SEED Nr.13

SEED-Newsletter Nr. 13, Juni 2022

SEED Newsletter zum Nonprofitjournalismus
Der Newsletter zum Nonprofitjournalismus
von Netzwerk Recherche

HERZLICH WILLKOMMEN BEIM SEED-NEWSLETTER!

Liebe Leser:innen,

wir sind Rabeneltern. Oder waren es zumindest. Haben wir doch vor genau einem Jahr den ersten Geburtstag dieses Newsletters, unseres Babys, schlicht verpennt. Das soll uns kein zweites Mal passieren! Also Tusch, Konfetti und leuchtende Augen: Happy Birthday, little flower!

Als vorgezogene Geburtstagsüberraschung haben wir den The New Sector-Report über gemeinwohlorientierte Redaktionen in Europa veröffentlicht (siehe unten). Und was hätte sich für ein so freudiges Ereignis besser angeboten als der Besuch der ersten analogen Konferenz seit mehr als zwei Jahren – der Dataharvest in Mechelen.

Jetzt freuen wir uns auf unsere eigene Jahreskonferenz, die am 30. September/1. Oktober in Hamburg stattfinden soll. „Soll“, weil wir immer noch fürchten, dass eine neue Welle der Pandemie große Branchentreffen wie unseres erneut unmöglich machen könnte. Aber wir bleiben positiv und freuen uns darüber, dass Ihr den Vorverkauf trotz aller Ungewissheit fleißig nutzt. Danke!

Auf der NR-Jahreskonferenz werden wir die Entwicklungen im gemeinnützigen Journalismus wieder mit einem eigenen Themen-Track begleiten. Denn die Ergebnisse unseres Reports und die Tatsache, dass wir in den vergangenen beiden Jahren nie das Problem hatten, Stoff für SEED zu finden (im Gegenteil!), zeigen eindrucksvoll, welche Dynamik der gemeinnützige Journalismus schon entfaltet hat. Wie groß die Community bereits ist, haben wir vor ein paar Tagen beim PUBLIX-Richtfest in Berlin-Neukölln erlebt. Alle waren da, die an der Zukunft des Hauses für Journalismus und Öffentlichkeit bauen – die Schöpflin Stiftung, die zukünftigen Mieter:innen, die Politik – und natürlich auch die Bauarbeiter, die den Rohbau errichtet haben.

Auch wir werden – so viel darf ich schon verraten – nochmal eine Schippe drauflegen. Aber dazu zu gegebener Zeit mehr.

Einen schönen Sommer wünscht

Malte Werner

Wenn Dir der Newsletter gefällt, spread the word. Hier geht’s zur Anmeldung!

MEET THE NEW SECTOR

Ein Blick auf gemeinwohlorientierte Redaktionen in Europa.
Heute: The New Sector Report

Eine lebendige Szene gemeinwohlorientierter Medien sorgt in Europa für mehr Vielfalt im Recherchejournalismus und experimentiert mit Geschäftsmodellen. Wir haben diese Redaktionen genauer unter die Lupe genommen und stellen in den kommenden Ausgaben des SEED-Newsletters die Ergebnisse unserer Befragung vor.

Wir berichten über das rasante Wachstum, die Bedeutung der Gemeinnützigkeit für den Sektor, den thematischen und geografischen Fokus der Redaktionen und ihre Finanzierungsquellen.

Wer nicht warten möchte, kann den Report hier lesen. (mw)

NEWS

+++ Vorschusslorbeeren: Riesenjubel am Bodensee. Das Team von karla, einem neuen lokaljournalistischen Projekt in Konstanz, hat mehr als 100.000 Euro per Crowdfunding gesammelt. Mit dem Geld möchte das digitale Stadtmagazin konstruktiven und partizipativen Journalismus umsetzen. Wer sich davon überzeugen möchte, findet bereits erste Inhalte auf der Website. Vom anderen Seeufer, aus der Schweiz, gibt es hingegen traurige Nachrichten: Die Wissenschaftsredaktion higgs stellt den Betrieb nach viereinhalb Jahren ein, weil keine nachhaltige Finanzierung zustande kam. Wir wünschen den betroffenen Kolleg:innen alles Gute und karla, dass es ähnliche Herausforderungen meistert. Der Grundstein dafür ist gelegt. +++

+++ Geldsegen: Neue Ideen für den Wissenschafts- und Datenjournalismus werden nun vom Innovationsfonds bei der Wissenschaftspressekonferenz gefördert. Sechs Stiftungen haben sich zusammengetan, um gemeinsam mehr zu bewegen. So können jetzt pro Jahr bis zu 300.000 Euro vergeben werden. Die Mittel werden in zwei Förderlinien vergeben: Für experimentelle Ideen und Recherchen gibt es bis zu 10.000 Euro, für größere Medienprojekte bis zu 75.000 Euro. Bewerbungen sind noch bis zum 15. Juli 2022 möglich. +++

