Laudatio zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2003
Austerpreisträger: Info-Blocker Aldi
Laudator: Arno Balzer, Manager Magazin
24. Mai 2003 in Hamburg
Meine sehr verehrten Damen und Herrn,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist eine große Ehre für mich, die Laudatio auf den Infoblocker des Jahres halten zu dürfen. Die Jury von Netzwerk Recherche hat sich die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht. Die Zahl der Unternehmen und Organisationen, die sich die Verschlossene Auster verdient hätten, ist ja so klein nicht. Die Entscheidung für den “Sieger” – da werden Sie mir sicher bald zustimmen – ist eine exzellente Wahl.
Meine Damen und Herrn, ein englisches Sprichwort lautet: “You have to blow your own trumpet.” Es meint: Ein wenig Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache kann nicht schaden. Jedenfalls dann nicht, wenn Anspruch und Wirklichkeit einigermaßen übereinstimmen. Es gibt erfolgreiche Unternehmen, die nach diesem Motto vorgehen. Es gibt weniger erfolgreiche Unternehmen, die so tun, als ob sie erfolgreich sind oder es bald werden, und ganz kräftig darüber reden. Und dann gibt es Unternehmen, die richtig brummen – und überhaupt nicht reden. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben: Solche Unternehmen gibt es gar nicht.
Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Ich spreche nicht von der Frühhase der Industrialisierung. Ich spreche von Heute, vom 21. Jahrhundert – einer Zeit, die auch als Mediengesellschaft bezeichnet wird. Und es geht um ein offenbar ausgesprochen erfolgreiches Unternehmen. Ich spreche von Aldi.
Aldi – das ist, wenn man sich die unternehmerische Leistung anschaut – eine Geschichte, die für Deutschland fast unglaublich ist, die selbst in Amerika das Zeug zur Benchmark hätte. In Kurzform die wichtigsten Daten:
1946 haben Karl und Theo Albrecht den Lebensmittelladen ihrer Mutter übernommen. Zehn Jahre später waren es 13 Geschäfte im ganzen Ruhrgebiet. 1962 gründeten Sie den ersten Albrecht-Discount-, kurz Aldi-Markt.
Heute umfasst das Aldi-Imperium mehr als 3500 Geschäfte, aufgeteilt in Aldi Süd, – das ist Reich von Karl Albrecht – und Aldi Nord, das Reich von Theo Albrecht. Die beiden Diskount-Könige haben sich heute angeblich nicht mehr viel zu sagen. Die früheren gesellschaftsrechtlichen Verbindungen sind komplett gekappt.
Aldi Süd und Aldi Nord kommen auf einen Umsatz von jeweils rund 10 Milliarden Euro. Und dabei erzielen sie eine für Branchenverhältnisse unglaublich Umsatzrendite von drei bis fünf Prozent. Der Unternehmenswert wird auf rund 25 Milliarden Euro geschätzt. Das ist ungefähr so viel, wie Allianz, Commerzbank und HypoVereinsbank zusammen. Jedes dritte Glas Gurken kommt von Aldi, jede vierte Dose Kondensmilch, und schätzungsweise auch jede vierte Packung Kaffee. Top-Qualität zu billigsten Preisen, das sagen jedenfalls alle.
Bei Verbrauchern hat Aldi inzwischen Kult-Status. Die Musikgruppe Till und Obel hat ein “Lied für Aldi-Versessene” geschrieben. In Frankfurt am Main gibt es einen Aldi Fan Club, es gibt Aldi-T-Shirts und Aldi-Kochbücher.
Dieter Brandes, ein früherer Spitzenmanager bei Aldi, hat in zwei Büchern die Philosophie dieses Unternehmens unter die Menschheit gebracht. Sein Fazit: Aldi ist ein Meister des Verzichts. Aldi verzichtet auf:
- jede Art von Stabsstellen
- auf Controlling- und Marketingabteilung
- auf schriftlich festgelegte Ziele für die Mitarbeiter
- auf Jahresplanung und Budgets
ja eigentlich auf vieles von dem, was die traditionelle Betriebswirtschaftslehre so alles vorsieht.
Um das Wesen von Aldi seinen Lesern näher zu bringen, verweist Brandes auf ein Gedicht von Christian Morgenstern. Ich darf zitieren:
Wer vom Ziel nicht weiss,
wird im selben Kreis
all sein Leben traben
kommt am Ende hin
wo er hergerückt
hat der Menge Sinn,
nur noch mehr zerstückt.
Wer vom Ziel nichts kennt,
kann´s doch heut erfahren;
wenn es ihn nur brennt…”
So weit so gut. Wenn ein Journalist ein bisschen mehr über Aldi wissen will, wenn man herausfinden will, wie Aldi wirklich tickt, z.B. ob die Waren wirklich Spitzenqualität sind, dann kommt man schnell zu der anderen Seite der Erfolgsgeschichte. Dann kommt man zum wahrscheinlich größten Geheimniskrämer hier zu Lande.
