„Ein Gefühl für die Stärken des Datenjournalismus entwickeln“
Vier Fragen an… Björn Schwentker, freier Datenjournalist
1. Welche besonderen Herausforderungen stellen sich für Datenjournalisten in Deutschland?
Die größte Herausforderung für den Datenjournalismus ist, dass wir ein Verständnis dafür entwickeln, was eigentlich guter Datenjournalismus ist und was wir damit wollen. Man kann das bei den Top-Leuten aus der Schweiz und aus den USA sehen, die schon ein weitergehendes Verständnis davon haben, dass Datenjournalismus vor allem eine Recherchedisziplin ist. Es darf auch sein, dass richtig recherchiert wird und dann stirbt ein Thema, weil es nichts her gibt oder weil es die Daten nicht gibt. Wir müssen ein Gefühl für die Stärken des Datenjournalismus entwickeln, aber auch seine Grenzen kennenlernen. Das ist die große Herausforderung, die wir jetzt vor uns haben.
2. Wo könnten Datenjournalisten mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten?
Die Zusammenarbeit von Datenjournalisten und Wissenschaftlern ist ein sehr interessantes Feld, was leider noch nicht so richtig besetzt ist. Es könnte viel öfter gemacht werden, zum Beispiel wenn es um die Analyse von komplizierten Daten geht. Da hört es auch selbst bei guten Datenjournalisten irgendwann auf, weil sie einfach keine Statistiker sind. Da könnte man mit Statistikern kooperieren und sie einfach verschiedene Testverfahren vornehmen lassen, um dann zu sagen, ob man etwas gefunden hat. Oder man versucht es selbst und lässt sich von ihnen beraten. Zudem sitzt die Wissenschaft selbst auf interessanten Daten, die so erst mal für Journalisten nicht zugänglich sind. Die Wissenschaftler haben sie oft aber schon für ihre Zwecke erschlossen. Sie wissen, wo sie sind und haben sie als Grundlage für irgendein Paper. Da wäre es schön, wenn man Standards erreichen könnte, dass Wissenschaftler auch die Daten veröffentlichen müssen. Das wäre auch innerhalb der Wissenschaft eine Steigerung der Transparenz, also auch eine Nachvollziehbarkeit für konkurrierende Forschergruppen. Es würde also auch der Qualität der Wissenschaft durchaus nutzen.
3. Wie sollte man den Datenjournalismus in Deutschland fördern?
Schön wären Geschäftsmodelle, die dafür sorgten, dass der Datenjournalismus als wichtiger Teil im Journalismus sich selber so trägt, wie sich früher in den alten Geschäftsmodellen eben Journalismus getragen hat. Solange das nicht geht, wird es alle möglichen Übergangsformen geben. In Deutschland ist jetzt der stiftungsfinanzierte Journalismus im Kommen. Das könnte ich mir beim Datenjournalismus als Leuchtturmbereich des neuen Journalismus durchaus vorstellen. Was im großen Umfang auch noch gemacht wird, sind Schulungen, die von Stiftungen angeboten werden. Die Frage ist, ob es bei einem so komplizierten Gebiet, wie dem Datenjournalismus, eben ausreicht, die Leute mal eben zu schulen, oder ob man da viel komplexere Strukturen in den Redaktionen und auch in der Zusammenarbeit von Redaktionen, Agenturen und Freien etablieren muss.
4. Wo sind die Grenzen des Datenjournalismus vor dem Hintergrund jüngster Datenschutz-Debatten?
Der Datenschutz begrenzt das, was Journalismus wissen darf – und zwar zum Teil gerechtfertigt: Es gibt halt eine Privatsphäre, die geschützt ist. Andererseits wird der Datenschutz auch als Deckmantel benutzt, zum Beispiel von der amtlichen Statistik, aber auch vom Gesundheitssektor, um Daten zurückzuhalten und zu sagen: “Nein, es ist durch den Datenschutz nicht erlaubt, die Daten herauszugeben.” Das stimmt oft nicht. Die journalistische Handhabe dagegen ist sehr schwierig, weil man dann Informationsfreiheitsgesetze bemühen muss, die es nicht in jedem Land gibt und selbst da, wo es sie gibt, ist es unglaublich schwierig, diese Argumentation zu führen und letztlich vor Gericht zu gewinnen. Das dauert lange, erfordert Expertise und kostet Geld. Und dadurch ist der Datenschutz, so wie er im Moment existiert und verstanden wird, ein Knockout-Kriterium für einige datenjournalistische Recherchen.