Netzwerk Klimajournalismus Deutschland und Netzwerk Recherche zeichnen herausragenden Journalismus zur Klimakrise aus

In aller Kürze:

  • Bewerbung vom 15. März bis 31. Mai 2024 möglich
  • Dotiert mit insgesamt 6.000 Euro

In Deutschland gibt es zahlreiche Journalismuspreise, aber bislang keinen für Klimajournalismus. Diese Lücke haben das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland und das Netzwerk Recherche nun geschlossen. Ab dem 15. März können sich Journalistinnen und Journalisten erstmals für den „Deutschen Preis für Klimajournalismus“ bewerben.

Medien und Journalist*innen kommt eine große Verantwortung zu, wenn es darum geht, über die Klimakrise als existenzielle Bedrohung für die Menschheit zu informieren. Sie vermitteln wissenschaftliche Erkenntnisse, klären über Ursachen, Folgen und Lösungen der Klimakrise auf, ordnen Diskurse ein und enttarnen Desinformation. Nie war aufklärerischer Klimajournalismus wichtiger.

Der Deutsche Preis für Klimajournalismus soll positive Beispiele hervorheben und so guten und investigativen Klimajournalismus in Deutschland fördern. Der Preis wird gemeinsam vom Netzwerk Klimajournalismus Deutschland e.V. und dem Netzwerk Recherche e.V. in folgenden Kategorien vergeben:

  • Hauptpreis
  • Investigativ
  • Lokal

Jede Kategorie ist mit 2.000 Euro dotiert. Der Preis ist unabhängig und wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Darüber hinaus wird jährlich ein undotierter Ehrenpreis für außergewöhnliches, langjähriges Engagement im Bereich Klimajournalismus vergeben.

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Verschlossene Auster 2022 für Tesla

Preisverleihung der Auster 2022 mit Laudator Kayhan Özgenç, Chefredakteur von Business Insider. Foto: Raphael Hünerfauth

Die Verschlossene Auster 2022 geht an Tesla. Mit dem Negativpreis zeichnet Netzwerk Recherche den Informationsblockierer des Jahres aus. Die Journalistenvereinigung begründet die Vergabe des Preises an den Autohersteller mit dem intransparenten Verhalten von Tesla gegenüber Medien und Öffentlichkeit. Beispiele dafür sind die Verhinderung von Berichterstattung durch selektive Auswahl von Berichterstatter:innen, das Nichtbeantworten von Presseanfragen und verbale Attacken von CEO Elon Musk auf Journalist:innen. Mit diesem Verhalten erfüllt Tesla die Voraussetzungen für die Auszeichnung mit der Verschlossenen Auster.

„Tesla ist unter Reporter:innen seit Jahren dafür bekannt, Recherchen und Berichterstattung aktiv und aggressiv zu behindern. Elon Musk selbst hat in der Vergangenheit immer wieder Journalist:innen bedroht, verbreitet regelmäßig Falschnachrichten und manipuliert die Medien für seine persönlichen finanziellen Interessen“, sagt sagt Daniel Drepper, Vorsitzender von Netzwerk Recherche. „Elon Musk und Tesla haben offenbar keinerlei Respekt für einen kritischen öffentlichen Diskurs. Für Musk und Tesla scheint die Presse der Feind zu sein. Diese Haltung wird relevanter, je einflussreicher Musk und Tesla werden. Deshalb verleihen wir dem Unternehmen in diesem Jahr die ‘Verschlossene Auster’ des Netzwerk Recherche.“ 

Die Preisverleihung fand am 1. Oktober um 14:30 Uhr auf der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche statt (zur Aufzeichnung). Die Laudatio hielt Kayhan Özgenç, Chefredakteur von Business Insider.

Die Einladung zur Entgegennahme des Preises auf der Jahreskonferenz – und damit die Gelegenheit, eine Dankes- beziehungsweise Gegenrede zu halten –, blieb unbeantwortet.

nr-Jahresbericht 2020

Der Jahresbericht 2020 von Netzwerk Recherche kann als pdf-Datei (7 MB) heruntergeladen werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Editorial
  • Vorstand und Mitarbeiter:innen von Netzwerk Recherche
  • nr20-Webinare statt Klassentreffen – Auftakt für mehr im Netz
  • Der erste Nestbeschmutzer aus dem Homeoffice (inklusive Leseprobe)
  • Leuchtturm 2020 für die Rechtsextremismus-Expert:innen Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle
    Sonderleuchtturm für das Science Media Center
  • Datenjournalismus: Die erste Fachgruppe im Netzwerk Recherche
  • „Journalismus macht Schule“
    Bundesweites Netzwerk für Informationskompetenz
  • Die Pioniere vernetzen sich
    Allianzen für den gemeinnützigen Journalismus
    • Rückblick auf die Ergebnisse der Grow-Stipendien 2019/2020
    • Grow-Workshop: Der perfekte Auftritt
    • Grow 2020/2021
    • Neuer SEED-Newsletter: Update zum Nonprofitjournalismus
  • Newsletter
  • Stammtische
  • Kurzmitteilungen zu weiteren Aktivitäten und Einsatzfeldern
  • Recherchestipendien 2020
  • Engagement zur Stärkung der Informations​rechte
  • Mitgliedervernetzung auf Hostwriter.org
  • Finanzen 2020
  • Förderkuratorium
  • Partner
  • Engagement

 

nr-Jahresbericht 2019

Mit über 80 Seiten ist der Jahresbericht 2019 um die Hälfte umfangreicher als in den Jahren zuvor.
Es freut uns sehr, auf ein Jahr voller Ereignisse und Emotionen zurückzublicken.

Zuerst denken wir natürlich an unsere Großereignisse:

  • unsere Jahreskonferenz im Juni,
  • die Global Investigative Journalism Conference im September,
  • die Fachkonferenz „Jetzt mal ehrlich!“ im November.

Aber nicht vergessen möchten wir auch die kleineren Events und Highlights:

  • Die Verleihung des Leuchtturms an Juan Moreno für die Aufdeckung der Relotius-Manipulationen
  • Erstmals haben wir neben den nationalen Grow-Stipendien auch fünf europäische Projekte im gemeinnützigen Journalismus gefördert (Grow Fellowship)
  • Die Gründung des Forums Gemeinnütziger Journalismus
  • Die Solidaritätsbekundung für die von rechtsextremistischen Angriffen betroffenen Journalist*innen und der Aufruf #SchütztDiePressefreiheit
  • Der immerwährende kritische Blick auf die Entwicklungen rund um die Auskunftsrechte, Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetze – sowie die Beratung und Mahnung (Verschlossene Auster 2019 an die Bayerische Staatsregierung)
  • Unsere Stammtische in Berlin, Köln und Frankfurt/Main
  • Die spannenden Berichte und Veröffentlichungen unserer Recherchestipendiat*innen
    uvm.

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Ergebnisse der Fachkonferenz Verbraucherjournalismus „Wissen ist Macht“

Ein Bericht und eine Foto-Dokumentation fassen die Ergebnisse der Fachtagung „Wissen ist Macht“ am 16.11.2018 bei Stiftung Warentest in Berlin zusammen. In den Gesprächsrunden und Workshops mit gut 100 Journalisten und Wissenschaftlern wurde deutlich, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist, Themen von der Altersvorsorge bis zur Zahngesundheit korrekt und doch verständlich zu präsentieren, ohne auf PR-Geflüster hereinzufallen. Etliche Verbraucherorganisationen sind nicht unabhängig, viele Gütesiegel nicht aussagekräftig. Experten erklärten, wie man sie enttarnt. Eine wachsende Rolle spielen auch Inhalte für soziale Medien. Die Initiatoren innovativer Medien vermittelten einen Einblick, wie sie Daten auf neue Art erheben, etwa mit Sensoren, und darstellen, beispielsweise mit personalisiertem Storytelling.

Zum Bericht von Renate Daum, Lena Sington, Christine Throl und Franziska Senkel (Fotos)

Netzwerk Recherche unterstützt Protest gegen das neue BND-Gesetz

Mahnwache am Donnerstag, 20. Oktober 2016
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Am Freitag, 21. Oktober, will der Bundestag das Gesetzespaket zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes beschließen.

Netzwerk Recherche rief gemeinsam mit zahlreichen Bürgerrechts- und Datenschutzverbänden und Einzelpersonen zur Unterzeichnung einer Petition gegen das neue BND-Gesetz auf. Mehr als 20.000 Menschen unterstützen die Petitionen der Netzaktivistin Katharina Nocun, von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen. Im Rahmen einer Protestaktion werden diese Petitionen am Donnerstag, 20. Oktober, an den Bundestag zugestellt. 

Das geplante Gesetz ermöglicht dem BND die massenhafte Überwachung elektronischer Kommunikation im Ausland. Vage Kriterien erlauben dem Geheimdienst nahezu ungehinderten Zugriff auf die Telekommunikation. Drei UN-Sonderberichterstatter, zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und Verfassungsrechtler kritisieren den Gesetzentwurf.

Nach dem Willen der Großen Koalition soll der Bundesnachrichtendienst das Recht erhalten, ausländische Journalisten außerhalb der EU praktisch schrankenlos zu überwachen, wenn es den politischen Interessen Deutschlands dienen könnte. Die beteiligten Medien und Organisationen halten die globale Massenüberwachung des BND für einen Verstoß gegen die Menschenrechte und sehen in der Überwachung von Journalisten einen schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit. Die Protestaktion in Berlin ist ein Zeichen der Solidarität mit den betroffenen Kollegen im Ausland.

Wann: Donnerstag, 20. Oktober 2016, 17 Uhr
Wo: Am Brandenburger Tor, Pariser Platz, 10117 Berlin
Im Anschluss an den Protest werden die Petitionen an der Pforte des Bundestages übergeben.

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 130, 20.10.2015

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Fachkonferenz: Recherchieren mit Profis

ProRechercheErst-Werkstatt der Lehrredaktion PRORECHERCHE

Fachkonferenz vom 23. bis 27. November 2015

Thema: Geheimgeschäfte mit Cross Border Leasing – Licht ins Dunkel bringen und den Schleier lüften
Termin: 23. bis 27. November 2015
Ort: Geschäftsstelle Netzwerk Recherche, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Zur Konferenz-Website

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 122, 19.02.2015

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 121, 16.01.2015

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Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 120, 18.12.2014

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E-Book zu Datenjournalismus erschienen

Datenjournalismus '14 - Netzwerk RechercheWas sind das für Menschen, die mit Zahlen und Daten Geschichten erzählen wollen?
Welche Herausforderungen stellen sich für den Datenjournalismus – und wo sind dessen eigene Grenzen vor dem Hintergrund jüngster Datenskandale?

