Rede von Armin Wolf auf der nr13

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 17. Juni 2013 | Lese­zeit ca. 15 Min.

Traumjob Jour­na­list – eine Lie­bes­er­klä­rung

von Armin Wolf, stell­ver­tre­tender Chef­re­dak­teur des Öster­rei­chi­schen Rund­funks.

(Foto: Ruben Neugebauer)

(Foto: Ruben Neu­ge­bauer)

Diese Rede hielt Armin Wolf auf der Jah­res­kon­fe­renz 2013, am 14. Juni 2013 beim NDR in Ham­burg:

Im November 1989 war ich 23 und seit knapp zwei Jahren freier Mit­ar­beiter in der Außen­po­litik-​Redak­tion des ORF-​Hör­funks in Wien. Am Montag, dem 20. November sollte ich nach Karl-​Marx-​Stadt fahren, das hieß damals noch so, für eine Repor­tage aus der noch exis­tie­renden DDR, wenige Tage nach dem Mau­er­fall.

Aber in der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Haupt­stadt Prag, wo noch immer die KPC regierte, hatte es seit Tagen Demons­tra­tionen gegeben, die täg­lich größer wurden – vor allem, seit bekannt war, dass die Polizei einen pro­tes­tie­renden Stu­denten getötet hatte. Also schickte mich mein Res­sort­leiter an diesem kalten, nassen und sehr nebe­ligen November-​Nach­mittag nicht nach Karl-​Marx-​Stadt, son­dern die knapp 300 Kilo­meter nach Prag.
Als ich dort in der Innen­stadt ankam, war der lange Wen­zels­platz voll mit Men­schen. Ich hatte noch nie eine so rie­sige Demons­tra­tion gesehen, 50.000, 100.000 – keine Ahnung. Es war laut, aber es war fried­lich. Und vom Balkon einer Tages­zei­tung mit dem schönen Namen Svobodné Slovo – Das freie Wort – wurden Reden gehalten. Václav Havel stand da, der kurz davor noch im Gefängnis war. Und viele andere. Und die Polizei schritt nicht ein.
Diese Demons­tra­tionen wie­der­holten sich jeden Abend. Es war grimmig kalt, aber wenn es dunkel wurde, ver­sam­melten sich jeden Abend Hun­dert­tau­sende unter dem Balkon auf dem Wen­zels­platz. Sie standen bis in die Sei­ten­gassen hinein, weil der rie­sige Platz die Massen nicht mehr fassen konnte, klap­perten mit tau­senden Schlüs­sel­bunden und riefen zehn­tau­send-​stimmig immer neue Parolen und Reime. Wit­zige und krea­tive Wort­spiele, die sich in Sekunden über den Platz ver­brei­teten. Es war eine erstaun­lich fröh­liche Revo­lu­tion, obwohl alle Angst hatten, dass jeden Moment die Panzer auf den Platz rollen könnten und die sanfte Revo­lu­tion nie­der­walzen. Aber die Panzer kamen nicht. Dafür kamen jeden Abend noch mehr Men­schen und immer neue Redner auf den Balkon – berühmte Dis­si­denten von Jiri Dienst­bier bis Petr Uhl.
Und am Freitag Abend stand dann plötz­lich der Mann auf dem Balkon, der das Gesicht des Prager Früh­lings gewesen war und der dann 21 Jahre prak­tisch ver­schwunden war, ver­bannt aus dem öffent­li­chen Leben, als wäre er tot gewesen – Alex­ander Dubček. Das erste Mal sprach er wieder öffent­lich – und wurde wie ein Pop­star beju­belt. Und wie jeden Abend gab das Občanské Forum, das Bür­ger­forum, wie sich die Oppo­si­tions-​bewe­gung nannte, nach der Demo eine Pres­se­kon­fe­renz in einem Theater hinter dem Wen­zels­platz, in der Laterna Magica.
Auf der Bühne standen auch an diesem Freitag Abend nur ein paar gold­far­bene Stühle vor einem schwarzen Vor­hang, mit Václav Havel, Dubček, dem Dis­si­denten-​Priester Václav Malý und Rita Kli­mowa, die für die hun­derte Aus­lands-​Jour­na­listen ins Eng­li­sche über­setzte.
