SEED Nr.17

SEED-Newsletter Nr. 17, Februar 2023

SEED Newsletter zum Nonprofitjournalismus
Der Newsletter zum Nonprofitjournalismus
von Netzwerk Recherche

HERZLICH WILLKOMMEN BEIM SEED-NEWSLETTER!

Liebe Leser:innen,

was passiert, wenn hehre Ziele und harte Realität im gemeinnützigen Journalismus aufeinanderprallen, zeigt aktuell Katapult. Beginnen wir von vorne.

In einem sanierten Schulgebäude soll in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, die Journalismusschule des Ostens entstehen. Im Oktober 2023 will das gemeinnützige Magazin dort seine Journalismusausbildung starten. „Für alle – unabhängig vom Schulabschluss, unabhängig vom Kontostand“, twitterte die Redaktion im Dezember 2022. Doch die Ausbildung soll 800 Euro pro Monat kosten. Hier hakt’s.

Immerhin, fünf Stipendien in Höhe von 1.500 Euro monatlich sind geplant, mehr, wenn Unterstützer:innen mitfinanzieren. Und Katapult sucht weitere Förder:innen, Spender:innen, Kooperationen, damit die Schüler:innen nichts zahlen müssen. Das bekräftigte die neue Geschäftsführerin Juli Katz, die das Magazin in Doppelspitze mit Nasrin Morgan leitet und den Schulaufbau verantwortet, Ende Januar im Podcast Hinter den Zeilen. Gut, Katapult will die Ausbildung niederschwellig und barrierefrei für alle anbieten, unabhängig vom Schulabschluss, von Vorerfahrungen, vom Alter.

Den Vorwurf, dass die veranschlagten 800 Euro Ausbildungskosten pro Monat dem hehren Anliegen einen Riegel vorschieben, muss sich Katapult trotzdem gefallen lassen. Andere (wenn auch längst nicht alle) Journalismusschulen bezahlen die Schüler:innen sogar während ihrer Ausbildung. Wieder andere kosten nichts (z. B. die Deutsche Journalistenschule). Katapult hingegen bewegt sich mit 800 Euro pro Monat auf dem Niveau von privaten Journalismusschulen. Das steht dem Projekt nicht gut. Gerade nachdem der Katapult-Gründer Benjamin Fredrich nach Vorwürfen zum spendenfinanzierten „Katapult Ukraine“-Projekt Ende Januar als Geschäftsführer und Chefredakteur zurückgetreten ist (siehe News). Dementsprechend hat die neue Geschäftsführung jetzt alle Hände voll zu tun, um die ambitionierten Ziele von Katapult zu verwirklichen, die Strahlkraft des Projekts zurückzugewinnen und vielfältige Perspektiven in der Medienlandschaft zu fördern.

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STIPENDIEN FÜR GEMEINNÜTZIGEN JOURNALISMUS
VON NETZWERK RECHERCHE UND SCHÖPFLIN STIFTUNG

UPDATES AUS DEN PROJEKTEN

bloq, das gemeinnützige Gesellschaftsmagazin für Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und die Rhein-Neckar-Region startet einen kostenlosen Newsletter.

andererseits, Österreichs Onlinemagazin von Menschen mit und ohne Behinderung, zieht mit und launcht am 13. März 2023 einen neuen Newsletter: Melde dich an und erfahre mehr!

Reporter Slam international – die nächste Show findet am 16. März 2023 in Albanien statt. Wer dabei sein möchte: Es wird einen Livestream geben.

NEWS

+++ Gut gedacht, schlecht gemacht: Der Gründer des Katapult-Magazins aus Greifswald, Benjamin Fredrich, ist als Chefredakteur und Geschäftsführer zurückgetreten. Zuvor hatten ukrainische Journalist:innen ihm in einem Übermedien-Beitrag vorgeworfen, Gehälter nicht gezahlt und Versprechen im Projekt „Katapult Ukraine“ gebrochen zu haben. Auch der Verdacht, Spendengelder zweckentfremdet zu haben, stand im Raum. Inzwischen hat Katapult allerdings mit einem ausführlichen Finanzbericht für größere Klarheit gesorgt: Die Spendeneinnahmen wurden demach vor allem für ukrainische Journalist:innen, Hilfstransporte in die Ukraine und für den teilweisen Umbau der Redaktion in eine Geflüchtetenunterkunft ausgegeben. Was können wir aus dem Fall lernen? Es ist leicht, ein journalistisches Projekt zu starten, wenn die Spendenbereitschaft und das Engagement groß sind. Viel schwieriger ist es, ein solches Projekt danach dauerhaft zu managen, gerade bei einem so großen Vorhaben wie dem Aufbau einer transnationalen Redaktion in Zeiten des Krieges. Benjamin Fredrich hat angekündigt, sich fortan mit ganzer Kraft um „Katapult Ukraine“ zu kümmern.  +++

