Die Klima-Übersetzerin
Journalistik-Studierende der TU Dortmund stellen ausgewählte Referent:innen der NR24 vor: Samira El Hattab
Samira El Hattab erinnert sich immer wieder an einen Moment in ihrem Leben: Als 16-Jährige auf einem Bremer Gymnasium soll sie mit ihren Mitschüler:innen Zeitungen lesen, sich politisch bilden und im besten Fall auch das journalistische Handwerk kennenlernen. Doch statt innezuhalten und Neugierde zu entwickeln, ist Samira verwirrt, verärgert und fragt sich: Warum verstehe ich diesen Text nicht? An mangelndem Interesse für Politik liegt es nicht, im Gegenteil. Samira El Hattab interessiert sich sehr für das Weltgeschehen. Eher liegt es an der Art und Weise, wie der Artikel geschrieben ist: eine elitäre Sprache und zu viele fremde Begriffe, die nicht erklärt werden.
Heute ist Samira El Hattab 26 Jahre alt und befindet sich auf der anderen Seite – sie ist die, die die Artikel schreibt. Zehn Jahre und ein Studium an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft später, hat sie sich als Journalistin auf Energie- und Klimapolitik spezialisiert. Ihr Zugang zu dem komplexen Thema: die Sprache.
„Wenn man da nicht drinsteckt, fällt es einem schwer, es nachzuvollziehen“
Samira El Hattab hat sich die Balance aus Fakten und Verständlichkeit zur Aufgabe gemacht. Ihr ist es wichtig, die Komplexität so weit wie nur möglich herunterzubrechen, um alle abzuholen. „Klimapolitik ist so wahnsinnig kompliziert, wenn man da nicht drinsteckt, fällt es einem schwer nachzuvollziehen, was da passiert“.
Angefangen hat ihre Leidenschaft für die Klimaberichterstattung beim WDR Format „klima:neutral“. Auf dem Instagramkanal berichtet Samira El Hattab für ein junges Publikum über Klimapolitik und Nachhaltigkeit. Als eine der Hosts erklärt sie in Kurzvideos die EEG-Umlage, berichtet über Lützerath und interviewt während der Bundestagswahl die Spitzenkandidat:innen. Obwohl sie viele Fakten vermitteln müssen, bleiben Samira El Hattab und ihre Kolleg:innen locker, verständlich und mit den Usern auf Augenhöhe.
Es ist gerade diese Vielfältigkeit des Themas, die sie fasziniert: Klima ist immer und überall. Und die Herausforderung, die Komplexität für das Publikum zu dolzumetschen, spornt sie an.
Ständige Selbstkontrolle
Ihr derzeitiges Herzensprojekt ist „Climate Gossip“. In dem Podcast diskutiert Samira El Hattab mit ihrer Kollegin und Freundin Jule Zentek, die genauso fürs Thema brennt, die aktuelle Klimapolitik. „Wir haben gedacht: ey, wir machen das einfach für uns, damit wir rumnerden können. Wenn unsere Zuhörer*innen daraus noch etwas mitnehmen können, umso besser“. Auch bei Climate Gossip ist es für beide wichtig, die aktuelle Klimapolitik verständlich widerzugeben. Das fällt den beiden nicht immer leicht. „Jule und ich erwischen uns oft, dass wir zum Beispiel KSG statt Klimaschutzgesetz sagen und uns dann gegenseitig stoppen: ‚ne warte Mal, das versteht doch keiner.“ Umso wichtiger ist es den beiden, sich immer wieder gegenseitig in Bezug auf Verständlichkeit zu kontrollieren.
Verständliche Klimaberichterstattung nicht nur für Gen Z
Wenn Samira El Hattab an ihren Themen arbeitet, ist ihre 16-Jährige Version immer mit dabei. Wie sie im Politikunterricht die Zeitung in ihren Händen hält und das Papier ihren Frust widerspiegelt. „Ich kann doch nicht so blöd sein.“ Dieser Gedanke von damals hilft Samira heute, sensibel für ihre Sprache zu sein. Dabei ist es ihr wichtig, für alle Generationen gleichermaßen und nicht nur für die Gen Z Klimapolitik einfach zu erklären. „Wenn ich abends mit meiner Mama über Klimathemen rede und sie sagt: ‚Ja, ja, das hab‘ ich verstanden, dass hast du ja in deinem Podcast erklärt‘, dann freut mich das“. Ebenso, wenn ihr Zuhörer:innen von „Climate Gossip“ schreiben, dass sie durch eine Folge endlich verstanden haben, was es mit dem Klimaschutzgesetz auf sich hat.
Das sieht Samira El Hattab nicht als selbstverständlich an, denn wie viele Journalist:innen beobachtet sie eine „Klimamüdigkeit“ in der Leser:innenschaft. Der Dauerkrisenzustand und die Allgegenwärtigkeit des Themas lassen viele abstumpfen. Umso wichtiger ist es deswegen, in der Klimaberichterstattung verständlich einzuordnen und gleichzeitig trotzdem umfassend zu erklären. Damit die Leser:innenschaft wieder für die Krise sensibilisiert wird und kein Raum für Mythen und Falschinformationen entsteht. Wie genau Leser:innen wieder für das Thema begeistert werden können, beschäftigt Samira El Hattab sehr. Es komme vor allem auf Kreativität an, um Geschichten anders und neu zu erzählen.
Um die Herausforderungen der Sprache und der Formate wird es auch auf der Netzwerk Recherche Jahreskonferenz 2024 gehen. Samira El Hattab moderiert die Sessions „Mehr Herz im Klimajournalismus“ am Freitag, den 19. Juli um 14 Uhr und „Against all odds: Klimaberichterstattung auf Instagram und TikTok“ am Samstag, den 20. Juli um 10:30 Uhr.
von Jamie Sophie Postler (TU Dortmund)