SEED Nr.15

SEED-Newsletter Nr. 15, Oktober 2022

SEED Newsletter zum Nonprofitjournalismus
Der Newsletter zum Nonprofitjournalismus
von Netzwerk Recherche

HERZLICH WILLKOMMEN BEIM SEED-NEWSLETTER!

Liebe Leser:innen,

es gibt Tage am Schreibtisch, die sind grau und gleichförmig. Und dann gibt es Tage wie den Freitag in der vergangenen Woche. Die sind aufregend und total motivierend. An diesem Tag hat sich die Grow-Jury getroffen, um zu entscheiden, wer es auf unsere Shortlist für das Stipendienprogramm schafft, wer also im Pitch-Wettbewerb sein Vorhaben vorstellen darf. Und was soll ich sagen: So schwierig war es wohl noch nie. Auf insgesamt 218 Seiten stellten sich die Projekte vor, so vielfältig und kreativ, dass immer wieder die große Liebe zum Journalismus spürbar wurde. Ausgewählt haben wir am Ende sechs Vorschläge, die das ganze bunte Spektrum des gemeinnützigen Journalismus zeigen.

Das sind die Kandidat:innen: Mit dabei im Pitch-Wettbewerb am 11. November 2022 ist das gemeinnützige Gesellschaftsmagazin bloq, das sich nach zwei Ausgaben nun im Rhein-Neckar-Raum weiter etablieren möchte, mit gut recherchierten und ausführlich erzählten Geschichten. Die Crowdfunding-Champions von karla aus Konstanz planen einen „Werkzeugkasten für gemeinnützigen und erlebbaren Journalismus“, der anderen Gründer:innen im Lokaljournalismus helfen soll. Das Start-Up Vertical 52, das sich auf Recherchen mit Satellitendaten spezialisiert hat, möchte passende Fortbildungsangebote entwickeln, um andere Journalist:innen zu befähigen, mit den Daten aus dem All zu arbeiten. Das Rollschuhmagazin aus Kassel nutzt den Schwung aus dem Revival des Rollschuhsports für das eigene Heft und möchte im Rahmen der Grow-Förderung eine Strategie für die Zukunft entwickeln, um vom reinen Printmagazin zum Crossmedia-Format zu werden. Das österreichische Team vom Online-Magazin andererseits, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten, wird im Pitch seine Idee für einen neuen Newsletter präsentieren, der Menschen für Inklusion begeistert. Der Live-Journalismus, den der Reporterslam schon seit vielen Jahren auf die Bühne bringt, soll nun gemeinnützig werden und mit neuen Angeboten wachsen, zum Beispiel mit Auftritten an Schulen, internationalen Shows und eigenen Recherchen.

Es war eine Freude, mit der Jury über diese und alle anderen Projekte zu diskutieren. Ein großes Dankeschön an die Jurymitglieder Vanessa Wormer, Esra Karakaya, Elisa Simantke, Christian Humborg und Lukas Harlan! Schon jetzt ist klar: Das wird wieder eine schwierige Entscheidung. Denn verdient hätten es alle sechs Projekte, gefördert zu werden. Aber nur drei davon können wir am Ende mit einem Grow-Stipendium auszeichnen. Die anderen sollten sich davon nicht entmutigen lassen – wir bleiben auf jeden Fall für sie da, mit kostenloser Beratung und vielen anderen Angeboten im Grow Greenhouse, dem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt.

Herzliche Grüße

Thomas Schnedler

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Greenhouse Fellowship – Jetzt bewerben!

Grow Greenhouse FellowshipNetzwerk Recherche und Schöpflin Stiftung schreiben erstmals das Greenhouse Fellowship aus, mit dem zu einer Zukunftsfrage des Journalismus recherchiert und geforscht werden kann. Thematisch steht der spendenfinanzierte Journalismus im Mittelpunkt, der aktuell bedroht ist. Denn Inflation und steigende Energiekosten stellen die Spendenbereitschaft des Publikums auf eine harte Probe. Was bedeuten die aktuellen Krisen für alternative Geschäftsmodelle und die Medienvielfalt? Bleiben die Portemonnaies nun verschlossen? Steht die Existenz spendenfinanzierter Medienprojekte auf dem Spiel?

Das Fellowship umfasst eine Förderung in Höhe von 2.500 Euro, fachliche Beratung, Zugang zu Netzwerken im gemeinnützigen Journalismus und die Publikation der Ergebnisse. Die Bewerbungsfrist läuft bis zum 30. Oktober 2022.

