Sollen Ver­lage goo­geln?

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 3. Juli 2015 | Lese­zeit ca. 5 Min.

Von Cordelia Marsch, JONA

Ein Pakt mit dem Teufel, so sehen Kri­tiker die Zusam­men­ar­beit von Ver­lagen mit den ame­ri­ka­ni­schen Internet-​Kon­zernen Face­book und Google. Doch sollte man des­halb die Finger davon lassen? Das Podium auf der nr-​Jah­res­kon­fe­renz war sich erstaun­lich einig: Nein! „Wir wissen nicht, ob es funk­tio­niert, aber wir müssen eine Koope­ra­tion aus­pro­bieren“, sagte Torsten Beeck, Leiter der Social-​Media-​Abtei­lung des Spiegel.

Jakob Aug­stein, Chef­re­dak­teur des Frei­tags, pflich­tete ihm bei: Ja, es gebe Risiken, aber die Ver­lage hätten keine Wahl – die Digi­ta­li­sie­rung sei zu prä­sent, als dass man sich ihr ver­sperren könne. Sicher, man könne die Zei­tungen auch an den Kiosk lie­fern. Von dort kämen sie aber gebün­delt in die Redak­tionen zurück, denn die Leser war­teten woan­ders. Vor allem erreiche man sie heute über Face­book und Google.

Schon immer habe der Jour­na­lismus zwei Märkte bedient, so Aug­stein: den Leser-​ und den Anzei­gen­markt. Das Risiko der Kor­rum­pier­bar­keit sei also nichts Neues, son­dern schon immer ein wunder Punkt im Jour­na­lismus.

Die Anzei­gen­er­löse der Ver­lage bre­chen seit Jahren ein, viele geraten in finan­zi­elle Not. Google und Face­book erscheinen vielen da als Retter.

Seit Mai läuft eine Test­phase für die soge­nannten „instant articles“ auf Face­book, die bis­lang nur auf iPhones abrufbar sind. Das Prinzip: Artikel, die zum Bei­spiel von Spiegel Online stammen, müssen nicht mehr extern auf­ge­rufen werden, son­dern sind in Face­book mit ein­ge­bettet. Der Artikel ist für den User laut Face­book bis zu zehn Mal schneller ver­fügbar, also in weniger als einer Sekunde – das soll ihn auf Face­book halten, denn lange Lade­zeiten ver­graulen viele.

Der Vor­teil, der sich daraus für Face­book ergibt, ist klar: Face­book ver­liert seine Nutzer nicht mehr an eine Home­page, auf die ihn ein externer Link wei­ter­leiten würde. Außerdem bekommt die Platt­form qua­li­tativ hoch­wer­tigen Con­tent kos­tenlos von den Ver­lagen.

„Wir werden die Hoheit über unsere Inhalte behalten“

­Schon 2013 kün­digte Face­book-​Gründer Mark Zucker­berg an, er wolle sein soziales Netz­werk zur besten per­so­na­li­sierten Zei­tung der Welt machen – mit den instant articles ist er seinem Ziel ein Stück­chen näher gekommen.

Und wel­chen Vor­teil soll das für die Ver­lage haben? Torsten Beeck vom Spiegel nannte zwei Schlag­worte: Reich­weite und Mone­ta­ri­sie­rung. „Wir werden die Hoheit über unsere Artikel behalten“, ver­si­cherte er. Es gehe ihm und dem Spiegel darum, die Leser und Kunden glück­lich zu machen und sie da abzu­holen, wo sie seien – das sind eben nicht mehr der Kiosk und auch nicht die Home­pages. Die Zukunft liegt im mobilen Internet.

Die Ver­lage wollen Goo­gles und Face­books Reich­weite nutzen, um mehr Anzeigen gene­rieren zu können, zum anderen werden sie bei den instant articles zusätz­lich von Face­book an den Wer­be­ein­nahmen betei­ligt.

Doch was für Gefahren lauern in diesen Koope­ra­tionen? Beeck weiß auch, dass die Mar­ken­treue abge­nommen hat und mit Face­book und Google weiter abnehmen wird. Doch nicht nur das: Auch die Erkenn­bar­keit und die Iden­tität einer Marke könnten unter den neuen Ver­mark­tungs­stra­te­gien leiden, befürchtet Aug­stein. „Wir müssen mit­ma­chen, aber wir müssen auch dar­über dis­ku­tieren, was diese Koope­ra­tion für die Ver­lage und die jour­na­lis­ti­sche Unab­hän­gig­keit bedeutet.“

Face­book ver­än­dert zwar nichts an den Inhalten, publi­ziert die Artikel aber sehr wohl nach den eigenen Richt­li­nien. Schafft es ein Artikel nicht in die instant articles, kann er aber natür­lich wie bis­lang vom Medium selbst gepostet werden.

„Get your shit toge­ther!“

Gerrit Rabenstein von Google. Foto: Wulf Rohwedder

Gerrit Raben­stein von Google. Foto: Wulf Roh­wedder

Es gehe jetzt um das Aus­pro­bieren, sagt Gerrit Raben­stein von Google. Seit 20 Jahren kün­dige sich diese Ent­wick­lung an, dass Jour­na­lismus immer mehr auch im Netz statt­finde. Jetzt gehe es darum, „nach vorne zu gehen – get your shit toge­ther!“

Im Sep­tember startet offi­ziell die „Digital Native Initia­tive“ (DNI) von Google. Die Initia­tive will unter anderem Inno­va­tionen im digi­talen Jour­na­lismus för­dern, durch Funds, Trai­nings und Pro­dukt­ent­wick­lungen. Auch hier wird der Spiegel dabei sein.

Der Spiegel sei eines der Blätter, das großen Spaß am Aus­pro­bieren habe, sagt Torsten Beeck. Er betont mehr­mals, dass er nicht wisse, ob die instant articles und die Koope­ra­tion mit Google, viel­leicht auch eine zukünf­tige mit Apple, gut für das Unter­nehmen seien. Es sei eben ein Lern­pro­zess.

Es gebe momentan viel Rat­lo­sig­keit und Angst in der Medi­en­branche: Jour­na­listen, „die die Ent­wick­lung umarmen und mit­ma­chen wollen, und die, die im stillen Käm­mer­lein sitzen und warten, bis es vorbei ist“. Beeck will zu Ers­teren gehören. Er freut sich über die Zusam­men­ar­beit mit den Kon­zernen, weil man erkannt habe, dass es gute Inhalte auf den Platt­formen brauche. Eine Win-​Win-​Situa­tion also?

Ob die Wün­sche nach mehr Reich­weite und einem stär­keren Nut­zungs­er­lebnis erfüllt werden, wird man sehen. Beeck ist sich jeden­falls sicher, dass auch Face­book und Google großes Inter­esse an einer Zusam­men­ar­beit mit den Ver­lagen haben – und schätzt des­halb das Risiko als gering ein, dass die Kon­zerne ihre Rah­men­be­din­gungen plötz­lich ändern, Inhalte ver­än­dern oder gar strei­chen könnten. Und falls doch, so gebe es zu jedem Zeit­punkt die Mög­lich­keit, die Zusam­men­ar­beit auf­zu­kün­digen.

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