Dass die Geburtsorte von Theo und Karl nicht bekannt gegeben werden – geschenkt. Wenn aber Journalisten, die zum Beispiel die Qualität von Aldi-Waren testen, mit juristischen Schriftsätzen überzogen werden, falls das Ergebnis für das Unternehmen nicht so erfreulich ausfällt – So etwas, meine Damen und Herrn, das kann nicht angehen.
Wenn man die Qualität der Öffentlichkeitsarbeit von Aldi charakterisieren will, dann muss man wohl im Sinne von Herrn Brandes ebenfalls zu Christian Morgenstern greifen. Ich darf nochmal aus dessen Werk zitieren:
(Das große Lalu La)
Nur ein Beispiel für den nicht vorhanden Respekt von Aldi vor den Interessen der Öffentlichkeit: Die Redaktion des Internet-Portals Wein-Plus.de hat Billigweine von zwei Aldi-Filialen – Preis pro Flasche bis zu 5 Euro – getestet und mit Weinen von anderen Anbietern aus der selben Preisklasse verglichen. Manager Magazin hat solche Verkostungen schon etliche Male gemacht, allerdings mit Weinen einer anderen Preisklasse. Die Ergebnisse haben den ein oder anderen sicher nicht immer gefreut. Die Anbieter haben den Test aber akzeptiert. Da Aldi immerhin rund 20 Prozent Marktanteil im Weinhandel hat, scheint mir ein Test der Billigweine sinnvoll. Ergebnis des Weintests war ein Artikel bei Wein-Plus.de mit der Überschrift: “Weine von Aldi Süd – Rausgeschmissenes Geld.” Aldi hat ein einstweilige Verfügung gegen den Test erwirkt. Der Artikel musste vom Netz.
Ich persönlich kann über die Qualität von Aldi-Wein nichts sagen. Ich habe bisher nur Nudeln dort gekauft – und das waren zurückhaltend formuliert mäßig. Vielleicht lag es ja am Koch, also an mir.
Die Erfahrungen von Wein-Plus.de mit Aldi scheinen mir aber typisch. Info-Blockade total. Es gibt bei Aldi keine Bilanzpresse- Konferenzen, keine Interviews, fast keine Fotos der Aldi- Eigentümer, und logischerweise auch keine Pressestelle. Wozu auch, kostet ja nur Geld.
Hat Aldi vielleicht Angst vor der Öffentlichkeit? Nein, sagt der frühere Aldi-Manager Brandes. Das sei schlichte kaufmännische Vernunft. Wenn man was erzähle, nütze das ja nur der Konkurrenz. Außerdem spare man viel Zeit und eine Presseabteilung. Und die Inhaber hätten es nicht nötig, auf irgendwelchen Kongressen mit ihrer Weisheit zu glänzen.
Das Argument, dass man Zeit sparen will, kann ich ja nachvollziehen, besonders, weil Theo und Karl Albrecht inzwischen über 80 sind.
Lohnt sich eine etwas offenere Kommunikation für ein solches Unternehmen wirklich nicht? Es gibt Hoffnung. Manager Magazin hatte im März seine Rangliste über die Reichsten der Republik gebracht. Ganz vorne: Die Aldi-Brüder. In einem Kurzporträt von Theo Albrecht stand darin ein Zitat zu lesen, dass von Albrechts Mutter stammt: “Je schlechter es den Leuten geht, desto besser geht es uns”. Gefunden hatten wir das Zitat im Stern, der ein paar Monate vorher eine Titelgeschichte über Aldi brachte. Es soll einer der erfolgreichste Stern-Titel gewesen sein.
Einige Tage nach Veröffentlichung erreichte uns ein Schreiben von Theo Albrecht persönlich. Weil es sowenig Originalton bzw. -text von Theo Albrecht gibt, möchte ich Ihnen eine kleine Passage aus diesem Brief vorlesen:
“Dieses Zitat ist falsch. Es wurde wahrscheinlich vom Stern übernommen, der es falsch gebracht hatte. Das Zitat wurde durch den Austausch eines Wortes völlig verfälscht. Richtig lautete es: Je besser es den Leuten geht, desto besser geht es uns. Vor dem Hintergrund, dass meine Mutter bis zum Kriegsende ein kleines Lebensmittelgeschäft führte, wäre die Aussage “Je schlechter es den Leuten geht, desto besser geht es uns” völlig widersinnig gewesen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn dieses Zitat – falls überhaupt – nur so wiedergegeben würde, wie es tatsächlich gesagt wurde.”
Wir berücksichtigen das gerne. Und vielleicht lernt Aldi daraus ja auch: Kommunikation lohnt sich doch.
Mein Damen und Herrn:
Die verschlossene Auster des Jahres 2003 geht an Aldi.
Vielen Dank.
Laudatio von Arno Balzer, Manager Magazin (PDF; 3 S., 68 KB)