+++ Traumhaft: In der Schweiz wird an einer digitalen Plattform gearbeitet, die alle journalistischen Inhalte aus der Schweiz zentral an einem Ort bündelt. Nur vertrauenswürdige Nachrichten soll es in diesem sozialen Netzwerk geben, das nicht etwa einem Konzern gehört, sondern als gemeinnützige Infrastruktur gedacht ist. Zu schön, um wahr zu sein? Polaris heißt das digitale Paradies, das Team informiert in einem Newsletter über den Fortgang des Projekts. Das neue Zuhause der Nachrichten solle sich anfühlen „wie der Flughafen Zürich nach einem Auslandsaufenthalt: sauber, funktional, verlässlich“ – so beschrieb es der Journalist Hannes Grassegger in einem Essay, in dem er seine Vision skizzierte. +++

+++ Hurra, hurra, die Schule bekommt Besuch: Das von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) initiierte Projekt #UseTheNews zur Förderung der Nachrichtenkompetenz junger Menschen wird gemeinnützig. Für die 2020 gestartete Initiative wurde eigens eine gemeinnützige GmbH gegründet. Die neuen Strukturen sollen es engagierten Institutionen einfacher machen, an das Projekt „anzudocken“, heißt es. Das Tochterunternehmen der dpa ist damit bereits der zweite neue gemeinnützige Akteur in diesem Bereich, nachdem sich im Januar der Verein Journalismus macht Schule gegründet hatte, der u.a. Schulbesuche von Journalist:innen vermittelt. +++

+++ Informationsschatz: FragDenStaat hat ein neues Tool entwickelt, das die Recherche-Arbeit erleichtern soll. Dokukratie macht Dokumente aus dem politischen Betrieb leichter zugänglich. Die Antworten auf Kleine Anfragen aus Bund und Ländern, die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags und die Dokumente aus Untersuchungsausschüssen des Parlaments – sie sind ein Schatz, der gehoben werden möchte. Gefördert wurde das Medienprojekt vom MIZ Babelsberg. Wollt Ihr helfen, das Tool bekannter zu machen? Das Team der Auskunftsrechte-Plattform FragDenStaat sucht Verstärkung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Social Media. +++

+++ Amal, Berlin! goes Ukraine! Neben Arabisch und Farsi möchte die Amal-Redaktion, die gerade ihr dreijähriges Bestehen feiert, ihre Lokalnachrichten künftig auch auf Ukrainisch veröffentlichen. Dafür werden ukrainisch sprechende Journalist:innen in Berlin und Frankfurt gesucht. Meldet euch unter: info@amalberlin.de. +++

DREI FRAGEN

Im Rahmen von The New Sector (siehe oben) haben wir etliche Journalismus-Oasen in unserer Europakarte verzeichnet – in Großbritannien beispielsweise The Bristol Cable im Südwesten Englands. Wie aber sieht es dort in den Nachrichtenwüsten aus? Der neue Report „Local News Deserts in the UK“ gibt Auskunft über das Verschwinden des Lokaljournalismus. Das wollten wir genauer wissen und haben bei Autor Steven Barclay nachgefragt. (Übersetzung aus dem Englischen)

Lieber Steven Barclay, Sie und Ihr Team haben für das Charitable Journalism Project die Nachrichtenwüsten Großbritanniens untersucht – Gebiete, in denen es keinen funktionierenden Lokaljournalismus mehr gibt. Welche Folgen hat das Fehlen für die Bürger:innen und die demokratische Teilhabe?

Wir fanden Hinweise dafür, dass sich die Menschen von der lokalen Demokratie abwenden und es Ihnen gleichgültig war, dass sie die Macht haben, das Geschehen in ihrer Gemeinde zu beeinflussen. Im Vereinigten Königreich wird derzeit die Kommunalverwaltung neu organisiert. Viele Befragte, bei denen dies im Gange war, waren sich dessen nicht einmal bewusst. Ein weiteres klares Ergebnis war, dass in diesen Communities lokale Nachrichten und Informationen in die sozialen Medien verlagert wurden, hauptsächlich zu Facebook. Die Befragten mögen soziale Medien zwar, weil sie einfach zu bedienen sind. Aber nicht jeder hat Zugang und sie können die gesellschaftlichen Spaltungen vertiefen sowie Falschinformationen verbreiten.