Mitten in der Pres­se­kon­fe­renz tritt plötz­lich jemand aus dem Vor­hang, geht zu Havel und flüs­tert ihm etwas ins Ohr. Havel schüt­telt den Kopf, schaut ganz ungläubig, beginnt zu lächeln – dann nimmt er das Mikrofon und sagt mit seiner tiefen, seit Tagen hei­seren Stimme: „Ich höre soeben, das Zen­tral­ko­mitee der Kom­mu­nis­ti­schen Partei ist zurück-​getreten. Es lebe die freie Tsche­cho­slo­wakei.“
Havel und Dubček fallen sich auf der Bühne in die Arme und 300 inter­na­tio­nale Jour­na­listen, dar­unter etliche hart­ge­sot­tene Krisen-​ und Kriegs­re­porter, springen von ihren Sitzen und klat­schen und jubeln und viele haben Tränen in den Augen. Manche heulen regel­recht. Ich auch.
Ich bin seit 28 Jahren Jour­na­list – aber allein dafür, dass ich an diesem Abend dabei sein durfte, wie in einem kleinen Kel­ler­theater in Prag Welt­ge­schichte geschrieben wurde, haben sich die 28 Jahre und die 20, die ich wohl noch arbeiten werde, mehr als gelohnt.
Das Fas­zi­nie­rende an unserem Beruf ist, dass wir dabei sein können, wenn etwas pas­siert. Wenn Welt­ge­schichte pas­siert – oder auch wenn Dinge pas­sieren, die viel­leicht nicht den Lauf der Welt ver­än­dern, die aber wichtig sind für die Men­schen, für die wir arbeiten. Die viel­leicht das Leben unserer Leser, Zuschaue­rinnen, Hörer und Use­rinnen ver­än­dern – die jeden­falls für sie rele­vant sind oder inter­es­sant oder manchmal auch nur amü­sant.
Wir dürfen dabei sein, wir können zuschauen und wir können nach­fragen. Wir werden dafür bezahlt, neu­gierig zu sein und zu lernen. Zu ver­stehen, was pas­siert und es dann so wei­ter­zu­er­zählen, dass es andere auch ver­stehen, und ihnen zu erklären, warum sie es über­haupt ver­stehen sollen, warum es wichtig für sie ist.
Unser Beruf ist natür­lich in vie­lerlei Hin­sicht schwie­riger geworden, in den letzten Jahren. Vor allem der Teil mit dem „dafür bezahlt werden“ – und dar­über wird ja wirk­lich sehr, sehr viel geredet und geklagt. Und das durchaus zu Recht. Ich möchte heute aber mal eine Vier­tel­stunde lang über die andere Seite spre­chen. Denn unser Beruf ist auch in vie­lerlei Hin­sicht sehr viel leichter geworden. Und dar­über wird sehr wenig geredet.
Um meine Radio-​Repor­tagen aus Prag zu über­spielen, hatte ich ein Gerät dabei, dass Nagra hieß und ca. 15 Kilo wog. Das war ein pro­fes­sio­nelles Ton­band-​Gerät. Dazu hatte ich eine Tasche voller Kabel und Werk­zeug. Und am Wen­zels­platz bin ich dann ins Hotel Evropa mar­schiert, gegen­über vom Balkon mit den Red­nern, hab den Por­tier besto­chen und in der Rezep­tion das ein­zige Telefon mit Aus­lands­lei­tung auf­ge­schraubt und mit zwei Kabeln mein Nagra in die Tele­fon­lei­tung geklemmt, um meinen mit der Hand geschrie­benen Bei­trag über eine kra­chende Lei­tung kaum ver­ständ­lich nach Wien zu über­spielen. Das Ton­band musste ich übri­gens für die Repor­tage mit einer Schere zer­schneiden, um die O-​Töne her­aus­zu­be­kommen, die Ori­gi­nal­auf­nahme war also für immer kaputt.
