„Dieser Entwurf hätte auch von der CDU stammen können.“ nr-IFG-Experte Manfred Redelfs über das nicht eingelöste Versprechen eines Informationsfreiheitsgesetzes für Baden-Württemberg.

„Dieser Entwurf hätte auch von der CDU stammen können.“ nr-IFG-Experte Manfred Redelfs über die Eckpunkte für ein Informationsfreiheitsgesetz in Baden-Württemberg.

“In einem umfassenden Informationsfreiheitsgesetz werden wir gesetzliche Regelungen treffen, damit Bürgerinnen und Bürger unter Beachtung des Datenschutzes grundsätzlich freien Zugang zu den bei den öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Informationen haben.” So steht es im Koalitionsvertrag von Grünen und SPD Baden-Württemberg, unterzeichnet am 9. Mai 2011. Seit beinahe vier Jahren warten wir nun vergeblich auf das Gesetz. Und das bislang vorliegende Eckpunkte-Papier verheißt nichts Gutes. “Gibt es in Baden-Württemberg ein spezifisches Problem, dass man den Bürgern nicht traut?”, fragt sich daher Manfred Redelfs, nr-Experte für Informationsfreiheit, im Interview mit dem Rheinneckarblog, das wir hier dankenswerterweise dokumentieren dürfen.

Auf einer Landespressekonferenz im Jahr 2013 haben sie der grün-roten Landesregierung einen Gesetzesentwurf präsentiert. Warum?

Nach etwa zwei Jahren Regierungszeit war zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nichts passiert. Wir wollten den Handlungsdruck erhöhen, indem wir unseren Gesetzesentwurf vorgestellt haben, auch um die Grünen ein bisschen in die Pflicht zu nehmen und ihnen eine Messlatte zu zeigen, was ein gutes Gesetz aus unserer Sicht ausmachen würde.

Wie erfolgreich war ihr Vorhaben?

Leider kein bisschen. Das Eckpunkte-Papier, das nun vorliegt, ist ausgesprochen restriktiv. Es fällt weit hinter das zurück, was mindestens zu erwarten gewesen wäre – gerade von einer grünen Landesregierung, die Transparenz zu ihrem Aushängeschild gemacht hat und mit dieser Agenda gewählt worden ist. Jetzt versagen sie ausgerechnet auf dem Gebiet ihrer Kernforderungen und Kernkompetenzen auf ganzer Linie.

Was ist denn so schlecht an den Eckpunkten?

Hier wird noch nicht einmal das Niveau des Bundesgesetzes erreicht. Die Eckpunkte sind tatsächlich noch restriktiver und rückständiger. Außerdem wird behauptet, man habe sich an den Empfehlungen aus der Evaluation des Bundesgesetzes orientiert – aber das ist schlicht falsch und eine Irreführung der Öffentlichkeit.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

In allen bisher beschlossenen Informationsfreiheitsgesetzen gibt es Ausnahmeregelungen, nach denen eine Auskunft verweigert werden kann. In der Evaluation des Bundesgesetzes wird explizit empfohlen, man solle sich bei den Ausschlussgründen am Umweltinformationsgesetz anlehnen, das viel bessere Klauseln enthält. Hier gibt es nämlich nicht nur weniger Ausnahmeregelungen, diese sind auch enger gefasst. Genau hieran orientiert sich das Eckpunkte-Papier aber nicht. Stattdessen sind die Ausnahmeregelungen des Bundesgesetzes das Vorbild – ergänzt um ein paar weitere Verschlechterungen.

Wie wirkt sich das aus?

Es wird eine ganze Fülle von Ausnahmen aufgezählt, die im Bundesgesetz gar nicht vorkommen. Der Landesrechnungshof, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, die Landesbank Baden-Württemberg, Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten – hier gibt es einen ganzen Katalog, der noch zusätzlich eingeführt wird, und alle müssen keine Auskunft geben. Dann wird das Ganze noch ergänzt um eine sogenannte Missbrauchsklausel, die es im Bundesgesetz auch nicht gibt.

Was meinen Sie damit?

