Ver­schlos­sene Auster 2012 für die FIFA

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 2. Juni 2012 | Lese­zeit ca. 18 Min.

Die Ver­schlos­sene Auster, der Negativ-​Preis der Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche, geht im Fuß­ball­jahr 2012 an die Féderation Inter­na­tio­nale de Foot­ball Asso­cia­tion (FIFA) und ihren Prä­si­denten Sepp Blatter. „Die FIFA hat in den ver­gan­genen Jahren alle Ver­suche kri­ti­scher Jour­na­listen, über Kor­rup­tion und Unge­reimt­heiten bei der Pos­ten­ver­gabe zu recher­chieren abge­blockt”, sagte Oliver Schröm, Vor­sit­zender von Netz­werk Recherche, zur Jury­be­grün­dung. „Gerichts­ver­fahren werden gegen Mil­lio­nen­zah­lungen der FIFA ein­ge­stellt, gegen eine Offen­le­gung der ent­spre­chenden Gerichts­be­schlüsse wehrt sich Blatter weiter mit allen Mit­teln. Die jetzt beim FIFA-​Kon­gress in Buda­pest ver­kün­deten Maß­nahmen in Sachen Ethik und Com­pli­ance seien nur Kos­metik, sagte Schröm: „Das zeigt sich schon daran, dass sie ledig­lich in Zukunft gelten sollen und kei­nes­falls die kri­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Ver­gan­gen­heit geplant ist”.

Das bestä­tigte bei der Jah­res­ta­gung von Netz­werk Recherche auch der Lau­dator der ver­schlos­senen Auster, der ehe­ma­lige FIFA-​Mit­ar­beiter und heu­tige Schweizer Natio­nalrat Roland Büchel. Selbst die bereits vor vier Jahren gerichts­fest bewie­senen Schmier­geld­zah­lungen von mehr als 140 Mil­lionen Franken, die zu einem großen Teil an die Spit­zen­funk­tio­näre der FIFA gingen, hätten an Blatters Selbst­ver­ständnis nicht viel geän­dert. „Dass dieser von Demo­kratie nicht viel hält, ist augen­schein­lich”, so Büchel. Als Bei­spiel nannte Büchel das wei­terhin völlig intrans­pa­rente System von Löhnen, Auf­wands­ent­schä­di­gungen und Boni bei der FIFA. „Im letzten Jahr schüt­tete die FIFA 96,8 Mil­lionen Dollar an Löhnen, Zah­lungen an Ehren­amt­liche und Boni aus – nicht übel für einen nicht gewinn­ori­en­tierten Verein mit extremen steu­er­li­chen Pri­vi­le­gien und einem ideellen Zweck”, so Büchel. Anstatt kri­ti­sche Medien-​Anfragen zu diesem Thema zu beant­worten, belohne die FIFA lieber posi­tive Bericht­erstat­tung. Auch staat­li­cher Insti­tu­tionen – wie die von Büchel initi­ierte Par­la­ments­in­itia­tive zur Auf­klä­rung von Kor­rup­ti­ons­fällen im Sport – ver­suche die FIFA durch durch­sich­tiges Lob­bying abzu­schwä­chen. „Die FIFA ging davon aus, dass die Politik wie gewohnt nach ihrer Pfeife tanzen würde. Die ehren­werte Gesell­schaft ließ uns Schweizer Volks­ver­treter sogar wissen, dass sie – was für ein Glück für uns alle – nicht über dem eid­ge­nös­si­schen Recht stünde”, so Büchel. Dabei sei der Euro­parat bereits Ende April „in 124 akri­bisch auf­be­rei­teten Punkten zu einem ver­nich­tenden Urteil” über die Fuß­ball-​Welt­or­ga­ni­sa­tion gekommen. „Selbst­re­gu­lie­rung ist sehr wichtig. Aber wenn die Pro­bleme nicht auf­hören, sollten Regie­rungen ein­schreiten. Auto­nomie ist für die Inter­essen des Sports da, nicht für die Inter­essen von skru­pel­losen Indi­vi­duen”, zitierte Büchel den Kern­satz der Euro­parat-​Reso­lu­tion.

