Bedingungen für Recherche und investigativen Journalismus haben sich weiter verschlechtert – Studie untersuchte erstmals Arbeitsweise, Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis investigativer Journalisten in Deutschland

Die Bedingungen für Recherche und investigativen Journalismus haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die am 05.12.2006 in Berlin veröffentlicht wurde. Die Untersuchung zeigt, wie sich die finanziellen Einschnitte der vergangenen Jahre negativ auf die investigative Arbeit auswirken. Gleichzeitig verdeutlicht sie auch, wie unter schlechter werdenden Bedingungen investigative Journalisten in Deutschland erfolgreich arbeiten können.

“Die Deutschland-Ermittler. Investigativer Journalismus und die Methoden der Macher” lautet der Titel der Studie von Ingmar Cario. Sie erscheint in der Reihe „Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik“, die vom Netzwerk Recherche herausgegeben wird. Damit liegt nun erstmals eine Publikation vor, die sich mit den Methoden der Macher auseinandersetzt. Sie zeigt, wie und unter welchen Bedingungen investigative Journalisten in Deutschland arbeiten und welchem journalistischen Selbstverständnis dabei die Autoren folgen.

Durch die finanziellen Einschnitte der vergangenen Jahre sind für viele Journalisten investigative Recherchen schwieriger geworden, wie die Studie belegt. Investigative Journalisten, die festangestellt sind, werden noch mehr in die alltägliche Redaktionsarbeit eingebunden. Investigative Journalisten, die frei arbeiten, können es sich nicht leisten, nur investigativen Recherchen nachzugehen. „Investigative Recherchen müssen daher oft neben der alltäglichen Arbeit bewältigt werden“, so Ingmar Cario. Hinzu kommt, dass dieser Mehraufwand von den Redaktionen nicht immer anerkannt wird.

„Damit verstärkt sich die ohnehin schon große Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Aufklärungsfunktion, die investigativem Journalismus zukommt und seinem geringen Stellenwert im deutschen Mediensystem“, so Ingmar Cario. Bezogen auf die Gesamtzahl der in Deutschland tätigen Journalisten gibt es nur eine verschwindend geringe Anzahl, die sich mit investigativen Recherchen beschäftigt. „Investigativer Journalismus ist in den deutschen Medien institutionell nur schwach verankert. Für kostenintensive, investigative Recherchen fehlt es vielerorts an Geld und Strukturen“, so die Analyse von Ingmar Cario. Die Folge: „Investigativer Journalismus ist heute in Deutschland ein Minderheitenphänomen“.

Für die Studie wurden elf Macher dieses Minderheitenphänomens befragt. Ein zentrales Ergebnis: „Investigativer Journalismus beruht weniger auf speziellen Tugenden und der berühmten Spürnase der Journalisten, sondern vielmehr auf investigativem Handwerk, das erlernbar und in der Praxis anwendbar ist“, so Cario. Kennzeichnend ist in der Regel ein systematisches Vorgehen der Journalisten bei der Informationsbeschaffung. Investigative Journalisten folgen bei ihrer Arbeit systematischen Recherche-Strategien, arbeiten mehrheitlich mit Befragungsplänen und teilweise auch mit Hilfsmitteln wie Organigrammen und Mind-Mapping.
Kern der investigativen Arbeit ist der vertrauensvolle Umgang mit Informanten, die für die Informationsbeschaffung von zentraler Bedeutung sind. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei Staatsanwälte, andere Ermittler sowie Rechtsanwälte. Der Aufbau des Informantennetzes wird von vielen investigativen Journalisten nicht bewusst vorangetrieben, sondern erfolgt von Recherche zu Recherche. Investigative Veröffentlichungen helfen dabei nur bedingt, weitere Informanten zu gewinnen. Ingmar Cario: „Von der alten Vorstellung, nach einer investigativen Story stehen weitere Informanten Schlange, muss man sich verabschieden.“ Auch werden, so die Studie, Informanten als Impulsgeber für investigative Recherchen überschätzt. Ausgangspunkte für Recherchen sind häufig auch thematische Widersprüche und Ungereimtheiten bei Veröffentlichungen und Medienberichten, auf die investigative Journalisten stoßen und denen sie nachgehen.

Entscheidend, um das Vertrauen der Informanten zu gewinnen, sind nach den Ergebnissen der Studie kontinuierliche Kontakte, Verlässlichkeit, die Zusage und Einhaltung von Vertraulichkeit sowie das nötige Fachwissen im jeweiligen Themenfeld. Wichtig ist auch die Pflege des Informantennetzes, die bei den befragten Journalisten mehrheitlich durch Telefonate erfolgt. Die Studie zeigt jedoch, dass der Zeitmangel bei investigativen Journalisten einer intensiven Pflege oft entgegensteht.
Grundlage investigativer Arbeit ist der Informantenschutz. Nach den Veröffentlichungen besteht hier durch die systematische Suche nach den Informanten eine besondere Gefahr für recherchierende Journalisten: „Gerade das, wonach die Leute am meisten schauen, ist, wo war das Leck. Nicht ob die Sache richtig oder falsch ist, sondern wie das rausgekommen ist“, heißt es wiederholt. Um den Schutz ihrer Informanten zu gewährleisten, bereinigen die befragten Journalisten interne Unterlagen, lagern brisante Akten aus, streuen Dokumente, und legen bei der Veröffentlichung falsche Spuren. „Redaktionsdurchsuchungen und Anklagen wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat wie im Fall Cicero torpedieren den Informantenschutz und gefährden damit auf Dauer die investigative Arbeit“, so ein Fazit des Autors der Studie.

Bei ihren Recherchen müssen investigative Journalisten mit der teilweise massiven Gegenwehr der betroffenen Akteure und Institutionen rechnen. Diese kann die Drohung und Anwendung rechtlicher Schritte umfassen, aber auch negative Kampagnen und persönliche Anfeindungen. Auch aus diesem Grund können investigative Recherchen zu einer großen Belastung des Privatlebens werden, wie die Studie zeigt. Der Antrieb, trotz der Belastungen in Beruf und Privatleben investigativ zu arbeiten, liegt nach den Ergebnissen des Buches in einem Selbstverständnis der Journalisten als vierte Gewalt und dem damit verbundenen Anspruch der notwendigen Machtkontrolle.

Nötig zu einer Stärkung des investigativen Journalismus wären aus Sicht des Autors eine verbesserte Recherche-Ausbildung, mehr Ressourcen in den Redaktionen und mehr Mut bei den Verantwortlichen in Verlagen und Sendern. Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerk Recherche, sagt anlässlich der Buchveröffentlichung: „Die Studie gibt nicht nur Einblick in die Werkstatt von professionellen Recherche-Journalisten. Sie zeigt auch, dass kritischer Journalismus die Voraussetzung für eine lebendige, funktionierende Demokratie ist. Die flächendeckende Einrichtung von Recherche-Pools unter der Leitung von erfahrenen Journalisten wäre die richtige Antwort auf die dokumentierten Defizite.“

Ingmar Cario: Die Deutschland-Ermittler : Investigativer Journalismus und die Methoden der Macher. Bd. 5 der Reihe: Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik. (Hrsg.: Netzwerk Recherche. Münster 2006, 248 S., 14,90 €, ISBN 3-8258-0080-6).