Franziska Augstein (Foto: „Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103“ von Dontworry - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg#mediaviewer/File:Franziska-augstein-2012-roemerberggespraeche-ffm-103.jpg

Franziska Augstein (Foto: Dontworry. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons)

Dokumentation der Rede von nr-Vorstandsmitglied Franziska Augstein auf dem Deutschen Medienkongress 2015 — 20. Januar 2015, Alte Oper — Frankfurt am Main

Lesen und lesen lassen: Jene, die lesen lassen, sind der Meinung, daß jene, die lesen sollen, nicht mehr lesen wollen – und wenn, dann nur auf Smartphones, Tablets und so weiter. Das wirft die Frage auf: Wie ist das Verhältnis zwischen dem gedrucktem Journalismus und den Verlagsangeboten im Internet?

Am Ende meiner kleinen Rede werde ich mich dieser Frage ernsthaft widmen.

Alles was ich bis dahin sage, können Sie ernst nehmen, sie müssen es aber auch nicht. Wenn ich den Zustand, wenn ich die Lage der Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland ironisch, ja sarkastisch beschreibe, tue ich das mit einer Aneinanderreihung und Komprimierung von Zitaten aus der Branche, die aber gar nicht ironisch oder sarkastisch gemeint waren. Vielleicht erkennen Sie die Zitate da und dort wieder, womöglich ist das eine oder andere sogar von Ihnen. Ich überzeichne, ja karikiere also mithilfe der Realität. Voilà.

Meine Rede, die ich hier heute halten darf, dient dazu, den Leitern von Presseunternehmen wertvolle Hinweise zu geben.

Zuallererst müssen die Chefs und Anteilseigner eines Presseunternehmens sich abgewöhnen, von Zeitungen und Zeitschriften zu reden. Das heutige Wort dafür ist „Print“.  Landauf, landab gilt es nun, öffentlich zu erklären: Print ist out, Print ist am Ende, Print hat keine Zukunft. Wer Metaphern nicht scheut, der bezeichnet Print als einen „Eisberg“. In der Zeit des Klimawandels sehen Eisberge bekanntlich ganz alt aus – mindestens so alt wie Print .

Nicht müde werden darf man, darauf hinzuweisen, dass junge Leute sich für Druckerzeugnisse nicht mehr interessieren, sondern ihre Information den digitalen Medien entnehmen. Je zuverlässiger das eigene Unternehmen an Zeitungen und Zeitschriften verdient, desto dringender – ja, wie ein Appell – muss das Statement in die Welt gehen: „Die Goldgräberzeiten sind vorbei.“ Bei Pressemedien handle es sich um schmelzende Eisberge oder absterbende Äste oder ein dem Untergang geweihtes Geschäftsmodell. Medienunternehmen, die florierende Zeitungen besitzen, die guten Profit erwirtschaften, sollten ihre Zeitungen sofort ohne Wenn und Aber abstoßen.

Wichtig ist dabei – das erfordert ein wenig Voraussicht -, dass man der Belegschaft kurz zuvor noch versichert hat, man stehe zu Print. Wurde dieser Schritt verabsäumt, lässt sich das Versäumnis wettmachen: Man gibt ein Interview. Die Kollegen aus den Medienredaktionen werden dazu gern bereit sein, weil sie sehr oft mehr zu tun als Zeit haben und Interviews nicht so arbeitsauwendig sind wie Hintergrundrecherchen: Im Interview also muss der Verkauf mit dem Argument begründet werden, er diene dazu, die Arbeitsplätze der in den Zeitungen tätigen Journalisten zu erhalten. Erlaubt ist es, anzufügen, dass – ich zitiere – die „virtuelle und entmaterialisierte Medienwelt“ gewisse Anpassungsleistungen erfordere.

Unnötig ist es, sich nach der Vertragsunterzeichnung von den Redakteuren persönlich zu verabschieden. Wer es dennoch tut, sollte beachten: Krokodilstränen kommen nicht gut an. Freundliche Scherze – von der Art: Sie sind doch immer für die SPD und Kanzler Schröder gewesen, da werden Sie Hartz IV sicher gern entgegennehmen – sind bei solchen Gelegenheiten zu unterlassen. Bei den meisten Männern genügt ein fester Blick. Manche Frauen nehmen einen verständnisheischenden Augenaufschlag aufgeschlossen auf.

Wer halbherzig ist, den bestraft das Leben. Trotzdem gibt es immer noch Medienhäuser, die an dem Besitz von Zeitschriften festhalten. Völlig abgehängt, also sozusagen das digitale Prekariat, sind die aber auch nicht: Da kommt es darauf an, dass man die Zeitschriften, die man besitzt, von innen aushöhlt. Wer seine Zeitschriften behält, sollte alle Redakteure entlassen – und ihnen mitteilen, dass es ihnen frei stehe, künftig als Freie für den alten Arbeitgeber Artikel zu schreiben. Das spornt an, das macht Mut.

Wer – ich frage Sie, verehrtes Publikum – will hintanstehen, wenn ein – ich zitiere –  „agiles, kreatives und flexibles Kompetenzteam“ eine Zeitschrift gestaltet?

Machen wir uns nichts vor: In Wahrheit freuen sich die Leute, wenn man ihnen sagt, dass sie die Chance haben, an einem „agilen, kreativen und flexiblen“ neuen Kompetenzteam mitzuwirken. Der Begriff „freier“ Journalist greift zu kurz. In unserer heutigen Zeit sollten wir diesen Begriff um ein paar Silben verlängern: freigesetzter Journalist. Freigesetzt sind sie – wie Kanarienvögel, die man endlich aus ihren Käfigen entlassen hat.