Die FIFA selbst erschien nicht zur Ent­ge­gen­nahme des Preises. Ihr Kom­mu­ni­ka­ti­ons­di­rektor Walter De Gre­gorio schreibt Netz­werk Recherche: „Ich wäre gerne zur Ver­an­stal­tung gekommen, da ich Aus­tern mag, aber ich bin zur­zeit in Bra­si­lien. Der Prä­si­dent selber ver­trägt keine Mee­res­früchte, zudem ist seine Agenda prop­pen­voll. Grund­sätz­lich glaube ich, dass Sie zu spät sind mit der Aus­zeich­nung. Die Auster hat sich inzwi­schen geöffnet. Es geht in der Regel eine Weile, bis auch Recher­chier­jour­na­listen das merken. Die Aus­tern im Kopf bleiben oft über das Ver­fall­datum hinaus geschlossen.” De Gre­gorio rät, sich über den letzten FIFA-​Kon­gress in Buda­pest zu infor­mieren: „Da werden Sie ein paar Ansätze finden, um Ihre Mei­nung zu ändern. Wenn Sie denn daran inter­es­siert sind.” Falls man tat­säch­lich an einer Sach­dis­kus­sion inter­es­siert sei, sei er aber „jeder­zeit bereit, mich Ihren Fragen zu stellen”, so De Gre­gorio.

Der Kritik-​Preis wird in diesem Jahr zum elften Mal ver­liehen. Er steht als mah­nendes Symbol für man­gelnde Offen­heit und Behin­de­rung der Pres­se­frei­heit von Per­sonen oder Orga­ni­sa­tionen gegen­über den Medien. Die Preis­träger erhalten zur Erin­ne­rung und als Mah­nung zur Bes­se­rung eine Skulptur des Mar­burger Künst­lers Ulrich Behner aus reinem Schiefer. Die aus­ge­zeich­neten Preis­träger erhalten das Recht auf Gegen­rede oder Stel­lung­nahme vor der Jah­res­kon­fe­renz von Netz­werk Recherche, an der in diesem Jahr mehr als 800 Medi­en­ver­treter teil­nehmen.
Preis­träger der ver­gan­genen Jahre waren der ehe­ma­lige Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily, der Lebens­mit­tel­kon­zern Aldi, die Hypo-​Ver­eins­bank (stell­ver­tre­tend für die DAX-​Unter­nehmen), der dama­lige DFB-​Prä­si­dent Ger­hard Mayer-​Vor­felder, der dama­lige Chef der Deut­schen Bahn AG, Hartmut Meh­dorn, der dama­lige rus­si­sche Prä­si­dent Wla­dimir Putin, das Inter­na­tio­nale Olym­pi­sche Komitee, der Bun­des­ver­band deut­scher Banken und die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz.

Ein­la­dung an die FIFA

Herrn
Prä­si­dent Joseph S. Blatter
Fédération Inter­na­tio­nale de Foot­ball (FIFA)

Sehr geehrter Herr Prä­si­dent,

im Namen des Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche möchte ich Sie zu unserer Jah­res­ta­gung, Europas größter Kon­fe­renz kri­ti­scher Jour­na­listen, am Freitag, 1. Juni 2012, nach Ham­burg ein­laden.

Hier wird jähr­lich vor bis zu 1.000 Jour­na­listen die “Ver­schlos­sene Auster” ver­liehen. Wir möchten Ihnen, sehr geehrter Herr Prä­si­dent, mit­teilen, dass 2012 dieser hoch­be­ach­tete Preis an die Fédération Inter­na­tio­nale de Foot­ball Asso­cia­tion (FIFA) geht. Der Preis wird für Behin­de­rung von Auf­klä­rung, für Blo­ckade von Infor­ma­tion und/oder Behin­de­rung der Presse ver­geben.

Die FIFA erhält den Preis für man­gelnde Bereit­schaft, u.a. die Kor­rup­ti­ons­af­färe im Zusam­men­hang mit der ehe­ma­ligen Ver­mark­tungs­ge­sell­schaft ISL auf­zu­klären und für den Ver­such, kri­ti­schen Medien gericht­liche Ein­stel­lungs­ver­fü­gungen vor­zu­ent­halten. Ebenso für die Intrans­pa­renz bei der Auf­klä­rung von Kor­rup­ti­ons­vor­würfen gegen Mit­glieder der FIFA-​Exe­ku­tive sowie die andau­ernde Ver­wei­ge­rung als “gemein­nüt­ziger Verein” mit Mil­li­ar­den­um­satz über Löhne, Boni und Ver­gü­tungen Aus­kunft zu erteilen.