Sie haben die am stärksten betroffenen Gebiete in Großbritannien identifiziert. Eines davon ist Whitby, ein kleiner Ort an der Ostküste von Yorkshire. Einst wurde der britische Seefahrer James Cook hier ausgebildet. Die Stadt inspirierte zudem Bram Stoker, als er seinen Roman Dracula schrieb. Welche Horrorgeschichten aus dem Journalismus und der Stadtgesellschaft lassen sich heute aus Whitby erzählen?

Whitby war ein klassisches Beispiel für eine Stadt mit einer Lokalzeitung, The Whitby Gazette, die in der Stadt sehr viel gelesen wurde und mit der sich die Menschen stark identifizierten. Kürzlich fusionierte die Redaktion mit der nahegelegenen Zeitung Scarborough News, und das Gazette-Büro im Zentrum von Whitby wurde geschlossen. Damit endete eine 154-jährige Präsenz in der Stadt. Dies hinterließ eine Lücke. Ohne richtigen Lokaljournalismus führten Fehlinformationen in den sozialen Medien beispielsweise dazu, dass Menschen fälschlicherweise dachten, dass die örtliche Statue von Captain Cook im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung entfernt werden sollte.

Was kann Europa aus den Ergebnissen des Berichts lernen?

Wenn lokale Mediensysteme in Europa denen in Großbritannien ähneln, dann werden einige der Trends wohl auch anderswo auftauchen. Lokale Zeitungsbesitzer werden Titel zu regionalen Websites zusammenfassen und Journalisten werden nur von größeren Städten aus arbeiten. Die Menschen vor Ort werden sich dessen bewusst sein und deshalb lokalen Nachrichten weniger vertrauen und sie weniger wertschätzen. Lokale Informationen wandern ab in soziale Medien. Das Fehlen professioneller Journalisten, die in die lokalen Gemeinschaften vor Ort eingebettet sind, wird zu einer weniger effektiven Kontrolle lokaler Institutionen führen. Möglicherweise ist ein Eingreifen der Regierung erforderlich, um den Rechtsrahmen des Public-Interest-Journalismus und seiner Finanzierungsmechanismen zu ändern.

Steven Barclay war leitender Forscher des Projekts und Hauptautor des Berichts. Er ist Sozialwissenschaftler und Historiker und lebt in London. Der Report wurde ermöglicht durch eine Förderung des JRSST Charitable Trust. (ts)

Fünf Jahre Grow-Stipendien - Zeit für eine Zwischenbilanz

Hürdenlauf

Hier stellen wir ausgewählte Ergebnisse aus dem Report „Pioniere im gemeinnützigen Journalismus“ vor:

Die positiven Entwicklungen im gemeinnützigen Journalismus können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Etablierung oder nachhaltige Weiterentwicklung eines Medienprojekts ein steiniger Weg ist. In der Begleitung der Grow-Stipendiat:innen zeigen sich fünf typische Hürden für Gründer:innen im gemeinnützigen Journalismus:

Professionalisierung: Ehrenamtliche Arbeit und Selbstausbeutung sind in der Gründungsphase mitunter unausweichlich. Auf lange Sicht reicht das nicht.

Projektmanagement: Journalistische und unternehmerische Aufgaben gleichermaßen zu erfüllen, ist – gerade bei kleinen Teams – eine Herkulesaufgabe.

Nachhaltige Finanzierung: Stiftungsfinanzierung, Crowdfunding, Membership-Modelle, Dienstleistungen – alle Varianten haben Vor- und Nachteile. Größtes Manko: Sie fressen Zeit, die dann für Recherche fehlt.

Bürokratie: Der organisatorische Aufwand einer Gründung darf nicht unterschätzt werden. Eine:r im Team sollte sich nur um Administration und Fundraising kümmern. Nur wer?

Rechtsunsicherheit: Solange Journalismus steuerrechtlich nicht als gemeinnützig anerkannt ist, wird jeder Versuch, das Finanzamt zu überzeugen, zur Zitterpartie.

Nähere Informationen zu diesem Thema findet Ihr ab Seite 22 im Report. (mw)

AUSLESE

SAMMELWUT

Was wissen die Schweizer Behörden über Migrant:innen?

Sie heißen ZEMIS, AFIS oder MIDES: Datenbanken, in denen Informationen über Menschen gesammelt werden, die ohne Schweizer Pass in der Schweiz leben. Das Recherche-Team REFLEKT ist tief in das Netz der Migrationsdatenbanken und Register eingedrungen und kritisiert nun die exzessive Datensammlung durch die Behörden. Der Clou: Neben den Berichten, einer Meta-Datenbank und einer Visualisierung des vewirrenden Netzwerks bietet REFLEKT ein Abfragetool für Menschen ohne Schweizer Pass an, die wissen möchten, was in ihren Akten steht.

