Stronger together: Strategien für Frauen im Investigativjournalismus

von Sarah Ulrich • 11. Oktober 2023

Originaltext auf Englisch

 

Das GIJC23 Podium zu Frauen im Investigativjournalismus.Foto: Smaranda Tolosano für GIJN

Das GIJC23-Podium zu Frauen im Investigativjournalismus.
Foto: Smaranda Tolosano für GIJN

 

“Du kannst niemals eine gute Journalistin sein – weil du eine Frau bist.” Das sagte ein Reporterkollege zur afghanischen Redakteurin Zahra Nader. Und auch der Journalistin Purity Mukami aus Kenia wurde gesagt, sie solle sich doch entscheiden, ob sie Wissenschaftlerin oder Mutter sein wolle.

Zwar erzählen die Anekdoten vom Anfang ihrer Karriere – aber auch jetzt noch müssen Frauen auf der ganzen Welt steile Hürden und tief verwurzelte Vorurteile überwinden, wenn sie im Investigativjournalismus arbeiten.

“Wir stehen immer noch vor anderen Hürden als Männer”, sagte Gabriela Manuli, die stellvertretende Direktorin des Global Investigative Journalism Network (GIJN) auf einem Podium auf der Global Investigative Journalism Conference (#GIJC23) in Göteborg, Schweden. “Deshalb versuchen wir, uns so gut wie möglich gegenseitig zu unterstützen.”

Auf dem Panel saßen Oksana Brovko,  CEO der Association of Independent Regional Publishers of Ukraine, Gina Chua, Chefredakteurien bei Semafor, Purity Mukami, Datenjournalistin bei OCCRP, Kamilla Marton, Journalistin bei Direkt36, Jessica Ziegerer, Journalistin bei HD-Sydsvenskan, Hui (Lulu) Ning, Journalistin und Redakteurin bei Initium Media, Zahra Nader, Chefredakteurin der Zan Times und Emilia Díaz-Struck, die neu berufene Direktorin des GIJN. Die Teilnehmerinnen teilten Erfahrungen, die vor allem zeigten, wie wichtig es ist, Unterstützungnetzwerke zu schaffen. Im Folgenden zeigen wir einige ihrer Tipps:

1. Diversifiziert eure Redaktion

“Diejenigen die entscheiden, worüber wir berichten, waren mal Männer. Aber das verändert sich”, sagte Gina Chua von Semafor, die ihre Erfahrung als trans Frau in einer männlich dominierten Industrie teilte. Ihr Rat für Medien und Redaktionen: Ein diverses Team aufstellen, um so das kollektive Wissen über die Themen, über die sie berichten, zu erweitern. “Wir alle haben blinde Flecken”, sagte sie. “Und der einzige Weg, das aufzulösen ist, uns diverser aufzustellen.”

2. Weitermachen – und andere unterstützen, die es schwerer haben

“In manchen Teilen der Welt ist es schwerer, eine weibliche Investigativreporterin zu sein als in anderen”, erkannte Manuli an, als Brovko und Nader Schwierigkeiten über ihre Arbeit in der Ukraine und Afghanistan teilten. Brovko sprach über ihre Erfahrung als Mutter und Investigativreporterin in einem Land, in dem viele männliche Kollegen in den Krieg gezogen sind. “Wir sind müde und verwundet”, sagte sie. “Aber wir haben eine Strategie.” Mit der Unterstützung von weiblichen Investigativjournalistinnen in der Ukraine sei es möglich, die Arbeit fortzuführen.

Nader ergänzte, dass Journalistinnen in Afghanistan – und jene, die von außerhalb berichten – oft traumatisiert sind, wenn sie über die schrecklichen Lebensbedingungen für Frauen berichten, seit die Taliban die Kontrolle über das Land erlangten. “Ich weiß nicht, wie es überhaupt möglich ist, aufzugeben”, sagte sie. “Deshalb machen wir weiter.”

 

“Es braucht die Kraft von Zusammenarbeit, damit wir wachsen können.” – Emilia Díaz-Struck, Direktorin des GIJN

 

3. Mentor*innen machen den Unterschied

Eine gemeinsame Beobachtung: Wie wichtig es ist, ein*e Mentor*in zu haben. “Es braucht die Kraft von Zusammenarbeit, damit wir wachsen können”, sagte Díaz-Struck, die in ihrer vorherigen Position beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in eine Vielzahl von kollaborativen Projekten involviert war. Sie fügte außerdem hinzu, dass Mentoring dabei helfen kann, nicht nur persönlich, sondern auch als Netzwerk zu wachsen.

Beziehungen zu Mentor*innen können ganz natürlich entstehen, sagten einige Podiumsteilnehmerinnen. Und sie können wichtige Unterstützung, Richtungsweisung und Beistand für Recherchen sein. Einige stellten zudem den Unterschied zwischen einer weiblichen und einem männlichen Mentor*in heraus. “Jede*r Mentor*in ist hilfreich und wichtig” sagte Mukami. Aber es sei eine sehr andere Erfahrung, eine weibliche Mentorin zu haben. Sie berichtete, wie ein zufälliges Treffen mit einer Frau auf einer Konferenz ihr half, ihren Karriereweg hin zu Datenjournalismus und Investigativjournalismus zu ebnen. Eine Mentorin zu haben sei “wie auf den Schultern von jemandem zu stehen, die dir hilft, über einen Zaun zu klettern.”

