Syrien: Reporter an der Grenze
Kriegsberichterstattung im 21. Jahrhundert ist ebenso wichtig wie fordernd. Im Gespräch berichteten erfahrene Reporter von Problemen und Chancen der Berichterstattung aus Syrien und dem Irak.
“Wir sind gereist wie im 17. Jahrhundert, zu Zeiten des 30-jährigen Krieges. Für die 300 Kilometer nach Hula haben wir 10 Tage gebraucht, es war ein kurviger Weg.” Ein Weg auf dem Rücken von Eseln, vermummt, auf verschlungenen Pfaden, von Checkpoint zu Checkpoint – Spiegel-Korrespondent Christoph Reuter schildert seinen Weg nach Hula. Hier richtete der syrische Diktator Baschar Al-Assad vor mittlerweile zwei Jahren ein grausames Massaker mit chemischen Waffen an, mehr als tausend Menschen starben. Im Gespräch mit seiner Kollegin Antonia Rados (Kriegsreporterin RTL), dem politischen Aktivisten und Radiojournalisten Majid al-Bunni (Baladna FM) und dem Produzent und Stringer Houssam Aldeen (beide aus Syrien) diskutierte Reuter über die Berichterstattung unter Lebensgefahr. Moderiert von Astrid Frohloff (Reporter ohne Grenzen) boten die vier JournalistInnen einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeit von Kriegsberichterstattern.
Die Österreicherin Antonia Rados ist ebenso wie Christoph Reuter seit Jahren als Kriegsreporterin in Krisengebieten weltweit im Einsatz. Zuletzt war Rados im Irak und hatte entsprechend viel von den neuesten Entwicklungen seit dem Aufstand der ISIS-Aktivisten zu berichten: Die Zustände vor Ort sind chaotisch, verschiedene Allianzen kämpfen um die Vorherrschaft, eine klar auszumachende Front existiert schon lange nicht mehr. “Wir verstehen die Situationen nicht besonders gut, selbst wenn wir vor Ort sind”, erschreckend ehrlich sprach Rados über die Lage im Irak und erhob Vorwürfe gegen die untätigen Regierungen des Westens. Stringer Houssam Aldeen, der als Flüchtling über die Türkei nach Deutschland gelangte und hier Politisches Asyl gefunden hat, klagte über die mangelnde Bereitschaft westlicher Reporter, sich ein umfassendes Bild von den Verhältnissen in seiner syrischen Heimat zu machen.
Eine große Schwierigkeit stellen dabei die verschiedenen Konfliktparteien mit ihren je eigenen Darstellungen der Lage dar: Unparteiliche Berichterstattung ist laut Majid Al-Bunni, der aus Deutschland für ein syrisches Internet-Radio arbeitet, kaum möglich. “Sieben Journalisten starben allein im Juni durch ISIS”, berichtete er und unterstrich damit die akute Gefahr in Syrien und dem Irak. Kritische Journalisten sind im Krisengebiet nicht gern gesehen.
Der sensible Umgang mit Quellen gehört auch für Antonia Rados zu den größten Herausforderungen für moderne Kriegsreporter im Nahen Osten: “Die Zuverlässigkeit von Quellen kann nur mit viel Erfahrung eingeschätzt werden”. Doch die Gültigkeit solcher Einschätzungen ist arg begrenzt. “Die Dinge können morgens so sein und abends ganz anders”, so Rados. Ein Stringer, der über Jahre zuverlässig und diskret Informationen und Kontakte liefert, wird plötzlich zum Entführer, weil es lukrativ und opportun erscheint. Auch PR-Agenturen haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, wie Rados berichtete: “Das Terrain ist konstant in Bewegung”.
Die Bevölkerung leidet unterdessen unentwegt unter den Zuständen im sich ausweitenden Krisengebiet: “Die Menschen in Syrien haben im Westen keine Lobby”, erklärte Reuter, der vor einiger Zeit in einem offenen Brief um Unterstützung für die Einheimischen warb. Für diesen “Weckruf” hat Reuter seine Position als unabhängiger Reporter verlassen, jedoch “für die gute Sache”, wie der Spiegel-Korrespondent unterstricht. Die sinkende Aufmerksamkeit für den Krisenherd Syrien erklärt er sich auch mit den zahlreichen falschen Informationen, die von einzelnen Gruppen gezielt gestreut würden. Von seiner Kollegin Antonia Rados erhielt der Nahost-Experte Zustimmung, ergänzt um den Hinweis, in der westlichen Welt müsse das “Schwarz-Weiß-Denken” aufhören.
Bilder spielen in der Kriegsberichterstattung eine nicht zu unterschätzende Rolle, sind aber ein heikles Thema: “Bilder sind schwierig”, bilanzierte Rados und verwies auf die Möglichkeit, mit Bildern Neugierde zu erzeugen bzw. zu erhöhen. Gleichzeitig hätten viele Bilder aber auch abwehrende Reaktionen zur Folge, wenn sie den Krieg und seine Auswirkungen zu unverblümt präsentierten.
Abgeschlossen wurde die Debatte von beherzten Appellen der Diskussionsteilnehmer: Christoph Reuter forderte dazu auf, die Komfortzone häufiger zu verlassen. Auslands- und insbesondere Kriegsberichterstattung lebe davon, Kontakte zu knüpfen, um Quellen wirklich prüfen zu können und vor Ort investigativ arbeiten zu können. Beispielhaft berichtete Reuter von der Arbeit des “Spiegel” in Syrien, dem Besuch von Krankenhäusern, Beerdigungen und Zeremonien, um die kolportierte Zahl von Toten bei Bombenanschlägen zu prüfen. Majid al-Bunni erinnerte an die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke, auch im Fall der sich rasch verstärkenden ISIS-Islamisten: “Wenn ihr alles über ISIS wissen wollt, folgt ihnen auf Twitter. Sie twittern selbst wenn sie bloß furzen.”