Autorin: Nikolia Apostolou

investigating femicide
Investing Femicide, ein GIJN-Guide. Foto: GIJN

Femizid – der vorsätzliche Mord an Frauen, weil sie Frauen sind – ist ein globales Problem. Nach jüngsten Schätzungen der UN, werden jedes Jahr 50.000 Frauen und Mädchen von Intimpartnern oder anderen Familienmitgliedern getötet. Das sind 137 Leben, die jeden Tag genommen werden. Diese Zahl umfasst nur die Fälle, in denen Frauen durch ein Familienmitglied oder ihren Partner getötet werden. Die gezielte Tötung von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten oder mitgiftbezogene Tötungen sind dabei nicht berücksichtigt. Expert:innen gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Regierungen auf der ganzen Welt keine Statistiken zu Femiziden führen.

Doch trotz der hohen Zahlen wird über viele dieser Geschichten nicht berichtet. Dieser Guide soll Journalist:innen helfen zu verstehen, was Femizide sind, und verfügbare Daten zu finden und einzuordnen. Zudem gibt der Guide Anregungen, welche Expert:innen zu diesem Thema interviewt werden können.

In absoluten Zahlen ist – dem letzten UN-Bericht zufolge – die Region mit den meisten Femiziden, die von Partnern und Familienmitgliedern verübt wurden, Asien mit geschätzt 20.000 geschlechtsspezifischen Tötungen, gefolgt von Afrika (19.000), Nord-, Süd- und Mittelamerika (8.000) und Europa (3.000).

Betrachten wir die Femizidzahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, besteht das größte Risiko für Frauen, aufgrund ihres Geschlechts von ihren Partnern oder einem Familienmitglied getötet zu werden, in Afrika, wo die Femizidrate bei 3,1 Tötungen je 100.000 Frauen liegt. In Amerika liegt die Rate bei 1,6 Tötungen je 100.000 Frauen, gefolgt von Ozeanien (1,3), Asien (0,9) und schließlich Europa mit einer Rate von 0,7 Tötungen je 100.000 Frauen.

Vom Vereinigten Königreich bis Namibia, von den USA bis in die Türkei: Die Proteste gegen geschlechtsbasierte Gewalt haben in den vergangenen Jahren zugenommen, häufig ausgelöst durch besonders verstörende Fälle.

Femizid: Eine Definition

Um Daten zum Thema Femizid zu verstehen, müssen wir zunächst wissen, wie diejenigen, die die Daten sammeln, Femizide definieren.

Es gibt unterschiedliche Definitionen des Begriffs. Einig sind sich die verschiedenen, internationalen Gremien, die zu dem Thema arbeiten, darin, dass es sich um „die vorsätzliche Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind“ handelt.

Im Jahr 2017 wurden mehr als 30.000 Frauen von ihrem Intimpartner getötet. Das sind mehr als 60 Prozent aller Femizide. Die zweitgrößte Tätergruppe stellen männliche Familienmitglieder wie der Vater, Onkel oder Bruder der Frau – manchmal unterstützt von einer weiblichen Verwandten.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheiden sich Femizide von Tötungsdelikten an Männern, da die meisten Fälle „mit anhaltendem, häuslichem Missbrauch, Drohungen oder Einschüchterungen, sexueller Gewalt oder Situationen einhergehen, in denen Frauen weniger Macht oder geringere Ressourcen als ihre Partner haben.

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen stuft folgende Fälle als Femizid ein:

  • Tötung von Frauen als Folge von Gewalt durch einen Intimpartner wie einen aktuellen oder früheren Ehemann oder Partner
  • Peinigung und misogyne Ermordung von Frauen
  • Tötung von Frauen und Mädchen im Namen der „Ehre“
  • Gezielte Tötung von Frauen und Mädchen im Kontext bewaffneter Konflikte
  • Tötung von Frauen wegen Mitgift
  • Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität
  • Tötung von Frauen und Mädchen indigener Völker aufgrund ihres Geschlechts
  • weiblicher Infantizid und geschlechtsbasiert-selektiver Fetozid
  • Todesfälle infolge von Genitalverstümmelungen
  • Anschuldigungen wegen Hexerei
  • sonstige Femizide in Verbindung mit Gangs, organisiertem Verbrechen, Drogenhandel, Menschenhandel und der Verbreitung von Kleinwaffen
grayscale photo of group of people performing rally on streetDie Demonstration March4Women 2018 in London. Foto: @giaferroni // Unsplash Licence