Und für die ersten freien Wahlen in Alba­nien 1991 hatte ich für die Über­spie­lung außer­halb von Tirana etwas ganz Modernes mit: ein Satel­li­ten­te­lefon – das war ein Koffer mit nahezu 50 Kilo Gewicht. Um den Satel­li­ten­schirm zusam­men­zu­ste­cken und aus­zu­richten, haben wir eine halbe Stunde gebraucht und mussten zwei Dut­zend Kinder aus dem Dorf abwehren, die uns beim Aufbau helfen wollten. Das etwas unhand­liche Gerät war näm­lich auf umge­rechnet 150.000 D-​Mark ver­si­chert.
Ok, das war im vorigen Jahr­hun­dert – aber ich bin erst 46. Es ist also noch nicht SO lange her. Heute könnte ich alles, wofür ich damals den Koffer, meine Werk­zeug­ta­sche und das Nagra – also knapp 70 Kilo Aus­rüs­tung – brauchte, mit meinem iPhone her­stellen und über­spielen. Das wiegt exakt 112 Gramm und ist gar nicht ver­si­chert, weil es keine 500 Euro kostet.
Was ich damals aus Prag über den alten Dubček erzählt habe, das musste ich ent­weder wissen – schön wär’s gewesen, aber ich war wäh­rend des Prager Früh­lings gerade mal zwei Jahre alt. Oder ich musste es von den älteren Jour­na­listen-​Kol­legen in Prag erfragen. Das habe ich auch getan. Aber was davon stimmte oder nicht, konnte ich natür­lich nicht über­prüfen. Ich konnte zwi­schen­durch mal das Archiv in Wien anrufen, aber die ein­zige Aus­lands­te­le­fon­lei­tung am gesamten Wen­zels­platz war eben an der Rezep­tion des Evropa und die war, wie Sie sich vor­stellen können, von Kol­legen ziem­lich über­laufen. Heute würde ich Dubček auf meinem Handy goo­geln und hätte inner­halb von Sekunden mehr und inter­es­san­tere Infos, als unser – damals sehr tüch­tiges – Zei­tungs­aus­schnitt-​Archiv in 20 Jahren gesam­melt hatte.
Heute hätte ich übri­gens auch ein paar Handy-​Fotos von diesen unglaub­li­chen Abenden in Prag, die ich so leider nicht habe – denn einen Foto­ap­parat habe ich als Radio­re­porter nicht auch noch mit­her­um­ge­schleppt. Soviel also zum Thema: Früher war alles besser.
Unser Beruf ist in den letzten 20 Jahren unfassbar viel ein­fa­cher geworden: Tech­nisch. Und inhalt­lich. Wenn Jour­na­listen Infor­ma­ti­ons­ver­ar­beiter sind, dann hatten sie noch nie so viele Infor­ma­tionen, um damit zu arbeiten. Noch nie war es so leicht zu Geschichten zu kommen. Und noch nie war es so leicht, Geschichten weiter zu erzählen.
Ich bin übri­gens fest davon über­zeugt, dass es noch nie so viel guten Jour­na­lismus gab wie heute. Es gab auch nie so viel Trash. Ziem­lich sicher hat der Trash noch viel mehr zuge­nommen als der Qua­li­täts­jour­na­lismus – aber eben auch guten Jour­na­lismus gab es nie so viel wie heute. Sie können zu jeder Tages-​ und Nacht­zeit Ihren Fern­seher auf-​drehen und werden auch um 3 Uhr früh noch irgendwo eine blitz­ge­scheite poli­ti­sche Doku­men­ta­tion finden oder ein schlaues Kul­tur­ma­gazin.
In jedem Bahn­hofs­kiosk gibt es neben drei Dut­zend Land­lust-​, Land­leben-​ und Land­ge­nuss-​Maga­zinen auch regal­me­ter­weise Spitzen-​Jour­na­lismus. Letztes Jahr sind in Deutsch­land 366 Tages­zei­tungen, 20 Wochen­zei­tungen, 891 Publi­kums­zeit­schriften und 1.140 ver­schie­dene Fach­zeit­schriften erschienen. So viele Titel wie noch nie. Und da reden wir nur über die die soge­nannten „alten Medien“, das berühmte „tote Holz“.
