Europaweit sind neue Medien entstanden, die sich dem gesellschaftlichen Auftrag des Journalismus stärker verpflichtet fühlen als der Rendite. Sie möchten Fuß fassen, trotz der vielschichtigen Medienkrise, strauchelnder Zeitungsverlage oder der Bedrohung durch Nachrichtenwüsten. Im Journalism Value Report haben wir diese unabhängigen, gemeinwohlorientierten Redaktionen genauer untersucht. Dies ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Befragung von 174 Teilnehmenden aus 31 europäischen Ländern. Die ausführliche Fassung des Reports kann hier heruntergeladen werden. Zudem lässt sich der Sektor auf einer interaktiven Karte näher untersuchen.
Das Journalism Value Project ist ein gemeinsames, von der EU gefördertes Projekt von Arena for Journalism in Europe, Netzwerk Recherche und den drei Medienorganisationen Fumaça, Átlátszó Erdély und Investigate Europe zur Stärkung des gesellschaftlichen Wertes von Journalismus.
Der gemeinwohlorientierte Journalismus in Europa
Wir fassen unter dem Begriff gemeinwohlorientierter (engl. public interest) Journalismus die eher kleine Gruppe von Redaktion, die sich seit der Jahrtausendwende neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und privatwirtschaftlichen Medienhäusern als dritte Säule des Mediensystems zu etablieren versucht. Diese Redaktionen zeichnet aus, dass sie häufig als gemeinnützig (nonprofit) anerkannt sind und nicht profit-orientiert arbeiten. Stattdessen bildet der gesellschaftliche Auftrag des Journalismus ihre zentrale Antriebsfeder. Sie machen nicht notwendigerweise besseren Journalismus als traditionelle Medienhäuser, übernehmen aber zum Beispiel im Lokalen die Aufgabe der Zeitungen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen zurückgezogen haben.
Lückenfüller
Der Rückgang des Lokaljournalismus kann sich negativ auf den Zustand demokratischer Gesellschaften auswirken. Deshalb ist es wichtig zu sehen, dass viele gemeinwohlorientierte Medienhäuser im Lokalen bzw. Regionalen entstehen. Darüber hinaus widmet sich ein Großteil des Sektors investigativen Recherchen und nimmt so die Wächterfunktion des Journalismus wahr.
Kleine Budgets
Diese wichtige Arbeit machen sie unter großem finanziellen Druck. Die Hälfte der durchschnittlich eher kleinen Redaktionen muss mit weniger als 200.000 Euro im Jahr auskommen. Nur die obersten zehn Prozent verfügen über mehr als 1,8 Millionen Euro. Gemeinwohlorientierte Medien im Lokalen generieren im Schnitt die geringsten Einnahmen.
Arbeitsbedingungen
Die finanzielle Unsicherheit des Sektors hat Auswirkungen auf die Journalist:innen, die im Sektor arbeiten. Ihre Gehälter sind im Durchschnitt niedriger als im Rest der Branche, ebenso der Anteil der (unbefristet) festangestellten Arbeitskräfte. Besonders im Lokalen, wo selbst unbezahlte Arbeit keine Seltenheit ist, besteht die Gefahr prekärer Arbeitsbedingungen. Wegen der fehlenden Jobperspektiven steht der Sektor vor dem Problem, gutes Personal zu halten.
Kostenlose Nachrichten zum Wohle der Gesellschaft
Obwohl das Publikum Nachrichten zunehmend über soziale Medien wahrnimmt, Monetarisierungsstrategien für journalistische Inhalte auf diesen Plattformen aber fehlen, bleibt die Website für die überwiegende Mehrheit der befragten Redaktionen der zentrale Vertriebskanal. Dort stellen große Teile des gemeinwohlorientierten Journalismus in Europa ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung. Der universelle Zugang zu Informationen ist einer der Grundwerte des Sektors. Für die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle führt dieser ehrenwerte Ansatz allerdings zu einem Dilemma. Besonders im Lokalen, wo der gemeinwohlorientierte Journalismus mit die größten Reichweiten erzielt, zeigt sich die Diskrepanz zwischen dem großen gesellschaftlichen Wert dieser Art von Journalismus und der geringen finanziellen Wertschätzung durch das Publikum.
