SEED Nr. 21

SEED-Newsletter Nr. 21, Oktober 2023

HERZLICH WILLKOMMEN BEIM SEED-NEWSLETTER!

Liebe Leser:innen,

Nonprofitjournalismus und Hilferufe von Redaktionen gehen mitunter Hand in Hand. So rief „Katapult“-Gründer Benjamin Fredrich vor wenigen Wochen auf, das Magazin mit Abonnements, Spenden und Merch-Käufen vor der etwaigen Insolvenz zu retten. Indes startete das karla-Magazin eine Spendenkampagne, um eine Finanzierungslücke bis zur nächsten Förderung zu schließen. Auch dem unabhängigen Missy Magazin geht es schlecht – und selbst gemeinnützige Vorzeigeprojekte wie die Texas Tribune in den USA geraten in schweres Fahrwasser. Steckt der Nonprofitjournalismus in der Krise?

Mehrere Konferenzen in den vergangenen Tagen lassen hoffen! Sechs Medien-Start-ups gingen beim Inspiration Day im MIZ Babelsberg mit Innovationen für die Branche auf Tuchfühlung mit Lokal- und Regionalredaktionen. Wie zum Beispiel Redaktionen für Menschen mit Behinderung inklusiver werden können, wie in sentinel-hub.com Satellitendaten recherchiert werden oder wie journalistische Geschichten auf Bühnen überzeugen können, zeigten die Innovationsprojekte in Workshops. Mit dabei in Potsdam waren die von NR geförderten Grow-Projekte andererseits, Reporter Slam und bloq sowie die MIZ-Förderprojekte Vertical52, St. Audio und cultway.

In Berlin versammelten sich gleich einen Tag später Akteur:innen aus dem gemeinwohlorientierten Journalismus beim Festival für Nonprofitjournalismus von Vocer und der taz Panter Stiftung. In ihrer Keynote appellierte Mother-Jones-CEO Monika Bäuerlein, Medien (nicht aber den Journalismus) als Geschäft zu verstehen, flexibel im Vertrieb und stabil in den Werten zu sein sowie anstelle von Problemen häufiger Lösungen in den Blick zu nehmen. Sameer Padania, einer der renommiertesten Kenner des internationalen Nonprofitjournalismus, erklärte in einem kurzen Talk, warum der Journalismus fürs Gemeinwohl alle etwas angeht. Und neben Diskussionen mit Stiftungsvertreter:innen und Politiker:innen über die Förderung von gemeinnützigen Medien und die Schaffung von Rechtssicherheit (laut Tabea Rößner, Grüne, soll es 2024 soweit sein) tauschten sich die Teilnehmenden zu Themen wie den Vorteilen und Risiken von Genossenschaften aus.

Schließlich fanden sich auf der NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen weitere Impulse für die Branche: Die große „Medien-Shit-Show“ zerlegte in einem Panel mit Journalist:innen und Mediengründer:innen skapellscharf kritikwürdige Medienberichterstattungen wie jene über die Silversternacht, das „Titan“-U-Boot und die Freibad-Debatten. Gleichzeitig regten sie unter anderem zur Kontextualisierung, zum Reflektieren der eigenen Perspektiven und dem Aufbrechen von problematischen Strukturen in der Branche sowie in den Communities an.

Die Impulse zeigen zum einen, wie belebend diese Zusammenkünfte und Tagungen sind. Zum anderen zeigen sie, dass der Nonprofitjournalismus sehr vital ist, allen strukturellen und finanziellen Hürden zum Trotz. Er hat die Kraft, die Branche zu stärken und voranzubringen – wenn man ihn lässt und entsprechend fördert.

Bis bald!

Evangelista Sie

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Neue Studie: The Journalism Value Survey

Umfassendes Forschungsprojekt zum gemeinwohlorientierten Journalismus gestartet – Tickets für die Dataharvest 2024 zu gewinnen

Gemeinsam mit vier europäischen Partner:innen erforschen wir in den kommenden Monaten den gemeinwohlorientierten Journalismus in Europa. Die Studie liefert erstmals sehr detaillierte Daten über den Zustand der von zahlreichen kleinen, oft gemeinnützigen Redaktionen geprägten unabhängigen Medienlandschaft Europas. Wir möchten wissen, welche Geschäftsmodelle unter welchen Bedingungen am besten funktionieren, wie es den Medienorganisationen gelingt, die Zahlungsbereitschaft beim Publikum zu wecken, und wo die größten Hindernisse für nachhaltiges Wachstum liegen.

