Laudatio zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2006

Austerpreisträger: Bahnchef Mehdorn
Laudatorin: Sonia Mikich, Moderatorin des Politmagazins MONITOR

 

„Journalisten sind nicht immer angenehm, sie sind sogar häufig höchst unwillkommen. Aber sie sind für unsereinen unentbehrlich. Und darum muss man sie gut behandeln – soweit das möglich ist. Lassen Sie den Mann morgen früh um neun Uhr kommen…“ Das war nicht Ernst Uhrlau, das war nicht Hartmut Mehdorn. Das war Konrad Adenauer. Das war ein Staatsmann mit einer rheinischen-entspannten Variante von Machtgestaltung. Ich komme aus Köln, und es geht um die Verschlossene Auster.

In den vergangenen Jahren hat das Netzwerk Recherche Innenminister Otto Schily, Aldi, die Hypovereinsbank und DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder ausgezeichnet. Im Jahr 2006 geht die Verschlossene Auster an – die Bahn und ihren Chef Hartmut Mehdorn. Lassen Sie mich diese Entscheidung begründen.

Mehdorn und die Bahn sollen Informationsverhinderer sein? Viele Journalisten schätzen ihn und die Bahn. Ob auf Lokal-, Regional-, Landes- oder Bundesebene: Wir alle machen täglich viele Geschichten über sie. Einige von Ihnen werden mit der Bahn nach Hamburg angereist sein. Einige von Ihnen haben vielleicht die Bahncard, eine schönes Extra-Rabättchen für Journalisten (wir sind ja nicht blöd…). Nach den vielen Diskussionen der vergangenen Wochen um den Medienkodex können Sie sich denken, wie sehr das Netzwerk Recherche diese und andere Vergünstigungen für unsereins begrüßt. Aber dazu später. Wir alle haben in den vergangenen Jahren erlebt, wie sich die Bahn gewandelt hat und ihr Chef Hartmut Mehdorn auf vielfältige Weise versucht, das Bahnfahren modern und konkurrenzfähig zum Autofahren und zum Fliegen zu machen. Wir haben viele Geschichten produziert über den Wandel, auch über den angestrebten Börsengang. Noch aber ist die Bahn kein Privat- sondern ein Staatsunternehmen. Es gibt enormes Interesse an ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft.

Die Vergangenheit: Der 1955 verstorbene Journalist und Essayist Alfred Polgar meinte einst: „Die Presse hat auch die Aufgabe, das Gras zu mähen, das über etwas zu wachsen droht.“ Die Bahn hat vor mehr als 60 Jahren massiv zum dunkelsten Kapitel der Deutschen beigetragen. Die Eisenbahn schaffte Hunderttausende Menschen, darunter allein 11.000 jüdische Kinder aus Frankreich, über Deutschland nach Polen ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort wurden sie ermordet. Das ist unsere Geschichte und natürlich auch die Geschichte der Bahn – was sonst?

Serge und Beate Klarsfeld haben dazu eine Wanderausstellung für Bahnhöfe und Durchgangsstationen zusammengestellt. Das französische Eisenbahnunternehmen S.N.C.F. hat dem Konzept der Ausstellung zugestimmt. Die Deutsche Bahn machte dicht -auf mehrfache Anfrage, wie im April 2006 bekannt wurde. Die Deutsche Bahn wollte die Ausstellung lediglich im Eisenbahnmuseum in Nürnberg zeigen – Kritiker sagen: verstecken. Begründung: Es fehle an Personal und Geld. Später hieß es, die Bahn wolle Ausstellungen generell aus Bahnhöfen fernhalten. Bahn-Sprecher Oliver Schumacher sagte den schönen Satz: „Wir plädieren dafür, dieses sensible Thema museums-pädagogisch zu begleiten.“ Sensibel bis zur Unsichtbarkeit?

Tatsächlich war es die falsche Entscheidung und das falsche Signal. Wer sich vor der Vergangenheit wegduckt, der will entweder etwas verbergen oder nichts dazu lernen. Und hat keine Haltung für die Zukunft. Immerhin haben sich Zentralrat der Juden und Bahn eigenen Angaben zufolge kürzlich grundsätzlich geeinigt, die Schau nun doch zu zeigen. Allerdings ist nach wie vor unklar, ob sie in Bahnhöfen gezeigt wird. Bis Ende Mai wollen sie Details der Entscheidung erarbeiten. Nach zweijährigen Verhandlungen.

Wir sind in der Gegenwart. Die Bahn setzt ihre Kritiker unter ökonomischen Druck. Im Oktober 2003 brachte das Manager Magazin eine große Geschichte – mit dem Tenor: Missmanagement unter Mehdorn. Daraufhin stornierte die Bahntochter Stinnes bereits geschaltete Anzeigen im Wert von mehr als 100.000 Euro. Dafür gab es massiv und zurecht Schelte, half aber nichts. Im Februar 2006 wurde die Bahn zum Wiederholungstäter. Nach einem kritischen Bericht des Wirtschaftsmagazins Capital über „Mehdorns Malaise“ zog sie erneut Anzeigen zurück.

Capital hatte unter Verweis auf interne Dokumente der Bahn von Schulden in „horrender“ Höhe geschrieben. Die Bahn monierte einen fehlenden Hinweis, dass sie nämlich die Bilanzierungsmethode umgestellt habe. Dazu Capital: diese Umstellung alleine könne die Zahlen nicht erklären. Wie ging es weiter? Die Bahn verlangte keine Gegendarstellung, viel zu viel Juristerei. Sondern griff zum Anzeigenknüppel: sie stornierte mehrere ganzseitige Anzeigen. Branchenintern war von einem sechsstelligen Geldbetrag die Rede. Capital wurde ihrem Chefredakteur Klaus Schweinsberg zufolge zu verstehen gegeben, das Storno sei eine unmittelbare Reaktion auf die Kritik. Später behauptete die Bahn, einen Zusammenhang zwischen der kritischen Geschichte und Stornierung gebe es nicht. Das sei, behauptete ein Sprecher, „reiner Zufall“.

Durchaus gesprächig und aktiv ist Bahnchef Mehdorn, wenn es um den Börsengang geht. Über Kritiker seines Fahrplans zur Börse beklagte sich Mehdorn gegenüber dem Verkehrsausschuss des Bundestages. Ein Mitarbeiter einer Fraktion streute vertrauliche Informationen, die „vorsätzlich verzerrend zusammengestellt“ und „zu Verschwörungstheorien aufgebauscht“ würden. Überhaupt, über die Kritiker des Börsengangs liess er eine Zitatensammlung erstellen und verteilen. Information satt – über die, die dem Bahnkurs im Wege stehen.

Hartmut Mehdorn und die Bahn erhalten den Preis stellvertretend für alle, die Presse, Hörfunk und Fernsehen durch den Entzug von Anzeigen bestrafen und disziplinieren wollen. Und die bei kritischen Themen so gekonnt schweigen.

Denn zu den beiden eben erwähnten Themen – der Ausstellung und der Anzeigenstornierung – hat die Bahn NICHT vor Fernsehkameras Stellung nehmen wollen.

Und damit wären wir beim dritten Thema: Verweigerten Drehgenehmigungen für kritische Berichterstattung. Dieses Thema ist nicht neu: Als die Bahn 2002 die größte Tarifreform in ihrer Geschichte vornahm, wollten mehr als 60 TV-Teams darüber berichten. Das war zuviel! Stress! .Die Medienmeute -die mag eine Behörde nicht. Sie erteilte je einem öffentlichenrechtlichen Sender (HR) und einem privaten Sender (Sat1) Dreherlaubnis. Bei der Eröffnung einer neuen ICE-Strecke mag so eine Pool-Lösung geboten erscheinen. Aber bei Umstellungen in 6000 Bahnhöfen, auf die sich die Reform verteilte? Der damalige RTLInformationsdirektor Hans Mahr sprach von einer „groß angelegten Maulkorbaktion“, der Deutsche Journalistenverband von einer „massiven Einschränkung“. Nach den Protesten durften immerhin auch RTL und ZDF drehen. Und doch scheint die Bahn daraus wenig gelernt zu haben.

Wir sind bei der Zukunft. Was erwarten wir von Hartmut Mehdorn und der Bahn? Journalisten sollen nicht besser behandelt werden als andere Kunden. Wir wollen ernst genommen werden. Wir wollen Zugang zu Informationen, Zugang zu Bahnhöfen und Gleisanlagen, Zugang zur Bahn, um darüber berichten zu können. Zugang zu den Verantwortlichen. Zu den Managern. Zu Ihnen, Herr Mehdorn, und Ihren Sprechern – auch und gerade bei kritischen Themen.

„Öffentlichkeitsarbeit ist ein Dienst an der Öffentlichkeit“, schreibt Horst Avenarius, der Vorsitzende des Deutschen Rates für Public Relations, in seinem Lehrbuch über Public Relations. Richtschnur für das PR-Verhalten müsse in Grenzfällen das Gemeinwohl sein. Das Gemeinwohl. Unternehmen entdecken es wieder, nennen es corporate social responsibility und lassen sich in die Pflicht nehmen. Das machen wir hiermit.

Liebe Bahn, Sie bekommen die Auster.

Und ein tröstliches Zitat: „Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut; sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will.“ Karl Kraus

Laudatio von Sonia Mikich (PDF; 5 S., 72 KB)