Sven Preger: Mangelware Recherche.
Band 1 der Reihe: Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik
Herausgeber: Netzwerk Recherche. Münster 2004. 176 Seiten. ISBN 3-8258-8254-3.

Die journalistische Recherche müsste eigentlich auf die Liste der „aussterbenden Disziplinen“ gesetzt werden; denn Recherche ist eine Seltenheit in deutschen Redaktionen. Das zeigt die jetzt vorgelegte Studie von Sven Preger, die unter dem Titel „Mangelware Recherche“ erschienen ist. Die Untersuchung ist der erste Band der neuen Serie „Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik“, die vom Netzwerk Recherche im Münsteraner Lit-Verlag herausgegeben wird.

Systematisch analysiert Diplom-Journalist Preger die Recherchebedingungen in Deutschland. Ausgehend von der historischen Medien-Entwicklung werden die aktuellen Strukturen von Rundfunk und Printmarkt analysiert sowie das journalistische Rollenverständnis und der redaktionelle Alltag untersucht. Dabei kommt der Autor zu einem ernüchternden Ergebnis: „Recherche ist im deutschen Journalismus nicht verankert. Weder auf organisatorischer Ebene der Verlage, Redaktionen und Sender, noch in den Köpfen der Journalisten und Ausbilder.“ Zu groß ist oftmals der Auflagen-, Quoten- und Aktualitätsdruck, zu knapp die personelle Ausstattung in den Redaktionen.

Sven Preger zeigt vor allem das mangelhafte Selbstverständnis der Journalisten auf, in deren Bewusstsein Kritik und Kontrolle nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger sind die Chronistenpflicht, der Meinungsjournalismus sowie der Glanz journalistischer Edelfedern. „Nachforschende Journalisten müssen somit nicht nur gegen die Widerstände der eigentlichen Recherche, sondern auch gegen die Missbilligung der Kollegen kämpfen. Nur wenige haben dies geschafft,“ –so die Bilanz. Die Folgen: der formell unabhängige Journalismus basiert immer häufiger auf nur wenigen Quellen. Die Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen und PR ist weit verbreitet.

Recherche als lukratives Markenzeichen zu etablieren, haben demzufolge nur sehr wenige Medien geschafft. Auch weil Recherche weniger an Institutionen, denn an Personen gebunden ist. Die Abhängigkeit vom Werbemarkt erschwert zudem die Recherche-Arbeit vor allem für die größte Gruppe der Profession – die Lokaljournalisten; sie spüren oftmals den direkten Gegenwind der lokalen Politik oder Anzeigenkunden.

Den Grund für die negative Entwicklung im Recherche-Journalismus sieht Preger auch in der Historie des Journalismus. Die radikalen Brüche in der politischen Geschichte Deutschlands haben sich dem Autor zufolge negativ auf den Journalismus und das Verhältnis der Journalisten zur jeweils herrschenden politischen Klasse ausgewirkt. Die immer wiederkehrende Instrumentalisierung der Medien bis in die NS-Zeit ließen keine kritische Tradition wachsen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich daran nichts, schreibt Preger. „Die Pressefreiheit kam von den Alliierten und somit von außen. Die Folgen: Bis heute hat sich keine Recherchekultur im deutschen Journalismus etabliert. Eine Spezialisierung zum Recherche-Profi ist ausgeblieben. Deutsche Journalisten sind Generalisten. Auch in der Journalistenausbildung ist Recherche eine Randerscheinung.“

Trotzdem zeigt die Studie auch positive Ansätze auf. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Skandale aufgedeckt und gesellschaftliche Diskussionen angeregt. Die ersten Rechercheredaktionen in Deutschland wurden gegründet. Recherchetrainings werden vermehrt angeboten und das Netzwerk Recherche als Lobby des investigativen Journalismus setzt sich aktiv für eine umfassende Recherchekultur ein.

Die jetzt vorgelegte Studie weist auch auf eine wichtige Forschungslücke in der Kommunikationswissenschaft hin: „Was bislang fehlt, ist eine systematische Aufarbeitung und Darstellung der Faktoren, die die Rahmenbedingungen der Recherche prägen und so die Informationsbeschaffung maßgeblich beeinflussen.“

Ziel der neu gestarteten Buch-Reihe im Lit-Verlag ist die kritische Reflexion und gründliche Analysen über den Journalismus, schreibt der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Thomas Leif, in seinem Vorwort: „Die wichtigste Beschäftigung ist neben der Quellenpflege somit die eigenständige Recherche zur Erschließung neuer Informationen. Deshalb startet die Schriftenreihe mit einem Band über die Recherchebedingungen in Deutschland.“ Ob sich Recherche in den kommenden Jahren tatsächlich im deutschen Journalismus verankern kann, ist Sven Preger zufolge noch offen: „Recherche muss im existierenden System und somit auch am Publikums- und Werbemarkt bestehen. Letzterer erholt sich in Deutschland gerade etwas. Geht man davon aus, dass die größte Krise überwunden ist, so werden auch die privatwirtschaftlichen Medien in Zukunft wieder profitabel arbeiten und investieren können. Ob die Recherche in Form von eigenen Redaktionen oder anderen Strukturen gestärkt wird, ist dabei eine der Schlüsselfragen.“

Über den Autor: Sven Preger, 25 Jahre, hat Journalistik und Politik in Dortmund und Stockholm studiert. Der Diplom-Journalist volontierte beim WDR. Er arbeitet als Nachrichtenredakteur in Hörfunk und Fernsehen und ist Autor der historischen ARD-Sendereihen Stichtag und Zeitzeichen.