Hinwendung zur Community
Aufgrund der Zurückhaltung auf Seiten des Publikums, für Online-Nachrichten zu zahlen, müssen Nachrichtenredaktionen neue Strategien entwickeln, ihr „Produkt“ zu Geld zu machen. Mehr als die Hälfte der befragten Nachrichtenredaktionen betrachtet das Publikum deshalb als Community und bindet diese in redaktionelle Prozesse oder sogar organisatorische Entscheidungen ein. Den meisten Medienorganisationen fehlt jedoch das Personal, um das volle Potenzial von Community Engagement auszuschöpfen. Wie aus den Daten hervorgeht, gibt es zwei vielversprechende Wege, Menschen davon zu überzeugen, für Inhalte zu zahlen: Man lädt sie zu Veranstaltungen ein und ermöglichts es ihnen, die Redaktion kennenzulernen, oder man ermöglicht ihnen eine besondere Form von Mitbestimmung (z.B. in einer Genossenschaft). Beides führt zu signifikant höheren Einnahmen.
Vielversprechende Wege der Publikumsfinanzierung
Einnahmen, die über das Publikum generiert werden (Spenden, Mitgliedsbeiträgen, Abonnements usw.), machen etwa ein Drittel der Gesamteinnahmen des Sektors aus. Blick man nur auf Organisationen, die auch wirklich ihr Publikum „anzapfen“ und nicht auf andere Finanzierungswege setzen, sind es sogar 43 Prozent. Am häufigsten bitten die gemeinwohlorientierten Redaktionen um Spenden, wobei dies die am wenigsten lukrative Einkommensquelle in Bezug auf das Publikum darstellt. Das klassische Abo-Modell funktioniert am besten. Medien, die Abos anbieten, erwirtschaften damit fast die Hälfte ihrer Einnahmen. Echte Mitgliedschaft, die anders als Abo-Modelle nicht nur Zugang zu Informationen, sondern zusätzliche Benefits für die Mitglieder beinhalten (z.B. Austausch mit der Redaktion, exklusive Zugänge, Mitspracherecht usw.), sind nicht sehr weit verbreitet, haben aber das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zum Einkommensmix beizutragen.
Stiftungsförderung ist überlebenswichtig
Trotz der teilweise mutmachenden Entwicklung bei der Publikumsfinanzierung: Für viele gemeinwohlorientierte Medienhäuser ist finanzielle Unterstützung durch Stiftungen existenziell. Die überwiegende Mehrheit von ihnen erhält entsprechende Zuschüsse, die im Schnitt fast die Hälfte der Redaktionsetats ausmachen. Meist werden die Gelder in Form von Projektförderung ausgeschüttet. Dieses Modell stößt immer wieder auf Kritik, weil solche Förderungen oft thematische Einschränkungen bedeuten und die Abwicklung auf Seiten der Redaktionen viele Ressourcen bindet. Fast die Hälfte der befragten Redaktionen erhält aber auch die bevorzugte Strukturförderung.
Trotz zahlreicher Beschwerden über belastende Förderbürokratie beschreiben etwas mehr als die Hälfte der Befragten das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Antragsstellung und Abwicklung einer Förderung als gut oder sogar sehr gut. Die finanzielle Abhängigkeit von Stiftungsgeldern scheint keinen großen Einfluss auf die redaktionelle Unabhängigkeit der Geförderten zu haben.
