„Ich glaube, in Ungarn sind die Vorraussetzungen für eine freie Presselandschaft nicht mehr gegeben“
Márton Gergely war stellvertretender Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Népszabadság, die vergangenes Jahr im Oktober vollkommen überraschend eingestellt wurde. Inzwischen arbeitet er bei der regierungskritischen Wochenzeitung HVG. Mit ihm sprachen wir über den aktuellen Zustand der unabhängigen Presse in Ungarn. Von Minh Thu Tran, DJS
Die Regierung von Viktor Orban hat einen Großteil der ungarischen Medienlandschaft unter ihre Kontrolle gebracht, unabhängige Medien kämpfen um ihre Existenz. Kann die EU überhaupt noch etwas gegen diese Entwicklungen übernehmen?
Ich weiß gar nicht, ob ich Forderungen an die EU habe, vor allem, was die heutigen Möglichkeiten angeht. Es ist heikel, weil ich glaube, dass dieses Problem vor allem in Ungarn gelöst werden muss. Ich glaube zwar, dass die Europäische Union etwas dagegen unternehmen müsste, aber ich glaube, sie hat sehr viel in den letzten sieben Jahren verspielt. Sie sind zu spät aufgewacht, und ich glaube da müssten Mechanismen entwickelt werden, und viel besser auf Verstöße der Grundrechte geachtet werden. Aber ich glaube nicht, dass wir heute noch Mittel haben, um dieses Problem auf europäischer Ebene zu lösen.
Kann die Pressefreiheit in Ungarn also gar nicht mehr gerettet werden?
Also, es ist schwierig. Also ich glaube in Ungarn sind die Vorraussetzungen für eine freie Presselandschaft nicht mehr gegeben. Für freie Meinungsäußerung ist aber noch Platz da. Und ich glaube, es sind verschiedene Faktoren, die für eine freie Presselandschaft kämpfen müssen. Ich glaube schon, dass da ausländische Firmen, die in Ungarn beteiligt sind, mehr auf die Werte achten müssen, die sie in ihrer Heimat auch befolgen – da gehören auch deutsche Firmen dazu. Zweitens müssen ungarische Bürger, die etwas von Demokratie halten, Qualitätspresse kaufen und mehr das Bewusstsein entstehen, dass Qualitätsjournalismus eine Finanzierung braucht und am besten durch die Leser finanziert werden muss. Und der ungarische Wähler muss auch entscheiden, ob er weiterhin in diesem Gangstermodus leben will oder nicht. Also ich glaube, dass viel getan werden kann und muss, aber vor allem auf ungarischer Ebene.
Die Regierung übt vor allem durch finanzielle Mittel und Investments Einfluss auf die ungarische Presse. Was passiert da genau?
In den letzten Jahren wurden vor allem die finanzstarken, ausländischen Medienhäuser aus Ungarn verjagt oder aufgekauft, damit die ungarischen Medien in ungarische Hand kommen. Und dann werden durch staatliche Werbeausgaben in den Medienmarkt eingegriffen: Staatliche ungarische Unternehmen wie die großen Elektrizitätswerke, die Post oder die Lotterie schalten also Werbung im Sinne der ungarischen Regierung. Diese Woche etwa wurde bekannt, dass eine neu gegründete, der Regierung nahestehende Boulevardzeitung zu 96% durch staatseigene Firmen finanziert wird. Und bei den letzten freien, privaten Medienhäusern kommt kaum mehr Geld an – und da kann man auch die deutschen Firmen kritisieren: Es gibt Anzeichen dafür, dass Druck von der ungarischen Regierung auf ausländische Firmen ausgeübt wird, nur in regierungsnahen Medien Werbung zu schalten. Die ausländischen Firmen lassen sich halt erpressen.
Und wie ist es um die aktuelle Situation der Medien in Ungarn allgemein bestellt?
