Von Nicole Friesenbichler

Bericht von der Tagung: Jetzt mal ehrlich! Was Journalismus aus den Täuschungsfällen lernen muss (29./30.11.2019, Tutzing)

Panel: Lehre und Lücke. Was Journalisten in der Ausbildung lernen (sollten)

In der Debatte um den Fall Relotius kommt den journalistischen Ausbildungsstätten immer wieder eine besondere Rolle zu. Zur Frage, welche Lehren diese Institutionen aus dem Fälschungsskandal gezogen haben und was Journalist*innen in punkto Reportage während ihrer Ausbildung lernen sollten, gab es daher ein eigenes Panel beim Tutzinger Medien-Dialog, das von Ulrike Heidenreich, Leitende Redakteurin bei der Süddeutsche Zeitung, moderiert wurde.

Prüfungshürden bei der Aufnahme

Für die Bewerbung an Journalistenschulen müssen meist Übungsreportagen eingereicht werden. Am Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (Katholische Journalistenschule ifp), werden die Quellen aus den Rechercheprotokollen, die Bewerber*innen dazu abgeben, nicht nachgeprüft. Laut Isolde Fugunt, Studienleiterin am ifp und selbst Absolventin des Volontärskurs für Tageszeitungsvolontäre, habe man früher stichprobenmäßig bei Hauptprotagonist*innen der Bewerbungsreportagen angerufen. Aus Datenschutzgründen und aufgrund der Tatsache, dass dies oft zu Irritationen bei den Protagonist*innen führte, wurde diese Prüfung vor ein paar Jahren – noch vor dem Fall Relotius – wieder weggelassen. An der Deutschen Journalistenschule (DJS) gibt es Stichproben – „aus arbeitsökonomischen Gründen aber erst bei den Reportagen der Bewerber*innen, die zur nächsten Stufe eingeladen werden“, erklärte DJS-Chefin Henriette Löwisch, die selbst ihre journalistische Ausbildung an der Schule absolviert hat und diese seit 2017 leitet. Wie viele szenische Einstiege in Bewerbungsreportagen erfunden sind, könne sie aber nicht beurteilen, sie schätze eher wenige. Fugunt stellt solche Mängel bei den Bewerbungen teilweise schon fest: „Das ist nicht immer Vorsatz, sondern manchmal auch Unvermögen.“ Die Bewerber*innen seien oft erst 18 oder 19 Jahre alt. Dass man als Journalist*in kenntlich machen muss, wenn man eine Szene nicht selbst erlebt hat und nur aus dritter Hand weiß, wüssten sie häufig nicht. „Das sollen sie dann bei uns lernen.“

Ethik als eigenes Fach?

Henriette Löwisch (DJS) und Gianna Niewel (Süddeutsche Zeitung). Foto: Senkel

Wenn Gianna Niewel, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung im Ressort Seite Drei, an ihre Ausbildungszeit zurückdenkt, fällt ihr kein vergleichbarer Fall zu Relotius ein. Sie kenne niemanden, der darüber nachgedacht hätte, Personen zu erfinden. „Unsicherheiten gab es relativ häufig in Bezug auf die Ethik des Schreibens. Die habe ich auch immer noch“, sagte sie auf dem Podium. Sie sei vorsichtig, etwa wenn es darum geht, Personen zu beschreiben. Aus Niewels Sicht ist es wichtig, Ethik in der Journalismusausbildung verstärkt in den Fokus zu nehmen. „Dass wir uns [im Volontariat] einmal einen Tag lang wirklich sehr konzentriert über Ethik unterhalten hätten: Das hatten wir damals nicht und das würde ich mir rückblickend total wünschen.“ Löwisch widersprach dieser Forderung: „Ich glaube es ist viel wichtiger, eine Kultur zu schaffen, in der es ständig eine Diskussion über Ethik gibt – in ganz unterschiedlichen Fächern und Zusammenhängen.“ Mit einem Tag Medienethik sei die Sache nicht erledigt. „Medienethik ist bei uns ein fester Bestandteil in jedem Ausbildungsgang“, erklärte Fugunt. Auf dem ifp-Lehrplan stehe ein Medienethik-Tag mit Dozent*innen aus der Praxis, beispielsweise vom Deutschen Presserat. Nach diesem Tag sei das Thema Ethik aber trotzdem nicht vom Tisch. Bei einem Abschlussprojekt würden dann schon einmal im letzten Moment Thesen nachjustiert – auch unter Zeitdruck werde auf Korrektheit geachtet. Wir versuchen, Ethik mit Leben zu erfüllen und dem Zweifel Raum zu geben.“

Andreas Wolfers, bis Ende 2019 Leiter der Henri-Nannen-Schule und bei der Diskussion im Publikum zu Gast, schloss sich Löwisch an: Auch an der Nannen-Schule gäbe es kein eigenes Fach Ethik. Ethische Fragen würden sich regelmäßig durch Gespräche mit Dozent*innen und Abendgästen ziehen.

