Verschlossene Auster 2006 für Bahnchef Mehdorn

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 22. Oktober 2014 | Lesezeit ca. 3 Min.

Die Verschlossene Auster, der Kritik-Preis des Netzwerks Recherche für den „Informationsblockierer des Jahres“ geht 2006 an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn. Er erhält den Preis wegen der anhaltenden Praxis, Drehgenehmigungen restriktiv zu erteilen und bei heiklen Themen keine Stellung vor Kameras zu beziehen. Zudem kritisiert Netzwerk Recherche den Anzeigenentzug der Deutschen Bahn als Reaktion auf einen kritischen Bericht des Wirtschaftsmagazin Capital im Februar 2006 sowie das bisherige Nein zu einer Ausstellung über die historische Rolle der Bahn im Zusammenhang mit dem Konzentrationslager Auschwitz.

„Im Punkt offene Informationspolitik befindet sich die Deutsche Bahn noch auf dem Abstellgleis“, sagte Thomas Leif, der Vorsitzende des Netzwerk Recherche. „Die Verschlossene Auster auf dem Schreibtisch des Bahnchefs soll ihn künftig täglich daran erinnern, dass auch die Medien einen Anspruch auf pünktlichen, umfassenden und unbegrenzten Informationsfluß auch bei Bahn-kritischen Themen haben.“ Weiter sagte Leif: „Allein die Masse von Bahn-Presseerklärungen sagt noch nichts über die Qualität der Informationspolitik.“

Die Ausstellung über die Bahn und ihr Bezug zu Auschwitz wollte die DB ins Museum verbannen anstatt ihr in Bahnhöfen große Öffentlichkeit zu ermöglichen. Immerhin haben sich Zentralrat der Juden und Bahn eigenen Angaben zufolge kürzlich grundsätzlich geeinigt, die Schau nun doch zu zeigen. Nach zweijährigen Verhandlungen. Allerdings ist nach wie vor unklar, ob sie in Bahnhöfen gezeigt wird. Einen Anzeigenstopp verhängte die Bahn bereits zum wiederholten Male nach kritischer Berichterstattung: 2003 traf es das Manager Magazin; drei Jahre später nun Capital.

Die „Verschlossene Auster“ wurde in diesem Jahr zum fünften Mal verliehen. Sie steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Kooperationsverweigerung von Personen oder Organisationen gegenüber den Medien. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung und Mahnung zur Besserung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner.

Die diesjährige Laudatio auf den Preisträger hielt Sonia Mikich, Redaktionsleiterin der Sendung Monitor des Westdeutschen Rundfunks. „Hartmut Mehdorn und die Bahn erhalten den Preis stellvertretend für alle, die Presse, Hörfunk und Fernsehen durch den Entzug von Anzeigen bestrafen und disziplinieren wollen“, sagte sie in ihrer Laudatio. „Und die bei kritischen Themen so gekonnt schweigen.“

Hartmut Mehdorn konnte der Einladung des Netzwerks Recherche, den Preis auf der Jahrestagung in Hamburg persönlich in Empfang zu nehmen und eine Gegenrede zu halten, nicht folgen. Über sein Büro ließ er dem Netzwerk Recherche mitteilen, dass er sich auf einer Auslandsreise befinde. Allerdings antwortete er schriftlich. In dieser Entgegnung, die vom Netzwerk Recherche in Hamburg von Tagesschau-Sprecher Marc Bator verlesen wurde, heißt es: „Die Deutsche Bahn hat unter der Leitung der „Verschlossenen Auster“ Mehdorn in den vergangenen zwölf Monaten international, national und regional rund 4600 Pressemitteilungen, Themendienste und Hintergrundinformationen herausgegeben. (…) Hinzu kamen allein in den vergangenen zwölf Monaten rund 500 Pressekonferenzen, Pressegespräche, Journalisten-Stammtische, Redaktionsbesuche, Interviews, Hintergrundgespräche und Medienworkshops. Ein Unternehmen, das sich angeblich einmauert, würde ganz gewiss anders agieren.“ Mehdorn kündigte in seiner Erklärung an: „Die Auster wird einen Platz bei mir im Büro erhalten, damit ich jedem, der sie sieht und mich – ziemlich überrascht, wie ich vermute – danach fragt, erklären kann, wie ausgerechnet Hartmut Mehdorn zu dieser Ehre gekommen ist.“

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