Laudatio von Freddie Röckenhaus

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 4. Juni 2005 | Lesezeit ca. 4 Min.

Laudatio zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2005

Austerpreisträger: Info-Blocker Gerhard Mayer-Vorfelder
Laudator: Henri-Nannen-Preisträger Freddie Röckenhaus

4. Juni 2005 auf der NR-Jahrestagung beim NDR in Hamburg

Wenn wir mal ehrlich sind: Auf den ersten Blick werden die meisten von uns den diesjährigen Preisträger ungefähr so sehr mit einer „verschlossenen Auster“ verbinden, wie wir das etwa bei der Quasselstrippe Hella von Sinnen tun würden.

Manche werden sagen: Wie soll ein Mann mit soviel ausschweifender Talkshow-Touristik und soviel bacchantem, geselligen Trollingertum ein Informationsvernichter sein? Ein Kollege, der es wissen muß, sagte mir: Der Preisträger sei zwar ein Despot – aber immerhin doch nur auf selbstgewähltem Regionalliga-Niveau. Und einen anderen Einwurf eines Sport-Kollegen möchte ich sinngemäß etwa so zusammen fassen: Lohnt es sich, einem abfahrenden Leichenwagen mit der Schreckschußpistole hinterher zu schießen?
Eine kleine Reminiszenz also an den neulich erst überlieferten Tobsuchstanfall vor versammeltem Vorstand des deutschen Fußball-Bundes, als unser Preisträger brüllte: „Wenn ihr mich loswerden wollt, müßt ihr mich schon erschießen.“

Nun ist von Gerhard Mayer-Vorfelder, genannt M.V., auch bekannt, dass er den den Deutschen Fußball-Bund vor ein paar Jahren ganz mit Sinn fürs Volkstümliche „eine riesige Bananenrepublik“ genannt hat – nur um sich dann kurze Zeit später zu dessen Präsident wählen zu lassen. Oder- was man so Wahlen nennt in Bananenrepubliken.

Zuletzt hat sich beim Umgang mit dem Bundesliga-Wettskandal noch einmal herausgestellt, wie M.V. stets wortreich und rhetorisch vertrackt die Wahrheit vernebelt und verschwurbelt und verschwallt. Sozusagen das redseligste Schweigen, nein, eigentlich viel schlimmer: Das Verhindern von Wahrheit durch eine gemütliche Aneinanderreihung von Halbwahrheiten.

Das ganze Leben ist dann nur noch feine Semantik: „Sind sie von Oddset darüber informiert worden, dass ein Manipulationsverdacht bei Bundesligaspielen besteht?“ – Antwort : „Von Manipulationsverdacht stand da nichts drin.“ – Frage: „Na, vielleicht die Vokabel nicht, aber das Schreiben legte doch überdeutlich nahe, dass manipuliert worden ist.“ – Antwort: „Für mich zu dem Zeitpunkt nicht. Heute sind wir alle schlauer.“ Meistens beginnen solche Ausflüchte mit einem altersweisen: „Ach, wissen Sie…“ – und wer sich bei diesen Worten an das Paralleluniversum eines sehr, sehr langjährigen Bundeskanzlers dieses Landes erinnert fühlt, ist selber schuld.

M.V. ist einer aus der alten Riege der Aussitzer, der Unter-den-Teppich-Kehrer. Sie werden es mir nachsehen, dass mir dazu der zweite ganz große Mann des deutschen Fußballs einfällt, Gerd Niebaum, ein Mann, der – gefühlt – mehrere Jahrzehnte Präsident von Borussia Dortmund war. Er sagte, wenige Tage vor seiner Demission im Vereins-Bunker: „Warum soll ich gehen? Der Mayer-Vorfelder ist doch auch noch im Amt.“ Und wenn man die Preissteigerungsrate abzieht, hat M.V. während seiner Präsidentschaft beim VfB Stuttgart ja auch ein ähnliches Finanzdebakel hinterlassen wie Niebaum in Dortmund.

Man darf gespannt sein, wieviele von dieser „old school“ der Politik und des Wirtschaftslebens in ein paar Jahren wohl noch übrig sind. Diese Spezies der Machtsüchtigen und Heimlichtuer und Wichtigtuer, die überhaupt nur aus einem Grunde mitmischen – nämlich, weil sie scharf auf die Posten sind und deren Privilegien. Und deshalb ist die Idee der Wahrheit und der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit im Koordinatensystem des M.V. nicht vorhanden. In der Welt eines M.V. macht das Gespräch mit einem Journalisten wohl nur dann Sinn, wenn man glaubt, mit seiner Hilfe Politik machen zu können.

Mir fällt, wenn ich das so sage auf, dass es jede Menge gesprächiger, jovialer Wahrheitsverhinderer gibt. M.V. erhält den Preis auch als Stellvertreter. Für alle, die mit dieser Taktik durch Wahlkämpfe und Karrieren kommen.

Früher, in seinen herrschaftlich schwäbischen Zeiten, hat M.V. den zur Sitzung versammelten Vorstand des VfB Stuttgart bisweilen einfach mal vier oder fünf Stunden warten lassen. Wenn der Chef dann endlich seinen Auftritt hatte, war sämtlicher potentieller Widerstand bereits auf biologische Art und Weise ermattet.

Für soviel Kreativität im Umgang mit der Demokratie gebührt dem Mann eine Würdigung fürs Lebenswerk. Der Preisträger der verschlossenen Auster 2005 ist deshalb DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder.
Laudatio von Henri-Nannen-Preisträger Freddie Röckenhaus (2 S., 10 KB)

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