„Pres­se­frei­heit ist die Frei­heit von 200 rei­chen Leuten, ihre Mei­nung zu ver­breiten“, hat der frü­here FAZ-​Her­aus­geber Paul Sethe mal in einem berühmten Leser­brief an den Spiegel geschrieben. Das war Mitte der 60er Jahre, als sie noch für eine Zei­tung schreiben mussten, um etwas zu ver­breiten – und kein Satz könnte heute fal­scher sein. Heute ist Pres­se­frei­heit die Frei­heit von 2,7 Mil­li­arden Men­schen mit Internet-​Anschluss, ihre Mei­nung ins Netz zu stellen.
Pro­fes­sio­nelle Medi­en­men­schen fühlen sich davon erstaun­lich bedroht. Und das schon erstaun­lich lange. Mehr als 15 Jahre nach der Ver­brei­tung des www haben die klas­si­schen Ver­lage näm­lich noch immer kein Geschäfts­mo­dell für die digi­tale Welt gefunden. Im Gegen­teil: Ihre erste und bis heute anhal­tende Reak­tion war, das, was sie vorher jahr­zehn­te­lang gut ver­kauft hatten, im Netz zu ver­schenken. Sie haben ihren teuer pro­du­zierten Jour­na­lismus ein­fach gratis online gestellt.
Das war eine ziem­lich eigen­wil­lige Stra­tegie – ein biss­chen so, als hätte Quelle das Zeug, das es im Waren­haus zu kaufen gab, im Ver­sand­handel ein­fach ver­schenkt. Das Argu­ment der Ver­lage war dann immer die Reich­weite für die Online-​Wer­bung. Auch das ist ein inter­es­santer Gedanke. Mit dem glei­chen Argu­ment könnte man näm­lich auch die Zei­tung ver­schenken und damit die Reich­weite für Printin­se­rate erhöhen. Diesen ori­gi­nellen Weg hat dann aber doch keine Kauf­zei­tung ein­ge­schlagen, soweit ich weiß.
Inter­es­sant ist auch, dass Men­schen, deren Hand­werk es eigent­lich wäre, zuzu­schauen, zu ana­ly­sieren und zu lernen, nichts daraus gelernt haben, wie es einer durchaus ver­wandten Branche im Digi­tal­zeit­alter ergangen ist: Die Musik-​Indus­trie ist durch das Netz bei­nahe unter­ge­gangen – und zwar nicht, weil die Kon­zerne ihre Inhalte frei­willig her­ge­schenkt hätten, son­dern weil sie in ganz, ganz großem Stil beklaut wurden. Trotzdem hat man dort in den letzten Jahren Über­le­bens-​Stra­te­gien gefunden – prak­ti­kable Bezahl­mo­delle vor allem und ein grund­le­gend neues Geschäfts­mo­dell.
Was die Ver­lage daran gehin­dert hat, solche Modelle zu ent­wi­ckeln, ver­stehe ich nicht wirk­lich. Es ist ein zyni­scher Gedanke, aber ich ver­mute, sie haben zu lange mit ihrem alten Geschäfts­mo­dell noch durchaus gut ver­dient. Umsatz­ren­diten von 15 bis 25 % werden ja noch immer stolz berichtet. Als ich mein Abitur in Betriebs­wirt­schaft und Rech­nungs­wesen absol­vierte habe – auch im vorigen Jahr­hun­dert, zuge­geben – wurde uns noch erklärt, dass Umsatz­ren­diten von 5 % schon sehr, sehr anständig sind. Heute starten Ver­lage bei 15 % Umsatz­ren­dite panisch Spar­pro­gramme und beginnen, Leute zu kün­digen. Das ist nicht son­der­lich kreativ und stel­len­weise sogar ziem­lich unan­ständig.
Und dass nun offenbar die gesamte Zukunft des deut­schen Medi­en­we­sens aus­ge­rechnet von der Bild-​Zei­tung und ihrem Chef­re­dak­teur abhängt, ist ja auch bezeich­nend. Aber immerhin: Der Mann traut sich zumin­dest was und pro­biert was aus – und jam­mert nicht nur den ganzen Tag.