Dafür brauchen wir Eure Hilfe! Hier geht’s zum Fragebogen.

Für die Studie, die auf unserer ersten Erhebung The New Sector (2022) aufbaut, rufen wir wieder alle Redaktionen mit einem „nonprofit state of mind“ auf, sich zu beteiligen. Unsere Projektpartner:innen von Arena for Journalism in Europe und die Reference-Mitglieder Átlátszó Erdély, Fumaça and Investigate Europe sind selbst Teil des gemeinwohlorientierten Journalismus in Europa und werden aus den Ergebnissen der Studie u.a. eine umfangreiche Podcast-Serie zu den drängendsten Fragen und Problemen des Sektors produzieren. Mehr Informationen zum von der EU-geförderten Projekt gibt es unter www.journalismvalueproject.com.

Fülle jetzt unseren Fragebogen aus (dauert etwa 30-45 Minuten) und hilf uns, mit geteiltem Wissen den gemeinnützigen Journalismus zu verbessern!

Unter allen Teilnehmenden verlosen wir Tickets für die Dataharvest/EIJC 2024 (30. Mai – 2. Juni in Mechelen/Belgien).

NEWS

+++ Finanzspritze: Eine halbe Milliarde US-Dollar pumpt eine Koalition amerikanischer Stiftungen in den kommenden fünf Jahren in den Lokaljournalismus. Ziel von Press Forward ist es, die weitere Ausbreitung von Nachrichtenwüsten einzudämmen und so Gesellschaft und Demokratie zu stärken. Das klingt zunächst nach viel Geld. Doch angesichts der dramatischen Lage vieler Lokalmedien wird es voraussichtlich nicht reichen. Dennoch: Den Initiator:innen ist es gelungen, auch Stiftungen, die bisher nicht in der Journalismusförderung aktiv waren, an Bord zu holen. Weitere sollen folgen. Mit dem Geld sollen Redaktionen direkt gefördert, aber auch hilfreiche Tools und technische Infrastruktur entwickelt werden. Experten wie Jeff Jarvis, der übrigens seinen bevorstehenden Unruhestand angekündigt hat, bleiben skeptisch. +++

+++ Hoffnungsschimmer: Neben den Hiobsbotschaften der vergangenen Wochen (s. Editorial) gab es in der Branche auch ermutigende Entwicklungen. Teile der Redaktion der Mitte des Jahres eingestellten Wiener Zeitung starten mit Das Feuilleton ein neues Nonprofitmedium. Wenn das Crowdfunding klappt, sollen jährlich zehn gedruckte (!) Ausgaben der Zeitung für „Kultur, Medien, Zeitgeschehen und Debatten“ erscheinen. Einen Schritt weiter ist da bereits The Examination. Das jüngst gestartete digitale Magazin arbeitet grenzüberschreitend und veröffentlicht investigative Recherchen zu globalen Gesundheitsthemen. Das Motto der Redaktion: „Fearless journalism for a healthier world.“ +++

+++ Digital only: In der brandenburgischen Prignitz liefert die Madsack Mediengruppe aus wirtschaftlichen Gründen keine gedruckte Lokalausgabe der Märkischen Allgemeinen Zeitung mehr aus. Weitere Lokalausgaben in der dünn besiedelten Region sollen folgen. Der Verlag hofft, die alten Zeitungsabonnent:innen durch neue, im Dialog mit den Leser:innen entstandene Produkte vom Digital-Abo zu überzeugen. Wie schwierig das ist, zeigt ein vergleichbares Projekt der Ostthüringer Zeitung (Funke) in Greiz. Die Zahlen, die Madsack aus Brandenburg vermeldet, klingen positiv: Mehr als 60 Prozent der bisherigen Print-Abonnent:innen in der Region hätten nun ein E-Paper-Digitalabo abgeschlossen, heißt es. Für den Verlag war die Reform nicht billig: Rund 750.000 Euro seien bislang in das „Projekt Prignitz“ geflossen, berichtet Der Tagesspiegel. +++