+++ Geldsegen: Wenn Strafverfahren gegen die Zahlung eines Bußgelds eingestellt werden, entscheidet die Justiz, wer das Geld bekommt. Viele gemeinnützige Vereine profitieren davon. Aber wer genau? Und um welche Summen geht es dabei? Correctiv sorgt für mehr Transparenz und hat nun die seit 2014 angebotene Spendengerichte-Datenbank aktualisiert und überarbeitet. Rund 50.000 Organisationen finden sich darin. Beim Netzwerk Correctiv.Lokal gibt es eine passende Anleitung, wie aus den Treffern in der Datenbank eigene Lokalgeschichten werden können. Probiert es aus! +++

+++ Verstärkung: Das Forum Gemeinnütziger Journalismus hat erstmals einen Geschäftsführer eingesetzt. Der Journalist Christoph Schurian unterstützt nun den ehrenamtlichen Vorstand des Vereins. Schurian möchte vor allem Überzeugungsarbeit leisten: „Wichtig wäre mir, die Zweifel vom Tisch zu bekommen – ob bei Medienpolitiker:innen, im Verleger:innenlager, aber auch bei den Anhänger:innen des gemeinnützigen Journalismus. Denn dass der eine gute Idee ist und eine Chance gegen den Presseschwund, daran gibt es eigentlich nichts zu zweifeln.“ +++

+++ Nerd-Alert: Hast du ein technisch innovatives Projekt, das den Journalismus oder die Medienwelt besser macht? Dann bewirb dich für die MIZ-Innovationsförderung und sichere dir und deinem Team bis zu 40.000 Euro Förderung, Coachings und mehr. Bewerbungsschluss ist der 5. März. Beim Research & Development Fellowship vom Media Lab Bayern kannst du sechs Monate lang ein Thema oder Projekt erforschen, das die Medienbranche weiterbringt. Jetzt aber schnell: Bewerbungen sind nur noch bis zum 20. Februar möglich! +++

+++ Häuslebauer: Noch ist Publix nicht fertig, aber das finanzielle Fundament des Hauses für Journalismus & Öffentlichkeit der Schöpflin Stiftung in Berlin steht schon ziemlich stabil. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert die inhaltliche Ausgestaltung des „Labors für Innovation im Journalismus“ unter der Leitung von Maria Exner für einen Zeitraum von drei Jahren mit insgesamt 300.000 Euro. (Disclaimer: Netzwerk Recherche wird von der Schöpflin Stiftung gefördert) +++

DREI FRAGEN

Kankusta Duo – habt ihr schon mal von diesem phänomenalen Wundermittel gehört, das beim Abnehmen hilft? Es soll angeblich 10.000 zufriedene Kund:innen, keine Nebenwirkungen und die natürliche Kraft exotischer Früchte haben. Doch Vorsicht! Vor medizinischen Fakes wie diesem warnt das Online-Magazin MedWatch – manchmal sogar auf großen Bühnen, wie kürzlich beim Jahresfinale des Reporter Slams in Berlin. Jetzt ist die wertvolle Aufklärungsarbeit des gemeinnützigen Redaktionsteams in Gefahr. Wir haben darüber mit Nicola Kuhrt gesprochen.

Liebe Nicola, im MedWatch-Newsletter habt Ihr geschrieben, dass Euch das Geld fehlt, um neue Recherchen anzustoßen. Was ist passiert?

MedWatch gibt es jetzt seit gut fünf Jahren, wir haben uns über die Zeit einen eigentlich sehr stabilen und treuen Unterstützerkreis bei Steady aufgebaut, der immer so zwischen 220 und 240 Förderern schwankte. Mit Beginn der Pandemie haben wir unsere Berichterstattung ausgebaut, es kamen neue Themen und tolle Leute ins Team. Die Folgen des Kriegs gegen die Ukraine wurden für uns dann seit Dezember deutlich spürbar: Wir haben einige Kündigung bekommen, leider vor allen Dingen von unseren größeren Unterstützern. Einige haben uns sogar geschrieben und sich sozusagen bei uns entschuldigt: Es täte ihnen leid, aber sie müssten jetzt einfach sparen. Viele haben Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung oder dem, was da noch kommt. Dadurch wird es jetzt für uns einfach sehr knapp.