Das in Kooperation mit epubli entstandene E-Book “Datenjournalismus ’14 und weitere Schwerpunkte der nr-Jahreskonferenz” kann auf der epubli-Seite eingesehen und erworben werden. Weiterlesen

Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 119, 19.11.2014

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Investigative Reporters and Editors

How journalists can learn safer communication and improve online security
(Link zu ire.org)

Journalismus & Recherche

Albrecht Ude: Kurze Anleitung zu überwachungsfeindlichem Verhalten(Link zu recherche-info.de)

Investigative Recherche

Boris Kartheuser: Erklärvideo: Mails verschlüsseln leicht gemacht
(Link zu investigativerecherche.de)

Investigative Recherche

Boris Kartheuser: Programme und Anleitungen für digitale Sicherheit
(Link zu investigativerecherche.de)

Arbeitskreises der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)

FAQ-Liste zu Sicherheit und Unsicherheit im Internet
(Link zum Arbeitskreises der Gesellschaft für Informatik e.V.)

Eröffnungsrede von Katrin Krauß (2012)

„Masche für Masche. Thesen zur Lage des Lokaljournalismus”

Eröffnungsrede von Katrin Krauß zur Fachtagung „Dicht dran- oder mittendrin? Lokaljournalismus zwischen Recherche und Regionalstolz“ am 9./10. November 2012 im Hause der Süddeutschen Zeitung
Rednerin: Katrin Krauß, Diplom-Journalistin und Dozentin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Eroeffnungsrede „Masche für Masche. Thesen zur Lage des Lokaljournalismus"

Katrin Krauß – Eroeffnungsrede Lokaljournalismus-Fachkonferenz. Foto: Franziska Senkel

Sehr geehrte Damen und Herren,
schon wieder so eine Veranstaltung, auf der Recherche großgeschrieben wird. Schon wieder so eine Veranstaltung, auf der so getan wird, als sei Recherche die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Sie die Seiten Ihres Lokalteils füllen können. Dabei wissen wir doch alle: Recherche kostet Zeit. – Zeit ist Geld. – Geld hat Ihr Verleger nicht.

Also hören Sie auf, das mit der Recherche so furchtbar wichtig zu nehmen! Glauben Sie mir: Es geht auch ohne. Ich zeige Ihnen die Maschen, die Sie brauchen, um mit einem Minimum an Recherche Ihren Lokalteil zu häkeln. Damit das funktioniert, müssen freilich ein paar Grundvoraussetzungen erfüllt sein.

Grundvoraussetzung 1:
Sie brauchen einen Verleger, der Sie motiviert, am besten, indem er das kleine fröhliche Lied „Wer einspart, steigert Qualität“ anstimmt. Singen Sie mit und fallen Sie ins Fortissimo, sobald der Refrain beginnt: „Wir werden immer besser, jeden Tag ein Stück, wir werden immer besser – das ist verrückt.“ Achten Sie darauf, dass wirklich alle mitsingen – womit wir schon bei der zweiten Grundvoraussetzung sind.

Grundvoraussetzung 2:
Bekehren Sie Idealisten und Zweifler, also all jene Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die glauben, man könne – ja, mehr noch, man müsse das Lokale besser machen und mehr recherchieren. Machen Sie diesen Zweiflern und Idealisten unmissverständlich klar:

  • Wer recherchiert, hält den Betrieb auf.
  • Von wegen „Wer nicht mehr an sich zweifelt, hört auf, ein guter Journalist zu sein“, wie es einst Herbert Riehl-Heyse uns Journalistenschülern eingeimpft hat – das war einmal. Die Zeit der Zweifel ist vorbei. Basta.

Grundvoraussetzung 3:
Nehmen Sie unbedingt Rücksicht auf Ihre masochistisch veranlagten Abonnenten! Diese Leute bezahlen viel Geld dafür, dass sie sich jeden Tag aufs Neue über ihr Kaasblattl und die Zeitungsschmierer aufregen können. Sie wollen alles besser machen und das zack zack? Vorsicht! Der Schuss kann ganz schnell nach hinten losgehen! Spürbare und allzu plötzliche Änderungen des Gewohnten irritieren masochistisch veranlagte Abonnenten und drücken die Auflage Ihrer Zeitung nach unten!

Grundvoraussetzung 4:
Machen Sie sich klar, wo Sie sich eigentlich befinden! Sie sitzen dort, wo keiner Karriere macht, denn die führt ja bekanntlich über das Lokale. Selbstverständlich wissen wir auch alle, dass das Lokale der Ort ist, an dem Journalisten ihre ersten Schritte tun. Und wie heißt der Ort der ersten Schritte? – Richtig, das ist der Laufstall. Dort sitzen Sie und – Hand aufs Herz – es geht Ihnen doch gut dort.
Sie haben doch jetzt viel mehr Platz als früher, als Sie sich den Laufstall Lokalredaktion noch mit sieben oder acht Kolleginnen und Kollegen teilen mussten. Jetzt sind es nur noch vier oder fünf, aber dafür haben Sie ja jede Menge Spielkameraden auf Zeit; die haben auch Namen, aber weil es so viele und ständig neue sind, heißen die einfach immer nur „die Praktikantin“ oder „der Praktikant“. Die dürfen Sie betreuen. Dafür werden Sie von anderen betreut: Sie sind umzingelt von Erziehungsberechtigten und Erziehungsberatern, die alle dafür sorgen, dass es Ihnen nicht langweilig wird im Laufstall.
All diese Leute, die sich da rund um den Laufstall Lokalredaktion postieren, sorgen natürlich auch für die richtige Wohlfühlatmosphäre, für dieses Klima von Hypernervosität, in dem Aktionismus Ratlosigkeit kaschiert, für dieses Klima ständiger Verunsicherung – werden nun Stellen gestrichen oder nicht? – vermengt mit Resignation, für diese Atmosphäre der Unruhe, in der der Journalismus alle drei Monate neu erfunden wird. Glauben Sie mir: Sie brauchen das alles, um sich wohl zu fühlen und nicht träge zu werden. Sie brauchen es genauso wie all die Konferenzen – unter drei täglich geht gar nix – in denen Bosse und Halbbosse und Möchtegern-wenigstens-Halbbosse ihre Kreativität wie in einem Blutrausch austoben. Wer all das umsetzen soll, was da so beschlossen wird? – Na Sie natürlich! Und zwar pronto!
So kommt Bewegung in den Laufstall. Wunderbar. Gut, zugegeben: Der Breiteller, den man Ihnen jeweils am Ende des Monats über die Gitter reicht, ist vielleicht nicht mehr ganz so gut gefüllt wie früher, aber doch nicht deshalb, weil der Verleger sich auf Ihre Kosten noch mehr Hummer auf den Teller schaufelt, sondern nur deshalb, weil er es so gut mit Ihnen meint; Sie kennen ja sein Lied: „Wer einspart, steigert Qualität“.
Vergessen Sie bitte auch nicht, dass der Verleger viel Geld für Ihre Erziehungsberater bezahlt, also für all die Experten, die Ihnen sagen, was Sie tun müssen, damit Sie den Lesern gefallen.
Wie? Was heißt hier „Bauchgefühl“ und „ich weiß selber, was die Leser wollen“? – Aber hallo! Vergessen Sie das mal ganz schnell! Wir sind doch hier nicht bei der „Landlust! – Nein, Sie wissen gar nichts.
Die einzigen, die hier was wissen, sind die Experten. Also die, die meist noch nie Journalismus gemacht haben, aber dafür wissen, wie man über Journalismus spricht. Wenn die auftauchen, wird ’s brandgefährlich, denn dann ist der nächste Relaunch nicht weit. Aber bitte: Halten Sie an sich! Verkneifen Sie sich die Frage an Experte X, ob er es nicht war, der den Relaunch der Zeitung Y zu verantworten hat, also jener Zeitung, deren Auflage nach dem Relaunch ins Bodenlose gestürzt ist. Sparen Sie sich auch Bemerkungen wie: „Wie war das nochmal mit dem Tabloid-Format, ohne das angeblich gar nichts geht?“ oder „War da nicht mal was von wegen: kein Artikel länger als hundert Zeilen – und waren es nicht dieselben Experten, die kurz darauf schon wieder durch die Redaktionen gezogen sind und diesmal so richtig lange Lesegeschichten gefordert haben?“
Wie gesagt: Man kann und darf von Ihnen erwarten, dass Sie den Experten gegenüber auf derlei despektierliche Bemerkungen verzichten. Zeigen Sie sich also bei jedem Relaunch aufs Neue freudig erregt, auch wenn es schon der siebzehnte ist, den Sie mitmachen. Es ist Ihnen ja wohl klar, dass man sich im Laufstall Lokalredaktion anständig zu benehmen hat. – Ist es? Gut. Dann kommen wir nun zu Grundvoraussetzung fünf:

Grundvoraussetzung 5:
Verinnerlichen Sie die Zeitgeistformel „Journalismus minus Recherche ist gleich Content – und Content ist hip“. Er kommt zwar meist ein bisschen zerbrechlich daher, aber schließlich beherrschen Sie ja die Kunst des Layoutens und wissen deshalb, wie man dieses zarte Nichts geschickt verpackt. Und Sie wissen auch: Wer Content gut verkaufen will, der braucht Content-Manager und Redaktions-Manager und Fachleute für „Innovations in Journalism“ und überhaupt ganz viele, ganz wichtige, ganz teuer bezahlte „Business“-Leute. Das ist ein Arbeitsfeld mit Zukunft und deshalb ist es auch gut, dass Hochschulen sich darum kümmern, den journalistischen Nachwuchs möglichst früh an dieses Feld heranzuführen, also möglichst schon, bevor die jungen Leute verbildet sind und womöglich schon richtige Artikel recherchieren und schreiben können – aber das ist ein Kapitel für sich. . .
Okay, lassen wir es gut sein. Ich gehe jedenfalls mal davon aus, dass all die Grundvoraussetzungen, die ich genannt habe, in Ihrer Redaktion zu großen Teilen erfüllt sind. Sind sie? Schön! Dann zeige ich Ihnen nun – wie versprochen – die Maschen, die Sie brauchen, wenn Sie Ihren Lokalteil ohne großen Rechercheaufwand häkeln wollen.

Masche 1: Fotos sind die halbe Miete – und manchmal auch die ganze.
Je mehr Fotos und je größer – desto besser. Aber bitte: Verkünsteln Sie sich nicht! Schnell-mal-draufgedrückt-Fotos reichen – wozu gibt es denn Bildunterschriften, in denen Sie wortreich beschreiben können, was auf dem Bild leider nicht zu sehen ist. Sicherer ist natürlich, Sie bestellen gestellte Fotos: Da tummeln sich dann plötzlich zwei Dutzend Kinder in wildem Spiel auf einer sonst stets öde daliegenden Straße, weil Sie dem Leser eindrücklich verklickern wollen, wie gefährlich der Ausbau dieser Straße wäre. Das sieht zwar nur noch leidlich authentisch aus, dient aber Ihrem Anliegen ungemein … Wenn Ihnen all das zu aufwendig ist, dann greifen Sie doch einfach hemmungslos auf Symbolfotos, Archivfotos und Agenturfotos zurück. Wie gesagt: Hauptsache viel und Hauptsache groß.

Masche 2: Terminjournalismus
oder: Wir nehmen, was wir kriegen – und wie wir es kriegen.
Eine altbekannte Masche, die immer häufiger angeschlagen wird, weil immer mehr PR-Leute und ähnliche Gesellen nicht nur extra für Sie Events kreieren, sondern Ihnen freundlicherweise auch gleich noch die fertigen Texte dazu liefern.