Datenquellen

Daten verstehen

  • Expert:innen sind sich einig, dass die meisten Zahlen zu niedrig angesetzt sind, da Tausende Fälle unter dem Radar laufen oder nicht als Femizid registriert werden
  • Häufige Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Daten sind: Femizide werden nicht getrennt erfasst; bei der Erfassung von Straftaten wird das Geschlecht des Täters nicht immer vermerkt; in vielen ländlichen Gegenden werden Straftaten nicht bzw. nur händisch gemeldet; Daten gehen mitunter verloren oder werden schlecht verwaltet, bevor sie die zentrale Polizeistation erreichen. In manchen Ländern werden Tötungen von Frauen gar nicht erst registriert, da sie nicht als Straftat gelten
  • Um nationale Zahlen zu vergleichen, müssen wir überprüfen, wie die Tat strafrechtlich eingestuft und im Rechtssystem des jeweiligen Landes erfasst wird. Einige Länder stufen beispielsweise Todesfälle von Frauen als Folge von Genitalverstümmelung, Tötungen von Sexarbeiterinnen oder die geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen und Mädchen in Konfliktsituationen als Femizide ein
  • Andere Länder hingegen verwenden den Begriff Femizid nicht. Informiere dich daher über den standardisierten Begriff gemäß der Internationalen Standardklassifikation von Straftaten für statistische Vergleiche (ICCS-Klassifikation): “Female victims of homicide perpetrated by intimate partners or other family members“ (Weibliche Opfer von durch Intimpartner oder andere Angehörige begangenen Tötungsdelikten)
  • Informiere dich darüber, wie gut oder schlecht das System der Datenerfassung ist. Gut funktionierende Systeme setzen geschultes polizeiliches und medizinisches Personal und verlässliche Daten voraus, die die Art des Tötungsdelikts, das Geschlecht von Täter und Opfer sowie das Motiv und die Beziehung zwischen beiden differenziert erfassen

Weitere Datenquellen

In Ländern, in denen nur wenige Daten verfügbar sind, sammeln Aktivist:innen und Nichtregierungsorganisationen mitunter selbst Informationen. Hier ein paar Beispiele:

  • Mapping Femicides verortet mit Geotags die Todesfälle von Frauen in Australien, die von Intimpartnern getötet wurden
  • Femicide Watch: Das Nationale Bürger:innen-Observatorium für Femizide (Observatorio Ciudadano Nacional del Feminicidio, OCNF) vertritt 40 Organisationen aus 22 mexikanischen Bundesstaaten
  • Feminicidio.net: Die Website widmet sich Nachrichten und Informationen zum Thema Gewalt gegen Frauen. Feminicidio betreibt auch Geofeminicidio, eine Website, die Femizide in Spanien und iberoamerikanischen Ländern dokumentiert
  • Black Femicide (US) sammelt Medienberichte über die Tötung afroamerikanischer Frauen
  • We Will Stop Femicide Platform sammelt Daten über Frauen, die in der Türkei von Männern getötet wurden. Die Ergebnisse werden monatlich als Rohdaten veröffentlicht

Interviewpartner:innen

 Expert:innen

  • Nichtregierungsorganisationen
  • Soziale Einrichtungen
  • Kriminolog:innen
  • Staatsanwält:innen
  • Polizist:innen
  • Feministische Aktivist:innen
  • Mitarbeiter:innen in Gesundheitsberufen und Gerichtsmediziner:innen
  • Rechtsanwält:innen
  • Akademiker:innen
  • Mitarbeiter:innen mit direktem Kund:innenkontakt
  • Zeug:innen und Nachbar:innen
  • Mitarbeiter:innen in Beratungsstellen und Frauenhäusern

Nicht-Expert:innen

  • Betroffene Angehörige, Freund:innen oder Nachbar:innen
  • Betroffene von Gewaltangriffen

Risiken

Einige Expert:innen meinen, dass Femizide vermeidbar seien und die geschlechtsspezifische Tötung von Frauen oft der Gipfel vorhergehender geschlechtsspezifischer Gewalt ist. Daher ist es sinnvoll, sich auch die Statistiken über geschlechtsspezifischer Gewalt anzusehen.