LOHNT SICH DER AUFWAND?

Gedanken zur Förderbürokratie

Wer gründen möchte, kommt an finanzieller Förderung oft nicht vorbei. Doch die Antragstellung ist ein echter Zeitfresser. Und wenn es etwas gibt, das Gründer:innen nicht haben, dann ist es Zeit. Auch sonst warten einige Hürden auf die Antragstellenden, wie Dominik Ritter-Wurnig (selbst Gründer) weiß. Seine Schlussfolgerung: „Wer weiß, wie man einen guten Antrag schreibt, ist sicher im Vorteil.“ Nur hat er noch niemanden gefunden, der oder die ihm sagen könnte, wie das geht. Bis jetzt! Denn wir haben da was in der Pipeline

PORNO-HEFTCHEN

Dossier-Recherchen unter der Gürtellinie

Während vor der Kamera die Hüllen fallen, hüllt sich die Porno-Branche gerne in Schweigen. Dabei gäbe es genug zu diskutieren: Arbeitsbedingungen der Darsteller:innen, Abzocke bei Internetpornos, illegale Spannervideos und sexualisierte Gewalt. „Unser schambehafteter Umgang mit den Themen Porno und Sex macht es möglich, dass vieles davon bisher im Dunkeln blieb“, schreibt die Redaktion von Dossier und blickt in ihrem neuen Magazin hinter die Kulissen einer riesigen Industrie.

AUSGETROCKNET

Wenn Deutschland das Wasser ausgeht

Wasser ist immer da… oder? Ein Recherche-Team von Correctiv hat sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Deutschland auf eine drohende Wasserknappheit vorbereitet, und dafür spannende Fakten zusammengetragen. So verbrauchen einzelne Energie-Konzerne so viel Wasser wie mehrere deutsche Großstädte zusammen und zahlen dafür kein oder nur wenig Geld. Während die Zahl von Gerichtsverfahren ums Wasser bereits merklich angestiegen ist, sieht die Bundesregierung noch keine Eile geboten. Ihre „Wasserversorgungskonzepte“ sollen erst zwischen 2030 und 2050 umgesetzt werden.

HERZBLUT UND WAHNSINN

Stuttgarter Wochenzeitung Kontext feiert 11. Geburtstag

Da der 10. Geburtstag pandemiebedingt nicht gefeiert werden konnte, hat die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext die Party jetzt einfach nachgeholt – mit einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Journalismus, mit einem Fest im Theaterhaus und einer Rede von Chefredakteurin Susanne Stiefel. Sie resümierte: „Eins sagen wir den Journalist:innen immer wieder: Ihr braucht für ein solches Projekt Herzblut und eine gehörige Portion Wahnsinn. Aber ihr braucht vor allem einen guten Anwalt und einen, der etwas von Geld versteht.“ Rechtsberatung wird das Team auch in Zukunft brauchen: Kontext denkt über eine neue Struktur und den Umbau zur gemeinnützigen Genossenschaft nach.

CHRONIK DES KRIEGES

Dekoder schaut hin

Seit fast vier Monaten kämpft die Ukraine nun gegen den russischen Angriff – und wir sollten uns nicht an die Bilder von Krieg und Zerstörung gewöhnen (oder gar erschöpft von den Nachrichten abwenden, wie es der neue Digital News Report 2022 auch für Deutschland beschreibt). Das Online-Portal dekoder hält dagegen: mit einem stetig wachsenden Dossier zum Krieg in der Ukraine, mit Analysen, Debattenbeiträgen und mit ausgewählten Fotos und ihren Geschichten. Über die Flucht russischer Journalist:innen nach Lettland und die Arbeit im Exil berichtet derweil das Global Investigative Journalism Network.

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Hast Du kürzlich eine spannende Recherche von einer gemeinnützigen Redaktion gelesen? Hast Du Ideen, wie wir SEED weiterentwickeln können? Fehlt etwas? Schreib uns dazu eine E-Mail, wir freuen uns über Hinweise und Feedback.

IMPRESSUM

Herausgegeben von Netzwerk Recherche e.V.

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Telefon: 030 49854012
www.netzwerkrecherche.org

Kontakt: seed@netzwerkrecherche.de

Vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder: Daniel Drepper, Christina Elmer, Frederik Richter

Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsnummer VR 32296 B.

Redaktion:
Dr. Thomas Schnedler (ts), Malte Werner (mw)

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Der SEED-Newsletter ist Teil des NR-Projekts zum Nonprofitjournalismus, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.