Masche 3: Ober-schlägt-Unter-Journalismus.
Egal, wohin Sie kommen: Irgendeinen Kommunalpolitiker, Verbandssprecher, Organisator oder sonstigen Wichtigtuer gibt es immer – lassen Sie stets ihn Auskunft geben und sparen Sie sich so die Zeit und Mühe, mit den eigentlichen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Das gilt besonders für Reportagen aller Art und für Themen, bei denen Alte, Behinderte, Suchtkranke oder Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen – Sie wissen doch: Die können sich alle eh nicht artikulieren.

Masche 4: Grinsrübenjournalismus.
Wie der funktioniert? Ganz einfach: Umfragen, Umfragen, Umfragen. Von „Mögen Sie Kiwi-Eis?“ und „Wie finden Sie Markus Lanz?“ über „Worauf freuen Sie sich heute?“ bis hin zu „Wie beurteilen Sie Obamas Nahost-Politik?“ geht grundsätzlich jedes Thema. Dazu stellen Sie Porträtfotos, die jede Falte zeigen – mehr Lesernähe geht nicht.
Beliebte, wenn auch nicht mehr ganz taufrische Variante dieser Masche: Sie ersetzen Interviews durch minimalistische Formen, die keinen Rechercheaufwand erfordern und bitten die Befragten zum Beispiel: „Vollenden Sie den Satz: In den letzten zehn Jahren hat der Oberbürgermeister…“ Die Befragten antworten per Mail – Grinsrübenfoto dazu – fertig.

Masche 5: Tamtam-Journalismus.
Verkaufen sie Selbstverständlichkeiten als Ereignis und setzen Sie dieses Ereignis richtig – also am besten in Form einer Serie – in Szene. Besonders beliebte Form: Die Stadtteilserie. Stellen Sie sich dazu circa zwei Stunden lang im jeweiligen Stadtteil vor irgendeinen Supermarkt und warten Sie darauf, dass ein paar Rentner vorbeikommen, die sich beschweren, weil in ihrem Viertel immer überall so viele Autos rumfahren und/oder so viel Müll rumliegt. Kündigen Sie diesen Recherche-Großeinsatz („Wir sind vor Ort!“) mit mindestens zwei Mehrspaltern pro Viertel an – ein bisschen Statistik vermengt mit ein paar Plattitüden über das jeweilige Viertel reichen – und berichten Sie dann ausführlich und mehrfach über das Ereignis selbst.

Masche 6: Beabsichtigungs- und Ankündigungsjournalismus
oder: Der gute Wille ersetzt die Tat.
Wo immer wer ankündigt, in naher oder ferner Zukunft etwas tun, respektive bauen oder gründen zu wollen: Schreiben Sie darüber ausführlich, egal wie unausgegoren die Sache auch immer sein mag. Motto: Spekulieren ersetzt recherchieren. Und fragen Sie besser nie nach, ob das Vorhaben jemals realisiert worden ist! Ersetzen Sie Vor-Ort-Recherche durch aufgepeppte Ankündigungen. Das geht zum Beispiel so: Kündigen Sie auf einer halben Seite wortreich die Sonderfahrt für Fans des örtlichen Fußballvereins an, fahren Sie aber nicht mit, denn das könnte in Recherche ausarten und am Ende käme womöglich noch eine Geschichte dabei raus.

Masche 7: Setzen Sie Themen – und treten Sie sie breit.
Schreiben Sie über Gefahrenstellen für Radler, am besten als Serie, in der Sie jede Gefahrenstelle einzeln würdigen. Das funktioniert auch mit leer stehenden Läden und ähnlichem, ja sogar mit Pflastersteinen, die zu Stolperfallen werden. Glauben Sie es mir, ich habe es erst gestern gelesen.
Andere Möglichkeit: Suchen Sie ein Thema, das keinen großen Rechercheaufwand erfordert und gut zu bebildern ist und häkeln Sie daraus – Luftmasche an Luftmasche – die Never-Ending-Story. Das funktioniert zum Beispiel wunderbar, wenn in Ihrer Gemeinde neue Parkbänke angeschafft werden – ob drei oder dreißig, lassen Sie sich die Chance nicht entgehen, damit wochenlang die Seiten zu füllen. Lassen Sie die Leute auf den Bänken Probe sitzen, erst allgemein, dann spezielle Besuchergruppen, Rentner, Einzelhändler, blonde 29-jährige Mütter mit dreijährigen Töchtern und so weiter. Wenn die Wahl auf ein Parkbank-Modell gefallen ist, dann verleihen Sie dem Thema neue Brisanz, indem Sie dezent erwähnen – aber bitte erst jetzt – dass die Bänke aus Tropenholz sind und Ihre Leser fragen, was sie denn davon halten.…
In Ihrer Gemeinde sind gerade keine neuen Parkbänke in Sicht? – Kein Problem, dann greifen Sie doch auf die Masche mit den Wut-, Mut- und Gutbürgern zurück.
Und so geht’s: Bringen Sie drei bis vier Leute dazu, gemeinsam darüber zu plaudern, wie die Stadt schöner werden könnte, erklären Sie die Beteiligten unverzüglich zu wahlweise Wut-, Mut- oder Gut-Bürgern, widmen Sie ihnen mindestens einen Aufmacher, gerne auch mehr. Keine Sorge, das Vorbild macht Schule, die nächsten vier Gut-, Wut- oder Mutbürger sind schnell gefunden!

Masche 8: Pappnasenjournalismus
oder: Wenn wir schon keine jungen Leser haben, sorgen wir wenigstens dafür, dass unsere alten Leser sich ihr kindliches Gemüt bewahren.
Pappnasenjournalismus geht irgendwie wie Kindergeburtstagsparty. Schnappen Sie sich zum Beispiel das Maskottchen des Fußballvereins und lassen Sie es „Sagen Sie jetzt nichts“ spielen. Veranstalten Sie – zu Zeiten von Fußball EMs oder WMs – ein Tischkickerturnier. Kündigen Sie dieses wunderbare Spiel in Form von drei Mehrspaltern an, schreiben Sie dann ausführlich über den Spielverlauf (Fotos nicht vergessen!) Veranstalten Sie ein Kneipenquiz, lassen Sie Eier anmalen, machen Sie einen Tanzkurs mit Kollegen und und und…

Masche 9: Nutzwertjournalismus für Dummis
oder: Wir halten unsere Leser für einigermaßen intelligent und lebenstüchtig und deshalb erklären wir ihnen in Wort und Bild …
…wie man küsst,
…was man an einem Frühlingswochenende machen kann (Radeln, Spielplatz, Grillen),
…was man braucht, wenn man zu einem Open-Air-Klassikkonzert geht (Schal, Bonbons, Operngucker).
Stellen Sie bitte unbedingt entsprechende Symbolfotos dazu (Rad, Spielplatz, Grill bzw. Schal, Bonbon, Operngucker), damit der Leser auch wirklich versteht, worum es geht.

Masche 10: Tagebuchjournalismus
oder: Der Leser interessiert mich nicht, aber ich interessiere den Leser.
Also zum Beispiel: Ich und meine Kollegen unterhalten uns darüber, wie wir den Weihnachtsmarkt finden. Das füllt locker eine dreiviertel Seite und erspart lästige Recherche. Wer quatscht schon gerne Fremde an.
Oder: mein schönstes Weihnachtsfest – Kollegen erzählen. Oder: Vor der Jahrespressekonferenz eines großen Automobilherstellers – was mich mit dem Automobilhersteller verbindet. Und wie wäre es damit: Ich und mein Zwilling. Sie finden einen Menschen, der wie Sie selber einen Pferdeschwanz trägt, eine Brille und ungefähr gleich alt ist. Zack, schon haben Sie Ihren Zwilling, schon haben Sie wieder eine halbe Seite in der Wochenendausgabe des Lokalen gefüllt.

Masche 11: Fortsetzungsjournalismus.
Wieso alles Pulver auf einmal verschießen? Halten Sie Informationen zurück, das macht die Sache spannender und erleichtert Ihnen die Arbeit, weil Sie ein- und denselben Artikel, jeweils um eine Information ergänzt, drei bis vier Mal bringen können.

Masche 12: Filialistenjournalismus inklusive Reißbrett- und Teflonjournalismus
oder: Das Lokale global denken und glatt bügeln.
Entlokalisieren Sie das Lokale, machen Sie es zum beliebigen Ort – und schon ist jedes beliebige Thema möglich. Also: Denken Sie global, entrümpeln Sie die Fußgängerzone. Raus mit dem provinziellen Mief, den all die kleinen Einzelhändler verbreiten. Machen Sie Platz für die Filialisten: Greifen Sie zu Themen, die alle haben. Überlassen Sie das Lokalkolorit den Heimatkrimis und der Werbung – die entdecken es nämlich gerade für sich. Handeln Sie stattdessen beim Runterbrechen der Themen nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Themenanregungen liefert zum Beispiel der Newsletter der „Drehscheibe“ – da lernen Sie, was echter Reißbrettjournalismus ist.
Übrigens: Was immer geht, ist der Tag-der-Socke-Journalismus, denn jeder Tag ist ein besonderer Tag: Tag der Putzfrau, Tag des Kusses, Tag des dreieinhalb blättrigen Kleeblattes und so weiter und so fort.
Falls Ihnen das alles noch nicht glatt und verwechselbar, synthetisch und steril genug ist, dann greifen Sie zusätzlich zum Teflonjournalismus: gecastet, gedreht, getrimmt, genormt, gepeppt – völlig wurscht wie. Hauptsache, es fühlt sich

  • nicht echt an,
  • es ist mittellang und mittelmäßig und lässt sich bebildern,
  • es bleibt nichts hängen in den Köpfen der Leser und
  • es funktioniert ohne Recherche.