Wie genau diese Missbrauchsklausel formuliert wird, ist noch unklar. Aber fest steht: Eine solche Regelung enthalten die guten Landesgesetze nicht. Da muss man sich die Frage stellen: Gibt es in Baden-Württemberg ein spezifisches Problem, dass man den Bürgern nicht traut – oder weswegen will man so etwas in das Gesetz reinschreiben?

Gibt es noch weitere Kritikpunkte?

Etliche. Die Kommunen sollen die Möglichkeit zur kostendeckenden Gebührenerhebung erhalten. Solche Bestimmungen führen leicht dazu, dass unliebsame Fragesteller mit der Gebührenkeule auf Distanz gehalten werden. Das Eckpunkte-Papier behauptet weiter, auf die Erfahrungen des Bundes oder der anderen Länder aufzusetzen – das ist schlicht und einfach Augenwischerei. So wird etwa behauptet, man bräuchte bei den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen keine Abwägungsklausel – auch um Firmen in Baden-Württemberg nicht zu benachteiligen. Die Abwägungsklausel ist international aber längst Standard und existiert auch in anderen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg oder Berlin, sodass auch das Argument, Baden-Württembergische Firmen würden benachteiligt, ins Leere läuft.

Was bewirkt denn eine Abwägungsklausel?

In den Eckpunkten ist festgehalten: Betriebsgeheimnisse sind ein absoluter Ausnahmegrund – es wird nicht abgewogen, was wichtiger ist: das öffentliche Interesse an der Information oder die vermeintlich schützenswerte Information. Wenn also eine Firma in Baden-Württemberg auf die Idee kommt, etwas als Geschäftsgeheimnis zu deklarieren, dann kommt man an diese Information nicht ran. Punkt.

Und ein Abwägen wäre möglich, ohne einen enormen Aufwand?

Ja. Zum Beispiel gibt es im Evaluationsbericht – an dem man sich angeblich orientiert haben will – auf Seite 441 einen eigenen Passus zur Abwägungsklausel: “Der internationale Vergleich zeigt, dass Klauseln zur Abwägung zwischen Informationsinteresse und den zu schützenden öffentlichen Belangen vorhanden und im Wesentlichen praktikabel sind.” Im weiteren Text empfiehlt der Evaluationsbericht solche Klauseln zur Stärkung der Informationsfreiheit. Das müssen die Koalitionäre in Baden-Württemberg wohl überlesen haben.

Nun haben ja insbesondere die Grünen mit Informationsfreiheit und “weitestmöglicher Transparenz” geworben. Baden-Württemberg solle hier eine Vorreiterrolle einnehmen – offenbar ist gerade das Gegenteil der Fall. Woran könnte das liegen?

Ich finde diese Entwicklung erschreckend. Meine Mutmaßung ist, dass hier zwei Mechanismen greifen: Die Federführung liegt ja beim Innenministerium unter der Leitung von Reinhold Gall – und der hat nicht gerade erkennen lassen, dass er ein großer Befürworter der Informationsfreiheit ist. Offensichtlich steht hier das Innenministerium mit dem Fuß auf der Bremse. Meiner Ansicht nach will es das Gesetz gar nicht nach Vorne bringen. Aber aufgrund der Regelung im Koalitionsvertrag muss man eben irgendetwas präsentieren.

Und was ist der andere Mechanismus?

Die Grünen zeigen sich hier absolut handzahm. Entweder haben sie ihre ursprünglichen Forderungen aufgegeben oder sie lassen sich hinters Licht führen. Ich frage mich, was schlimmer wäre.

Halten Sie es wirklich für möglich, dass sich die Grünen hinters Licht führen lassen? Das sind ja nicht alles Dummköpfe.

Das sicherlich nicht. Aber anscheinend haben sie wenig Erfahrung mit der Materie und werden sehr schlecht beraten.

Der große Wahlerfolg der Grünen war eine Überraschung, auf die man in diesem Ausmaß nicht vorbereitet gewesen ist. Bei der Besetzung der ganzen Posten und Ämter hat die Partei auf zahlreiche Personen zurückgreifen mussten, die der Öffentlichkeit bislang eher unbekannt waren. Vielleicht ist ein Problem, dass die Grünen mit ihren eher unerfahrenen Leuten einfach überfordert sind.