Der Preis ver­steht sich nicht als Tri­bunal, son­dern als Angebot zum Gespräch und zur kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung. Wir würden uns des­halb freuen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Prä­si­dent, oder ein Ver­treter der FIFA den Preis per­sön­lich in Emp­fang nehmen.

Viele Preis­träger (u.a. der dama­lige Bun­des­in­nen­mi­nister Otto Schily, der Bun­des­ver­band deut­scher Banken und sogar die Katho­li­sche Bischofs­kon­fe­renz) haben in den ver­gan­genen Jahren die Aus­zeich­nung als Chance ergriffen, nach der Lau­datio eine Gegen­rede zu halten und ihre Posi­tion gegen­über uns und der Öffent­lich­keit dar­zu­legen. Die Lau­datio auf die FIFA wird kein gerin­gerer als der Schweizer Natio­nalrat Ronald Rino Büchel halten.

Im Anschluss an die fest­liche Preis­ver­lei­hung gibt es eine pro­mi­nent besetzte Dis­kus­si­ons­runde zum Thema “Kri­ti­sche Fragen uner­wünscht: Recher­che­freie Zonen im Sport”, u.a. mit Uli Hoeneß (Prä­si­dent FC Bayern Mün­chen), Thomas Kistner (Buch­autor und Redak­teur Süd­deut­sche Zei­tung) und Rein­hold Beck­mann (ARD) als Mode­rator, zu der wir Sie, sehr geehrter Prä­si­dent, oder ein Ver­treter der FIFA hiermit ein­laden.

Die Ver­lei­hung der “Ver­schlos­senen Auster” 2012 findet am Freitag, 1. Juni 2012, ab 14.00 Uhr, statt. Ver­an­stal­tungsort ist das Sen­de­ge­lände des Nord­deut­schen Rund­funks (NDR Fern­sehen) in Ham­burg, Hugh-​Greene-​Weg 1. Erwartet werden bis zu 1.000 Jour­na­listen aus dem In- und Aus­land, dar­unter auch Chef­re­dak­teure großer Tages­zei­tungen, Wochen­zeit­schriften und Fern­seh­an­stalten. Das Pro­gramm der Ver­an­stal­tung finden Sie auf unserer Web­site unter http://jah­res­kon­fe­renz.netz­werk­re­cherche.de

Wir würden uns sehr freuen, sehr geehrter Herr Prä­si­dent, Sie in Ham­burg als Gast begrüßen zu dürfen und mit Ihnen in eine kon­struk­tive Dis­kus­sion treten zu dürfen.

Mit freund­li­chen Grüßen,

Oliver Schröm
1. Vor­sit­zender Netz­werk Recherche e.V.

Lau­datio von Roland Rino Büchel

Aus­ter­preis­träger: Féderation Inter­na­tio­nale de Foot­ball Asso­cia­tion (FIFA) und ihren Prä­si­denten Sepp Blatter
Lau­dator: Roland Rino Büchel, ehe­ma­lige FIFA-​Mit­ar­beiter und heu­tige Schweizer Natio­nalrat