Na dann, probieren Sie es aus, reihen Sie Luftmasche an Luftmasche.
– Wie? Was soll das heißen? Sie haben keinen Bock auf Filialisten, Pappnasen und Grinsrüben? Sie wollen ein guter Journalist sein, einer, der alle, die behaupten, Lokaljournalismus sei langweilig, Lügen straft, „einer der weiß, dass auf einem Quadratmeter Schrebergarten mehr Wunder zu finden sind, als mancher Reporter auf einem Kontinent findet“, wie Henry Nannen mal über Günter Dahl gesagt hat?
Sie schreiben lange Geschichten, weil Sie wissen, dass lang relativ ist und eine gut recherchierte und geschriebene sechsspaltige Geschichte kürzer ist als ein schlecht recherchierter und formulierter zweispaltiger Bericht?
Sie sind wild entschlossen, zu beweisen, dass mit ein bisschen sinnvoller Planung des Redaktionsalltags Langzeitrecherche auch im Lokalen möglich ist?
Sie haben sich womöglich entschieden, extrem zu werden? Also nix mehr mit mittellang und mittelmäßig und Schluss mit reportagig statt Reportage?
Sie beharren stur darauf, dass die Zukunft des Journalismus Journalismus ist? Sie wollen deshalb Ihren Lokalteil nicht mit Content, sondern mit Journalismus füllen?
Sie wollen recherchieren?
Sind Sie sich sicher? – Na bitte, dann tun Sie ’s doch; Sie werden schon sehen, wohin Sie damit kommen:
Am Ende macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß!
Das haben Sie dann davon. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!
Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Dokumentation: Ines Alwardt

nr-Vorstand zu falschen Tatsachenbehauptungen in Massenmails und Online-Veröffentlichungen

Am Vortag der Jahrestagung und der Mitgliederversammlung von Netzwerk Recherche wurde eine Massenmail offenbar an einen alten E-Mailverteiler des Vereins geschickt. Darin erhebt das Mitglied Prof. Rüdiger Pichler etliche substanzlose Vorwürfe gegen den amtierenden Vorstand. Mitverschickt wurde ein Brief des Mitglieds Dr. Volker Bahl mit ähnlicher Tonalität. Am Folgetage hat die Internetseite „V.i.S.d.P.“ diese Anwürfe breit zum Thema gemacht. Um allen Mitgliedern des Vereins sowie allen Interessierten einen Einblick zu ermöglichen, wie die Sachlage ist, hat sich der Vorstand entschlossen, die Tatsachenbehauptungen Punkt für Punkt zu erwidern und diese Richtigstellung online zu stellen. Da wir den genauen Verteiler der Mail nicht kennen, haben wir uns zu dieser Transparenzmaßnahme entschlossen. So kann sich jeder ein Urteil bilden. Weitere Hintergründe zum Initiator der Mails auch bei „Meedia“. Weiterlesen

24. Mai 2012 – Wolfram Weimer

Das Grundproblem des heutigen Journalismus: Gefallsucht und Mitteismus

Wenn Bild und Süddeutsche Zeitung sich früher zankten, dann ging es um Politik, um rechts und links, um oben und unten in der Gesellschaft. Wenn sie sich heute streiten, dann geht es um einen Preis, um Ruhm und roten Teppich, um oben und unten – auf der Bühne. Die Debatte um den Henri-Nannen-Preis entlarvt weniger alte Ressentiments als neue Eitelkeiten.

Das Problem beginnt damit, dass wir Journalisten überhaupt Preise haben wollen. Im Grunde sollte uns das wesensfremd sein – so wie Polizisten, Richter und Notärzte auch keine Preise für ihre Arbeit wollen sollten. Wir sind eine Instanz der Unabhängigkeit, der Kritik, der Machtkontrolle, der Distanz zu Bühnen. Wir werden gebraucht, wenn wir Bühnenspiele hinterfragen und uns unbeliebt machen. In den letzten Jahren aber, wollen sich immer mehr von uns beliebt machen – auch jenseits der Preisverleihungen. Die Aufmerksamkeitsökonomie und ihre Währung „Beliebtheit” ist für den politischen Journalismus ein süßes Gift. Wenn Giovanni di Lorenzo davon berichtet, dass man früher für die Talkshows nach den Schwachpunkten der Gäste und kritischen Ansätzen gefahndet habe, heute aber vor allem nach dem Unterhaltungs- und Stimmungswert frage, dann ist das ein Alarmsignal und verweist auf ein grundlegendes Problem.

Wir etablieren im Journalismus zusehends eine seltsame Hierarchie von Wichtigkeiten, die die kritische Intelligenz immer geringer schätzt, die affirmative höher und die inszenatorische am höchsten. Das Entlarvte ist uns zusehends weniger wert als das Erzählte und noch weniger als das Unterhaltende.
Reporter und Rechercheure, Kritikaster und Kämpfer gegen das Falsche – die konzentrierte Sphäre der journalistischen Integrität, die altmodischen Wahrheitssucher also haben Qualitätsmedien groß und vor allem wichtig gemacht. Es gab dereinst sogar einen Kampf um Wahrheit und Wirklichkeit, woraufhin Journalisten einander über Inhalte Feinde werden konnten. Vorbei. Heute wollen wir häufig eines: gefallen. Die Welt der Bühne hat die der Kulisse als Sehnsuchtsort abgelöst. Man mag die Possierlichkeit der Postmoderne, den Druck der Internetrevolution und den Triumph des Unterhaltungsjournalismus dafür schelten. Die Folgen sind jedenfalls unübersehbar. Unser Beruf wird zusehends von einer kulturellen Haltung des Spielerischen, des Unernstes, der Eitelkeiten geprägt, weil wir die Hierarchie der Wahrheiten durch eine Hierarchie der Gefälligkeiten ersetzen.

Wenn aber das Kleid des Marketings den Journalismus umschmeichelt, wenn wir immer weniger auf das hören, was einer zu sagen hat, als auf das, wie und wo und vor wie vielen er es sagt, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass der Journalismus eine ähnliche Glaubwürdigkeitskrise wie die Politik erleidet. Die Menschen durchschauen unser schillerndes Äußerlichkeitskleid als lichtes Nachthemd.

Die wichtigste Ursache der journalistischen Krise liegt in der Auflösung von Wahrheiten zu diskursiven Konsensen. Wir fragen immer weniger danach, was wir für richtig halten, sondern danach, was andere für richtig halten könnten. So stützt sich die Politik am liebsten auf Umfragen, die Wirtschaft orientiert sich an der Marktforschung und der Journalismus huldigt der Wohlfühl-Unterhaltungs-Quote. Alles nachvollziehbar – nur zahlen wir mit diesen chamäleonhaften Techniken der Vermittung unseres Bewusstseins einen Preis der opportunistischen Verflachung.

Die Mode der Wahrheitsfindung durch diesen Mitte-ismus schien anfangs eine erfrischende Befreiung von den bleiernen Kämpfen der ideologischen Zeit. Inzwischen ist sie für den Journalismus wie ein Verrat an sich selbst. Wenn sich nämlich in immer mehr Diskursen alle auf einem winzigen Fleck konsensualer Mitte versammeln, dann wird es argumentativ ziemlich eng, dann werden nötige Debatten durch Wohlfühlplatitüden ersetzt. Denn der Drang in die politisch korrekte Mitte erzeugt einen Journalismus, der sich massen- und mehrheitskonform seicht dahin biegt. Wir haben hernach in vielen Debatten von der SZ bis zur Bild, von der FAZ bis zum Spiegel gleiche Meinungen.

Abweichlertum, Originalität, Eigenheit wirken in dieser superkonformen Medienwelt der Vollkaskomeinungen wie Antiquitäten aus längst versunkenen Zeiten. Man gibt sich eben auch als Journalist lieber geschmeidigen Netzwerken hin, Meinungstrends und Stimmungs-Communities, weil sie kollektive Bande einer Welt sind, die die Wahrheit fürchtet wie der Chorknabe das Solo. Am Ende streitet man nicht mehr um eine Sache, sondern um eine Äußerlichkeit, nicht mehr um Politik, sondern um Preise. Schade eigentlich. Denn wenn Pestalozzi Recht hat („Die Masse und der Staat haben keine Tugend, nur das Individuum hat sie!”), dann wird der einzelne Journalist als kritische Instanz gebraucht. Egal ob er bei der Bild oder bei der SZ arbeitet und ob er bei Preisen leer ausgeht. Vielleicht sogar dann erst Recht.

Wolfram Weimer, 47, war Chefredakteur des Focus und ist heute Besitzer der Börse am Sonntag. Seine neues Buch „Heimspiel“ ist eine Realsatire auf den politisch-medialen Betrieb.

22. Mai 2012
 – Michael Fröhlingsdorf

Die Causa Wulff ist das Gegenteil einer 
erfolgreichen investigativen Recherche

Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Zwei Journalisten erhalten vertrauliche Hinweise über merkwürdige Finanztransaktionen des berühmtesten Politikers im Land. Der Mann, so heisst es, sei pleite, und habe sich von einem Gönner aus der Wirtschaft kaufen lassen. Die knallharten und unbestechlichen Medienleute recherchieren und ecken den Fall auf. Der Politiker muss zurücktreten. Die Journalisten werden berühmt und erhalten den renommiertesten Journalistenpreis des Landes.
Die Wirklichkeit verhält sich in der Causa Wulff allerdings ganz anderes: Der vertrauliche Hinweis, dem “Bild”, aber auch “Stern” und “Spiegel” nachgingen, erwies sich als blanker Unfug. Die investigative Recherche scheiterte kläglich. Wulff trat auch nicht wegen der journalistischen Enthüllung zurück. Und selbst der “Henri”, mit dem die beiden “Bild”-Journalisten ausgezeichnet wurden, hat einen besseren Ruf als er tatsächlich verdient.
Die Nannen-Jury begründete die Auszeichnung der “Bild”-Recherche auch mit der “Fallhöhe”. Das klingt merkwürdig inkonsequent. 2011 ist beispielsweise eine Kollegin für eine Artikelserie ausgezeichnet worden, die in anderen Medien so gut wie keinerlei Widerhall gefunden hat. Schlimmer noch, der damalige Hauptinformant erschien Kollegen ls zu windig, um auf ihn eine Geschichte zu stützen.
Ebenso abenteuerlich war diesmal zumindest der Hinweis, der die Recherche auslöste. Christian Wulff soll sich sein eher bescheidenes Klinkerhaus in Grossburgwedel von Carsten Maschmeyer finanziert haben lassen. Dass Wulff knapp bei Kasse war, wussten in Hannover viele. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass er sich das Geld ausgerechnet vom schillerndsten Multimillionär ganz Niedersachsens schenken lassen würde?
Dennoch versuchten “Bild”, “Stern” und “Spiegel” diese Geschichte zu recherchieren. Doch schon beim Grundbuchamt war Schluss mit der investigativen Recherche. Die Behörde verweigerte jede Einsichtnahme. Der Spiegel klagte durch alle Instanzen, bekam schliesslich Recht – und war doch anschliessend so schlau wie zuvor. Das Grundbuch gab nichts her. Wulff hatte eine Buchgrundschuld auf seinen Namen eintragen lassen, immerhin höher als der Wert des Hauses, was dafür sprach, dass er über kein Eigenkapital verfügte. Später, so ging aus den Eintragungen hervor, kam die BW-Bank ins Spiel. Aber keine Spur von Maschmeyer oder einem anderen Gönner.
Was also tun? Verdeckt weiter recherchieren, auf andere Quellen hoffen? Oder den Beteiligten selber fragen – und so die bislang verdeckte Recherche gegenüber dem Betroffenen aufdecken? Der “Spiegel” wartete ab, “Bild” und “Stern” entschieden sich fürs direkte Fragen. Sie fragten Wulff selber nach einem möglichen Geldgeber.
Ein solcher Weg ist eigentlich nur vielversprechend, wenn man gegen den Verdächtigten schon einige “Beweise” in der Hand hat. Denn wieso sollte etwa Wulff einräumen, dass er sich von Maschmeyer hat kaufen lassen? Jedenfalls hatten “Bild” und “Stern” Glück, dass Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker einer fatalen Fehleinschätzung erlag. Er offenbarte den Namen des Geldgebers, weil er glaubte, damit die ganze Geschichte aus der Welt schaffen zu können. Denn mit Maschmeyer hatte die Finanzierung bekanntlich nichts zu tun.
“Bild” wusste mit der Info nichts Richtiges anfangen. Sie schwurbelte dann in der Überschrift von “Wirbel um Privatkredit”, und schob den Artikel nur an den Rand der Titelseite. Ein Erfolg zwar, aber nicht der erhoffte.
Den Verdacht, dass die Eheleute Geerkens, die wohl tatsächlich bezahlt haben, von dem Geschäft profitierten, konnte niemand belegen. Auch, wie es zu der Umschuldung zur BW-Bank kam, blieb im Dunkel – wie fast alle weiteren Umstände im Fall Wulff.
Der Bundespräsident beklagte sich im Fernsehen, die Journalisten hätten hunderte Fragen gestellt. Nachprüfbar beantwortet hat er nur eine einzige: die Frage nach dem Kreditgeber Geerkens.
Auch sonst brachte die investigative Recherche nicht viel zustande. Mal beschäftigten sich die Medien miteinander, wie im Fall von Wulffs Mailbox-Anruf. Mal nahmen sie die Ex-Ehefrau Wulffs ins Visier, weil ihr ein ehemaliger Nachbar Wulffs einen Job verschafft habe. Als ob die arme Frau nicht auch in dem Haus gewohnt und den Mann ebenfalls gekannt hätte. Zu guter Letzt inszenierte sich “Bild” noch selbst, als das Blatt mit Wulff nach Italien reisten und ihn über den “Rubikon” begleiten konnte.
Ganz aus dem Blick geriet dabei, weshalb Wulff tatsächlich zurücktrat. Die zunächst zögerliche Staatsanwaltschaft Hannover beantragte die Aufhebung seiner Immunität. Den Schritt hatte aber nicht etwa ein “Bild”-Bericht ausgelöst. Die niedersächsische Staatskanzlei übergab den Ermittlern Akten über ein Bürgschaftsgeschäft mit dem Filmunternehmer Groenewold. Diese Papier hat kein Journalist aufgespürt oder je zu sehen bekommen. Für die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft war dies jedoch
ein Signal.
Die Wahrheit ist nämlich: Die Diskussion um Wulff wurde für seinen Nachfolger David McAllister im heraufziehenden Landtagswahlkampf zu riskant. Womöglich hätte ein Untersuchungsausschuss tatsächlich Unangenehmes herausfinden können.
Der letzte Akt blieb dennoch “Bild” vorbehalten. Die Kollegen vom Boulevard schafften, woran anderen Medien zuvor scheiterten: Die drängten den ermittelnden Staatsanwalt, der eigentlich zu seinem Schutz anonym bleiben wollte, ein Foto von sich und seinen Lebenslauf preis zu geben. Hätte er das nicht getan, hätte Bild in seiner Nachbarschaft, bei Kollegen und Freunden recherchiert. So aber konnte das Blatt einen nicht gerade preisverdächtigten Bericht über den “mutigen Staatsanwalt” bringen.