Wie geht Ihr mit der Situation um?

Wir publizieren seltener, etwa eine oder zwei Geschichten im Monat. Aber das funktioniert langfristig nicht: Wir bekommen fast täglich Anfragen von unseren Leser:innen. Anfragen, ob wir helfen, ob wir recherchieren können. Wir sollen und möchten mehr machen. Es ist eine verzwackte Situation, denn selbst mit dieser wirklich reduzierten Publikationszahl laufen wir in eine Kostenfalle. Es wird so dünn, dass wir im Sommer dann gar nichts mehr machen können.

Das heißt, jetzt ist für MedWatch nicht so sehr Erste Hilfe gefragt, sondern eher eine rettende Bluttransfusion?

Ja, genau. Wir versuchen natürlich, unseren Unterstützerkreis wieder aufzubauen, Förderungen zu finden. Aber viele müssen gerade jetzt sehr auf ihr Geld achten. Und so ist es dann bei uns zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Es wäre einfach toll, wenn wir dieses Level auch langfristig verlassen könnten, denn wir haben mittlerweile im Schnitt um die 40.000 Leser im Monat. Eine Kernförderung durch eine Stiftung wäre super.

Die Wissenschaftsjournalistin Nicola Kuhrt hat MedWatch 2017 gemeinsam mit Hinnerk Feldwisch-Drentrup gegründet und leitet als Chefredakteurin das gemeinnützige Online-Magazin. Sie ist zudem seit Herbst 2022 Redaktionsleiterin des Research.Table bei Table Media in Berlin. Ein Retter-Paket für MedWatch gibt es bei Steady ab fünf Euro im Monat. 

AUSLESE

MAHNUNG UND WARNUNG

Hamburgs Kultursenator zur Zerschlagung von Gruner + Jahr

Carsten Brosda liest dem deutschen Journalismus die Leviten. Der Hamburger Kultursenator (SPD) reagiert mit einer messerscharfen Analyse im Spiegel auf die Entscheidung von Bertelsmann, den Traditionsverlag Gruner + Jahr zu zerschlagen. Journalistische Medien seien nicht x-beliebige Waren, sondern „Güter, die einen so bedeutenden gesellschaftlichen […] Wert besitzen, dass es gilt, ihre Verfügbarkeit unabhängig von ihren Gewinnaussichten zu sichern“, heißt es darin. Er mahnt und warnt die Manager:innen: „Sollten Medienunternehmen […] nicht wieder mehr Lust auf Journalismus bekommen, wird sich der politische Blick auch auf die Stärkung öffentlich-rechtlicher Angebote und gemeinnütziger Projekte richten müssen.“ Denn: Freier Journalismus und die unabhängige Herstellung demokratischer Öffentlichkeit müssten geschützt werden – nicht mediale Geschäftsmodelle an sich.

80 SEITEN TIPPS

Ratschläge für Gründer:innen vom ehemaligen ProPublica-Chef Richard Tofel

Wie starte oder führe ich ein Medienunternehmen im Nonprofitjournalismus? Wer wüsste das besser als Richard Tofel, erster Angestellter und danach langjähriger Präsident von ProPublica. Sein kostenloses Buch Elements of Nonprofit News Journalism liefert keine Blaupause, in der der Weg zum Erfolg Schritt für Schritt erklärt wird. Dafür gehen die Kapitel nicht genug in die Tiefe. Hilfreich ist es trotzdem, weil künftig gründende, managende und/oder geschäftsführende Journalist:innen Einblicke in alle Aufgabenbereiche erhalten, die sie erwarten. Als Ergänzung zum Buch wird vom Lenfest Institute for Journalism, die das Werk herausgeben, vertiefendes Material zu den einzelnen Themen zur Verfügung gestellt.

QUE SERA, SERA

Vorhersagen für den gemeinnützigen Journalismus 2023

In den Nieman Lab Predictions geben mehr als 150 Expert:innen aus der Medienbranche in Kurzbeiträgen ihre Einschätzungen zur Entwicklung des Journalismus im neuen Jahr ab. 2023 wird demnach das Jahr, in dem die staatliche Journalismusförderung durchstartet. Aus Gründen der Staatsferne werden dafür „kreative Wege“ nötig sein wie etwa regionale oder lokale Initiativen. Damit einhergehen könnte die Abkehr vom aufmerksamkeitsgetriebenen Geschäftsmodell und die Erkenntnis, dass es sich beim Journalismus eher um ein „business of impact“ handelt. Was Wunsch bleibt oder Wirklichkeit wird – im Dezember wissen wir mehr.