Grüezi mit­enand
Das Netz­werk Recherche ver­gibt die elfte „Ver­schlos­sene Auster“ an einen Schweizer Verein mit einem ideellen Zweck.
Wenn es um Nich­tig­keiten geht, ist dessen Vor­sit­zender sehr elo­quent und alles andere ver­schlossen. So weiss bald jedes Kind, dass er mehr als zwei Monate zu früh zur Welt kam, nur halb so schwer war wie ein nor­males Baby und offenbar genau darum ein zäher Bur­sche wurde.
Als Chef trifft er die wich­tigen Ent­schei­dungen zusammen mit 23 „Engeln” und „Teu­feln”. Das sage nicht ich, das sagt er selbst. Es sind die Bezeich­nungen, die „Le Président” seit einem guten Jahr ver­wendet, wenn es um seine 23 Vor­stands­kol­legen geht.
Wer aber ist ein Engel, und wer ist ein Teufel? Das ist die ent­schei­dende Frage. Doch die will „Le Président” par­tout nicht beant­wortet haben.
Im Gegen­teil, er hat schon acht Mil­lionen Franken auf­bringen lassen und dazu die teu­ersten Anwälte enga­giert, um die Namen von kor­rupten Mit­glie­dern seines Exe­kutiv-​Komi­tees unter dem Deckel zu halten. Somit erscheinen ein paar Teufel wei­terhin als Engel. Vor den Teu­feln hat er Angst, Engel kann man auch mal fallen lassen.
Dies im Moment zum Innen­leben der Insti­tu­tion, die jedes Jahr ohne son­der­li­chen Auf­wand einen Mil­li­ar­den­be­trag ein­nimmt.
Für den Preis kommen nun nicht mehr alle Ver­eine nach Artikel 60 ff des Schweizer Zivil­ge­setz­buchs in Frage. Davon gibt es übri­gens weit mehr als 100‘000.
Bei uns exis­tiert ein Bonmot: „Was haben drei Schweizer gemacht, wenn sie eine Stunde zusam­men­ge­sessen sind? – Logisch, sie haben einen Verein gegründet.”
Ich ver­rate Ihnen noch nicht, wel­cher Verein mit der Auster aus­ge­zeichnet worden ist. Ich sage Ihnen zuerst, wer sie nicht erhalten wird. Gewonnen hat keines der zahl­rei­chen Jodel­chörli aus einem Berg­dorf. Gewonnen hat auch kein Kanin­chen­züch­ter­verein. Das Werk des Mar­burger Künst­lers Ulrich Behner geht nicht an keinen Quar­tier­ke­gel­club.
Die Auster geht an einen mul­ti­na­tio­nalen Kon­zern. Die Struktur des Unter­neh­mens sei die­je­nige von einem mit Gangs­tern durch­setzten „Gen­tlemen’s Club”, sagt der Rechts­pro­fessor, der sich seit Monaten mit dessen Innen­leben befasst. Der Vor­sit­zende des Clubs, „Le Président”, spricht hin­gegen von einer „Familie”.
Buch­autor Thomas Kistner, der heute unter uns ist, denkt dabei an eine etwas spe­zi­elle, sizi­lia­ni­sche Fami­li­en­form. Er nennt das Kind beim Namen und den „Gen­tlemen’s Club” des­halb schlicht „Mafia”. Der Gen­tlemen’s Club muss sich diese Bezeich­nung auf­grund der Fak­ten­lage gefallen lassen.
Dabei will die Familie doch nur Gutes tun und die Welt ver­bes­sern. Das hat sie sich auf die Fahne geschrieben. Und sogar in das Logo. „For the Game. For the World.” Der Anführer des Clans hat seine Ambi­tionen auf den Frie­dens­no­bel­preis schon mehr­mals kund­getan.
Wer den unzäh­ligen Ver­laut­ba­rungen des 76jäh­rigen Fami­li­en­ober­hauptes Glauben schenkt – als Bei­spiel sei das lange Inter­view in der Schweizer Wochen­zeit­schrift „Welt­woche” Nummer 49 vom Dezember 2010 genannt – kann nicht mehr den geringsten Zweifel haben: seine Orga­ni­sa­tion ist dazu bestimmt, unseren Pla­neten zu retten.
Müsste die Auster oder deren „Grosse reine Perle” den Frie­dens­no­bel­preis nicht schon längst erhalten haben?
Was noch nicht ist, kann noch werden. Seit einigen Tagen gibt es eine Ver­ein­ba­rung – den so genannten „Hand­schlag für den Frieden” – zwi­schen der heu­tigen Preis­trä­gerin und dem „Nobel Peace Centre”.
Dieses hat einen dekla­rierten Haupt­zweck, näm­lich „to pro­mote fami­lia­rity with the lives and work of the Nobel Peace Prize lau­reates”, also das Leben und das Wirken der Nobel­preis­träger bekannt zu machen.