Michael Fröhlingsdorf ist Spiegel-Redakteur mit Schwerpunkt Niedersachsen.

21. Mai 2012 – 
Johannes Ludwig

Investigativ bedeutet: dranbleiben und nicht aufgeben

Was da derzeit an Auseinandersetzungen läuft, ist geradezu klassisch. Lernt jeder Management-Student im ersten Semester: Wenn man bei (sehr) unterschiedlichen Gruppenmitgliedern vorher keine klaren Spielregeln festlegt, kommt es (schnell) zum Streit.
So wie man Pressefreiheit nicht teilen kann, also etwa Freiheitsrechte nur für die ‚guten‘ Medien einräumt, nicht aber für die weniger guten oder gar für die ‚schlechten‘, und so wie unsere Karlsruher Verfassungshüter dies aus gutem Grund praktizieren, ist es auch mit dem „investigativen” Journalismus. Oder auch anderen Genres. „Investigativ” definiert sich über klare Kriterien – egal, wer sie anwendet. Trotz klarer Definition(en) kann es natürlich zu Meinungsverschiedenheiten über deren Interpretation im Einzelfall geben. Wer sich beispielsweise anschaut, wer in den fragliche(n) Jury(s) sitzt und entscheiden darf, merkt schnell, dass diese unterschiedlicher nicht besetzt sein könnten. Allein Helmut Markwort und Georg Mascolo stehen für (sehr) unterschiedliche Nachrichtenmagazinkonzepte – Focus-Leser sind keine SPIEGEL-Leser und umgekehrt: Was für die Gesellschaft „relevant” ist oder nicht, das definieren beide (sehr) unterschiedlich.
Genau das aber ist – zumindest in der Kommunikations- und Medienwissenschaft – ein weiteres, ganz entscheidendes Merkmal für „investigativen Journalismus” – im Gegensatz zum Sensationsjournalismus oder Paparazzi-Praktiken.
Die Wulff-Affäre ist ganz ohne Zweifel „relevant“. Deswegen lässt sich die Frage, ob die BILD-Zeitung „investigativ” recherchiert hat und zu Recht auf der Liste der Kandidaten stand, nur darüber festmachen, ob sie ordentlich „investigativ” gearbeitet hat. Mir liegen die Rechercheprotokolle nicht vor. So wie ich das aber verstanden habe, war es der SPIEGEL, der sich durch alle Instanzen geklagt hat, um ein Recht einzufordern, mit dem die Wirtschaftswoche bereits im Jahr 2000 zuvor einen juristischen Sieg davongetragen hat, nämlich dass Journalisten in Grundbücher Einblick nehmen dürfen. Investigativ bedeutet eben auch: dranbleiben und nicht aufgeben, auch wenn’s schwierig oder zeitraubend wird.
Allenfalls hier könnte sich eine ‚Schwachstelle‘ verbergen, denn BILD war ja nicht von Anfang an auf der kritischen Spur von Wulff. Und über ihren Richtungswechsel hat sie wenig kommuniziert. Aber da sind wir wieder bei den Spielregeln der Jury, die es offenbar so nicht gibt. Und deshalb sollte diese Henri-„Affäre” Anlass sein, hier Klarheit zu schaffen, auch wenn das regelmäßig schwieriger ist, so etwas a) im Nachhinein und b) auch noch im Konsens zu tun. Wenn selbiges nicht gelingen sollte, könnte man darüber nachdenken, die Gruppenmitglieder in Gestalt der Jury auszutauschen, einen Neustart sozusagen ausprobieren.
Zu solchen neuen Usancen könnte auch gehören, detaillierter zu begründen, auch Dritten gegenüber, warum der eine einen Henri zugesprochen bekommt und warum ein anderer nicht. Das muss nicht immer in der Ausführlichkeit geschehen, wie die Kandidaten dies der Jury gegenüber tun, schon aus Gründen des Informantenschutzes wegen. Aber trotzdem ist es auch für Außenstehende regelmäßig hochinteressant und spannend, nicht nur die Geschichte, sondern auch ihr Making-of zu kennen. Dies ist die Erfahrung, die wir seit fast zehn Jahren bei der (ausführlichen) Dokumentation des „Wächterpreises der Tagespresse” machen (www.ansTageslicht.de/Waechterpreisarchiv). Mittels Transparenz bzw. besser gesagt: über die Vollständigkeit und das bessere Verstehen einer Geschichte durch Kenntnis, wie sie entstanden ist und warum dieses so schwierig war, sie zu recherchieren, ließe sich übrigens auch mehr Akzeptanz generieren: für solche Geschichten, aber auch für die Einsicht eines fairen Kostenbeitrags des Lesers oder Users. Aber das ist ein (ganz) anderes Thema …
Zurück zur Henri-„Affäre”: Ich denke, jene, die „Probleme” haben, dass sie sich einen Preis mit der BILD teilen müssten, sollten dies journalistisch ein wenig sportlicher angehen. 2004 beispielsweise wurde der erste „Wächterpreis” dem Berliner Tagesspiegel und der BILD-Zeitung (Redaktion Frankfurt/M.) zuerkannt – für eine Geschichte, an der beide gleichermaßen erfolgreich ‚dran‘ waren (www.ansTageslicht.de/Folterdrohung).
An diesem Umstand haben sich damals weder der Tagesspiegel gestört noch Leyendecker und Richter, als letztere drei Jahre später, 2007, einen Wächterpreis zugesprochen bekamen (www.ansTageslicht.de/CIA). Und ihn (sogar) in Empfang genommen hatten.

Johannes Ludwig, Jahrgang 1949, ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg.

18. Mai 2012 – Christoph Schwennicke

Bild ging die entscheidenden fünf Meter weiter

Es ist eine sehr seltsame Debatte, die da geführt wird zur Frage, ob es per se sein kann, dass die Bild-Zeitung einen renommierten Recherchepreis bekommen darf. Die Argumente der Gegner lassen sich so zusammenfassen: Erstens darf ein Schmutzblatt wie Bild nie einen ehrwürdigen Preis bekommen, und zweitens war das keine große Rechercheleistung, sondern ein geschnorrter Scoop.

Beide Argumente sind großer Unsinn. Bild ist nicht für seine Lebensleistung ausgezeichnet worden, sondern für die Meldung über einen fragwürdigen Hauskredit von Christian Wulff. Diese Geschichte löste eine weitere Recherchelawine aus, die den Bundespräsidenten am Ende unter sich begrub.

Ja, es ist richtig, dass der Spiegel die Tür aufgestoßen hatte, durch die die Bild-Leute dann gegangen sind. Ja, der Spiegel hatte lange und akribisch recherchiert und sich und damit auch anderen auf dem Rechtswege Einsicht in die entscheidenden Unterlagen verschafft.

Aber dann hat der Spiegel aufgehört, weil ihm die Sache mit dem anonymen Kreditgeber nicht komisch vorkam. Bild aber, Blut in der Nase, setzte nach und hatte Erfolg, sprich: fand heraus, dass es sich um Geld von Herrn Geerkens, einem befreundeten Unternehmer Wulffs handelte.

Ja, der Spiegel hatte hundert Meter mühsam, zurückgelegt, die entscheidenden fünf Meter weiter aber ging Bild. Diesem Umstand die Rechercheleistung abzusprechen ist schäbig. Wenn es einem Forscher eines Tages gelingt, Krebs zu heilen, dann hat er den Nobelpreis für Medizin sofort verdient, obwohl sein Forschungsdurchbruch auf hunderten von Jahren vorangegangener Forschung und den Erkenntnissen tausender Kollegen fußt.

Und das Argument, Bild sei zu schäbig, um einen ehrwürdigen Preis fällt auf jene zurück, die es aussprechen. Übrigens sind es durch die Bank Vertreter eine Generation und einer Geistesschule, die bei Bild und Springer immer noch Schaum vorm Mund haben wie tollwütige Hunde.

Auch gegen dieses Argument, nennen wir es das Vollmer-Argument, hilft ein einfaches Gedankenspiel. Nehmen wir an, ein verurteilter Mörder kommt nach seiner Entlassung an einen Unfallort und rettet einem Schwerverletzten per Erster Hilfe das Leben. Ist er nun ein Lebensretter, oder kann er das gar nicht sein?

