Es lebe der Sport – komme was wolle?
Der investigative Journalismus konnte zuletzt schwerwiegende Verfehlungen im internationalen Spitzensport aufdecken. Doch ändern solche Enthüllungen überhaupt etwas an unserer Wahrnehmung des Sports? Von Micha Lemme, Uni Hamburg
Die Beziehung zwischen den Fans und ihren Sportidolen oder Lieblingsclubs ist geprägt von einer hohen (wenn auch meist einseitigen) emotionalen Bindung. Man durchlebt – oft über Jahre – gemeinsame Höhen und Tiefen. Fiebert, feiert und leidet mit „seinen“ Stars, begleitet sie mitunter um den halben Erdball.
Erwartungen der Zuschauer enttäuscht
Was aber passiert, wenn journalistische Enthüllungen dieses Vertrauensverhältnis strapazieren? Dennis Dreiskämper, Professor für Sportpsychologie an der Universität Münster, verdeutlicht mögliche Folgen am Beispiel der Dopingenthüllungen im Radsport: „Die deutliche Abkehr von Sponsoren, Medien, aber auch Zuschauern kann als immenser Vertrauensverlust der Sportart interpretiert werden.“ Wenn nicht mehr beurteilt werden könne, ob der gewünschte Wettkampf wirklich fair sei, würden die Erwartungen der Zuschauer nicht mehr nur nicht erfüllt, sondern sogar ins Gegenteil gedreht.
Unterschieden werden muss allerdings zwischen kurzfristigen und langfristigen Folgen solcher Enthüllungen. „Eine Fußball-WM wird auch dann noch verfolgt, wenn die ausrichtende Organisation mit schwerwiegenden Verfehlungen in Verbindung gebracht wird“, sagt Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Eine grundsätzliche Glaubwürdigkeit und langfristige Akzeptanz des Sports sei aber nur möglich, wenn das Publikum auf die Einhaltung bestimmter Werte, etwa Fairplay, vertraue.
Bedeutungsverlust durch kritische Berichterstattung?
Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die professionelle Sportwelt sei nur über einen intermediären Akteur, also die Medien, vermittelbar, so Mittag. „Eine dauerhaft kritische Berichterstattung vermag das jeweilige Sportprodukt durchaus in ein kritischeres Licht zu setzen, ja sogar zu einem Bedeutungsverlust beizutragen.“ Thomas Horky, Professor für Sportjournalismus an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg, schließt sich dem an: „Schon jetzt hat sicher auch der kritische Sportjournalismus einen Anteil daran, dass das Interesse an einigen Sportthemen nachweisbar sinkt. Gleichzeitig steigt aber auch das Interesse an gut recherchierten Geschichten.“ So sei eine Differenzierung des Sportjournalismus in kaum noch vergleichbare Bereiche erkennbar, ergänzt Horky und nennt beispielweise die Verschiedenartigkeit von klassischen Liveübertragungen einerseits und Hintergrundmagazinen andererseits.
Letztlich bleibt abzuwarten, inwiefern der investigative Zweig des Sportjournalismus die großen Sportverbände durch seine schwerwiegenden Enthüllungen zum Handeln zwingt und inwieweit das öffentliche Ansehen des Sports und das Vertrauen des Publikums schon gelitten haben.
Auch im nestbeschmutzer
Dieser Artikel stammt aus dem nestbeschmutzer, der Tagungszeitung zur nr-Jahreskonferenz. Die gesamte Konferenzzeitung kann online über issuu eingesehen werden.