Hier einige Risikofaktoren, die gemäß der WHO Risikofaktoren dafür sind, Täter oder Opfer eines Femizids zu werden:

  • Leben in Ländern mit starker Ungleichheit zwischen den Geschlechtern
  • Leben in Regionen, in denen die Regierung ihre Ausgaben für Gesundheit und Bildung verringert hat

Als weitere Risikofaktoren, um einen Femizid zu begehen, gelten:

  • Arbeitslosigkeit des männlichen Partners
  • Besitz einer Schusswaffe (vor allem in den USA, in Südafrika und in aktuellen und ehemaligen Konfliktgebieten)
  • Androhung einer bewaffneten Tötung
  • erzwungener Sexualverkehr
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch durch den männlichen Partner
  • psychische Probleme des männlichen Partners, insbesondere bei Femizid-Suizidfällen
  • vorausgegangener Missbrauch durch den Partner

Risikofaktoren, um Opfer eines Femizids zu werden, sind:

  • Schwangerschaft
  • vorausgegangener Missbrauch durch den Täter
  • Kinder aus früheren Partnerschaften (nicht-leibliche Kinder des Täters)
  • Entfremdung vom Partner
  • Beendigung einer missbräuchlichen Beziehung
people walking on street during daytimeAm Feministischen Kampftag am 8. März 2020 in Berlin. Foto: @raquelrgarc // Unsplash Licence

Bemerkenswerte Recherchen und Stories

  • Chronik eines angekündigten Todes: Die Opferhilfe Weißer Ring hat 2021 eine Recherche zum Umgang mit Femiziden in Deutschland veröffentlicht. Darin erzählen sie die Geschichte von Anne und ihrem Sohn Noah, die 2017 von Annes Ex-Mann getötet wurden. Die Recherche gibt es auch als Podcast. Außerdem befasst der Artikel sich mit Hochrisikomanagementsystemen und erklärt, welche Bundesländer sie wie nutzen. 
    The Uncounted (Die Ungezählten): Tortoise Media hat eine bemerkenswerte Serie über Femizide in Großbritannien veröffentlicht, in der sie öffentliche Aufzeichnungen verschiedener Polizeistationen im Land zusammengetragen und daraus Datenvisualisierungen erstellt haben. Ihr Fokus lag auf Fällen, in denen betroffene Angehörige oder Freund:innen den Partner bzw. Ex-Partner als Täter verdächtigten. Obwohl Großbritannien weltweit führend im Bereich Open Data (offene Daten) ist, fanden die Macher:innen heraus: Niemand weiß, wie groß das Problem wirklich ist, da viele Fälle in offiziellen Mordstatistiken nicht berücksichtigt werden
  • Zweimal Opfer: Frauen, die während der Quarantäne Hilfe suchten und mit Gleichgültigkeit konfrontiert wurden (auf Spanisch): Ein Gemeinschaftsprojekt der lateinamerikanischen Journalist:innenallianz Alianza Centinela COVID-19, darüber, wie Frauen während der Pandemie zu Opfer von Intimpartnern, Zuhältern und Amtspersonen wurden. Mitglieder der Centinela sind das Centro Latinoamericano de Investigación Periodística (CLIP), Chequeado (Argentinien), El Deber (Bolivien), Agência Pública (Brasilien), El Espectador y La Liga Contra el Silencio (Kolumbien), La Voz de Guanacaste (Costa Rica), Ciper (Chile), GK (Ecuador), El Faro (El Salvador), No Ficción (Guatemala), Quinto Elemento Lab (Mexiko), El Surtidor (Paraguay), IDL-Reporteros (Peru), Univision Noticias (US), Confidencial (Nicaragua) und Sudestada (Uruguay)
  • “I would have killed her anyway“ („Ich hätte sie sowieso getötet“) des kirgisischen GIJN-Mitglieds Kloop. Die Journalist:innen haben 54.000 Pressemitteilungen der Polizei und Meldungen über den Tod von Frauen untersucht und dabei herausgefunden, dass Frauen einem höheren Risiko zu Hause ausgesetzt sind. Für die Recherchen wurde Kloop mit dem Sigma Award ausgezeichnet
  • Mehr als zweitausend Frauen wurden in den letzten sieben Jahren von Männern getötet (auf Türkisch): Große Datenvisualisierungen von Sahra Atila, in denen sie Fälle mit weiblichen Opfern in der Türkei sowie deren Lebensumstände untersucht
  • 59 Tage Regionalmedien: Die Darstellung männlicher Gewalt (auf Türkisch) von Şeriban Alkış, der mittels Datenvisualisierungen, Karten und Scraping Daten über die im Januar und Februar 2021 im Land begangenen Femizide zusammengetragen hat
  • #SayHerName: The Faces of South Africa’s Femicide Epidemic (#SagIhrenNamen: Die Gesichter der Femizid-Epidemie in Südafrika). Media Hack und Bhekisisa haben eine datenbasierte Geschichte über Femizide veröffentlicht, in der sie hervorheben, wie wenig mediale Aufmerksamkeit solche Geschichten erhalten. Sie fanden heraus, dass zwischen 2018 und 2020 nur vier Prozent der Fälle, in denen Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet wurden, in den nationalen oder regionalen Nachrichten Erwähnung fanden. Die hohe Femizidrate in Südafrika zeigt, dass dort jeden Tag durchschnittlich sieben Frauen durch einen Intimpartners oder Angehörigen sterben. Das Team hat eine Karte erstellt, in der die Tötungen nach Polizeibezirk aufgeführt und die Gebiete mit den meisten Femiziden hervorgehoben sind
  • We Are The Dead (Wir sind die Toten): Die über Monate angelegte Recherche des kanadischen Nachrichtenmagazins Maclean’s zum Thema Gewalt durch Intimpartner zeigt, wie Systeme, Politiker:innen und Einzelpersonen Frauen und Mädchen im Stich gelassen haben. Die Geschichte verdeutlicht, dass Frauen aller sozioökonomischer Hintergründe innerhalb ihrer eigenen vier Wände missbraucht und getötet werden können. Maclean’s schlägt den Begriff „Epidemie“ vor, um durch Intimpartner verübte Gewalt zu beschreiben, da von ihr eine soziale Ansteckungsgefahr ausgehen kann – Kinder sind dabei die ersten Opfer
  • Red River Women (Die Frauen vom Red River): Recherchen der BBC zeigen, dass indigene Frauen in Kanada eine viermal höhere Wahrscheinlichkeit haben, ermordet oder vermisst zu werden als andere kanadische Frauen
  • Die Sonntagszeitung The Observer, Schwesternblatt des britischen Guardian, hat eine Kampagne namens End Femicide durchgeführt. Eine der Geschichten beschäftigt sich mit der Tötung von Frauen über 60 Jahren. Die Recherchen zeigten, dass viele dieser Fälle leichthin als Unfälle zu den Akten gelegt und nie untersucht werden. Den Daten zufolge wird die Hälfte der älteren weiblichen Opfer von ihren Söhnen, Enkelsöhnen und Angehörigen getötet
  • Mechanik eines angekündigten Verbrechens (auf Französisch): Ein einjähriges Investigativ- und Multimediaprojekt von Le Monde über die Ermordung von 120 französische Frauen
  • Verborgene Gewalt (auf Spanisch): Recherche über kolumbianische Frauen, die von Partnern bei der Polizei oder beim Militär getötet oder missbraucht wurden