Die Geschichte über Wulffs Haus in Großburgwedel war der Scoop des vergangenen Jahres. Bild hat diesen Preis zwangsläufig und zu Recht bekommen. Der Preis geht nicht in erster Linie an Bild als Zeitung, sondern an die Rechercheure und Autoren dieser Geschichte. Das ist alles völlig in Ordnung so. Wäre die Geschichte in den St-Pauli-Nachrichten gestanden oder in Super Illu, dann hätten die St-Pauli-Nachrichten oder die Super Illu diesen Preis ebenso zwangsläufig bekommen müssen.

Christoph Schwennicke, 46, ist Cicero-Chefredakteur.

17. Mai 2012 – Nicolas Richter

Warum wir abgelehnt haben

Im vergangenen Jahr hat der Schauspieler Ottfried Fischer in einem Interview von seinen Erlebnissen mit Bild erzählt. Als er einmal eine Affäre hatte, meldete sich ein Bild-Reporter bei ihm und sagte sinngemäß: „Wir haben hier ein paar Fotos, die Sie mit einem Bikini-Mädchen zeigen. Wir haben das jetzt erst mal vom Markt genommen. Was machen wir denn jetzt?“. Fischer sagte, da mache man jetzt gar nichts, denn sonst sei seine Ehe kaputt. Der Reporter soll nach Fischers Erinnerung geantwortet haben: „Das schreiben wir schon so, dass Ihre Frau nicht so einen großen Schreck bekommt.”

Die Bild gibt sich gerne nett. Wer es mit ihren Reportern zu tun bekommt, berichtet von höflichen, zuweilen sogar vorgeblich fürsorglichen Menschen. Ob man ein Exklusiv-Interview haben, oder gemeinsam eine schöne „home story“ machen könne, heißt es dann ganz unschuldig. So ähnlich hat Bild auch unlängst bei Fischer angefragt. Ob er sich nicht zu einem Abenteuer mit Prostituierten äußern wolle, bei dem er betrogen worden war und das Bild öffentlich gemacht hatte. In diesem Zusammenhang wies der Bild-Redakteur laut Anklage der Staatsanwaltschaft München darauf hin, dass er einen Film aus der Unterwelt besitze, der Fischer mit den Prostituierten zeige.

Fürsorge? Oder Nötigung? Oder eine Art journalistische Schutzgelderpressung? Schutzgelderpresser drohen nie offen. Sie kommen mit einem Goldfisch ins chinesische Lokal und erkundigen sich beim Wirt, ob er nicht gegen viel Geld den Fisch haben möchte. Das Restaurant sei doch so schön und der Fisch freue sich auch.

Ähnlich läuft es in manchen Niederungen des “People-Journalismus”: Niemand droht offen, aber die  Zwischentöne, Andeutungen oder guten Ratschläge werden von Prominenten immer wieder eindeutig verstanden – so, dass Gefahr im Verzug ist. Wenn Bild jemanden fallen lässt, dann fällt der oft sehr tief.

Ich habe es mit meinen Kollegen Hans Leyendecker und Klaus Ott abgelehnt, den Henri-Nannen-Preis für die beste Rechercheleistung mit Bild zu teilen, weil ich bestimmte Recherchemethoden der Bild ablehne. Ich möchte nicht mit einem Blatt geehrt werden, das im Privatleben von Prominenten oder Halbprominenten wildert, das die Schwächen oder Fehltritte von Schauspielern und anderen Sternchen ausnutzt, um an sogenannte Exklusiv-Interviews zu gelangen. Es geht nicht darum, sich moralisch oder intellektuell über „den Boulevard“ zu erheben, noch über alle Kollegen, die bei Bild arbeiten. Wir möchten uns aber von Recherchetechniken distanzieren, die zum Beispiel im Fall Fischer nach Strafprozessen in drei Instanzen noch immer unter dem Verdacht stehen, kriminell gewesen zu sein. Viele ähnliche Fälle soll es geben, aber sie erreichen die Justiz meist gar nicht. Fischer hat den Bild-Reporter vielleicht nur deswegen angezeigt, weil ihm die Huren-Artikelserie ohnehin schon seine Würde genommen hatte.

Bild gibt sich immer nett, und  neuerdings auch seriöser. Das nackte Mädchen ist von der ersten Seite verschwunden, Recherchen zu Afghanistan oder zum Bundespräsidenten wirken wie ein Bemühen, politisch ernst genommen zu werden. Manche behaupten jetzt, ein Journalistenpreis ermutige die Bild, auf diesem Weg voranzuschreiten. Sie übersehen, dass solche Preise kein Geschäftsmodell in Frage stellen, sondern es stärken. Das Geschäftsmodell der Bild ist es, mit Indiskretionen ohne jede gesellschaftliche Relevanz Geld zu verdienen. Auch mit Vorverurteilung, Häme, Bloßstellung. Zuweilen auch damit, dass Bild auf Leute eintritt, die schon am Boden liegen. Als das CIA-Entführungsopfer Khaled el-Masri Straftaten beging, nannte Bild ihn „irre“ und einen „durchgeknallten Schläger“. Das Landgericht Berlin hat Bild vorgeworfen, in der Redaktion suche man seinen wirtschaftlichen Vorteil bewusst darin, dass man die Persönlichkeitsrechte anderer verletze. Ähnliches steht in etlichen, stets folgenlosen Rügen durch den deutschen Presserat.

Investigativer Journalismus kann weh tun, er kann Karrieren beenden, er kann Mächtige stürzen, er kann Manager ihr Vermögen kosten, kann sie sogar ins Gefängnis bringen. Aber er darf Menschen nie ihrer Ehre, ihre Würde berauben.

Vorbildlich sind deswegen die Recherchen des britischen Kollegen Nick Davies, der im Guardian die hochgradig kriminelle Ausforschungs- und Bloßstellungsmaschinerie der Murdoch-Presse offengelegt hat. Davies hat den Henri-Nannen-Preis für Pressefreiheit verdient. Das ist eine tiefe, ganz persönliche Überzeugung. Eine ganz persönliche Entscheidung war es auch, den Recherche-Preis nicht zusammen mit Bild anzunehmen.

Nicolas Richter, 38, ist stellvertretender Ressortleiter für investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung in München.

16. Mai 2012 – Christian Bommarius

Die Bild-Zeitung ist kein Journalismus

Manche Zeitungen leben von Exklusivberichten, andere von ihrem interessanten Lokalteil, die Bild-Zeitung ernährt sich von Rufmord, Manipulation und Lüge. Gäbe es keine Leser, die auf ihrer täglichen Ration üble Nachrede und Häme, nackte Brüste und Nutten-Inserate bestehen, bräche das Geschäftsmodell des Blattes schlagartig zusammen. Das ist kein polemisches Werturteil über die größte Zeitung der Republik, sondern die umgangssprachliche Übersetzung eines Revisionsurteils des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1981, in dem die Richter im Boulevard-Blatt „Fehlentwicklungen eines Journalismus” erkannten, der die Aufgabe der Presse und deren Verantwortung aus dem Auge verloren habe. Die Entscheidung – obwohl über dreißig Jahre alt – ist noch immer aktuell. Es genügt ein Blick in eine beliebige Ausgabe, um sofort zu erkennen, dass alle tatsächlichen oder vermeintlichen Versuche des Springer-Verlags und der Chefredaktion, dem Blatt den Gossengeruch auszutreiben, zum Scheitern verurteilt sind. Denn die Gosse ist – wie es Gerhard Henschel vor ein paar Jahren eindrücklich beschrieb – nicht nur die Geschäftsgrundlage und das Hauptbetätigungsfeld der Bild-Zeitung, sondern ihre Herkunft, von der man sich im besten Falle distanzieren, aber niemals lösen kann. Mit anderen Worten: Die Bild-Zeitung ist kein Journalismus, sondern seine Perversion.

Daran ändert, nur nebenbei bemerkt, auch nichts der Hinweis, die gesamte Branche sei mittlerweile von der Liebe zum Boulevard ergriffen und die Bild-Zeitung in weiten Kreisen der bürgerlichen Welt als Tageszeitung anerkannt wie der Pornofilm als Betthupferl. Was das Letztere betrifft, so besagt das nichts über die gestiegene Qualität der Bild-Zeitung, aber einiges über die herabgesunkene Qualität des deutschen Bürgertums. Und was die Annäherung der gesamten Branche an den Boulevard betrifft: Die Entwicklung etlicher Medien – nicht nur im Fernsehen, zunehmend auch in Zeitungen – lässt sich kaum bestreiten, aber ebensowenig bestreiten lässt sich der Unterschied von Boulevard und Gosse. Auf dem Boulevard flaniert, wer dem Schmutz des Rinnsteins entkommen will.

Es gäbe überzeugende Gründe, die Bedingungen für die Teilnahme am Henri-Nannen-Preis um den Satz zu ergänzen: „Ausgeschlossen von der Teilnahme sind Mitglieder der Redaktion der Bild-Zeitung.” Warum das nicht geschehen ist, kann nur vermutet werden. Denkbar ist die begründete Befürchtung der Preis-Ausrichter, sich mit einer „Lex Bild” eben dem Vorwurf auszusetzen, den sie bei anderer Gelegenheit dem „Drecksblatt” (Leyendecker) machen – unliebsame Personen und Einrichtungen bedenkenlos öffentlich in die Tonne zu treten. Wahrscheinlich aber spielte vor allem die Erwartung eine Rolle, kein Bild-Redakteur würde jemals eine journalistische Arbeit in einer der fünf Kategorien zustande bringen, die einer Jury, der Lichtgestalten und Sprachathleten wie Ulrich Reitz und Helmut Markwort angehören, preiswürdig erscheinen könne. Wäre es so, dann hätte sich die Hybris in diesem Jahr fürchterlich gerächt.

Ob der von der Jury ausgezeichnete Beitrag zweier Bild-Redakteure tatsächlich die „Beste investigative Leistung” des deutschen Journalismus im Jahr 2011 gewesen ist, steht hier nicht zur Debatte. Anders die Frage, ob die Teilnahme am Henri-Nannen-Preis Bild-Redakteuren erlaubt, ihre Auszeichnung aber allein mit der Begründung verweigert werden kann, ihr Beitrag sei in der Bild-Zeitung erschienen. Das ist natürlich Unsinn, vor allem aber handelt es sich offensichtlich um ein Scheinproblem. Würde ein Literaturpreis ohne besondere Teilnahmebeschränkungen zu dem Thema ausgelobt „Innenansichten eines Mörders” und stellte sich später heraus, dass der poetischste, empathischste, kompromissloseste, überzeugend brutalste und deshalb von der Jury mit dem ersten Preis bedachte Beitrag von der Hand eines Mörders im Dunkel einer Zelle geschrieben worden ist, würde das Feuilleton die Authentizität des Textes und den Mut der Jury loben, und niemand – ausgenommen der Bund der Strafvollzugsbediensteten – würde die Preiswürdigkeit des Gerühmten bezweifeln. Warum sollte für Bild-Redakteure anderes gelten? Sie sind zuhause in der Welt der Lüge, des Zwielichts und der Manipulation, hier haben sie sich umgesehen und nach Ansicht der Jury am Beispiel Christian Wulffs Bemerkenswertes herausgefunden und beschrieben. Rühmen wir also die Authentizität des prämierten Beitrags und den Mut der Jury.