Neue Unterrichtseinheiten gegen Plagiat und Fälschung

Wenige Monate vor dem Relotius-Skandal beschäftigte die DJS ein anderer Fall: Die Reportage einer DJS-Schülerin, die zu dieser Zeit in Südafrika hospitierte, musste zurückgezogen werden, weil Teile davon aus einem acht Jahre alten englischsprachigen Text plagiiert wurden. „Das war schlimm für uns“, erinnerte sich Löwisch – wenngleich es ein Einzelfall gewesen sei. Man habe nicht nur überlegt, wie man mit der jungen Kollegin umgehe, sondern auch, was dies für den künftigen Stundenplan bedeute. Der Fall hatte Unterrichtsmaßnahmen zur Folge, die sich hinterher – nachdem der Relotius-Skandal im Dezember 2018 aufgeflogen war – als doppelt hilfreich erwiesen hätten. „Wir haben eine kleine Unterrichtseinheit zum Thema ‚Das Recherchedokument‘ eingeführt“, erklärte Löwisch. Im Fall der Hospitantin sei unklar gewesen, ob das Plagiat deshalb entstanden sei, weil sie ihre Rechercheergebnisse mit anderen Quellen in einem Dokument gespeichert hatte und dann nicht mehr unterscheiden konnte. Darüber hinaus wurde an der DJS im Medienrechtsseminar das Thema Urheberrecht verstärkt. Zu guter Letzt gibt es inzwischen eine ausführliche Vorbesprechung vor der ersten Praxisstation. „Bevor die Schüler in ihr erstes Praktikum gehen, spielen wir unterschiedliche ethische Szenarien durch.“

Im Zeichen der Fakten

Laut Niewel haben sich die Arbeitsmethoden bei der SZ seit dem Fall Relotius auf jeden Fall geändert. „Wir haben das Fakten checken intensiviert.“ Tonbänder und Dokumente seien als Belege zunehmend wichtiger. Doch auch, wenn es das Ziel sei, einen Text ohne Fehler zu liefern, sieht es Niewel realistisch: „Komplett ausschließen, dass so ein Fall auch bei uns passiert, können wir nicht.“ Am ifp experimentiert Isolde Fugunt seit Sommer 2019 zum Thema Faktencheck: Neben Textpaten, die darauf achten, ob Texte schön geschrieben sind, kommen auch Faktenpaten zum Einsatz, die prüfen, ob der Text so überhaupt stimmt und inhaltlich richtig ist. Aus Fugunts Sicht entstehen viele Fehler nicht nur durch Schludrigkeit, sondern auch durch Zuspitzung. Auch bei den Publikationen, die Schüler*innen an der DJS produzieren, kommen Faktenchecker zum Einsatz, die nur dazu da sind, um alles auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Löwisch ist davon überzeugt, dass man „mit etwas breiterer Brust“ in eine Redaktion geht und seine Standpunkte verteidigen kann, wenn man einmal in diese Rolle geschlüpft sei. Wichtig sei, dass die Schüler*innen Nein sagen, wenn ihnen zum Beispiel vorgeschlagen werde, drei Personen im Text zu einer zusammen zu ziehen, weil alle etwas ähnlich gesagt haben. Dass diese Montagetechnik, die Journalistikprofessor Michael Haller in seinem Lehrbuchklassiker „Die Reportage“ erwähnt, unzulässig ist, darüber waren sich die Panelteilnehmerinnen einig.

Eine gute Antwort auf den Vertrauensverlust im Journalismus sind aus Sicht von Löwisch Transparenzkästen, in denen Autor*innen dem Publikum den Rechercheweg hinter einer Geschichte erklären. „Aber dafür braucht man kein eigenes Fach“, betonte sie. Die Lösung sieht sie eher darin, das Thema Transparenz in den Alltag zu integrieren und zum Beispiel mit den Schüler*innen darüber zu diskutieren, ob sie in ihren Übungszeitungen konsequent Transparenzkästen als Form einführen wollen. Zeit ist laut Löwisch ein knappes Gut an Journalistenschulen. Für jede neue Unterrichtseinheit, die man einführe, müsse eine andere gestrichen werden. Dass die Anliegen, die an die Institutionen herangetragen werden, groß sind, bestätigte auch Fugunt. Viele glaubten, nach der Ausbildung habe man ausgelernt. „Es gibt wenig qualifizierte Weiterbildungsreihen für Leute, die schon im Job sind. Da sehe ich einen ganz großen Mangel.“ Kein Arzt könne so arbeiten, aber im Journalismus seien Fortbildungen leider nicht vorgeschrieben. Würden Medienhäuser in die Weiterbildung von Redakteur*innen investieren, wirke sich das positiv auf den Medienwandel aus, ist Fugunt überzeugt.