Alle Informationen und das Bewerbungsformular finden sich hier.

NEWS

+++ Überzeugungsarbeit: Das Forum Gemeinnütziger Journalismus hat einen neuen Vereinsvorstand. Gemeinsam mit David Schraven, der von der Mitgliederversammlung in seinem Amt bestätigt wurde, führen nun Susanne Stiefel, Chefredakteurin der Kontext-Wochenzeitung aus Stuttgart, und Anne Webert, stellvertretende Bundesvorsitzende des DJV, den Verein. Eine der wichtigsten Aufgaben bleibt es, in der Politik dicke Bretter zu bohren. So hat sich das Forum jüngst bei einem Fachgespräch mit dem Stab der Beauftragten für Kultur und Medien wieder einmal für die rechtliche Absicherung des gemeinnützigen Journalismus eingesetzt. Genau dies wurde ja im Koalitionsvertrag der Bundesregierung versprochen. Das nicht-öffentliche Treffen im September 2022 war nun ein erster Schritt, um aus der Ankündigung konkrete Politik zu machen. Mit dem Koalitionstracker von FragDenStaat und Wikimedia Deutschland kann man verfolgen, wie dieses Vorhaben und 267 andere Politik-Projekte durch die Ampel-Koalition umgesetzt werden. +++

+++ Hilfe in der Not: Das Auswärtige Amt und die Beauftragte für Kultur und Medien der Bundesregierung haben ein neues Schutzprogramm für gefährdete Journalist:innen im Ausland und geflüchtete Medienschaffende im Exil ins Leben gerufen. Für die Hannah-Arendt-Initiative stehen in diesem Jahr unter anderem 3,5 Millionen Euro aus dem Budget von Außenministerin Annalena Baerbock zur Verfügung. Mit dem Geld sollen insbesondere Notfallstipendien und Trainingsmaßnahmen für Kolleg:innen finanziert werden, die sich für Pressefreiheit und unabhängige Berichterstattung in ihren Herkunftsländern einsetzen. Unter dem Dach der Hannah-Arendt-Initiative werden zudem weitere Aktivitäten gebündelt, koordiniert wird das Netzwerk durch die DW Akademie. +++

+++ Von den Nachbarn lernen: Während sich die Diskussion um eine Medienförderung in Deutschland im Kreis dreht, kommen aus Österreich und der Schweiz neue Impulse. Eine Analyse der Situation des eidgenössischen Lokaljournalismus im Auftrag der Stiftung Mercator Schweiz schlussfolgert, „dass es für das künftige Überleben des Lokaljournalismus eine […] Medienförderung benötigt“. Statt erst nach der goldenen Lösung zu suchen, schlagen die Autor:innen vor, unverzüglich mehrere Pilotprojekte mit unterschiedlichen Ansätzen zu testen. In Österreich ist man da schon weiter. Dort soll es neben der traditionellen Presseförderung eine neue Journalismusförderung geben. Vorgesehen sind 20 Millionen Euro, die gestaffelt nach der Zahl der angestellten Journalist:innen an Zeitungen und (Sapperlot!) Onlinemedien vergeben werden. Wie der Standard berichtet, sollen die Hürden gerade für kleinere Redaktionen unverhältnismäßig hoch sein, die Beratungen seien aber noch nicht abgeschlossen. +++

+++ Hopp Schwiiz, hopp Österreich: Der Herbst ist offenbar Crowdfunding-Zeit in der Schweiz. Die Recherche-Redaktion Reflekt gewann kürzlich innerhalb eines Monats fast 700 neue Unterstützer:innen. Dass die ihr Geld gut angelegt haben, zeigt nicht zuletzt die neue Recherche zu illegalem Glücksspiel. Bei Das Lamm läuft die Sammelaktion aktuell noch. Mit dem Geld sollen fünf neue Kolumnen finanziert werden. Alte Crowdfundinghasen sind die alpenländischen Nachbarn von Dossier aus Österreich. Ihre Jubiläumsausgabe zum zehnten Geburtstag widmet sich dem Thema „Politik und Medien – Eine Abrechnung“ und soll, wie die anderen Magazine auch, per Crowdfunding finanziert werden. +++

