Kriegsreporterin bei den (wahren) Helden der Gegenwart

von Silke Burmester, freie Journalistin und Dozentin in Hamburg

(Foto: Franziska Senkel)

(Foto: Franziska Senkel)

Auszüge aus der Rede zur Lage des Journalismus – gehalten auf der Jahreskonferenz 2013, am 15.06.2013 beim NRD in Hamburg:

Meine Damen und Herren, manchmal passiert es, dass Silke Burmester um einen Termin bittet. Für einen Artikel oder ein Interview. Und dass der Angefragte dann, meist so ein wenig verunsichert, fragt, ob sie denn mit ihrem Helm käme. Und dann muss Silke Burmester sagen, nein, ich will ja mit Ihnen über Ihre neue Geschirrlinie sprechen oder über den Ausbau von Kitaplätzen in Köln-Ost. Oder sie sagt, nein, dieser Artikel ist für Mare, das hat mit der taz nichts zu tun. Den Helm habe ich nur auf, sagt sie dann, wenn ich als taz-Kriegsreporterin unterwegs bin. Meist sind dann die Leute recht erleichtert.
Sie, meine Damen und Herren, sollten nicht erleichtert sein, denn ich bin, zu meiner Freude, als Kriegsreporterin hierher eingeladen. Ich darf, ja ich soll mit Helm kommen und das ist mir eine ganz besondere Freude. Ich glaube, ich fühle mich ein wenig so wie Eckart von Hirschhausen, nachdem er seine Arztpraxis verlassen durfte, um auf den Bühnen des Fernsehens herumzuturnen: Es ist eine Ehre, ich fühle mich befreit von den Zwängen eines 3500 Zeichen großen Kastens und freue mich, Sie 20 Minuten lang in Grund und Boden reden zu dürfen.
Als Thema hat man mir „Die Lage des Journalismus“ gegeben, was nicht nur ähnlich konkret ist, wie über das transatlantische Verhältnis zu reden oder über die Meere im Wandel der Zeit, es umgeht auch die charmante Gefahr, das Thema zu verpassen. Egal, was jetzt kommt, so lange es nur irgendwie mit dem zu tun hat, was wir tun, passt es hier her. Cherno Jobatey hat neue Schuhe? Steht in der Bunten, passt also. Horst Seehofer spricht nicht mehr. Schon gar nicht mit der Presse? Passt. Erster Cicero-Redakteur beim Twittern erwischt? Passt auch. Und, was auch ganz toll ist: Es ist mein Lieblingsthema. Ich kann mir quasi nichts Schöneres vorstellen, als zu gucken wie die Lage ist. Im Journalismus. Dafür habe ich einen Feldstecher und einen Helm, und wenn ich aktuell gaaaaanz weit nach Süden gucke und das Augenmerk auf Griechenland richte, dann muss ich sagen: Die Lage ist beschissen.
Da wurde mir nix dir nix, von jetzt auf eben im wahrsten Sinne des Wortes, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Stecker gezogen. Von jetzt auf eben, 5 Fernsehsender, 29 Radiostationen abgeschaltet. Bums aus, Sendeschluss. Ist ja nur der öffentlich-rechtliche Sender. Es sei, so hat jemand gesagt, als schalte man die BBC ab. Also, mal ehrlich, das halte ich jetzt für ein wenig übertrieben, schließlich kann ich mich nicht daran erinnern, irgendwelche grandiosen griechischen Fernsehserien gesehen zu haben oder preisgekrönte Tier-Dokus. Nicht einmal auf Phoenix oder Bibel-TV. Und so ein richtig fetter Missbrauchsskandal, bei dem sich ein Starmoderator über Jahrzehnte im Schutze seiner Kollegen des ihn anhimmelnden, jugendlichen Publikums sexuell bedient hat, ist mir auch nicht zu Ohren gekommen. Aber selbst wenn es stimmt, dass ERT ein verschlafener, ultralangweiliger Sender war, der über die geschmackliche Attraktivität von Rezina nicht hinauskommt, ein Hammer ist das schon.
Und jetzt stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn man hier in Deutschland den Stecker zöge. Allein hier beim NDR. Schließen Sie, verehrtes Publikum, für einen Moment die Augen und sehen Sie sie vor sich, die Redakteure und Techniker, die Programmplaner, die Intendantenassistentinnen und Moderatoren, die Kameraleute und Abteilungsleiter, wie sie verzweifelt, verwirrt über die Flure irren, den Schalter suchend, mit dem das Ganze wieder los geht. Wie sie, wie nach einem Erdbeben, nicht fassen könnten, was da geschehen ist und etwas greifen möchten, das nicht zu greifen ist. Und dann stelle ich mir vor, wie sie alle vor dem Gebäude stehen und im Angesicht des Aufgabenverlustes auch die Bedeutung weg ist. Und wie egal es auf einmal ist, dass eben noch jemand die Tagesthemen moderiert hat oder das Recht hatte, am Programm rumzumosern und unliebsame Beiträge rauszunehmen. Dass eben einer noch Tom Buhrow, Judith Rakers war oder Frank Beckmann ist völlig egal, wenn er oder sie jetzt neben der Cutterin Karin Schulze steht und beide keine Aufgabe mehr haben, weil es ihren Sender nicht mehr gibt.
Diese Vorstellung gefällt mir natürlich sehr gut. Und dann hört es auch schon auf. Dann nämlich mache ich es mir bewusst, was es heißt, wenn in einem Land, das uns sehr nahe ist, weil wir seit Jahrzehnten dort Urlaub machen, weil wir seine Oliven so lieben und so gern beim Griechen Essen gehen, ein Land, dessen Menschen seit 40 Jahren bei uns leben, wenn in diesem Land, in einem Staat der EU, mal so eben der öffentlich-rechtliche Rundfunk abgeschaltet wird. Weil ein Machthaber es so bestimmt.
Und ich dann sehe, was wir deutsche Journalisten tun. Bzw. nicht tun. Dann schäme ich mich. Dann würde ich gern in meinem Beobachtungsgraben verschwinden. Wo, so frage ich, ist unser Aufschrei der Empörung? Wo ist das Entsetzen über so eine Handlung? Wo die Solidarität mit einem Volk, das seine unabhängige Berichterstattung, eine Hüterin der Demokratie, verliert? Müssten nicht gerade wir, wir Journalisten in Deutschland wissen, welche Gefahren darin stecken? Was ist das für eine läppische Berichterstattung die letzten Tage? Ich begreife schlicht nicht, was wir für ein Verständnis von uns und unserem Beruf haben. Es kann doch nicht sein, dass es immer nur darum geht, dass Medienmänner in teuren Anzügen sich mit Phantasien wie dem Verschwinden der Media-Agenturen oder Bezahlung nach Klicks vor die Kameras drängen. Was sind wir für komische Leute, die wir hier sitzen und über „Traumjob Journalist“ reden, anstatt den Kolleginnen und Kollegen unsere Solidarität zu beweisen? 1340 Zeichen ist die Solidaritätsbekundung, die der DJV als Pressemitteilung irgendwo hingeschickt hat, lang. Na super.