4. Fordere deinen inneren Imposter heraus

Kamilla Marton arbeitet bei Direkt36, einer gemeinnützigen Organisation für Investigativjournalismus in Ungarn. Obwohl sie schon früh Erfolge in ihrer Karriere verzeichnen konnte, entwickelte sie ein Imposter-Syndrom: Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, um Erfolg zu haben. Ihr ganz praktischer Rat: Erst einmal das Problem anzuerkennen. Für sie war der Schlüsselmoment, als sie eines Tages zur Arbeit lief und realisierte, dass ihre Selbstzweifel fast ihre Karriere sabotierten. Ihr zweiter Tip: Hört auf, euch mit anderen Reporter*innen zu vergleichen. Stattdessen rät sie dazu, nach Feedback von Redakteur*innen und Kolleg*innen zu fragen.

Lulu Ning, Redakteurin von Initium Media aus Singapur, sagte, dass sie nach einer Hauruck-Beförderung in eine Führungsposition erst einmal mit der Angst konfrontiert war, dass sie in ihrer Position nicht erfolgreich sein würde. Also entwickelte sie eine Selbsthilfe-Strategie, die genau auf den Punkt bringt, wovor man Angst hat, was man nicht kontrollieren kann und was man tatsächlich beeinflussen und verändern kann. “So kann man die Angst anerkennen, aber sie ist nicht mehr im Zentrum deiner Aufmerksamkeit.”

 

5. Prüft euch selbst und setzt Ziele

Schwedens erste Investigativreporterin, Ester Blenda, begann ihre bahnbrechende Karriere mit einer Undercover-Recherche, die die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft vor mehr als hundert Jahren aufdeckte. Anders in Jessica Ziegerers Redaktion: Als sie ihre und ihre Kolleg*innen ihre Kollaborationsarbeit auf den Prüfstand stellten, fiel ihnen auf, dass sie vor allem mit männlichen Reportern zusammenarbeiteten. Also entwickelten sie eine Strategie und setzten sich ein Ziel: Innerhalb von einem Jahr müssen 40% dieser Kooperationen mit Frauen stattfinden – so wie auch in ihrer eigenen Redaktion. “Es war überhaupt nicht schwierig, dieses Ziel zu erreichen”, erklärte sie. Der Fokus ihrer Arbeit veränderte sich dadurch sogar: Neue Recherchen über die soziale Versorgung, den Wohnungsmarkt, Schulen und sogar die Pferdeindustrie wurden initiiert. “Und heute ist es nicht mehr nur ein Ziel – es ist ein selbstverständlicher Teil unserer Arbeit.”

 

“Frauen haben eine andere Art zu kommunizieren, Beziehungen einzugehen und einander zu helfen. Verliert das niemals. Es ist einer der wichtigsten Skills, den wir haben.” – Gina Chua

6. Lass andere nicht bestimmen, was du kannst

Eine besondere Erfahrung, die Frauen in patriarchalen Gesellschaften immer wieder machen: Dass Männer definieren, was sie können und was angeblich nicht. Aber nur kurze Zeit nachdem Zahra Nader gesagt wurde, sie könne keine Reporterin sein, begann sie für die New York Times zu arbeiten – die erste Frau aus Afghanistan, die für ein großes englischsprachiges Medium berichtete. Später gründete sie ihre eigene Medienseite, die Zan Times, um die Geschichten von Frauen aus Regionen zu erzählen, in denen sie am meisten unterdrückt werden. Denn, wie sie sagt: “Wir sind diejenigen, die die Bedeutung dessen überhaupt rüberbringen können.”

7. Soft Skills sind ebenso wertvoll

Einig waren sich die Podiumsteilnehmerinnen darin, dass Reporterinnen sich nicht von Erwartungen einschränken lassen sollen, welche Skills ein*e Investigativjournalist*in “typischerweise” mitbringen sollte. Sogenannte Soft Skills haben auch einen Wert. “Sie helfen uns, uns zu vernetzen und Kollaborationen voranzubringen”, sagte Emilia Díaz-Struck und zählte verschiedene Beispiele auf, in denen Redakteurinnen und Projektleiterinnen führende Investigativprojekte vorangebracht haben. “Frauen haben eine andere Art zu kommunizieren, Beziehungen einzugehen und einander zu helfen”, sagte Chua zustimmend. “Verliert das niemals. Es ist einer der wichtigsten Skills, den wir haben.”

 

Das GIJC23 Podium zu Frauen im Investigativjournalismus.Foto: Smaranda Tolosano für GIJN

Das GIJC23 Podium zu Frauen im Investigativjournalismus.
Foto: Smaranda Tolosano für GIJN