Literatur

  • Femicide in South Africa“ (Femizid in Südafrika): Die südafrikanische Journalistin und Autorin Nechama Brodie hat ein Buch zum Thema Femizid veröffentlicht – in einem der Länder mit der höchsten Tötungsrate und einer Femizidrate, die fünfmal über dem weltweiten Durchschnitt liegt
  • Honour Unmasked“: Die Journalistin und Wissenschaftlerin Nafisa Shah zeigt in ihrem Buch, wie das staatliche Justizsystem und informelle Verfahren der Wiedergutmachung ehrbezogene Gewalt in der pakistanischen Provinz Sindh zur Folge haben können

Deine mentale Gesundheit

Über dieses Thema zu berichten, ist schwierig und kann für Journalist:innen, die selbst in der Vergangenheit Traumata erlebt haben, triggernd sein. Nutze zum Schutz deiner eigenen mentalen Gesundheit beispielsweise die Guides des Dart Center for Journalism & Trauma.

Gespräche mit Betroffenen und Familienmitgliedern sind belastend und müssen vorbereitet werden. Sieh dir hierzu zum Beispiel die Tipps von Marcela Turati für Interviews an.

Sonstige Quellen

Wir freuen uns über Anregungen zur Ergänzung dieses Beitrags. Nimm gerne Kontakt über die GIJN-Website mit uns auf!

Die Autorin 

Nikolia Apostolou ist Leiterin des GIJN-Ressourcenzentrums. In den letzten 15 Jahren hat Nikolia Dokumentationen aus Griechenland, Zypern und der Türkei für mehr als 100 Medien geschrieben und produziert, darunter die BBC, Associated Press, AJ+, The New York Times, The New Humanitarian, PBS, Deutsche Welle und Al Jazeera.

Dieser Guide wurde übersetzt von Tanja Felder. Redaktion: Greta Linde.

Der Text wurde im Original auf Englisch bei GIJN unter den GIJN Creative Commons Richtlinien publiziert.