Newsletter Netzwerk Recherche 237 vom 27.09.2024
Liebe Kolleg:innen,
nun sind die Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern geschehen und erstmals seit 1945 ist mit der AfD wieder eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Landtag. In zwei Bundesländern wird sie allein über die Sperrminorität erheblichen Einfluss nehmen können. Sie kann Verfassungsrichter:innen blockieren oder auch die Ausrichtung von Landesmedienanstalten beeinflussen. In allen drei Ländern ist unklar, ob zusammen mit dem populistische Bündnis Sahra Wagenknecht Regierungen zu Stande kommen und wie (in)stabil diese werden.
Was lösen diese Wahlergebnisse in euch aus? Ich glaube, es ist gerade wichtig, die eigenen Emotionen zu verstehen, Erkenntnisse zu sortieren und in Redaktionen Räume zu schaffen, um darüber zu sprechen. Es ist jetzt wichtig zu erkennen, was diese Wahlen für unsere zukünftige Arbeit bedeuten.
Tut ihr das nicht, besteht die Gefahr, dass wir in ein paar Tagen wie gewohnt weiterarbeiten, die neue Realität ausblenden und uns womöglich zurücklehnen. Wir dürfen uns nicht in einer Rolle als Medienschaffende ausruhen, die „nur berichten, was passiert“ und nichts mit dem zu tun haben, was geschehen ist. Das ist nicht nur zu bequem, sondern stimmt auch nicht.
Das sind (bisher) meine Erkenntnisse:
- Die Demokratie ist angegriffen. Wir müssen uns auf einen Marathon über viele Jahre einstellen, aber wir können mehr als hoffen: Journalismus bleibt ein Kernelement, um die Demokratie zu erhalten.
- Ich mache mir bewusst, welche Perspektiven in der eigenen und anderen Redaktionen unterrepräsentiert sind: Menschen mit internationaler Biografie, Jugendliche, von Armut Betroffene, Menschen aus Ostdeutschland… Wie können wir diesem Mangel entgegenwirken und unsere vielfältige Gesellschaft besser erreichen?
- Weniger „he said, she said“-Journalismus betreiben, zuletzt besonders beliebt in der Berichterstattung zur Migration oder über die Ampel. Worüber muss ich berichten und was ist nur ein politischer Spin?
- Stattdessen suche ich Themen, die Missstände am Ursprung behandeln und möglichst viele Menschen real betreffen. Wie wenig wurde etwa vor den Wahlen über das kaputte Bildungssystem berichtet, obwohl es in jeder Wahlbefragung unter den Top 5-Themen landete?
- Auch regionale und nationale Medienhäuser müssen mehr ins Lokale. Diese Aufgabe können wir nicht allein dem Lokaljournalismus überlassen, der leider immer weiter abgebaut wird. Dabei sollten wir alle mehr Dialog-Formate umsetzen. Wichtig dabei: Wie und wo wir einladen, entscheidet über Vielfalt im Publikum. Und das Veranstaltungsformat bestimmt, ob es uns gelingt, zuzuhören und mit neuen Impulsen nach Hause zu fahren.