Blick in eine ungewisse Zukunft
Auf die Frage, wie lange die teilnehmenden Medienorganisationen ihren Betrieb aufrechterhalten können, malen die meisten Befragten ein eher düsteres Bild. Ein Drittel kann maximal sechs Monate im Voraus planen. Ein weiteres Drittel hat finanzielle Mittel für die nächsten sechs bis zwölf Monate. Nur ein Drittel steht nicht unter unmittelbarem finanziellen Druck und berichtet von finanzieller Stabilität für mehr als ein Jahr. Einmal mehr schneiden lokale Medien am schlechtesten ab. Im Gegensatz dazu weisen investigative Angebote eine deutlich bessere finanzielle Perspektive auf als andere Redaktionen. Gleiches gilt für Organisationen mit diversifizierten Einnahmequellen.
Bedrohte Art
Finanzielle Unsicherheit ist nur eine Herausforderung, denen sich der Sektor gegenübersieht. Vor allem in autokratisch geführten Staaten, in denen mit repressiven Methoden gegen freie und unabhängige Medien vorgegangen wird, kommt noch politischer Druck hinzu, der ähnliche existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann. Als weitere Risikofaktoren nannten die Befragten noch das zunehmende Misstrauen gegenüber Medien und die Abhängigkeit von Big Tech.
Lösungsansätze
Wir haben die Teilnehmenden gefragt, welchen Nährboden die unabhängigen, gemeinwohlorientierten Medien brauchen würden, um sich am Markt etablieren zu können. Eine Voraussetzung ist demnach finanzielle Sicherheit, die sich die Redaktionen am ehesten von einer Strukturförderung erhoffen. Anders als bei der oft thematisch einschränkenden Projektförderung könnten die Medienorganisationen damit abseits des Tagesgeschäfts die Organisationsentwicklung voranbringen. Dafür wäre neben finanzieller Unterstützung auch der Kompetenzaufbau in nicht-journalistischen Bereichen wie Unternehmensführung, Buchhaltung oder Personalwesen wichtig. Vielen Journalist:innen, die ein solches Indie-Medium aus hehrem Antrieb gründen, fehlen diese essentiellen Kenntnisse. Eine Möglichkeit wäre die Integration solcher Wissensvermittlung in die bestehenden Förderprogramme. Denkbar wäre darüber hinaus jedoch auch, gezielt Räume für Austausch zu schaffen (z.B. Konferenzen, Workshops etc.). Gleichgesinnte könnten dort ihre Erfahrungen teilen und voneinander lernen. Solche Peer-Learning-Prozesse könnten die allgemeine Resilienz des Sektors stärken.
Zum Projekt:
Das Journalism Value Project ist ein von der EU gefördertes Projekt von Arena for Journalism in Europe, Netzwerk Recherche und den drei Medienorganisationen Fumaça, Átlátszó Erdély und Investigate Europe zur Stärkung des gesellschaftlichen Wertes von Journalismus. Ziel ist es, Informationen über den wachsenden Sektor gemeinwohlorientierter Redaktionen in Europa zu sammeln und so herauszufinden, wie die Situation der unabhängigen Medienorganisationen ist und wie sie besser unterstützt werden können. Dafür setzt das Journalism Value Projekt auf drei Bereiche:
- Eine umfangreiche Befragung der neuen Indie-Medien, deren Ergebnisse in den Journalism Value Report eingeflossen sind.
- Den Podcast „The Loop“, in dem Mitglieder des „Reference“-Netzwerks Erfahrungen aus nicht-journalistischen Bereichen der Organisationsführung teilen und so den Wissenstransfer fördern.
- Die Debatte mit Förderinstitutionen, Politik und Zivilgesellschaft zum gesellschaftlichen Wert des Journalismus, aus der Handlungsempfehlungen zur besseren Unterstützung des Sektors gewonnen werden sollen.
gefördert von:
The Journalism Value Project (‘Monetising Value’, project ID: 101105023) is co-funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the European Education and Culture Executive Agency (EACEA). Neither the European Union nor EACEA can be held responsible for them.