Christian Bommarius, Jahrgang 1958, ist Autor der DuMont-Redaktionsgemeinschaft.

12. Mai 2012 – Oliver Schröm und Markus Grill

Nach Nannen-Eklat: Zeit zum Umdenken

Das Netzwerk Recherche, der Verein investigativer Journalisten in Deutschland, kritisiert die Vergabe des Henri-Nannen-Preises in der Kategorie “Investigative Recherche”. Der Jury des Nannen-Preises fehlt offenbar zum wiederholten Mal ein klares Verständnis für die journalistischen Kriterien. Im Fall der Auszeichnung der “Bild”-Zeitung verwechselt sie einen erfolgreichen “Scoop” mit der besten investigativen Leistung.

“Investigativ arbeiten” heißt nicht, wie die Jury offenbar glaubt, eine möglichst skandalträchtige Schlagzeile zu produzieren oder von anderen Medien möglichst oft zitiert zu werden. Das sind allenfalls Begleiterscheinungen. “Investigativ arbeiten” heißt vor allem, ein gesellschaftlich relevantes Thema hartnäckig zu verfolgen, gegen Widerstände zu recherchieren, dabei neue Erkenntnisse zu gewinnen und sie verständlich zu präsentieren. Also journalistische Aufklärung im besten Sinne zu betreiben.

Die Aufdeckung der Hintergründe um den Privatkredit des Bundespräsidenten Christian Wulff durch die “Bild”-Zeitung war verdienstvoll und richtig. Dennoch war sie nach den oben genannten Kriterien nicht die beste investigative Leistung des vergangenen Jahres.

Wenn der Henri-Nannen-Preis seinem Selbstverständnis als wichtigster deutschsprachiger Journalistenpreis in Zukunft noch gerecht werden will, muss er seine Entscheidungsfindung ändern. Er sollte sich dabei am Pulitzer-Preis der USA orientieren. Ähnlich wie beim Nannen-Preis wählen in den USA zunächst fachlich qualifizierte Vorjurys diejenigen Artikel aus, die in die engere Wahl kommen. Die Hauptjury, die anschließend über die Vergabe entscheidet, besteht aber nicht wie in Deutschland aus 15 Chefredakteuren und Prominenten, sondern aus meist sieben Fachleuten pro Kategorie (beispielsweise erfahrene investigative Journalisten und frühere Preisträger). Über der Fachjury sitzt beim Pulitzer-Preis zwar noch ein Board, dass sich in der Regel aber an das Votum der Fachjury hält und nur in Ausnahmefällen eine andere Entscheidung trifft. Sowohl die nominierten Beiträge als auch die Zusammensetzung der Jury sind bis zur Bekanntgabe der Gewinner geheim, um Einflussnahme und Lobbying zu verhindern.

Dieses Verfahren führt dazu, dass beim Pulitzer-Preis Fachleute entscheiden und nicht Generalisten nach Gefühlslage oder Proporzdenken wie viel zu oft beim Henri-Nannen-Preis.

Oliver Schröm leitet das Team Investigative Recherche beim stern und ist Erster Vorsitzender von Netzwerk Recherche.
Markus Grill ist Reporter beim Spiegel und Zweiter Vorsitzender von Netzwerk Recherche.

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25. 1. 2012
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Wulff schickte Weihnachtspost

nr-Fachkonferenz PR und Journalismus – zwischen Konfrontation und Kooperation

Sie liefern Hochglanzbilder für Fernsehredaktionen, sendefähige Gratis-Beiträge für Radiosender, Meldungen für die auf Hochtouren laufende Nachrichtenmaschinerie: die Public-Relations-Profis in Deutschland. Sie propagieren den Dialog – doch bei unangenehmen Fragen blocken sie ab, oft genug behindern sie Recherchen und vernebeln die Fakten. Abseits der Öffentlichkeit geben PR-Berater den Themen einen Spin, der von Konzernen oder Politikern gewünscht wird, sie entwerfen Pläne für Kampagnen und Kommunikationsfeldzüge, arbeiten immer wieder auch verdeckt an der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Weiterlesen

Grußwort von Thomas Krüger (2010)

Das Gewissen unserer Zeit – von Thomas Krüger

Grußwort beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche 2010: „Fakten für Fiktionen. Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen“,
9./ 10.Juli 2010 in Hamburg

„Nichts ist mehr so, wie es einmal war“ – mit diesem geflügelten Wort beschreiben Menschen seit dem 11. September gelegentlich Zäsuren von weltpolitischem Ausmaß. Es ließe sich aber ebenso gut auf die mediensystemischen Verwerfungen anwenden, die wir aktuell erleben: Die Wirtschaftskrise hat offenkundig Spuren hinterlassen – und sie ist nicht vorüber, jedenfalls noch nicht ganz.

Die Zeiten ändern sich radikal, auch und vor allem im Journalismus. Und lassen Sie mich dazu eines gleich vorwegschicken: Die Revolution durch das Internet ist keine Schimäre – und sie war es auch nie. Sie ist plötzlich greifbar geworden, überaus konkret und nicht mehr so abstrakt wie noch vor einigen Jahren. Wir merken inzwischen stärker am eigenen Leib, wie uns diese Veränderungen im Alltag begegnen: am Arbeitsplatz, auf Reisen, im Supermarkt, in der Behörde, aber auch in der täglichen Kommunikation mit unseren Freunden. Das Netz ist also längst kein Nebenthema mehr, sondern es prägt jeden Bereich unseres Lebens – im Positiven wie im Negativen.

Das Internet hat unsere Gesellschaft inzwischen fest im Griff. Ob wir diesen nun als Würgegriff empfinden oder ihn uns als Griff einer Tür vorstellen, hinter der sich Welten mit unglaublichen Möglichkeiten verbergen, liegt wie so oft im Auge des Betrachters. Es hängt aber zu einem wesentlichen Teil auch davon ab, ob dieser Betrachter einen professionellen Bezug zum Internet hat oder nicht.

Der Journalismus gehört zu jenen Berufen, die von den Umwälzungen durch das Internet mit Abstand am Stärksten betroffen sind. Dass sich dieser Wandel zum jetzigen Zeitpunkt in erster Linie negativ auf die ökonomische Situation der Medien auswirkt, ist zum Teil sicher fremdverschuldet. Der ökonomische Negativtrend ist allerdings kein Naturgesetz, sondern auch eine Konsequenz der Unterlassungssünden von Verlagen und Medienunternehmen. Die Verleger und Medienunternehmen haben es versäumt, frühzeitig Bezahlmodelle für ihre Online-Inhalte zu etablieren, um damit eine eigenständige Online-Qualität ihrer Angebote zu sichern. Jetzt müssen die Journalisten plötzlich zusehen, wie sie sich in Zukunft gegenüber nicht-journalistischen Informations- und Unterhaltungsangeboten behaupten, und müssen sich arg verspätet damit befassen, wie sich der technologische Wandel insgesamt auf das mediale und damit unser politisches System auswirken könnte.

In meiner Wahrnehmung ist es ein Paradoxon, dass heute zwar gerne und viel von Medienkonvergenz geredet wird, aber dass das Verständnis darüber, was das konkret bedeutet und welche Regeln gelten, im Journalismus erst schwach ausgebildet ist. Das, was jahrzehntelang getrennt war, wächst im Internet zwangsläufig zusammen. Und weil sich Journalisten jahrzehntelang entweder mit Wort, mit Ton oder Bild beschäftigt haben, neigen sie häufig dazu, die Probleme des Journalismus nicht im Großen und Ganzen zu betrachten, sondern aus ihren jeweils unterschiedlichen Gattungen – ob Presse, Radio oder Fernsehen – heraus zu interpretieren. Im Netz aber vermischen sich die hergebrachten Medien und darin liegt auch eine immense Chance, den Journalismus weiterzuentwickeln.

Ich gehöre jedenfalls nicht zu denjenigen, die das Internet und diejenigen, die es nutzen, per se verteufeln. Die Hybris, die manche Journalisten an den Tag legen, wenn sie wahllos auf Blogger oder Kommentatoren schimpfen, ist nicht nur töricht, sondern auch gefährlich: Wer die Bedürfnisse der Nutzer und Leser nicht ernst nimmt, wird sie auf Dauer verlieren. Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten zugunsten der Letzteren verschiebt – und damit müssen Sie als Journalisten umgehen.

Der Siegeszug des Internets hat den Printjournalismus in eine Identitätskrise gestürzt – an der die Branche jedoch eine Mitschuld trägt. Denn ob das Internet nun gut oder schlecht für den Journalismus ist, hängt ja davon ab, ob und wie man es professionell einsetzt. Es kann aber, soviel ist sicher, durch seine spezifische Beschaffenheit im Vergleich zu anderen Medien, das Erscheinungsbild journalistischer Angebote und deren handwerkliche Qualität entscheidend aufwerten.

Es gibt natürlich auch die Kehrseite des Internet, die Sie alle aus Ihrer beruflichen Praxis kennen: Die subkutanen Einflüsse auf den Journalismus durch gesteuerte PR-Informationen häufen sich und gefährden die journalistische Integrität. Die zunehmende Verschmelzung von Informations- und Entertainment-Industrie bleibt auch für den Journalismus nicht folgenlos – mitunter sind diese beiden Ebenen kaum mehr trennscharf; und nichtsdestoweniger hat das Internet auch die Expertenkultur revolutioniert, indem immer häufiger Informationen von selbst ernannten Experten an die Adresse der so genannten „seriösen Medien“ gelangen und von dort ungeprüft weiter verbreitet werden.

Die Tagung des Netzwerk Recherche behandelt also ein hochsensibles, statisch aufgeladenes Reizthema, das alle genannten Problemzonen des Journalismus – von der Bequemlichkeit der Journalisten über die PR-Durchdringung bis hin zur Experteninflation – streift und über das nicht immer gerne gesprochen wird.

Sie kennen vielleicht noch die unrühmliche Anekdote über einen renommierten Politikwissenschaftler, der kurz nach dem 11. September 2001 von einem Praktikanten interviewt werden sollte: Der Praktikant, der für eine große deutsche Sendeanstalt arbeitete, wurde mit einem Kamerateam in das Büro des Politikwissenschaftlers geschickt, um einige O-Töne für einen Beitrag einzufangen. Die erste Frage des Praktikanten an den Politikwissenschaftler vor laufender Kamera lautete: „Ich bin nur der Praktikant des Senders. Haben Sie einen Vorschlag, was ich Sie fragen könnte?“ Der Politikwissenschaftler antwortete: „Was wollen Sie denn wissen, junger Mann?“ Der Praktikant entgegnete: „Ich habe keine Ahnung. Man hat mich hergeschickt, weil niemand sonst Zeit hatte.“

Diese Geschichte hat sich inzwischen bestimmt schon hundertfach in allen möglichen Nuancierungen wiederholt, vielleicht in mehr oder weniger drastischer Ausprägung. Nun war es in jenem Fall so, dass der Politikwissenschaftler auch wegen der Erfahrung mit seinen Studenten souverän mit der Situation umgegangen ist und der Praktikant schließlich doch mit guten O-Tönen zurück in die Redaktion kehren konnte. Ich hielte es aber für ein Signal höchster Alarmstufe, wenn heute noch auf diese Weise O-Töne im Hauptabendprogramm der großen Fernsehsender platziert werden könnten. Was wäre, wenn der Praktikant keinen Politikexperten interviewt hätte, sondern ein Mitglied von Al-Kaida oder einen Scientologen? Das hätte im einen wie im anderen Fall ganz böse ins Auge gehen können.