Noch­mals: Der Frie­dens­no­bel­pries ist das Lebens­ziel des Prä­si­denten der heu­tigen Preis­trä­gerin. Und nicht die „Ver­schlos­sene Auster”.
Schliess­lich wird „Le Président” auf der bekannten Forbes-​Liste der 70 aller­wich­tigsten Per­sonen dieser Welt nur knapp hinter dem Dalai Lama, dem CEO von Apple und dem rus­si­schen Prä­si­denten geführt.
Die „Grosse reine Perle”, hat nicht nur Ambi­tionen. Son­dern auch Qua­li­täten. Sie kann gut „Danke” sagen. Ich nenne Ihnen ein Bei­spiel: Der Jour­na­list, der das genannte Inter­view für die Welt­woche führte, steht heute im Sold der Auster. Er darf sich „Direktor für Kom­mu­ni­ka­tion und Öffent­lich­keits­ar­beit” nennen und ist für deren umfang­reiche PR-​Aktionen ver­ant­wort­lich.
Bei den wirk­lich rele­vanten Fragen jedoch, da amtet der ehe­ma­lige Jour­na­list quasi als Zuhalter. „Zuhalter”, habe ich gesagt. Das Wort hat kein „ä”. Trotzdem, ein paar jour­na­lis­ti­sche Grund­sätze über Bord werfen und sich ein biss­chen pro­sti­tu­ieren, das muss man schon, wenn man sich ent­scheidet, „his Master’s Voice” zu werden und sein Ein­kommen zu ver­zehn­fa­chen.
In jüngster Zeit hat der Gen­tlemen’s Club nicht nur die PR-, son­dern auch die Lob­by­ar­beit aus­ge­baut. Einer der Gründe für die Hys­terie im Umfeld der „Grossen reinen Perle” mag ein „offener Brief” gewesen sein. Ich schrieb ihn am 11. Januar 2011 als Ant­wort auf die diversen Inter­views, welche die „Grosse reine Perle”, alias „Le Président”, damals um den Jah­res­wechsel gegeben hatte.
Noch am Tag, als mein Schreiben im Brief­kasten des Gen­tlemen’s Club lan­dete, sandte jener eine Ein­la­dung an sämt­liche 246 eid­ge­nös­si­schen Par­la­men­ta­rier.
Der Anlass war ein Flop. Nur jeder zwan­zigste Abge­ord­nete wollte dem Haus­ju­risten der ehren­werten Gesell­schaft zuhören, als er im nobelsten Berner Hotel dar­legte, wie wichtig sie für die Schweiz sei. Er ver­schwen­dete keinen Gedanken dar­über, dass sie auch ein Repu­ta­ti­ons­ri­siko für unser Land bedeuten könnte.
Ins­ge­samt war die Welt noch in Ord­nung. Und die „Grosse reine Perle” ging davon aus, dass die Politik wie gewohnt nach ihrer Pfeife tanzen würde. Die ehren­werte Gesell­schaft liess uns Schweizer Volks­ver­treter sogar wissen, dass sie – was für ein Glück für uns alle – nicht über dem eid­ge­nös­si­schen Recht stünde.
Wenn die Clan­mit­glieder oder Ange­stellte jener Mil­li­ar­den­firma also eine kri­mi­nelle Tat begehen, müssen sie genauso ins Gefängnis wie zum Bei­spiel die Lebens­mittel-​Ver­käu­ferin, welche das gleiche Delikt begeht…
Was ist seither pas­siert?
Mein par­la­men­ta­ri­scher Vor­stoss mit dem Auf­trag an das Sport­mi­nis­te­rium, die Kor­rup­ti­ons­pro­bleme im Sport resolut anzu­pa­cken und Lösungen zu prä­sen­tieren, wurde im Natio­nalrat ohne eine ein­zige Gegen­stimme ange­nommen.
Dann wurde die Sache in der zweiten Kammer und in der Ver­wal­tung ver­schleppt. Das war unklug.
Umso härter kam der Keu­len­schlag aus Strass­burg. Der Euro­parat ver­ab­schie­dete vor fünf Wochen eine Reso­lu­tion. Sie basiert auf einem prä­zisen 21sei­tigen Bericht und zielt mitten ins Herz der heu­tigen Preis­trä­gerin.
Das Papier kommt in 124 akri­bisch auf­be­rei­teten Punkten zu einem ver­nich­tenden Urteil. Der Euro­parat ver­langt, dass im Gen­tlemen’s Club ein für alle Mal auf­ge­räumt wird und stellt sogar die Wahl dessen Ober­hauptes zur Dis­kus­sion.
Was schreibt Europa zur Kor­rup­tion inner­halb der Insti­tu­tion? Ich zitiere aus der Reso­lu­tion, die fast ein­stimmig ver­ab­schiedet wurde:
„Selbst­re­gu­lie­rung ist sehr wichtig. Aber wenn die Pro­bleme nicht auf­hören, sollten Regie­rungen ein­schreiten. Auto­nomie ist für die Inter­essen des Sports da, nicht für die Inter­essen von skru­pel­losen Indi­vi­duen”, lauten die unmiss­ver­ständ­li­chen Worte aus Strass­burg.
Jetzt wissen Sie, in wel­chem Gesell­schafts­be­reich die Auster tätig ist, näm­lich im Sport.
Es ist noch nicht lange her, da hatte die „Grosse reine Perle” stand­haft behauptet, dass es in der Auster keine Kor­rup­tion gäbe.
Die bereits vor vier Jahren gerichts­fest bewie­senen Schmier­geld­zah­lungen von mehr als 140 Mil­lionen Franken, die zu einem grossen Teil an die Perlen der „Ver­schlos­senen Auster” gingen, änderten nichts am Selbst­ver­ständnis der „Grossen reinen Perle”.
Dass diese von Demo­kratie nicht viel hält, ist augen­schein­lich. „Wenn ein Dik­tator einer ist, der dik­tiert, dann bin ich ein Dik­tator”, sagte die „Grosse reine Perle” jüngst in ver­schie­denen TV-​Inter­views.
Wie kam es dazu, dass der Dik­tator im letzten Jahr plötz­lich anfing, von himm­li­schen und höl­li­schen Gestalten zu fabu­lieren? Der Grund ist klar: Eine der 23 Perlen wollte selbst zur „Grossen Perle” werden, und zwar die­je­nige, welche der Dik­tator einst seinen „Bruder” nannte. Das war zu viel des Unguten. Darum wurde aus dem „dear brother” ein etwas weniger dearer „devil”.
Die Wahl zur „Grossen Perle” fand übri­gens heute auf den Tag genau vor einem Jahr statt. Der als „Teufel” bezeich­nete Her­aus­for­derer hatte sich wenige Tage vorher unter mys­te­riösen Umständen zurück­ge­zogen.
Bevor ich Ihnen mehr über das Innen­leben der Auster sage, gibt es etwas zu Slobodan. Ich war gerade darin ver­tieft, diese Zeilen in den Com­puter zu tippen, als der junge Mann sich im Zug zu mir setzte. Er kam vom Mus­kel­trai­ning und fragte mich im typi­schen Slang der Jungen: „Hey Mann, was hackst Du da in Deine krasse Maschine?”
Ich ant­worte, dass ich daran sei, eine Lau­datio auf die „Ver­schlos­sene Auster” zu ver­fassen. Weil er wissen wollte, was so ein „Lauda-​Ding” denn sei, ver­suchte ich, es zu erklären. Dabei rutschte mir der Name der Preis­trä­gerin heraus.
Wegen dieser Unacht­sam­keit wusste ein junger Mann schon ein paar Tage vor Ihnen, wer heuer mit der „Ver­schlos­senen Auster” aus­ge­zeichnet wird.
„Hey Mann, Du machst Deinen „Lauda-​Toni” nicht für eine normal ver­schlos­sene Auster, wo jeder kna­cken kann”, schoss es aus ihm heraus. Er klopfte mir dabei aner­ken­nend und etwas gar fest auf die Schulter. „Hey, Deine Muschel ist krass eine voll inte­gral ver­schlos­sene Auster.”
Der Begriff gefällt mir. Ich kürze ihn ab und ver­wende nur die Anfangs­buch­staben von „Voll Inte­gral Ver­schlos­sene Auster”. Ich nenne den Preis­träger von jetzt an VIVA. Das Copy­right gehört Slobodan.
Schauen wir uns den nicht gewinn­ori­en­tierten Verein, der die Auster erhalten wird, etwas genauer an:
Die „Voll Inte­gral Ver­schlos­sene Auster”, also die VIVA, zählt einen Prä­si­denten und 23 ehren­amt­liche Spit­zen­funk­tio­näre in ihren Reihen. Das wissen Sie schon. Zudem hat die VIVA 390 Ange­stellte in der Admi­nis­tra­tion. In der letzten Woche waren viele von ihnen in Ungarn.
Schon im Vor­feld schienen sich die Perlen auf den Auf­ent­halt dort zu freuen. Die Ankün­di­gung auf der Web­seite der VIVA lau­tete: „Die Perle an der Donau, wie Buda­pest auch genannt wird, bietet der VIVA eine male­ri­sche Kulisse für ihren 62. Kon­gress, bei dem die 208 Mit­glieds­ver­bände über weit­rei­chende Reformen in den Berei­chen Good Gover­nance, Com­pli­ance und Ethik befinden werden.”
– “Reformen”
– “Good Gover­nance”
– “Com­pli­ance”
– “Ethik”
Das sind gar grosse Begriffe für die patri­ar­cha­lisch geführte VIVA, die es seit 108 Jahren gibt.
