Ein Saal voller Extre­misten

ver­öf­fent­licht von Gast­bei­trag | 4. Juli 2014 | Lese­zeit ca. 3 Min.

Panel „Pres­se­frei­heit in Zeiten der Mas­sen­über­wa­chung – Netz­dis­si­denten im Exil berichten“ mit Alexa O’Brien, Mode­rator Chris­tian Mihr und Sarah Har­rison (v.l.n.r., Foto: Raphael Hüner­fauth)

Chris­tian Mihr kommt gleich zur Sache. „Wer von Ihnen hat schon einmal ‚Tor‘ ver­wendet?“ Der Geschäfts­führer von Reporter ohne Grenzen schaut fra­gend ins Publikum. Etwa die Hälfte der Anwe­senden hebt die Hand. „Tja, dann sind Sie wohl Extre­misten.“ Das Publikum lacht. Erst am Vortag ist bekannt geworden, dass die NSA gezielt Deut­sche aus­späht, die sich im Internet mit Ver­schlüs­se­lungs­soft­ware beschäf­tigten. Mihr mode­riert die Ver­an­stal­tung „Pres­se­frei­heit in Zeiten der Mas­sen­über­wa­chung“ und sein iro­nisch gemeinter Ein­stieg zeigt deut­lich: Über­wa­chung betrifft jeden.

Die beiden Frauen, die neben Mihr auf dem Podium sitzen, kennen sich mit diesem Thema beson­ders gut aus: Sarah Har­rison und Alexa O’Brien. Har­rison ist eine füh­rende Mit­ar­bei­terin von Wiki­leaks; im Sommer 2013 beglei­tete sie Edward Snowden auf seinem Flug von Hong­kong nach Moskau. Auch O’Brien ist durch ihre inves­ti­ga­tiven Recher­chen welt­weit bekannt geworden. Sie beglei­tete unter anderem den Pro­zess um Chelsea Man­ning und legte dazu ein umfas­sendes Online-​Archiv an.Beide haben sich mit Regie­rungen und Geheim­diensten ange­legt, beide sind massiv über­wacht worden, beide leben nun vor­erst im Exil in Berlin. Doch wäh­rend O’Brien sich vor allem für ihre Arbeit in der deut­schen Haupt­stadt auf­hält, fühlt sich zumin­dest Har­rison dort auch ein wenig sicherer als in ihrer Heimat. Die recht­li­chen Bedin­gungen seien zwar in beiden Län­dern ver­gleichbar, in Deutsch­land habe sie aber mehr poli­ti­sche und gesell­schaft­liche Unter­stüt­zung.

Sowohl in den USA als auch in Groß­bri­tan­nien ist es für Jour­na­listen schwie­riger geworden, ihrer Arbeit nach­zu­gehen, das zeigt die aktu­elle Rang­liste der Pres­se­frei­heit von Reporter ohne Grenzen. Groß­bri­tan­nien rutschte um 3 Plätze ab und liegt nun auf Platz 13; die USA fielen sogar um 13 Plätze auf Rang 46. Deutsch­land liegt der­zeit auf Rang 14 und hat sich damit leicht ver­bes­sert.

Geheime Doku­mente ver­öf­fent­li­chen, und das gezielt nach und nach in ver­schie­denen Län­dern, damit mög­lichst viel Auf­merk­sam­keit ent­steht – ist das Akti­vismus oder Jour­na­lismus? Har­rison zögert nicht mit ihrer Ant­wort. „Jour­na­lismus“, sagt sie. „Wer als Jour­na­list nicht dafür arbeitet, etwas zu ver­än­dern, der sollte sich nicht so nennen.“ Schon nach wenigen Sekunden ist dieser Satz viele Male ret­weetet.

Was sich durch ihre Ent­hül­lungen geän­dert habe, fragt Mihr die Frauen. „Davor gab es nur Behaup­tungen, jetzt haben wir Fakten“, sagt O’Brien. Das habe den Kampf gegen die Mas­sen­über­wa­chung sehr gestärkt. Und Har­rison ergänzt: Es sei wichtig, dass sich das Bewusst­sein der Men­schen ver­än­dere. Nur weil es nun einige gesetz­liche Ände­rungen gebe, werde sich nicht das Ver­halten der Geheim­dienste ändern. „Diese Orga­ni­sa­tionen sind es gewohnt, Gesetze zu bre­chen“, sagt sie. „Des­wegen müssen wir lernen, uns mit den ent­spre­chenden Tech­niken selbst zu schützen.“ Auch auf die Gefahr hin, dabei als Extre­mist zu gelten.

Links:
Tor Pro­ject: https://www.tor­pro­ject.org/
Reporter ohne Grenzen: https://www.reporter-​ohne-​grenzen.de
Inter­view mit Wiki­leaks-​Gründer Julian Assange u.a. über die Grenze zwi­schen Akti­vismus und Jour­na­lismus: http://www.zeit.de/2013/18/julian-​assange-​alex­andre-​lacroix
Archiv von Alexa O’Brien: http://www.alex­ao­brien.com/second­sight/archives.html
Wiki­leaks: http://www.wiki­leaks.org/

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