Die Überlebensstrategien investigativer Nonprofit-Redaktionen
von Anna Driftschröer
Sustainability – dieses Zauberwort ist auch im Nonprofitjournalismus allgegenwärtig. Das zeigte sich bei der Global Investigative Journalism Conference in Hamburg, auf der Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt in mehreren Veranstaltungen und Workshops diskutierten, wie gemeinnützige Nachrichtenorganisationen nachhaltige Erlösmodelle entwickeln können. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber mit einer Mischung aus mehreren unterschiedlichen Einnahmequellen haben Medien aus aller Welt gute Erfahrungen gemacht.
So zum Beispiel das 1976 gegründete Nachrichtenmagazin Mother Jones (MoJo). Wegen schrumpfender Werbeeinnahmen und unzureichenden Erlösen aus Abonnements entwickelte das Team ein neues Finanzierungsmodell. Rund die Hälfte der Einnahmen (55 Prozent) stammt nun aus Spenden der Leser. Hinzu kommt ein Mix aus Fördergeldern von Stiftungen, Werbung sowie Abonnements. Aufgrund der eigenen Erfahrungen riet Geschäftsführerin Monika Bäuerlein anderen Medienorganisationen, bei den Umsätzen nicht (allein) auf Website-Traffic – also Werbung – zu setzen. Vielmehr sollten Redaktionen eine Beziehung zu ihrem Publikum aufbauen, um Leser und Leserinnen als Unterstützer zu gewinnen. „Gebt ihnen eine Stimme“, sagte Bäuerlein, die sich vorstellen könnte, dass Nutzer eigene Ideen für Geschichten einbringen.
Ebenfalls gute Erfahrungen mit Spenden macht das Korea Center for Investigative Journalism (KCIJ)-Newstapa. Die Nachrichtenseite produziert Videos sowie Dokumentarfilme zu investigativen Recherchen und finanziert sich vor allem durch spendende Mitglieder. Die Dokumentationen, die sogar im Kino gezeigt werden, dienen als zusätzliche Einnahmequelle. Ein Film über die Frauenrechtlerin Kim Bok-dong, die im Zweiten Weltkrieg als „Trostfrau“ zur Prostitution gezwungen wurde, brachte Newstapa 500.000 US-Dollar ein (ca. 455.000 Euro). Bei seinen Mitgliedern bedankt sich Newstapa beispielsweise mit Einladungen zu den Filmpremieren.
Einen gravierenden Nachteil hat es allerdings, wenn sich Reporterinnen so intensiv mit Finanzierungswegen und dem Sammeln von Spenden beschäftigen: Es bindet eine Menge Ressourcen, die dann an anderer Stelle fehlen. Andrea Dip, Reporterin und Redakteurin bei der brasilianischen Agência Pública, die 2011 von einer Gruppe von Frauen gegründet wurde, erklärte bespielsweise, ihre Crowdfunding-Kampagne sei zwar erfolgreich gewesen, habe das Team aber viel Zeit und Energie gekostet. Neben Crowdfunding finanziert sich die gemeinnützige Nachrichtenorganisation noch durch Stiftungen, Spenden, Mitgliedschaften, Projekte und Veranstaltungen. Der Aufwand lohnt sich laut Dip: „Wenn das Geld aus verschiedenen Quellen stammt, ist es einfacher, seine Unabhängigkeit zu bewahren.“ Außerdem ließe sich so besser langfristig planen, was auch im Interesse der Geldgeber sei. Besonders schwer sei der Aufbau einer Community gewesen, weil das Mitgliedermodell in Brasilien zuvor nie eine große Rolle gespielt hatte. Um das zu ändern, lud die Redaktion ihre Unterstützer zu Veranstaltungen ein. Heute erhalten Mitglieder spezielle Newsletter und Rabatte auf Bücher aus der Redaktion.
Damit gemeinnützige investigative Nachrichtenredaktionen überleben, braucht es aber mehr als ein gutes Fundraising-Team, wie eine kürzlich erschienene Studie der DW Akademie zeigt. Autorin Nadine Jurrat sagte auf der GIJC19: „Das Überleben von Medien hängt nicht allein vom Geld ab. Auch Netzwerke, das politische Umfeld, rechtliche Rahmenbedingungen, Restriktionen, technische Möglichkeiten und nicht zuletzt redaktionelle Planungen und die Einbeziehung des Publikums spielen eine Rolle.” Welche Bereiche für die eigene Weiterentwicklung am wichtigsten seien, müsse jede Medienorganisation individuell für sich entscheiden.
Damit ist die Arbeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht aber noch nicht getan. Ross Settles vom Journalism and Media Studies Centre an der Universität Hong Kong redete den Journalisten ins Gewissen, sich mit diesen wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen, um sich nachhaltig am Markt positionieren zu können. Vor jeder größeren Recherche müsse man sich folgende Fragen stellen: Wie viel Zeit wird die Recherche in Anspruch nehmen? Erfordert sie bestimmte Fähigkeiten? Welche Kapazitäten bindet sie? Wer ist die Zielgruppe? Wie sind die Aussichten hinsichtlich des Impact? Mit welchen Einnahmen kann man rechnen?
Die nigerianische Nachrichtenseite Premium Times, die einst als gewinnorientierte Online-Zeitung gestartet war und der nach drei Jahren die Gelder ausgingen, stellte sich genau jene Fragen und orientierte sich dementsprechend um. Anstatt allein von den Werbeeinnahmen abhängig zu sein, diversifizierte das Team die Einnahmenquellen. Heute lebt die Premium Times von der Unterstützung durch eine gemeinnützige Organisation, Partnerschaften, Werbung, Buchveröffentlichungen (z.B. über die Panama Papers), Veranstaltungen und Workshops. Wie Chefredakteur Musikilu Mojeed erklärt, beginne die Organisation derzeit damit, weitere Einnahmen durch Daten- und Analysedienstleistungen, Stiftungen und Mitglieder zu generieren. Aus seinen Erfahrungen bei der Premium Times hat Mojeed aber noch etwas gelernt: „Gute Inhalte sind der Schlüssel zum Erfolg.“
Innovative Nonprofits: What We Can Learn from Each Other
Mit Yong-jin Kim (Editor-in-chief, KCIJ-Newstapa), Oliver Schröm (Investigative Journalist, NDR), Monika Bäuerlein (CEO, Mother Jones)
Making Investigative News Outlets Sustainable
mit Nadine Jurrat (DW Akademie), Ross Settles (Adjunct Professor, Journalism and Media Studies Centre at the University of Hong Kong), Musikilu Mojeed (Editor-in-chief, Premium Times), Andrea Dip (Reporter & editor, Agência Pública)