Ich will Ihnen noch eine andere kurze Begebenheit erzählen, diesmal aus der Presse: Ein bekannter Terrorexperte hat mir berichtet, er sei Ende 2005 von einer überregionalen Tageszeitung zu einem kurzen Interview zur Entführung von Susanne Osthoff im Irak gebeten worden. Damals ging bei einem Mitarbeiter der ARD in Bagdad eine Videobotschaft ein, in dem die Osthoff-Entführer von der Bundesregierung ein Ende der deutschen Unterstützung für den Irak forderten – mit einem Ultimatum von drei Tagen nach Ausstrahlung des Films im deutschen Fernsehen. Sie erinnern sich vielleicht, dass die ARD das Video damals nur als Standbild gezeigt hat, um sich nicht zum Mittäter des Geschehens machen zu lassen.

Der Terrorexperte erzählte mir jedenfalls, er sei vom stellvertretenden Chefredakteur der Tageszeitung angerufen worden, der ihn um ein kurzes Mail-Interview zu diesem Erpressungsversuch bat, das am Folgetag auf Seite eins als Beisteller zu einem größeren Aufmacher erscheinen solle. Der Experte hatte schon einige Statements zu ähnlichen Themen gegeben, daher betrachtete er die Anfrage als keine große Sache. Der stellvertretende Chefredakteur schickte ihm also einige Fragen per Mail, und der Terrorexperte beantwortete diese innerhalb kürzester Zeit. Nachdem er seine Mail abgeschickt hatte, erhielt er 10 Minuten später einen Anruf des Chefredakteurs der Zeitung, der ihn fragte, ob er denn die Sache wirklich so sehe wie beschrieben, denn man müsse doch das und das noch bedenken. Und ob er nicht etwas mehr zu den Umständen sagen könne, wie Terroristen die Medien eigentlich für ihre Zwecke benutzten. Der Experte sagte: „Nein, das sehe ich tatsächlich so, und wenn ich Ihnen noch mehr darüber erzähle, wie Terroristen Medien instrumentalisieren, besteht doch die Gefahr, dass es Nachahmungstäter gibt, und deshalb möchte ich das nicht.“ Der stellvertretende Chefredakteur gab sich aber mit der Antwort nicht zufrieden und insistierte: Wenn es bei der Aussage bliebe und er nicht mehr dazu sagen wolle, müsse er sich möglicherweise nach einem anderen Experten umschauen. Dem Terrorexperten wurde das nun allmählich zu bunt, und er sagte dem stellvertretenden Chefredakteur: „Wenn Sie wirklich in einem Interview Anleitungen für Terroristen abdrucken wollen, handeln sie grob fahrlässig und verantwortungslos. Außerdem werde ich Ihre Recherchemethoden publik machen und meine Kollegen warnen.“ Der stellvertretende Chefredakteur legte schweigend auf, das Interview erschien am nächsten Tag in der Originalfassung.

Dieses Beispiel hat es in sich. Es verdeutlicht zum einen, dass sich Journalisten hin und wieder die Realität zurechtbiegen, wenn sie ihnen nicht passt – und das nicht nur auf Ebene von Praktikanten, sondern offenbar an höchster Stelle. Das Ganze nennt man wohl Thesenjournalismus, wenn Redaktionen wild herumtelefonieren, um geeignete Statements einzusammeln, die die These eines Beitrags stützen oder widerlegen können. Zum anderen finde ich den beinahe aggressiven Ton, der hier angeschlagen wurde und die Drohung, das Interview nicht zu publizieren, wenn dessen Aussagen nicht geändert werden, alles andere als professionell. Es muss auf den Experten ja so wirken, als dürfe er seine Meinung nicht unabhängig äußern, weil er ansonsten damit rechnen muss, dass sie bei Widerworten gar nicht erst publiziert wird – obwohl er ja angefragt wurde. Ich glaube, es wird an diesem Beispiel klar, dass sich Experten auf gar keinen Fall zum Spielball journalistischer Interessen umfunktionieren lassen dürfen, weil sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Mein drittes und letztes Beispiel ist kurz. Es geht um all die Verlockungen und Halbwahrheiten im Internet, die eine neue Recherchekultur haben entstehen lassen. Sie alle erinnern sich noch an die Geschichte um den „falschen Wilhelm“, den ein Scherzbold als elften Vornamen des ehemaligen Bundeswirtschafts- und heutigen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg frei erfunden und in die Enzyklopädie Wikipedia eingegeben hatte. Mich hat damals erstaunt, wie viele so genannte „seriöse Medien“ diesen elften Vornamen ungeprüft übernommen haben, ohne zusätzliche Quellen zu konsultieren.

Bei diesem Beispiel handelt es sich keineswegs um eine Bagatelle. Denn dieser Hoax, also eine Falschmeldung oder ein Irrläufer, der über das Internet gestreut wird, sollte uns zweierlei zu denken geben: Dass das Wissen der Massen gelegentlich überprüft werden muss, weil die Möglichkeiten zur Manipulation im Internet schier grenzenlos sind. Und dass es heute umso mehr glaubwürdige, professionelle Informationsquellen geben muss, denen ich als Nutzer vertrauen kann. Die Vielstimmigkeit im Netz ist zwar urdemokratisch und stellt grundsätzlich einen Mehrwert dar – aber im Falle von wichtigen Nachrichten gilt umso mehr die Devise „Viele Hobby-Köche verderben den Brei“.

Das Ernüchternde aber ist: Auch im Journalismus selbst wird manipuliert, und zwar jeden Tag und in fast jeder Redaktion. Es hat mich nicht überrascht zu hören, dass es in vielen deutschen Redaktionen „Giftlisten“ gibt mit Namen von Experten, die nicht zu Wort kommen dürfen, weil ihre Meinung nicht der Redaktionslinie entspricht oder der Chefredakteur sie persönlich nicht leiden kann. Während einige Experten für Ihre Auftritte etliche hundert Euro Honorar bekommen, können andere noch nicht einmal einen feuchten Händedruck erwarten für die Bereitschaft, dem Publikum Auskunft zu geben. Jedes Jahr werden hunderte von Expertengesprächen geführt, von denen viele nicht gedruckt oder gesendet werden, weil sie den Redaktionen später aus inhaltlichen Gründen nicht mehr in den Kram passen oder ein anderer O-Ton prägnanter war. Viele Experteninterviews werden so lange frisiert und zurechtgestutzt, bis vom ursprünglichen Gespräch nur noch ein entstellter Korpus übrig bleibt. Ich weiß, dass viele Reporter von den Redaktionen mit dem Auftrag vor die Tür geschickt werden, um Statements einzuholen, die eine bestimmte These stützen sollen. Ich habe gehört, dass es in vielen Fernseh-Talkshows B- und C-Listen für Experten gibt, die zur Sicherheit von den Redaktionen angefragt, aber gleich wieder ausgeladen werden, sobald ein A-Listen-Experte zugesagt hat. Und schließlich kommt es auch vor, dass Experten letztlich auch den platten technischen Widrigkeiten zum Opfer fallen, weil das Licht falsch gesetzt oder der Kopf nicht richtig angeschnitten war.

Ich kann nur mutmaßen, dass einige Journalisten solche Redaktionsgeheimnisse gar nicht mehr schockieren, weil viele von ihnen das in ihren Redaktionen genau so praktizieren. Das sollte es aber, denn es verdeutlicht, wie unredlich manche Medien zunehmend arbeiten. Es zeigt nicht nur, dass die Performance und Sprachgewalt in der Expertenauswahl wichtiger sind als Kompetenz und Reflexionsniveau, sondern auch, dass sich Journalisten mitunter die Wirklichkeit zum Untertan machen wollen. Und ich meine damit nicht unbedingt die einschlägigen Medien der Boulevardfraktion – nein, es geht auch und gerade um die so genannten Qualitätsmedien. In vielen Redaktionen rangiert Prominenz heute weit vor Kompetenz. Es ist ein bedenkliches Signal, wenn hier sogenannte “Gesichtsbekannte” – so der Journalisten-Jargon – Experten, Politiker und andere Akteure den Vorrang erhalten. Hier ist es Zeit zum Umdenken. Im Zentrum der Expertenauswahl muss künftig das nachgewiesene Erfahrungswissen, die abgeklärte Substanz und die Validität der jeweiligen Analysen stehen.

Worauf ich hinaus will: Ich finde es wichtig und richtig, dass sich das Netzwerk Recherche selbstkritisch dieses heißen Themas angenommen hat. Der Journalismus genießt nicht mehr das Vertrauen, das er einmal hatte, das er sich über viele Jahrzehnte hart erarbeitet hat. Sein Publikum hat ihm großen Glauben geschenkt, und dieser Verantwortung sollte er sich bei jeder Zeile und Sendeminute bewusst sein. Journalisten sollten sich nicht als „Hohepriester“ der Information aufspielen, wie es der Internet-Experte Jeff Jarvis neulich im Interview mit Focus Online ausdrückte. Sie sollten niemals Begebenheiten und Ereignisse nach ihren Vorstellungen formen, sondern berichten, was Sache ist. Und sie sollten niemals die Privilegien ihres Berufes missbrauchen, indem sie sich durch ihr Herrschaftswissen Vorteile erschleichen. Wenn Journalisten dies nicht beherzigen, laufen Sie Gefahr, das in sie gesetzte Vertrauen endgültig zu verspielen.

Der Journalismus sollte sich stattdessen auf seinen kulturgeschichtlichen Stellenwert, seine ureigenen Talente, Tugenden und Techniken zurückbesinnen: der Recherche, der unabhängigen Prüfung von Quellen, der Hartnäckigkeit, Politikern auf den Fersen zu bleiben und der Fähigkeit, den Bürgern unsere komplizierte Welt näherzubringen und die Mitglieder unserer Gesellschaft zu integrieren, vor allem aber der wahrheitsgetreuen Darstellung, Spiegelung und Kommentierung von Gewesenem, Aktuellem und Kommendem. Journalisten sollten das sein, was sie schon immer waren: das Gewissen unserer Zeit – eine Instanz, der wir unser Vertrauen schenken und in dessen Hand wir die öffentliche Kontrolle und Kritik der Mächtigen unseres Landes aus Politik, Wirtschaft und Kirche legen können. Wenn Sie als Journalisten das weiterhin schaffen, brauchen wir uns vor einer Krise der Expertenkultur nicht zu fürchten.

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