In Buda­pest wurde beschlossen, bald zum ersten Mal eine weib­liche Perle in den Alt­her­ren­zirkel auf­zu­nehmen. Wenn man die VIVA in diesem Tempo wei­ter­ma­chen lässt, werden frü­hes­tens unsere Urenkel etwas von ernst­haft gelebter Good Gover­nance und Ethik in der VIVA spüren.
Nur nebenbei: Kennen Sie das schwei­ze­ri­sche „Unwort des Jahres 2010″? – „VIVA-​Ethik­kom­mis­sion”.
Wech­seln wir von der Pseu­do­ethik zur kon­kreten Raff­gier. Wie ver­golden sich die Perlen der VIVA ihre Nasen?
Die VIVA schüt­tete im letzten Jahr 96.8 Mil­lionen Dollar an Löhnen, Zah­lungen an Ehren­amt­liche und Boni (67.3 + 29.5 = 96.8 Mio) aus. Das macht bei 414 Per­sonen 233‘000 Dollar pro Kopf.
Nimmt man die Luxus-​Sozi­al­leis­tungen der VIVA dazu, dann weist die Rech­nung sogar 118.5 Mil­lionen Dollar aus (89 + 29.5 = 118.5 Mio). Das macht im Schnitt 286‘000 Dollar pro Person.
Nicht übel für einen nicht gewinn­ori­en­tierten Verein mit extremen steu­er­li­chen Pri­vi­le­gien und einem ideellen Zweck.
Für den Euro­parat sind solche Ver­gü­tungen schlicht jen­seits von Gut und Böse. Wenn wir etwas genauer hin­schauen, kommt es noch dicker.
Seit 2004 wird in aller Stille viel Geld für so genannt „kurz­fristig fäl­lige Leis­tungen” aus­be­zahlt. Das sind zum aller­grössten Teil Boni für die „Grosse Perle” und deren 23 Mit­perlen. In den letzten acht Jahren hat der nicht gewinn­ori­en­tierte Verein VIVA seinem ehren­amt­li­chen Vor­stand und dem Prä­si­denten, der nach eigener Dar­le­gung keinen Lohn nimmt, son­dern nur eine „Ent­schä­di­gung” erhält, mehr als 100 Mil­lionen Dollar an Boni zukommen lassen.
Früher gab es keine Bonus­zah­lungen. Da liessen sich die Perlen von aussen mit Sauer­stoff ver­sorgen.
„Oxygène”, also Sauer­stoff, so nennen Insider die Schmier­geld­zah­lungen von 140‘785‘618 Franken und 93 Rappen, welche die damals füh­rende Sport-​Agentur zahl­rei­chen Sport­funk­tio­nären wäh­rend zwölf Jahren zuschanzte. Heim­lich und über allerlei ver­schlun­gene Wege.
Eine Frage inter­es­siert mich bren­nend: Wer nahm die 93 Rappen?
Emp­fänger schwarzen Geldes gab es nicht nur unter den 23 VIVA-​Perlen. Es waren, das belegen Gerichts­akten, auch Perlen des Preis­trä­gers von 2008 dar­unter: Offenbar konnten heute noch stimm­be­rech­tigte Mit­glieder des Inter­na­tio­nalen Olym­pi­schen Komi­tees dank des ver­ab­reichten Sauer­stoffs besser atmen!
Logisch, dass die Schmier­geld­agentur Kon­kurs ging. Die Luft war ihr aus­ge­gangen. Nach dem Tod jener „Sugar-​Mama” aus dem schönen Schweizer Städt­chen Zug musste ein neuer Sauer­stoff-​Lie­fe­rant her. Die VIVA fand eine haus­in­terne Lösung.
Ein sol­ches Husa­ren­stück war nur mög­lich, weil die TV- und Mar­ke­ting­rechte der Schmier­geld­agentur nach deren Kon­kurs auf gera­dezu wun­der­same Art an die VIVA gingen. Anstatt in die Kon­kurs­masse, wie es sich gehört hätte.
Dank dieser neuen mil­li­ar­den­schweren Lizenz zum Geld­dru­cken konnten allein in den letzten beiden Jahren mehr als 60 Mil­lionen Dollar für „kurz­fristig fäl­lige Leis­tungen” aus­ge­schüttet werden.
„Le Président” und jedes ein­zelne seiner 23 ehren­amt­li­chen Vor­stands­mit­glieder bedienen sich – im Schnitt – mit jähr­lich rund einer Mil­lion Dollar aus der VIVA-​Kasse.
Haben diese neuen Boni die alten Schmier­geld­zah­lungen ersetzt? Ein Schelm, wer einen Zusam­men­hang sieht und Böses dabei denkt.
Zum Schluss muss ich Ihnen noch zwei wich­tige Dinge mit­teilen:
a) wer die Auster gewonnen hat und
b) dass wir Schweizer manchmal Mühe haben, das „V” wie „Vögeli” vom „F” wie Fuss­ball zu unter­scheiden.
Die dies­jäh­rige „Ver­schlos­sene Auster”, oder die gemäss Slobodan „Voll Inte­gral Ver­schlos­sene Auster” geht an die Féderation Inter­na­tio­nale de Foot­ball Asso­cia­tion.
Oder kurz gesagt: Die VIVA geht an die FIFA.

