Von Julia Ley, DJS

Christian Mensching, Hans Leyendecker, Kirsten von Hutten und Anja Reschke (v.l.n.r.); Foto: Wulf Rohwedder

Wie weit dürfen Journalisten gehen? Es diskutieren Christian Mensching, Hans Leyendecker, Kirsten von Hutten und Anja Reschke (von links); Foto: Wulf Rohwedder

Hoeneß, Kachelmann, Wulff: Wie können Journalisten von laufenden Strafverfahren berichten, ohne Beschuldigte vorzuverurteilen? Darüber diskutierten Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, die NDR-Moderatorin Anja Reschke, Gruner+Jahr-Justiziarin Kirsten von Hutten und der Presserechtsanwalt Christian Mensching.

Wer erinnert sich heute noch daran, wie der Fall Edathy ausging? Fast jeder weiß, dass Edathy pornographische Fotos von Kindern angeschaut hat. Das bleibt haften. Doch wer weiß, dass Edathy am Ende gar nicht verurteilt wurde? Das zuständige Gericht stellte das Verfahren gegen eine Zahlung von 5000 Euro ein. Edathys Karriere war trotzdem zerstört.

Der Fall zeigt, welche Macht Medien über Schicksale haben. Und wie wichtig es ist, über laufende Verfahren so zu schreiben, dass der Beschuldigte nicht vorverurteilt wird.

Verdachtsberichterstattung unterscheidet sich von Tatsachenberichterstattung. Sie muss keinen Wahrheitsbeweis erbringen. Dennoch sollten Journalisten ein paar Grundsätze einhalten, wenn sie über laufende Verfahren berichten.

Wichtigster Punkt dabei: Die Berichterstattung muss dem öffentlichen Interesse dienen. Was genau das ist, entscheiden normalerweise die Medien zunächst einmal selbst. Doch wenn eine Berichterstattung nur dazu dient, die öffentliche Neugier zu befriedigen, kann ein Gericht sie untersagen. Denn: „Nur weil jemand ein öffentliches Amt innehat, darf ich nicht notwendigerweise über ein Strafverfahren gegen ihn berichten“, sagt Medienanwalt Christian Mensching. „Auch Politiker dürfen Fehler machen.“

Anders ist die Lage, wenn das Handeln eines Politikers in Widerspruch zu seinen eigenen Äußerungen steht. Wenn sich also der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in einer Home-Story als treuer Familienvater inszeniert, muss er hinnehmen, dass Journalisten über sein uneheliches Kind berichten.

Außerdem müssen Journalisten ergebnisoffen berichten. Hans Leyendecker von der SZ sagt dazu: „Früher war ich beeindruckt, wenn ein Kollege in der Redaktion mit der Faust auf den Tisch schlug und rief: ‚Das Schwein kriegen wir auch noch!’ Heute würde ich mich unwohl fühlen.“ Dass sich viele Journalisten bis heute mit der Ergebnisoffenheit schwertun, liege wohl auch in der Natur der Sache, sagt Leyendecker. Schließlich fange jede investigative Recherche mit einer Vermutung an, wie etwas gewesen sein könne. Umso wichtiger sei es dann, sich neu auftauchenden Fragen und Informationen nicht zu verschließen, auch wenn sie der eigenen Theorie widersprechen.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für seriöse Verdachtsberichterstattung ist die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Dazu gehört es, den Leser darauf hinzuweisen, dass es bislang nur einen Verdacht gibt. Außerdem sollten Journalisten genau abwägen, ob sie identifizierend berichten, also Namen oder Details nennen, aus denen auf die Identität des Beschuldigten geschlossen werden kann.

Journalisten, die über einen Verdacht berichten, sollten außerdem ein Mindestmaß an Beweisen vorlegen können. Dazu Anwalt Christian Mensching: „Grundsätzlich gilt: Je schwerwiegender der Verdacht, desto substantieller muss die Beweisgrundlage sein.“ Von Vorteil seien immer schriftliche Quellen.

Der vielleicht nützlichste Tipp, wie sich eine Vorverurteilung vermeiden ließe, kam gegen Ende der Diskussion von Kirsten von Hutten, Justiziarin bei Gruner+Jahr: „Geben Sie den Text vor seiner Veröffentlichung einem Kollegen zum Lesen und fragen Sie ihn, ob er glaubt, dass der Betroffene schuldig ist. Wenn er ja sagt, dann haben sie etwas falsch gemacht. Wenn er sich unsicher ist, dann haben sie alles richtig gemacht.“