Neue Studie zum journalistischen Profil von Spiegel Online erscheint in der Buchreihe des Netzwerk Recherche

Spiegel Online ist die neue Stimme im Kanon der deutschen Leitmedien. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die in der Buchreihe des Netzwerks Recherche erscheint. Sie zeigt, dass fast 96 Prozent der deutschen Nachrichtenredakteure Spiegel Online lesen. Sie schätzen Spiegel Online vor allem wegen seiner Schnelligkeit, Aktualität und Tiefe der Hintergrundinformationen. Außerdem genießt Spiegel Online großes Prestige unter Journalisten. Dem Medium wird zugetraut, ein bundespolitisches Thema zu setzen.

„Meinungsführer oder Populärmedium? Das journalistische Profil von Spiegel Online“ lautet der Titel der Studie von Julia Bönisch. Sie erscheint in der Reihe „Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik“, die vom Netzwerk Recherche im Münsteraner Lit-Verlag herausgegeben wird. Damit liegt nun erstmals eine Publikation vor, die sich gezielt und umfassend mit Spiegel Online beschäftigt und beschreibt, wer dort hinter den Kulissen steckt und wie die Redaktion arbeitet. Kritische Watchblogger kommen in der Untersuchung ebenso zu Wort wie aktuelle und ehemalige Mitarbeiter und Journalisten der Konkurrenz.

Spiegel Online hat sich in der deutschen Medienlandschaft einen festen Platz erobert: Ein Besuch auf der Homepage gehört für viele Internetnutzer genauso zum täglichen Medienkonsum wie der Sportteil der Tageszeitung oder die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau. Wenn von Qualität im Online-Journalismus die Rede ist, fällt der Name Spiegel Online. Mit mehr als 55 Millionen Visits und 293 Millionen PageImpressions im April 2006 ist Spiegel Online eines der reichweitenstärksten Online-Angebote im deutschsprachigen Netz – und wohl auch das renommierteste.

Die Popularität des Angebots unter Mediennutzern lässt sich mit den genannten Zahlen gut belegen. Doch wie nutzen Journalisten Spiegel Online? Denn Journalisten produzieren Medieninhalte nicht nur, sie konsumieren sie auch. Dass sie dabei die Agenden der Leitmedien übernehmen, ist in der Wissenschaft und unter Medienschaffenden ein alt bekannter Mechanismus. Journalisten beobachten Kollegen und Medienprodukte, weil der wachsende ökonomische Druck sie zu verstärkter Konkurrenzbeobachtung zwingt. Darüber hinaus setzen Redakteure die Orientierung an anderen Medien als Mittel zur Reduktion von Unsicherheit ein. Die Bezugsgruppe der Kollegen ersetzt den mangelnden Kontakt zum Publikum.

Online-Angebote wurde in anderen Untersuchungen zur journalistischen Mediennutzung und Leitmedien bisher noch nicht berücksichtigt. Daher finden sich in den Ergebnissen der Studien nur die „üblichen Verdächtigen“ Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Bild, Tagesthemen oder das heute-Journal. Doch die Nutzung des Internets nimmt mittlerweile einen großen Teil der Arbeitszeit der Nachrichtenredakteure ein: 31,8 Prozent surfen zwischen einer und drei Stunden pro Tag, 29,2 Prozent sind noch länger online, so das Ergebnis dieser Studie.
Wenn die Nachrichtenredakteure online sind, besuchen sie häufig journalistische Internetseiten. „Die Internetrecherche spielt für nahezu 90 Prozent der Nachrichtenredakteure eine sehr große Rolle. Das Netz wird vor allem in seiner Funktion als großes Nachschlagewerk, das unglaublich schnell Informationen liefern kann, geschätzt. Chaträume, Weblogs oder Newsgroups werden jedoch kaum genutzt, dafür journalistische Internetseiten“, schreibt die Autorin. Reichweitenstärkste Angebote sind neben Spiegel Online die Onlineangebote von Tagesschau, Bild und heute.

Spiegel Online hat einen festen Platz im Medienrepertoire der Nachrichtenredakteure: 95,8 Prozent nutzen das Angebot, 60,1 Prozent tun dies sogar häufig. Die Ressorts Politik, Wirtschaft und Panorama sind für die Nachrichtenredakteure besonders wichtig. Besucht wird das Angebot vor allem in seiner Eigenschaft als Informationslieferant: Auf den Spiegel Online-Seiten werden vorhandene Daten und Zahlen überprüft und Angaben zu bestimmten Themen kontrolliert. Auch als Ideengeber spielt das Medium eine große Rolle, obwohl dies von den Befragten nur ungern eingeräumt wird.

„95,8 Prozent der Journalisten nutzen also das Angebot, über 60 Prozent sogar häufig. Trotzdem scheuen sich Journalisten, Spon einen Einfluss auf die öffentliche Meinung zuzugestehen. Diese Diskrepanz macht deutlich, dass sich Journalisten der Abläufe im Mediensystem nicht immer bewusst sind: Nutzen Journalisten aller Mediengattungen ein Medium so intensiv und regelmäßig wie Spiegel Online, hat es auch einen Einfluss auf ihre Arbeit – ob beabsichtigt oder nicht. Diesen Einfluss geben die Journalisten dann in ihren Artikeln und Kommentaren zwangsläufig an die Bevölkerung weiter. Spiegel Online ist ein Agenda Setter. Die Journalisten scheuen sich nur, ihn als solchen zu bezeichnen“, folgert Julia Bönisch.

Medienjournalisten und -experten, die in der Studie ebenfalls zu Wort kommen, sprechen die Bedeutung von Spiegel Online dagegen offen an: „Spon ist Markführer der journalistischen Websites und gewinnt eine Bedeutung, die eines nicht allzu fernen Tages diejenige des gedruckten Spiegel in Frage stellen könnte“, schreibt etwa Gero von Randow, Chefredakteur von Zeit Online.

Über die Autorin: Julia Bönisch, 25 Jahre, hat Journalistik und Betriebswirtschaftslehre in Eichstätt und Evansville/USA studiert. Während des Studiums absolvierte sie u.a. ein viermonatiges Praktikum bei Spiegel Online. Daran schlossen sich mehrere Redakteursvertretungen in den Ressorts Wirtschaft und UniSpiegel an. Die Diplom-Journalistin arbeitet heute als Redakteurin in München.

Julia Bönisch: Meinungsführer oder Populärmedium? Das journalistische Profil von Spiegel Online. Band 3 der Reihe: Recherche-Journalismus und kritische Medienpolitik (Herausgeber: Netzwerk Recherche. Münster, 2006. 192 S., 12.90 €, ISBN 3-8258-9379-0).