+++ Datingplattform: Das Online-Portal bcause möchte privates Kapital und Medienprojekte aus dem Nonprofitjournalismus zusammenbringen. Die Plattform versteht sich als „missionsorientiertes Fintech-Startup“ und funktioniert so: Vermögende Menschen melden sich in dem Portal an und finden darüber kuratierte Organisationen, für die sie spenden können. Elf Medienprojekte präsentieren sich bislang im bcause-Portfolio, einige haben bereits fünfstellige Beträge erhalten, heißt es auf der Plattform. Ein Lichtblick für unser chronisch unterfinanziertes Metier? +++

+++ Halbnackt: In der Schweiz, die nicht gerade für ihren transparenten Umgang mit Geldflüssen bekannt ist, müssen Politiker:innen und Parteien jetzt die Hosen herunterlassen und die Finanzierung von politischen Kampagnen (zumindest teilweise) offenlegen. Das Projekt „Das Geld und die Politik“ von WAV Recherchekollektiv, Lobbywatch, Opendata.ch und investigativ.ch möchte die neuen Transparenzvorgaben nutzen, um eine kostenlose, frei zugängliche Datenbank zu Geldströmen in der Politik aufzubauen. Das Unterfangen wird von der Stiftung Mercator Schweiz gefördert, die noch fehlenden 15.000 Franken sollen über ein Crowdfunding eingesammelt werden. +++

Grow Like a Pro!

Diese sechs Projekte haben Chancen auf ein Stipendium

Die Shortlist steht! Die Grow-Jury hat sechs Projekte aus dem gemeinwohlorientierten Journalismus ausgewählt und eingeladen, am 6. November ihre Ideen für die Grow-Stipendien 2023/24 zu pitchen!

Es sind vielfältige Vorschläge: Tobias Hübers und Daniel Moßbrucker präsentieren incipIT – ein gemeinnütziges Unternehmen, das Innovationen und IT-Sicherheit für Medien und die Zivilgesellschaft anbieten wird.. Ruth Hutsteiner stellt den Klimaticker vor, einen klimajournalistischen Newsletter für Wien. Eine gemeinnützige Lokalredaktion für Grevenbroich und Umgebung planen Sabine Kauffmann und Team mit dem Titel ON! Medien. Nine-Christine Müller hat das Podcast-Projekt Ostwärts vorgeschlagen, das ostdeutsche Identitäten in den Mittelpunkt stellt. GittiStadtStories von Saskya Rudigier ist ein hyperlokales Medienprojekt in Wien. Nalan Sipar wird im Online-Pitch (der übrigens nicht-öffentlich ist) „Klima=İklim News“ vorstellen, einen deutsch-türkischen Klimakanal auf TikTok und Instagram.Die Jury bilden in diesem Jahr Hussam Al Zaher (kohero magazin), Margherita Bettoni (Investigativjournalistin/Netzwerk Recherche), Lukas Harlan (Schöpflin Stiftung), Evelyn Hemmer (Wirtschaftsagentur Wien), Christian Humborg (Wikimedia) und Thomas Schnedler (Netzwerk Recherche).

Wir drücken allen Teams die Daumen und wünschen auch allen Bewerber:innen, die es nicht ins Finale geschafft haben, viel Erfolg bei der Verwirklichung ihrer Ideen!

Ermöglicht wird das Grow-Stipendium durch die Schöpflin Stiftung.

AUSLESE

Whitepaper Non-Profit-Journalismus

Neue Analyse der Otto-Brenner-Stiftung 

Das oben erwähnte Festival für Nonprofitjournalismus von Vocer bot den passenden Rahmen für die Vorstellung eines Berichts über den aktuellen Zustand des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland. Die Autoren Leif Kramp und Stephan Weichert haben dafür mit zahlreichen Akteur:innen aus dem Feld und Expert:innen auf dem Gebiet gesprochen und ihre Aussagen ausgewertet. Herausgekommen ist ein umfassendes Stimmungsbild zum fragilen Sektor, der vor einer Reihe großer Herausforderungen steht. Ideen, wie man diesen begegnen kann, formulieren die Autoren auch.

