Caroline Emcke auf der #nr17-Jahreskonferenz

Foto: Andreas Domma

In ihrem Buch „Gegen den Hass“ beschäftigt sich Carolin Emcke mit Ausgrenzung, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit. Als Journalistin und Autorin sieht sie sich selbst Anfeindungen und Hasskommentaren ausgesetzt. Welche Rolle Journalisten spielen sollten, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, erzählt sie uns im Gespräch. Von Minh Thu Tran, DJS

Sie haben vorhin auf der Podiumsdiskussion von einer neuen Qualität und Quantität von Hasskommentaren und Leserbriefen gesprochen. Warum hat sich das so entwickelt, woher kommt dieser Hass?

Carolin Emcke: Woher dieser Hass kommt, kann man allgemein gar nicht so gut sagen, weil es so viele unterschiedliche Personen und Konstellationen gibt – ob Leute in einer Partei organisiert sind, ob sie nicht in einer Partei organisiert sind, ob es sozusagen einzelne sind, die von zuhause losschreien – ich glaube, es gibt ganz unterschiedliche Motive. Mich beschäftigen die Motive auch gar nicht – mich interessiert die Logik dieses Hasses, mich interessiert die Mechanik: Wie sie sich bestimmte Opfer sucht, wie sie bestimmte Menschen nicht mehr als Individuen wahrnehmen, sondern einzelne Menschen nur noch als Angehörige von, also als Gruppen und Kollektive wahrnimmt. Das ist es eigentlich, was mich interessiert – also wie diese Ressentiments, dieser Hass als Mechanik funktioniert. Weil ich glaube, dass man mit diesem Verständnis diese Mechanik besser unterwandern oder untergraben kann.

Wie kann man diese Mechanik des Hasses unterwandern?

Carolin Emcke: Ich glaube, in dem man sich genau anschaut, wie diese Bilder konstruiert werden: Es gibt immer Blickregime, es gibt Begriffe und Bilder, in denen diese Gruppen diffamiert werden – also ob es Muslime sind, oder Migrantinnen und Migranten, Polizisten, oder DER Amerikaner. Man kann sich dann anschauen, wie diese Verknüpfungen gebaut werden – wie einzelne Begriffe immer assoziiert werden mit bestimmten Personengruppen. Und ich glaube das ist genau der Moment, wo kritischer Journalismus auch einschreiten oder darauf achten kann, dass man nicht dieselben Assoziationsketten reproduziert. Dass man nicht dieselben Bilder erzeugt. Dass man nicht jedes Mal, wenn es um Dealer in Deutschland geht, automatisch Schwarze oder Araber ins Bild setzt. Oder wenn es um Homosexuelle geht, dass man nicht nur Halbnackte vom Christopher Street Day nimmt – um jetzt sehr banale Beispiele zu nennen. Aber ich glaube, die Art und Weise, in der Journalismus auch Muster liefert und reproduziert – da haben wir eine sehr große Chance und auch sehr große Handlungsmöglichkeiten, diesem Rassismus und Antisemitismus beizukommen. Indem wir einfach diese Kollektive wieder aufdröseln, wieder differenzieren, und auch den Einzelnen wieder mehr sichtbar machen.

Heute stehen Journalisten immer mehr im Visier von Trollen, werden mit Hasskommentaren attackiert und diffamiert. In der Podiumsdiskussion bemängeln sie eine gewisse Haltungslosigkeit von Journalisten selber – welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Carolin Emcke: Wir können das Beispiel von Hajo Seppelt nehmen, der über Doping arbeitet, und über kriminelle Strukturen im Sport, und der das auch mit großem Engagement und Hartnäckigkeit seit sehr sehr vielen Jahren macht. Und natürlich braucht der eine Redaktion, die das unterstützt, und ihn nicht abschwächt, oder sich über ihn lustig macht, indem man sagt: „Der hat was gegen Sport“ oder „Der hat was gegen Russland“. Insofern glaube ich, ist es wichtig, dass in den Redaktionen selbst nicht so eine Selbstbeschneidung und Selbstverstümmelung stattfindet, indem man sich diese falschen Vorwürfe überstülpt und sich selber schwächt.

Journalisten müssen klar sagen: Es ist kein Aktivismus, wenn man als Journalist Menschenrechtsverletzungen beschreibt. Und es ist keine einseitige Perspektive, wenn man in einem Konflikt, in dem Kriegsverbrechen begangen werden, wenn man diese Kriegsverbrechen auch als solche benennt. Ich glaube, da muss man wirklich sehr sehr aufpassen, dass man Neutralität und Unabhängigkeit nicht mit komplettem Relativismus verwechselt. Man muss als Journalist natürlich genau beobachten, man muss versuchen unparteilich sein, man muss versuchen verschiedene Perspektiven wahrzunehmen und immer wieder überprüfen, ob man gute Gründe hat, das zu behaupten, was man behauptet. Aber am Ende: Natürlich schreibt man einen Text, in dem man eine Beobachtung, eine Wahrnehmung, und eben auch ein vielleicht kritisches Urteil fällt. Und wenn wir das preisgeben, und glauben, wir dürften das nicht, weil das schon Aktivismus wäre – dann gibt es keinen Journalismus mehr.