Die Grenzen zwischen dem unabhängigen Journalismus und der interessengeleiteten Auftragskommunikation, der Public Relations (PR), verschwimmen mehr und mehr in der täglichen redaktionellen Praxis, in der Ausbildung des journalistischen Nachwuchses und in der Definition des Berufsbildes der Journalisten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche. „Die PR-Industrie kolonialisiert den Journalismus zunehmend. Sie agiert immer geschickter und drängt mit ihren Botschaften in den redaktionellen Teil, um von der Glaubwürdigkeit der journalistischen Produkte zu profitieren“, sagte der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Dr. Thomas Leif, bei der Vorlage der Dokumentation am Donnerstag in Hamburg.

Die Dokumentation mit dem Titel „Getrennte Welten? Journalismus und PR in Deutschland“ soll die laufende Debatte über die Macht der PR und die Beziehung zwischen Journalisten und Öffentlichkeitsarbeitern auf ein solides Fundament stellen. Sie dient dazu, die wichtigsten Argumente zu sortieren, Fakten und Stellungnahmen zusammenzutragen und die Diskussion auf dieser Basis rationaler zu gestalten.

Wie wichtig die im Februar mit dem Medienkodex des Netzwerks Recherche angestoßene Debatte ist, zeigen die ersten Reaktionen. Der Deutsche Presserat hat die Kritik am Pressekodex aufgegriffen und prüft derzeit, wie die Regelungen zur Trennung von Journalismus und PR präzise formuliert werden können. „Die Formulierung war bisher ausreichend. Derzeit überarbeiten wir den Kodex, dabei wird auch über eine Änderung der Ziffer 7 diskutiert“, berichtete die frühere Sprecherin des Deutschen Presserats, Ilka Desgranges, jüngst (Medienmagazin Insight, Heft 4/2006).

„Das Netzwerk Recherche begrüßt ausdrücklich, dass der Deutsche Presserat zu sinnvollen Korrekturen des Pressekodex bereit ist. Auch die Verleger haben offenbar eingesehen, dass der Einfluss der PR auf die journalistischen Inhalte einen gefährlichen Grenzwert erreicht hat und die Glaubwürdigkeit – das höchste Gut der Medien – akut gefährdet“, sagte Dr. Thomas Leif.

  • Vor allem in der täglichen journalistischen Praxis wächst der Einfluss der PR. Dies belegen mehrere aktuelle empirische Studien, deren Ergebnisse in der Dokumentation des Netzwerks Recherche zusammengefasst werden. Eine Untersuchung von Regionalzeitungen durch die Universität Leipzig zeigte beispielsweise 2005, dass sich der Anteil der PR-Texte im redaktionellen Teil von Regionalzeitungen seit 2000 deutlich erhöht hat. Eine Befragung von Tageszeitungsredakteuren durch Wissenschaftler der Universität Mainz ergab 2005, dass der Einfluss der Anzeigenkunden bei Regionalzeitungen wächst. Gut vier Fünftel der Befragten hatten beobachtet, dass bei ihrer Zeitung im redaktionellen Teil auf Interessen von Inserenten Rücksicht genommen wird – und mehr als die Hälfte war der Ansicht, dass Rücksichtnahmen dieser Art zugenommen haben.
  • In der Ausbildung des journalistischen Nachwuchses gilt die eherne Trennung zwischen Journalismus und PR an vielen Hochschulen nicht mehr. Ein Beispiel: Die Fachhochschule Gelsenkirchen bietet seit dem Wintersemester 2005/2006 den Bachelor-Studiengang „Journalismus und Public Relations“ an. Damit will sie bewusst zwei Ausbildungen miteinander verknüpfen, die in Deutschland bisher getrennt angeboten wurden: die Ausbildung zum Journalisten und die Ausbildung zum Öffentlichkeitsarbeiter.
  • Im Berufsbild der Journalisten verschmelzen Journalismus und PR, folgt man selbst der Definition des Deutschen Journalisten-Verbands. Im Interview für die vorliegende Dokumentation des Netzwerks Recherche sagt DJV-Vorsitzender Michael Konken: „Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter sind Journalisten.“ Seiner Ansicht nach „arbeiten beide Gruppen journalistisch, denn beide tragen Informationen zusammen, bereiten diese auf und stellen sie einer Öffentlichkeit oder Teilöffentlichkeit zur Verfügung.“ 30 Prozent der DJV-Mitglieder sind nach Angaben des stellvertretenden DJV-Vorsitzenden, Volker Hummel, PR-Mitarbeiter und Pressesprecher.

Das Netzwerk Recherche hält dem entgegen: Journalismus und PR sind zwei ganz eigene Welten, zwei getrennte Professionen, zwei völlig unterschiedliche Aufgaben im Mediensystem. „Journalisten hören alle Seiten, recherchieren Gegenmeinungen, werten alle verfügbaren Quellen aus und würdigen kritisch die Fakten. PR-Schaffende hingegen sind ihrem Auftraggeber und vorgegebenen Kommunikationszielen verpflichtet, sie verschweigen Unangenehmes und wollen die Medien für ihre Botschaften instrumentalisieren. Wer diesen Unterschied verschleiert, macht sich mitschuldig daran, dass die Qualität des Journalismus immer weiter ausgehöhlt wird“, sagte Dr. Thomas Leif. Nach Auffassung des Netzwerks Recherche sollten in Journalistenorganisationen n u r Journalisten organisiert sein; für PR-Mitarbeiter gibt es eigene, gut organisierte Berufsverbände.

Die vom Netzwerk Recherche veröffentlichte Dokumentation will für die Gefahren einer fortschreitenden Vermischung von Journalismus und Public Relations sensibilisieren. Dafür gibt sie zunächst einen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Verhältnis der beiden Disziplinen. Nach einer Analyse der Kodizes der beiden Branchen folgt ein Blick auf die in der Praxis zu beobachtende Verschmelzung. Auf dieser Grundlage werden die Forderungen des Netzwerks Recherche und die Gegenargumente der Kritiker zur Diskussion gestellt.

Abgerundet wird die Dokumentation durch Interviews mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, und mit der Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, Ulrike Maercks-Franzen. Dokumentiert werden zudem die Ergebnisse einer schriftlichen Kurzumfrage unter Experten durch das Netzwerk Recherche, wichtige Interviews sowie kontroverse Stellungnahmen zur Diskussion um den Medienkodex.