Baukastenprinzip

Tipps für Gründer:innen

Nachdem wir im vergangenen SEED-Newsletter schon den karla-Werkzeugkasten für Mediengründer:innen vorgestellt haben, gibt es jetzt eine weitere Wissensdatenbank zum Aufbau von erfolgreichen Medienorganisationen. Auf neuemedien.org stellen die Macher:innen von Neue Narrative sogenannte Lernpfade zu den Bereichen „Basics, Organisationsentwicklung, Produkt, Content und Marketing“ zur Verfügung. Nachahmung ausdrücklich erwünscht! Gefördert wurde das Projekt von nextMedia.Hamburg. Übrigens: Im karla-Werkzeugkasten gibt es nun auch einen Non-Profit-Podcast von Pauline Tillmann. In der aktuellen Folge ist die scheidende Redaktionsleiterin von Investigate Europe, Elisa Simantke, zu Gast.

50 shades of grey

Lokaljournalismus über Beton

Zum Ende ihres Grow-Stipendiums verzückt uns das Team von bloq mit der aktuellen Ausgabe seines Lokalmagazins. Darin geht die Redaktion dem Beton in unseren Köpfen genauso nach wie dem Thema Flächenversiegelung und einem Greenwashing-Verdacht beim Zement-Hersteller „Heidelberg Materials“. Ein besonderes Schmankerl: Für die Beton-Ausgabe hat bloq mit dem Rollschuh-Magazin (aufmerksame SEED-Leser:innen wissen, dass Choni Flöther vom Rollschuh-Magazin maßgeblich an unserer EU-Studie beteiligt ist) kooperiert und den „Asphaltatlas“ für die Rhein-Neckar-Region veröffentlicht.

Bye, bye, watchdogs

Weniger Berichte über politische Skandale in den USA

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Danny Hayes hat untersucht, in welchem Umfang Lokalmedien über Korruption oder anderes kriminelles Fehlverhalten von Politiker:innen berichten. Die Auswertung seiner Datenbank ist eindeutig: Seit Jahren schrumpft diese Watchdog-Berichterstattung. Die Schlussfolgerung des Forschers: „With smaller audiences, less revenue, and fewer reporters, newspapers simply can’t sustain coverage of what would otherwise be attractive and newsworthy stories.“

JOBS

Terminkalender

tag eins talk: How to be a Medien-Start-up in Österreich, 16. Oktober, Wien

Was braucht es, damit Medien-Start-ups an Relevanz gewinnen? Hilft die reformierte Journalismusförderung der österreichischen Bundesregierung dabei? Der Eintritt zur Diskussionsveranstaltung ist frei.

CORRECTIV.Lokal Konferenz, 21./22. Oktober, Erfurt

Correctiv erwartet rund 200 Lokaljournalist:innen, um mit ihnen über Recherchen zu sprechen und über die Zukunft des Lokaljournalismus zu diskutieren. Zum Programm und zur Warteliste.

Steady Growth Day 2023, 3. November, Berlin

Nutzer:innen von Steady und andere Medienmacher:innen können in bis zu 25 Veranstaltungen ihre Erfahrungen austauschen und voneinander lernen. Das Programm der kostenlosen Veranstaltung wird vor Ort gemeinsam mit den Teilnehmenden gestaltet.

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Hast Du kürzlich eine spannende Recherche von einer gemeinnützigen Redaktion gelesen? Hast Du Ideen, wie wir SEED weiterentwickeln können? Fehlt etwas? Schreib uns dazu eine E-Mail, wir freuen uns über Hinweise und Feedback.

 

IMPRESSUM

Netzwerk Recherche e. V. • Greifswalder Straße 4 • 10405  Berlin

Redaktion: Dr. Choni Flöther (cf), Dr. Thomas Schnedler (ts), Evangelista Sie (es), Malte Werner (mw)

Der SEED-Newsletter ist Teil des Grow Greenhouse, dem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.