als 500 Fälle identifiziert, bei denen Honorarkonsul:innen in Skandale oder Straftaten verwickelt waren. In Deutschland setzte sich ein Verein, der sich als Standesvertretung der ehrenamtlichen Diplomat:innen versteht, jahrelang für Privilegien, Steuernachlässe und Sonderrabatte ein.

ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

Ideen zur Zukunft des gemeinwohlorientierten Journalismus

Sameer Padania, britischer Experte für Journalismusförderung, stellt fest, dass sich die Bedeutung des Journalismus für das Gemeinwohl nicht adäquat in der hiesigen Förderlandschaft widerspiegelt. „In Europe there are still relatively few funders that specialize in journalism“, schreibt er in einem Artikel für das Global Investigative Journalism Network. Um das zu ändern, schlägt er Modelle wie das von Civitates vor, bei dem die Mittel verschiedener Stiftungen gebündelt werden. Die Schlüsselrolle bei der Unterstützung sieht er allerdings in lokalen Strukturen: „I urge you to come together in your countries, cities and localities,[…] to talk about the kinds of journalism you and your communities want and need – and what they need from you.“

WÄHLEN GEHEN

Lokaljournalismus und Demokratie – neue Untersuchung in UK

Welchen Einfluss hat Lokaljournalismus auf demokratische Prozesse und die Zivilgesellschaft? Dieser Frage geht die britische Public Interest News Foundation (PINF) in ihrem neuesten Report nach. Für die Untersuchung wurden fünf Lokalredaktionen aus Wahlkreisen mit niedriger Wahlbeteiligung finanziell unterstützt, um die Bevölkerung umfangreich über eine bevorstehende Wahl zu informieren. Zwar zeigten sich dort im Vergleich zu Kontrollwahlkreisen keine direkten Auswirkungen eines gestärkten Lokaljournalismus (etwa in Form einer höheren Wahlbeteiligung). Dennoch bewerten die beteiligten Redaktionen das Experiment als gelungen, etwa im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Redaktionen und der Bürgerschaft. Die Erfahrungen der Beteiligten und Schlussfolgerungen der PINF gibt es als Zusammenfassung oder ausführlich im Impact Fund Report.

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Hast Du kürzlich eine spannende Recherche von einer gemeinnützigen Redaktion gelesen? Hast Du Ideen, wie wir SEED weiterentwickeln können? Fehlt etwas? Schreib uns dazu eine E-Mail, wir freuen uns über Hinweise und Feedback.

IMPRESSUM

Herausgegeben von Netzwerk Recherche e.V.

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Telefon: 030 49854012
www.netzwerkrecherche.org

Kontakt: seed@netzwerkrecherche.de

Vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder: Daniel Drepper, Christina Elmer, Frederik Richter

Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsnummer VR 32296 B.

Redaktion:
Dr. Thomas Schnedler (ts), Evangelista Sie (es), Malte Werner (mw)

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Der SEED-Newsletter ist Teil des NR-Projekts zum Nonprofitjournalismus, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.