Ich meine, Jam­mern ist schon auch wichtig, das hat schon eine psy­cho­hy­gie­ni­sche Funk­tion. Und ein kluger Mann hat mal gesagt, Opti­mismus ist oft nur ein Mangel an Infor­ma­tion. Aber dau­ernder Pes­si­mismus ist manchmal auch nur ein Mangel an Krea­ti­vität.
Ich möchte nochmal einen Ver­gleich zur Musik­in­dus­trie ziehen. Die hatte es in den letzten Jahren ja wirk­lich nicht ein­fach. Aber ver­an­stalten Pro­du­zenten und Musiker in einem durch Bran­chen-​Kon­gresse, auf denen sie sich gegen­seitig anjam­mern, wie schreck­lich alles ist? Viel­leicht ist es ja sogar so, aber wenn, dann bekommt man es zumin­dest nicht ständig öffent­lich mit wie bei den vier­zehn­täg­li­chen Doomsday-​Treffen der Medi­en­branche.
Oder haben Sie den Ein­druck, dass irgendein Musiker oder eine ein­zige junge Band weniger von einer Riesen-​Kar­riere träumen, nur weil den Labels ihr altes Geschäfts­mo­dell weg­ge­bro­chen ist? Ich kenne mich nicht sehr gut aus im Musik­busi­ness, aber ich habe den Ein­druck, Musiker jam­mern weniger über die Ver­än­de­rungen in ihrer Welt, son­dern sehen auch die neuen Mög­lich­keiten, die es heute gibt.
Wie etwa Bands MyS­pace ver­wenden; wie begabte junge Leute mit ein paar You­Tube-​Videos zu inter­na­tio­nalen Stars werden, ohne sich durch die Vor­zimmer von Platten-​firmen bet­teln zu müssen; wie junge Künstler Social Media nützen, um sich einen Namen zu machen.
Jour­na­listen dagegen ver­bringen seit ein paar Jahren ganz viel Zeit damit, zu klagen und sich zu fürchten. Viele fühlen sich bedroht von dem, was da im Netz ent­steht, von Blog­gern, von Wiki­leaks, von Social Media. Oder von jungen Leuten, die wissen, was das Kürzel HTML 5 bedeutet, wie man ein Sto­rify anlegt oder Daten aus einer Excel-​Tabelle scrapt.
Hin­gegen glaube ich nicht, dass sich viele Musiker der Wiener Phil­har­mo­niker fürchten, weil Kids Musik­stunden nehmen, ihre Videos auf You­Tube hoch­laden oder ihre Sound­files selber samplen können. Warum fürchten die sich nicht? Viel­leicht weil die Phil­har­mo­niker wissen, dass sie Profis sind; dass das, was sie machen, ein Beruf ist, den sie jah­re­lang gelernt haben; dass sie etwas können, das gar nicht so leicht nach­zu­ma­chen ist. Und weil das Risiko, dass jemand kommt, der es noch besser kann, ja ohnehin schon immer da war.
Viel­leicht könnten wir da was von Musi­kern lernen. Zumin­dest ein biss­chen Selbst­be­wusst­sein. Viel­leicht nehmen Jour­na­listen das, was sie tun, ja selber zu wenig ernst. Nie­mand käme zum Bei­spiel auf die Idee, einen Hobby-​Gitar­risten oder eine Ama­teur-​Band als Bürger-​Musiker zu bezeichnen. Aber wir haben Bürger-​Jour­na­listen.
Noch etwas ver­stehe ich nicht: Warum die groß­ar­tigen neuen Mög­lich­keiten, die unseren Beruf so viel ein­fa­cher machen, bei vielen Kol­legen so viel Miss­trauen wecken? „Dieses Twitter, wozu brauch ich das auch noch? Ist ja nur der nächste Zeit­fresser.“ – Sie haben keine Ahnung, wie oft ich das höre. Und es ist mir unbe­greif­lich.