+++ Pitch your idea! Ab dem 31. Oktober 2022 sind Bewerbungen für die zweite Runde im WPK-Innovationsfonds möglich. In zwei Förderlinien werden wieder bis zu 75.000 Euro für pionierhafte Projekte im Wissenschafts- und Datenjournalismus vergeben. Unterdessen arbeiten die Geförderten der ersten Runde an ihren Vorhaben. So startet zum Beispiel ab November ein neuer Newsletter des Netzwerks Klimajournalismus: Leonie Sontheimer und Katharina Mau schreiben fortan einmal im Monat „Onboarding Klimajournalismus“ für den erfolgreichen Einstieg in das Themenfeld. Wir freuen uns auf die erste Ausgabe. +++

DREI FRAGEN

Der Journalist Dominik Ritter-Wurnig startet mit tag eins ein „Digitalmagazin für ein modernes Österreich“. Das „Magazin für Veränderung“ – wie es sich selbst nennt – richtet sich an Millenials mit Bezug zu Österreich und soll sich neben staatlicher Förderung vor allem durch Leser:innen finanzieren. Dafür plant das sechsköpfige Redaktionsteam eine ehrgeizige Crowdfunding-Kampagne ab dem 7. November 2022. Binnen drei Wochen will tag eins 10.000 Mitglieder gewinnen, die 60 Euro pro Jahr für das Magazin bezahlen.

Lieber Dominik, wie wollt ihr das schaffen?

Wir haben ein ambitioniertes Ziel und glauben, dass es das Potenzial in Österreich gibt. Laut Digital News Report vermeiden vier von zehn Menschen in Österreich die News. Die Hauptgründe sind, dass es sie überfordert und deprimiert. Wir wollen uns dem Problem der Nachrichtenvermeidung annehmen und einen lösungsorientierten Journalismus entgegensetzen. Unsere größte Herausforderung ist, Reichweite und Vertrauen zu uns zu erzeugen. Wir machen auf Social Media Videos über 20 Gründe, warum man uns unterstützen soll, und versuchen, über Content Marketing unsere Unternehmensgeschichte zu erzählen. Wir haben dafür ein kleines Budget. Das hilft enorm. Mit null Euro ist es ungleich schwieriger, das zu machen, als mit 10.000 Euro Budget.

In welche Richtung soll tag eins gehen?

Wir planen ein digitales Magazin, das auf Artikeln fußt, die immer gut recherchiert, fundiert, einfach zu lesen und gut verständlich sind. Wir wollen jeden unserer Artikel auch als Audio-Story anbieten. Die Autor:innen selbst lesen die Artikel ein und die Nutzer:innen können hin und her wechseln – vom geschriebenen zum gesprochenen Text.

Damit wollen wir drei Bedürfnisse im Menschen ansprechen: den Wunsch, Geschichten zu hören, ein Rätsel zu lösen und durch wahre Geschichten inspiriert zu werden. Wir glauben, dass wir hier etwas haben, das wir auch im True-Crime-Podcast-Hype wiederfinden. Da geht es um wahre Geschichten und – im Kern – um Journalismus. Das wollen wir auch erreichen: Geschichten, die wahr sind, gut erzählen, und zwar so, dass sie einfach zu konsumieren sind.

An wen unter den Millenials richtet sich euer Magazin?

Wir haben eine genaue Zielgruppe im Kopf: „Menschen in der Rushhour des Lebens“. Damit meinen wir Menschen, bei denen sehr viele große Themen anstehen, die Kinder zu betreuen haben, im Berufsleben den nächsten Schritt gehen wollen oder müssen, mit ihrer Partnerschaft beschäftigt sind, sich um ihre Eltern kümmern müssen oder die Perspektive haben, dass das auf sie zukommt, die auf Wohnungssuche sind, ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen. Sie haben viel Stress.

Wir haben in der Pandemie auch erlebt, dass diese Menschen keine Stimme und keine Zeit haben. Diese Gruppe ist wie das Rückgrat der Gesellschaft, oft in den Dreißigern und sehr entscheidend für die nächsten Jahre bis 2050, wo sehr viele Entscheidungen getroffen und Probleme gelöst werden müssen. Auf die wollen wir uns fokussieren. Thematisch orientieren wir uns sehr an den Themen aus der Lebenswelt dieser Menschen.

Dominik Ritter-Wurnig gründet tag eins im Rahmen eines Gründungsprogramms des Arbeitsmarktservices Wien. Vorher arbeitete er als Datenjournalist beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, als visueller Journalist bei Krautreporter und als Datenjournalist bei der Spätnachrichtensendung ZiB2 im ORF. Daneben engagierte er sich in mehreren journalistischen Projekten (Lobbyradar, Yallah Deutschland, Signal & Rauschen). (es)

AUSLESE

GELBE KARTE

Hat Paris Saint-Germain eine digitale Troll-Armee gegen Medien eingesetzt?

