Mediale Treibjagden sind fast zu etwas Alltäglichem geworden. Nicht nur soziale Netzwerke produzieren Shitstorms – auch die klassischen Medien. Bei der nr-Jahreskonferenz hatten von Berichterstattung Betroffene die Möglichkeit, ihre subjektiven Erlebnisse zu schildern. Von Britt-Marie Lakämper und Mathias Birsens, JONA/KAS


„Das Problem geht mit mir nach Hause“

Hans-Georg Maaßen fühlt sich häufig missverstanden. Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz schüttelt den Kopf: „Wenn Fehler auf Länderebene gemacht werden, wird regelmäßig auf den Bund gezeigt. Obwohl sie von uns völlig unabhängig sind“, erzählt er. „Das Problem geht dann regelmäßig mit mir nach Hause.“

Wie Maaßen geht es auch anderen: Politiker, Beamte und andere Personen des öffentlichen Lebens werden häufig persönlich dafür verantwortlich gemacht, wenn unter ihnen etwas schief läuft. Aber nicht nur Forderungen nach dem Ziehen persönlicher Konsequenzen sind ein Problem, auch einfache Missverständnisse und ein Mangel an Professionalität führen zu Verstimmungen.

Liegt das an uns Journalisten? Zum Teil. Zwar gibt sich der Verfassungsschutz nie wirklich transparent – wer sich bemüht, bekommt aber sogar persönliche Gespräche: „Der direkte Kontakt mit einem Journalisten kann einige Knoten lösen“, ist sich Maaßen sicher. Am Ende bliebe ein Geheimdienst dennoch ein Geheimdienst.

„Viel ärgerlicher ist es, wenn einfache Fehler gemacht werden. Strukturen nicht richtig erklärt werden.“ Einfach nur deskriptiv darstellen könne auch Facebook, so der Verfassungsschutzchef. An Qualitätsmedien habe er den Anspruch, dass der Journalist wisse, dass der Bund seit 1990 kein Weisungsrecht gegenüber dem Verfassungsschutz der Länder habe: „Für mich sind die Medien ein Scharnier, um Vertrauen in der Gesellschaft durch Information zu bilden.“

Unsachliches Hoch- und Runterschreiben
Ralf Stegner ist bekannt dafür, mit seiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten. Wer austeilt, muss auch einstecken können, heißt es ja oft. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD nimmt allerdings häufig wahr, dass die Auseinandersetzung mit seiner Person in den Medien zu persönlich stattfindet. „Da steht dann wieder, ich würde das Gesicht verziehen, dauerhaft negativ gucken“, schildert er.

Das „Hoch- und Runterschreiben“, wie es einige Journalisten betreiben würden, empfindet er als unprofessionell und unsachlich. „Wenn ein Politiker stirbt oder zurücktritt, sind das die einzigen Momente, in denen uneingeschränkt positiv über ihn persönlich berichtet wird“, meint Stegner.

Der SPD-Politiker macht gelegentlich mit meinungsstarken und umstrittenen Tweets auf sich aufmerksam. „Dass da mal richtig was daneben geht, passiert zwei-, dreimal“, sagt Stegner. Hängenbleiben würde sowas aber lange – gerade auch wegen der Berichterstattung der Medien: „Da muss man als Journalist aufpassen, dass man sich nicht an das Schlechte anpasst.“ Ihm selbst ist es wichtig, seinen Charakter trotz Medienschelte nicht zu verbiegen: „Wer bei einer Wahlniederlage ein Lächeln auf den Lippen hat, der hat irgendwas falsch gemacht.“

„Da war doch was“

Sobald der Name „Kachelmann“ fällt, denkt der durchschnittliche Deutsche: „Da war doch was.“ 2010 machte der Wettermoderator Schlagzeilen, da er der Vergewaltigung bezichtigt wurde – zu Unrecht, wie sich später herausstellte.

Allen voran Bild und Bunte, aber auch die Süddeutsche Zeitung, plädierten im Fall Kachelmann nicht im Zweifel für den Angeklagten. Vielmehr wurde eine Hetzjagd auf den geborenen Schweizer eröffnet, wie es sie in der Bundesrepublik selten gegeben hat. Factchecking blieb dabei auf der Strecke: „Das Problem war: Recherche interessierte kein Schwein“, meint Jörg Kachelmann.

In zahlreichen Prozessen hat er sich mittlerweile einen Freispruch „1. Klasse“ erkämpft. Allerdings sei das mediale Interesse daran viel geringer gewesen als an den Vorwürfen von damals, ärgert sich der 58-Jährige.

„Ich wurde durch viel frei erfundenen Schwachsinn fachgerecht zur Strecke gebracht“, sagt er heute. Die Erinnerung belastet ihn immer noch. Deshalb appelliert er an junge Journalisten: „Macht es besser! Recherchiert ordentlich. Lasst euch Fakten aus unterschiedlichen Quellen bestätigen.“ Auch solches Leiden schafft Recherche.