Ein Jour­na­list – zumin­dest ein aktuell arbei­tender Jour­na­list – ohne Twitter-​Account ist heute so was Ähn­li­ches wie ein Jour­na­list ohne Telefon oder ohne Internet-​Anschluss. Dabei geht es gar nicht primär drum, dass man auf Twitter selber was schreibt – son­dern darum, dass das eine derart prak­ti­sche, nütz­liche und schnelle Info-​Quelle geworden ist. Es ist mir unver­ständ­lich, wie ein Jour­na­list auf eine solche Infor­ma­ti­ons­quelle frei­willig ver­zichten kann.
Auch des­wegen, weil man sich dort mit den Leuten, für die wir arbeiten, aus­tau­schen kann. Weil man dort Feed­back bekommt, Anre­gungen und natür­lich auch viel Kritik. Das ist nicht immer ange­nehm und eine Menge Leute sind online erstaun­lich unhöf­lich. Das Netz ist voller Narren – und die reden plötz­lich zurück. Mühsam! Glauben Sie’s mir, ich habe 84.000 Fol­lower auf Twitter, ich weiß, wovon ich rede.
Aber das Netz ist vor allem auch voller kluger Leute, die was können. Und die sich in den Berei­chen, über die wir berichten, gut aus­kennen – oft sehr viel besser als wir. Und deren Wissen kann man nützen. Das war noch nie so ein­fach wie jetzt. Noch nie, davon bin ich über­zeugt, war es so leicht wie heute, jeden Tag ein bes­serer Jour­na­list zu werden.
Natür­lich ist nicht jede Geschichte, die man als Reporter auf­stellt oder als Redak­teur ein­richtet, super span­nend. Nicht jeden Abend geht man klüger ins Bett als man auf­ge­standen ist. Aber es gibt wenige Berufe, glaube ich, in denen die Chance, jeden Tag klüger zu werden und was zu lernen, so groß ist.
Das ist die eine Seite unseres Berufes. Und die andere Seite ist, dass eine Demo­kratie Jour­na­lismus und Jour­na­listen braucht. Unsere Arbeit ist die Infra­struktur einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft.
Wenn Men­schen zumin­dest alle paar Jahre wählen sollen, wer ihre Gesetze macht und wer sie regiert, müssen sie wissen, wen sie da wählen. Sie brau­chen also Infor­ma­tion. Viel davon kann sich heute schon jeder selber beschaffen. Aber wer will schon 250.000 Wiki­leaks-​Doku­mente lesen? Wer will jedes Par­tei­pro­gramm Zeile für Zeile stu­dieren? Wer will 100 Blogs abon­nieren oder 500 und sich jeden Tag selbst her­aus­fil­tern, was da span­nend und was wichtig ist?
Der legen­däre ORF-​Gene­ral­inten­dant Gerd Bacher mal gesagt: „Jour­na­lismus ist Unter-​schei­dung. Die Unter­schei­dung zwi­schen wichtig und unwichtig, wahr und unwahr, Sinn und Unsinn.“ Dafür braucht es Men­schen, die dazu aus­ge­bildet wurden: die Informa-​tionen recher­chieren, über­prüfen, aus­wählen, bewerten, sie noch­mals über­prüfen und dann mög­lichst ver­ständ­lich auf­be­reiten und ver­öf­fent­li­chen.
Und die dabei von mög­lichst wenig anderen Inter­essen geleitet sind, als vom Ver­such, die Wirk­lich­keit zu beschreiben, so gut es nur geht. Die viel­leicht eine so pathe­ti­sche Idee antreibt wie Auf­klä­rung. Mit dem Ziel, dass ihr Publikum qua­li­fi­zierter am demokra-​tischen Dis­kurs teil­nehmen kann, wie es die BBC mal for­mu­liert hat.
Da muss es nicht immer um Revo­lu­tionen gehen und um Welt­ge­schichte, son­dern um unsere ganz nor­male, all­täg­liche Arbeit. Robert Hochner, der beste Nach­richten-​Mode­rator, den der ORF je hatte, hat die mal so beschrieben: „Die Poli­tiker machen den Käse. Und wir machen die Löcher hinein.“ Wenn das kein Traumjob ist, weiß ich nicht, was ein Traumjob ist.

Wien, Juni 2013

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