Das mag sein – aber das ändert nichts an dem entscheidenden Punkt: Sie holen sich keine gute Beratung. Vielleicht wollen sie auch gar keine. Auf unserer Pressekonferenz 2013 haben wir ihnen angeboten, in Kontakt zu bleiben und uns über das weitere Vorgehen auszutauschen.

Und kam es dazu?

Es ist überhaupt nichts passiert. Sie haben kein einziges Mal versucht, uns einzubinden oder Kontakt aufzunehmen. Sie haben unseren Gesetzesentwurf entgegengenommen und offensichtlich ignoriert. Es gab keine Stellungnahme dazu. Keine inhaltliche Auseinandersetzung. Keine einzige Nachfrage zu einer inhaltlichen Regelung. Das kennen wir von anderen Landtagsfraktionen der Grünen ganz anders, die gerne den fachlichen Austausch zu solchen Themen suchen. Sie müssen die Positionen aus der Zivilgesellschaft ja nicht 1:1 übernehmen. Aber mehr Dialog würde sicherlich dazu beitragen, dass sie die Fallstricke erkennen, die in den Eckpunkten stecken.

Die Landesregierung ist also beratungsresistent?

Ich bin mir sicher, dass die Gegenseite, die mehr auf Abschottung und das alte „Amtsgeheimnis“ setzt, sich fleißig mit den kommunalen Spitzenverbänden beraten hat. Das kann man aus dem Papier herauslesen. Diese ganzen abwehrenden Formulierungen sind die typischen Aspekte, die immer wieder von den kommunalen Spitzenverbänden eingefordert werden. Auf die ist man hervorragend eingegangen. Das ist gerade bei einer von Grünen geführten Landesregierung grotesk.

Warum?

Die Grünen haben auch mehr Bürgerbeteiligung gefordert. Jetzt hat man ein Gesetz, das in hohem Maße die Zivilgesellschaft betreffen wird – aber man hört offenbar nur die Betriebe und die Verwaltungsstellen. Man hätte die Bürger in die Debatte mit einbeziehen müssen. Vielleicht nicht unbedingt zu jedem einzelnen Punkt, aber zumindest bei der Zielsetzung. Das haben die Grünen versäumt – und wie verheerend sich das auswirkt, sieht man an den Eckpunkten. Sämtliche Standards werden unterboten. Dieser Entwurf hätte auch von der CDU stammen können.

Wo ist man denn fortschrittlicher als in Baden-Württemberg?

Das weitestgehende Gesetz in Deutschland hat Hamburg, das sogenannte Transparenzgesetz. Hier gibt es das Transparenzregister, in dem automatisch Dokumente und Daten veröffentlicht werden, die durch Steuergelder finanziert wurden. Das ist die nächste Stufe der Informationsfreiheit: Die älteren IFGs folgen dem Prinzip: Wenn jemand etwas anfragt, wird es im Regelfall freigegeben. In Hamburg wird eine Vielzahl von Informationen automatisch zugänglich gemacht, ohne dass jemand nachfragen muss. Das ist vorbildlich.

Warum ist man in Hamburg so viel weiter?

Das liegt vor allem am öffentlichen Druck, befeuert durch die Kostenexplosion bei der Elbphilharmonie. Ein Bündnis aus dem Mehr Demokratie e.V., dem Chaos Computer Club und Transparency International hat eine Volksinitiative gestartet und einen Entwurf vorgelegt, der viel Zustimmung in der Bevölkerung erhalten hat. Die Parteien haben erwartet, dass die weitgehende Vorlage bei einer Abstimmung gewinnen wird. Dann ist es nach dem Motto gelaufen: Was die Politik nicht verhindern kann, das segnet sie. Aber ganz abgesehen davon, dass auch in Hamburg ohne öffentlichen Druck keine gute Regelung zustande gekommen wäre: Das Transparenzgesetz hat Vorbildcharakter. Daran müssen sich neue gesetzliche Regelungen jetzt messen lassen, auch in Baden-Württemberg.

Das Interview führten Minh Schredle und Hardy Prothmann.


 

Weiterführende Beiträge im Rheinneckarblog: