Es ist ein langwieriger und schwieriger Kampf, den der Datenjournalist Miguel Paz in seiner Heimat Chile führt. Langwierig und schwierig, weil es keinen direkten Gegner gibt, den es zu besiegen gilt, sondern ein diffuses Netzwerk aus Korruption und nicht offengelegten Interessenskonflikten – mit vielen beteiligten Personen und Parteien. Die Situation in Chile ist anders als noch vor 38 Jahren, als Miguel Paz geboren wurde. Damals gab es einen klaren Feind in Person des Diktators Pinochet, vor dem Paz Eltern nach Panamá flohen. Paz wurde daher im Exil geboren, kam jedoch noch im Kindesalter nach Chile.

Heute ist der Feind nicht mehr so klar zu erkennen. Stattdessen gibt es Paz zu denken, dass die reichsten 20 Prozent des Landes zwischen 2000 und 400 000 Dollar im Monat verdienen, und die anderen 80 Prozent mit weitaus weniger auskommen müssen. Die Chance auf beruflichen Erfolg hänge hauptsächlich von der richtigen Familienzugehörigkeit ab, erklärt Paz. Das eigentliche Problem sieht er darin, dass die Verbindungen unter den Eliten des Landes längst nicht allen Chilenen bekannt sind. Und genau da greift er an: „Informationen sind Macht. Und nur informierte Menschen können gute Entscheidungen treffen und der Demokratie weiterhelfen.“

Die Bevölkerung Chiles informiert Paz mit seiner mächtigsten Waffe im Kampf gegen Korruption, die er 2012 schmiedete: der Webseite Poderopedia. Das bedeutet so viel wie „Wissen über die Macht“. Mit ihr greift er das einzig Fassbare im Machtnetzwerk an: die Knoten. Alleine schafft er das nicht, er ist ein Teamplayer. „Die Zeiten des einsamen Journalisten, der – einem Detektiv nicht unähnlich – Missstände aufdeckt, sind lange vorbei“, sagt er. Bei Poderopedia arbeiten deshalb Journalisten mit Programmierern zusammen: Aus Zeitungsartikeln, Wikis, Kongressprotokollen und ähnlichem extrahieren acht freiwillige Mitarbeiter Daten zu jeweils einer bestimmten Person: Wo hat sie bisher gearbeitet? Mit welchen anderen Personen steht sie in Verbindung? Hat sie eventuell Anteile an einer Firma? Mit den gesammelten Informationen wird ein Profil der Person erstellt und eine interaktive Netzwerkkarte der Beziehungen, durch die sich jeder Besucher der Webseiteklicken kann.

Will man sich durch alle Verbindungen der Machthaber arbeiten, braucht man viel Zeit: Rund 3500 Personendatensätze gibt es auf Poderopedia, ungefähr 1500 zu Firmen und weitere 1000 zu Institutionen. Bisher sind erst 1500 der Profile vollständig, und auch wenn nicht jede Verbindung gleich ein Hinweis auf Korruption bedeutet, lässt sich aus den Verbindungskarten doch schon einiges herauslesen.

Beispielsweise fanden Paz und sein Team heraus, dass der Leiter des chilenischen Finanzamts Entscheidungen traf, die seinen eigenen Firmen nutzten. Laut Paz blieb er nur im Amt, weil Präsident Pinera seine schützende Hand über ihn hielt. Doch auch die Verbindungen des Präsidenten konnte Paz im Netzwerk von Poderopedia ablesen. Er und seine Kollegen beleuchteten, dass dessen Cousin Andrés Chadwick, Minister für Innere Sicherheit, Anteile an einer großen Wasserversorgungsfirma besaß – und dass dessen Bruder Herman Chadwick stellvertretender Direktor des selben Konzerns war.

Wer sich mit solch mächtigen Männern anlegt, muss vorsichtig sein. Bis jetzt ist niemand zum Gegenangriff übergegangen, weder mit Gewalt noch mit juristischen Mitteln. Trotzdem gibt Miguel Paz keine Informationen über seine Familie heraus. Angst vor möglichen Racheakten habe er zwar nicht, aber trotzdem: Sicher ist sicher. Es sind die Momente, in denen er der Öffentlichkeit etwas mitteilen kann, die er so an seinem Beruf liebt. “Die Welt ein kleines bisschen besser machen“, nennt er das. Und er glaubt daran, dass sein bisheriger Kampf wenn schon nicht die Welt, dann doch Chile ein bisschen besser, will heißen, seine Bürger informierter gemacht hat.

Aber kann man Korruption jemals ganz besiegen? Eher nicht. Stattdessen kann man Teilsiege wie gegen Chadwick feiern. Und man braucht Beharrlichkeit. Die hat Miguel Paz genauso wie die Anerkennung seiner Kollegen: Unter anderem wurde Poderopedia 2013 für den internationalen Data Journalism Award des Global Editors Network nominiert.

Wahrscheinlich würde Paz nicht einmal dann aufhören, wenn alle Probleme in seiner Heimat gelöst wären. In Venezuela und Kolumbien gibt es bereits Ableger von Poderopedia. Bald, so Miguel Paz, auch in Deutschland: „Ich hoffe, dass das keine fünf Jahre mehr dauert“ erfährt man von ihm, bis dahin „wollen wir eine weltweite Gemeinschaft sein“, erfährt man von ihm. Es habe dazu gerade gute Gespräche in Deutschland gegeben. Mehr sagt er nicht, dazu sei es noch zu früh. Es scheint, als rüste er sich mit seinem eigenen Netzwerk für den nächsten, jetzt weltweiten Kampf: Wenn er mit seinen Mitarbeitern schon in Chile Machtnetze aufdecken kann, welche Verbindungen mag dann erst eine internationale Gemeinschaft mit Poderopedia zu Tage fördern?