SCHINDLUDER MIT CO2-ZERTIFIKATEN

Recherche über ein kaputtes System, das von den Vereinten Nationen gestützt wird

Klimaneutralität leicht gemacht. Das preist Hollywood-Star Edward Norton (Fight Club) in einem UN-Werbeclip an. Mit wenigen Klicks im UN-Onlineshop könne man seine Klimasünden ausgleichen. Der Journalist Benedikt Dietsch geht dem Heilsversprechen im Selbstversuch nach. Seine Recherche führt ihn in die USA zum Multi-Millionär Roger Sant, dem Erfinder des CO2-Ausgleichs, nach Brasilien zum Verkäufer seines CO2-Zertifikats und zu dem Ort, an dem sein CO2-Fußabdruck kompensiert worden sein soll. Dietsch zeigt, wie die Vereinten Nationen aus einer guten Idee ein fragwürdiges System machen, in dem dubiose Firmen Geschäfte mit dem Klima treiben. Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der gemeinnützigen Umwelt-Förderorganisation Olin gGmbH. Sie ist bei Flip und der Wirtschaftswoche erschienen.

„TEURER WOHNEN“

Neuer Podcast über (un)bezahlbaren Wohnraum

Heiko soll raus. Der Berliner Nachkriegsbau, in dem er seit vielen Jahren mit seinem Mann wohnt, soll abgerissen werden. Der Projektentwickler Diamona & Harnisch baut dort einen Neubau mit Eigentumswohnungen. Für die gute Mittelschicht, heißt es. Wer diese Mittelschicht ist, warum bezahlbarer Wohnraum für Luxuswohnungen zerstört werden kann, wie viel ein Immobilienunternehmen mit so einem Neubau verdient, in welche Steueroasen inner- und außerhalb Deutschlands Gelder fließen, was diejenigen, die die Spielregeln für den Wohnungsmarkt aufstellen, dazu sagen, wer gewinnt und wer dafür sein Zuhause verliert, dem geht der neue, siebenteilige Podcast von radioeins (rbb) und detektor.fm Teurer Wohnen in einer investigativen Recherche auf den Grund.

OBACHT ORF

Dossier recherchiert zu den Krisen des Senders und plant eine Konferenz

Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk (ORF) steckt in mehreren Krisen. Grobe Einsparungen drohen, die parteipolitischen Besetzungen im Stiftungs- und Publikumsrat werden vom Verfassungsgerichtshof geprüft, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit bröckeln wegen allzu großer Nähe zwischen hochrangigen ORF-Redakteur:innen bzw. -Stiftungsräten und Spitzenpolitiker:innen sowie umstrittenen Nebentätigkeiten von ORF-Mitarbeiter:innen (z. B. Moderationen im Auftrag von ÖVP-nahen Interessengruppen). Das Investigativmagazin Dossier berichtet darüber im neuen Magazin ab März 2023. Wer mehr über Dossiers Recherchen erfahren sowie Hands-on-Tipps in Workshops und Kontakte zu internationalen Kolleg:innen mitnehmen möchte, sollte sich die Journalismuskonferenz Dossier Academy 2023 am Samstag, 13. Mai 2023, am Wiener Volkstheater vormerken. Wir halten euch auf dem Laufenden!

JOBS

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Hast Du kürzlich eine spannende Recherche von einer gemeinnützigen Redaktion gelesen? Hast Du Ideen, wie wir SEED weiterentwickeln können? Fehlt etwas? Schreib uns dazu eine E-Mail, wir freuen uns über Hinweise und Feedback.

IMPRESSUM

Herausgegeben von Netzwerk Recherche e.V.

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Telefon: 030 49854012
www.netzwerkrecherche.org

Kontakt: seed@netzwerkrecherche.de

Vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder: Daniel Drepper, Christina Elmer, Frederik Richter

Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsnummer VR 32296 B.

Redaktion:
Dr. Thomas Schnedler (ts), Evangelista Sie (es), Malte Werner (mw)

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Der SEED-Newsletter ist Teil des NR-Projekts zum Nonprofitjournalismus, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.