Brisantes Dokument: Auf 50 Seiten beschreibt eine Digitalagentur, wie sie im Auftrag des französischen Fußballclubs Paris Saint-Germain (PSG) zahlreiche Fake-Accounts in sozialen Netzwerken einrichtete, um Medien wie die Sportzeitung L’Équipe, Journalist:innen und andere Persönlichkeiten zu diskreditieren. Das französische Investigativ-Magazin Mediapart hat den internen Kommunikationsbericht ausgewertet. Reporter Ohne Grenzen hat dem Fußballclub daher in einer Stellungnahme die „Gelbe Karte“ gezeigt. PSG dementiert die Vorwürfe.

IM SCHATTEN DER STARS

Das Leiden der Spielerfrauen im Fußball

Die Social-Media-Trolle des französischen Clubs PSG (siehe oben) sollen nicht nur gegen Medien, sondern auch gegen eine Ex-Partnerin des Fußball-Superstars Neymar eingesetzt worden sein, berichtet Mediapart. Wie etliche Frauen in und nach den Beziehungen mit Profi-Fußballern leiden, haben Correctiv und Süddeutsche Zeitung recherchiert. Daraus ist ein beklemmender Longread entstanden – über stereotype und frauenfeindliche Darstellung der Spielerfrauen in den Medien ebenso wie über häusliche Gewalt, Machtgefälle und Schweigeverträge.

INNOVATION, MADE IN AUSTRIA

Wie sieht die Medienwelt der Zukunft aus?

Die Wiener Zeitung Mediengruppe hat den Medien-Innovationsreport 2022 veröffentlicht. Der lohnt sich nicht nur, weil SEED-Redakteurin Evangelista Sie das darin vorgestellte „360° JournalistInnen Traineeship“ durchlaufen und am Report mitgeschrieben hat. Es kommen – na klar – Expert:innen zu Wort, vor allem aber auch viele junge Medienmacher:innen und Nachwuchsjournalist:innen. In lesenswerten Gruppen-Interviews geht es um einen „Generation Gap“ in den Redaktionen, Klimajournalismus, Storytelling oder das Gründen eigener Medienprojekte.

DEMOKRATIE OHNE JOURNALISMUS?

Was Nachrichtenwüsten für Politik, Wirtschaft und Gemeinwesen bedeuten

Sinkende Wahlbeteiligung, weniger Engagement von Politiker:innen für ihre Wahlkreise, mehr Fehlverhalten von Unternehmen – die Liste der Risiken und Nebenwirkungen ist lang, wenn Journalismus und Pressefreiheit leiden. Der US-amerikanische Democracy Fund präsentiert nun eine hervorragende, aktualisierte Übersicht über Studien, die untersuchen, wie relevant der Journalismus für unsere Gesellschaft ist. Pflichtlektüre für alle Menschen in der Medienpolitik, im Stiftungswesen – und natürlich auch im Journalismus. Deshalb gibt es unseren Job!

BERLINER KLÜNGEL

Wie ehemalige Bundestagsabgeordnete ihre Kontakte heute für Lobbyismus nutzen

Wenn der Ex-Vizekanzler und aktuelle Thyssen Krupp-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel (SPD) mit Bundeskanzler Olaf Scholz (ebenfalls SPD) über Stahl sprechen möchte: kein Problem! Oder wenn der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber im Wirtschaftsministerium durchklingelt, um einen Termin für den Deutschen Unternehmensverband Vermögensberatung, für den er mittlerweile als Berater tätig ist, auszumachen: null problemo! Auch weit weniger prominente Ex-Bundestagsabgeordnete nutzen ihre guten Berliner Kontakte, um ihren neuen Arbeitgebern Vorteile zu verschaffen oder ihnen die Türen zu den Vor- und Hinterzimmern der Macht zu öffnen. Eine Recherche von abgeordnetenwatch.de, Zeit und ZDF Magazin Royale.

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IMPRESSUM

Herausgegeben von Netzwerk Recherche e.V.

Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Telefon: 030 49854012
www.netzwerkrecherche.org

Kontakt: seed@netzwerkrecherche.de

Vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder: Daniel Drepper, Christina Elmer, Frederik Richter

Eingetragen im Vereinsregister des Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsnummer VR 32296 B.

Redaktion:
Dr. Thomas Schnedler (ts), Evangelista Sie (es), Malte Werner (mw)

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Der SEED-Newsletter ist Teil des NR-Projekts zum Nonprofitjournalismus, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.