„Datenjournalist? – Soso.“ Wer sich mit diesem Beruf vorstellt, erntet leicht eine Mischung aus Skepsis und Bewunderung. „Die, die mit den Zahlen sprechen“ sind nicht nur manchen Feuilletonisten suspekt. Andere Kollegen wittern ein teures Modethema, das die letzten freien Ressourcen aus der Redaktion abziehen und sich dann von selbst erledigen könnte: Internetblase, Finanzblase – und nun die Datenblase?

Es spricht viel dafür, dass sich das Outing-Gefühl für Datenjournalisten tatsächlich bald erledigen wird, allerdings in einem anderen Sinne. Nicht, dass bald ein Heer von Gleichgesinnten an ihre Seite treten wird, die echte Liebe zum Zerlegen von Datensätzen für sich entdeckt haben. Sondern viel mehr, weil zumindest datenjournalistische Grundkenntnisse zur normalen Journalistenausbildung gehören werden.

Als Informationen vorwiegend in Druckerpressen veredelt wurden, waren Journalisten mit Kladde, Kugelschreiber und klugen Fragen gut gerüstet. Noch um die Jahrtausendwende gab es Edelfedern, die nur auf der Schreibmaschine schreiben wollten – ein guter Journalist braucht doch keinen Computer! Heute leben wir endgültig in einer digitalen Welt, in der Daten zugleich Rohstoff und Transportsystem sind. Institutionen machen ihre Arbeit in digitaler Form zugänglich – manche freiwillig, andere unter juristischem Druck.

Doch die vielen Datenberge, die offen im Netz herumliegen, geben nicht von sich aus ihre Schätze Preis. Behörden oder Unternehmen werten oft nur jenes aus, was ihnen gefällt oder gar nützt. Gleichzeitig schrumpft für konventionelle Informationen der Vorsprung professioneller Journalisten: Seitdem auch Laien in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken publizieren, muss man einen Recherche-Mehrwert liefern zu dem, was alle haben. Guter Datenjournalismus kann tiefere Einblicke, exklusive und relevante Geschichten liefern, die sich nicht ohnehin schon viral verbreiten. Und im Idealfall lassen sich die recherchierten Daten und ihre Geschichte gleich interaktiv an die Lebenswirklichkeit des Publikums anbinden.

Trotzdem mobilisiert das Buzzword vom Datenjournalismus (zuvor „Computer Assisted Reporting“) längst nicht jeden Chefredakteur. Erst in wenigen Redaktionen arbeiten Vollzeit-Datenjournalisten, noch seltener sind Teams mit Grafikern und Programmierern. Wer mit Daten arbeitet, verbraucht viel Zeit und Arbeitskraft – Ressourcen, die in Medienhäusern knapp sind. Und ins klassische Berufsbild vom Journalisten passen die seltsamen Gesellen mit ihren Tabellen eben auch nicht. Noch immer sitzen weit mehr Edelfedern in den Redaktionen als Bastler und Zahlenfüchse. „Datenjournalist? – Soso.“

Wer sich den Aufwand trotzdem leistet, steht vor weiteren Herausforderungen: Opulente Visualisierungen wirken auf großen Bildschirmen, sind aber natürliche Feinde des Smartphone-Daumens. Es mangelt an Konzepten, um komplexe Rechercheprojekte für diverse Endgeräte zu verpacken. Hier muss der Datenjournalismus selbst stärker mitgestalten und das Verhalten der Nutzer im Blick behalten. Ohne noch mehr Kooperationen mit Designern, Programmierern oder sogar Wissenschaftlern werden sich Datenjournalisten weiterhin schwer tun.

Um einfaches datenjournalistisches Handwerkszeug kommt umgekehrt auf Dauer kein Journalist herum: Wer als Arzt neue Behandlungsmöglichkeiten ignoriert, muss sich den Vorwurf des Kunstfehlers gefallen lassen. Wer als Journalist Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beleuchten will, das neue digitale Handwerkszeug dazu aber links liegen lässt, begeht einen journalistischen Kunstfehler. Und wenn die klassischen Medienhäuser das Thema einfach platzen lassen, werden es andere besetzen. Das war schon bei den Internet- und Finanzblasen so.

Christina Elmer & Holger Wormer