Ant­wort der FIFA

Sehr geehrter Herr Schröm,

meine Kol­legen der Medi­en­ab­tei­lung haben Ihnen bereits geant­wortet. Erlauben Sie mir bitte ein paar per­sön­liche Zeilen nach­zu­lie­fern. Ich wäre gerne an die Ver­an­stal­tung gekommen, da ich Aus­tern mag, aber ich bin zur­zeit in Bra­si­lien. Der Prä­si­dent selber ver­trägt keine Mee­res­früchte,
zudem ist seine Agenda pro­pen­voll.

Grund­sätz­lich glaube ich, dass Sie zu spät sind mit der Aus­zeich­nung. Die Auster hat sich inzwi­schen geöffnet. Es geht in der Regel eine Weile, bis auch Recher­chier­jour­na­listen das merken. Die Aus­tern im Kopf bleiben oft über das Ver­fall­datum hinaus geschlossen. In der Zwi­schen­zeit infor­mieren Sie sich über den letzten FIFA-​Kon­gress in Buda­pest. Da werden Sie ein paar Ansätze finden, um Ihre Mei­nung zu ändern. Wenn Sie denn daran inter­es­siert sind.

Ganz ohne Ironie: Falls Sie wirk­lich an einer Sach­dis­kus­sion inter­es­siert sind, bin ich jeder­zeit bereit, mich Ihren Fragen zu stellen. Sollten Sie aus diesem Mail zitieren wollen, dann bitte ganz und nicht nur aus­zugs­weise. Wäre nett. Ansonsten wün­sche ich Ihnen viel Erfolg für Ihre Ver­an­stal­tung. Ich wäre ab Montag wieder in Zürich und für Sie erreichbar.

Mit bestem Gruß aus Sao Paulo
Walter De Gre­gorio
Direktor Kom­mu­ni­ka­tion

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