Es gibt die öffentlich-rechtlichen Medien, die völlig gleichgeschaltet sind. Die sprechen mit einer Stimme, und zwar mit der Stimme der Regierung. Es gibt dann die neu aufgebaute regierungsnahen Privatmedien, die zum größten Teil durch Werbung von staatseigenen Unternehmen finanziert werden, und es gibt die letzten freien Redaktionen, die stark unter Beschuss sind, und auch leider eigentumsmäßig häufig nicht die weißeste Weste tragen. Insgesamt ergibt sich eine sehr bedrückende Medienlandschaft.
Sie arbeiten ja bei einer der wenigen unabhängigen Zeitungen, bei denen die Eigentumsverhältnisse und wirtschaftliche Grundlage stabil ist. Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie zu kämpfen?
Wir müssen jedes Jahr mehr sparen. Es besteht die Gefahr, dass diese Zeitungen tot gespart werden. Immer mehr Medienschaffende müssen gehen, die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter. Und wenn man immer weniger Leute hat, um guten Content zu liefern, dann geht einfach alles den Bach runter. Auch bei unabhängigen Medienschaffenden gibt es eine zunehmende Angst vor dem finanziellen Kollaps.
Gibt es außer den finanziellen Manipulierungen der Regierung auf dem Medienmarkt andere Versuche, unabhängigem Journalismus die Arbeit zu erschweren?
Wir sehen eine neue Tendenz bei staatsnahen Medien, die unabhängige Presse zu diffamieren. Sie äußern den Vorwurf, dass sich die liberale Presse als neue politische Macht aufbaut, und dass sie eigentlich keinen unabhängigen Journalismus mehr bietet, sondern Politik betreibt. Das wird von allen regierungsnahen Medien suggeriert. Das heißt, ein Großteil der ungarischen Medien beschimpft die unabhängigen Medien als politikbetreibende Macht, die immer einen Hintergrundgedanken haben. Dass sie für die Opposition arbeiten und auf Geheiß vom Ausland Politik betreiben.
Trotz allem haben Sie recht hohe Leserzahlen.
Das heißt aber nicht, dass unser Ansehen in der gesamten Bevölkerung gut ist. Im Gegenteil. Man muss unterscheiden zwischen der ganzen ungarischen Bevölkerung und der Leserschaft von Qualitätsmedien. Es ist nicht dieselbe Bevölkerungsgruppe. In den USA sehen wir ja eine ähnliche Entwicklung: Die Verkaufszahlen der New York Times steigen, aber gleichzeitig sinkt in der Gesamtbevölkerung das Ansehen der New York Times. Diese Diffamierungen durch die Regierung Trump, der Vorwurf von Fake News an die Qualitätspresse, zeigt in der ganzen Bevölkerung Wirkung. Ähnlich ist es eben auch in Ungarn: Die unabhängigen Zeitungen werden wüst beschimpft. Und wenn sie Geschichten über Korruption, Vetternwirtschaft oder Machtmissbrauch in der Regierung bringen, glauben Fidesz-Anhänger den Berichten nicht. Die lesen uns nicht. Die breite Wählerschaft von Fidesz, also die ländliche, ältere, weniger gebildete Bevölkerungsgruppe, das ist genau die Gruppe, die unsere Zeitung nicht kauft. Sie bekommen zwar Berichte über unsere Arbeit durch regierungsnahe Privatmedien wie RTL Ungarn zum Beispiel in alle Haushalte gesendet – wir werden darin aber von vornherein misskreditiert. Diese Bevölkerungsgruppe schenkt unseren Geschichten keinen Glauben mehr.
Gleichzeitig zeigt sich, dass die gebildeten, städtischen Ungarn inzwischen völlig entnervt sind von der Regierung. Es gibt neue Befragungen, wonach die ungarische Regierung die letzten Intellektuellen unter ihren Wählern verliert. Vor allem nach der Schließung der Central European University ist der Punkt erreicht, an dem Intellektuelle genug haben von der ungarischen Regierung. Die ungarische Regierung wiederum geht geschickt vor: Sie behaupten, dass wir, die unabhängige Presse, verantwortlich sind für diesen Stimmungsumschwung. Dabei stimmt das nicht, wir sind lediglich die einzigen, die die Entwicklungen unabhängig beobachten und davon berichten. Die öffentlich-rechtlichen verschweigen diese Entwicklungen.