Der eine oder andere unter Ihnen, verehrte Zuhörer, mag gefeuerte Journalisten getroffen haben, die behaupten, sich schlecht zu fühlen und weniger motiviert zu sein als früher. Glauben Sie denen nicht. Die Betreffenden scheuen sich vermutlich nur aus berufsethischen Gründen oder aus alter Anhänglichkeit an ihre Gewerkschaft, ihre Begeisterung über die neuen Chancen und die neue Herausforderung ehrlich preiszugeben.

Die Rolle der Chefredakteurinnen und Chefredakteure in dem heutigen medialen Transformationsprozess ist nicht zu unterschätzen: Die müssen, zumal wenn sie bei einem Konzern angestellt sind, sehr schnell lernen, zu reden wie ein Chief Executive Officer. Wer da nicht Begriffe wie „Innovation“, „Zukunft“, „gut aufgestellt“ unterbringt, hat einen schlechten Stand. Über diese Anforderung hinaus vorbildlich agierte ein Chefredakteur, der gefragt wurde, wie guter Journalismus überleben könne. Er antwortete nämlich: Man müsse drucken, was noch nie gelesen und vor allem – ich zitiere – „noch nie gedacht“ wurde. Dieser Mann, verehrte Damen und Herren, dieser Mann hat Zukunft. Die Leute, die ihn bezahlen, wissen ja schon alles. Wenn da aber einer kommt und verspricht, zu drucken, was „noch nie gedacht“ wurde, dann rettet ihm das seinen Vertrag – zumindest auf noch einige Monate.

Mittlerweile haben wir – Sie als Zuhörer, ich als Rednerin – festgestellt, dass deutsche Konzerne ihren Print-Produkten heute tendentiell skeptisch gegenüberstehen: also ungefähr so, wie man eine angebrochene Streichwurst betrachtet, die schon seit einem halben Jahr im Kühlschrank liegt. Gleichfalls haben wir festgestellt, dass frischer Mut im Hinblick auf das Internetgeschäft entfaltet wird.

An diesem Punkt angekommen, muss ich auf ein Dilemma hinweisen, mit dem Konzernmanager und Medienstrategen konfrontiert sind, die auf den Online-Journalismus setzen: Spätestens wenn die Leute die Quartalszahlen auf dem Schreibtisch haben, müssen sie konstatieren: Den Zahlen nach sieht es für den Digital-Journalismus derzeit nicht besonders gut aus. Die digitalen Ableger von Zeitungen und Zeitschriften spielen viel weniger ein als die gedruckten Titel.

Das ist lästig. Print ist doch so gut wie tot! Dem kann aber abgeholfen werden. Was für den Zauberer das Simsalabim, das ist in diesem Fall die Prognose. So wie ein Zauberer per Simsalabim ein Huhn in ein Ei verwandelt, so macht eine Prognose aus einem florierenden Unternehmen eine lahme Ente.  Anders gesagt: So wie manche Unternehmensberater die Börsenentwicklung eines Unternehmens im Sinn ihrer Kunden hochschreiben, so kann man natürlich auch die Entwicklung der eigenen Zeitungen und Zeitschriften niederreden. Und dafür braucht man nicht einmal einen kostspieligen Unternehmensberater.

Auf dem Programm steht nicht, ertragreiche Zeitungen und Zeitschriften ordentlich weiterzuführen, sondern es gilt, den Journalismus im digitalen Journalismus aufgehen zu lassen.

Die Frage, die sich nun stellt: Wie überführt man Medienkonzerne ins Internet? Ganz wichtig ist natürlich aus PR-Gründen die Wortwahl. Das moderne Wort „content“ bietet sich an für alles, was im Internet steht. So wie man in einen Schiffs-Container alles reinpacken kann, von Kaffeesäcken über Opium bis zu Flüchtlingen, kann man auch ins Internet alles reinpacken – was ja auch gemacht wird. Und wenn man die Container öffnet, bietet sich mitunter eine unschöne Überraschung. Zartfühlende Geister in Deutschland meinten daher, man solle doch besser von „Inhalten“ reden. Das war eine vorzügliche Idee. Denn das Wort „Inhalt“ klingt für die meisten deutschen Ohren vertrauter als das Wort „content“, gleichzeitig aber lässt sich unter dem Rubrum „Inhalt“ auch alles, wirklich alles verkaufen. Wer immer sich ausgedacht hat, nicht von „content“, sondern von „Inhalt“ zu reden, verdient einen Platz in der Ersten Klasse beim ersten Passagier-Raumschiff, das Richtung Mars aufbricht.

Festzuhalten ist: Wir reden von Medienunternehmen, die an Druckerzeugenissen, ja an Journalismus nicht mehr recht interessiert sind, sondern auf Internet-Kommerz setzen. Da passt das Wort „Inhalt“ perfekt. Inhalt ist nämlich, wie gesagt, im Grunde alles. Große Verlagsunternehmen nutzen ihren Markennamen, um alles mögliche zu verhökern. Journalismus spielt dabei bestenfalls noch eine untergeordnete Rolle. Die Namen eingesessener Zeitungen dienen als Verkaufs-Vehikel. Angeboten werden allerlei Commerce- und Lizenzgeschäfte: Da kann man über Verlags-Websites zum Beispiel Tierfutter und Kleidung für Babys erwerben. Dazu kommen Immobilienportale, eine sogenannte „Karriere-Plattform“, Preisvergleichsportale und vieles andere. Der Vertrieb dieser Dinge läuft im Namen von Verlagen.

Verlage verkaufen aber nicht nur Tierfutter im Internet. Sie verkaufen auch Anzeigen: Die werden zunehmend so gestaltet, dass der Nutzer oder „user“ größte Mühe hat, die Werbung zu erkennen. Von „Lesern“ wird übrigens ungern geredet: Leser sind out, ebenso wie „Print“. Allzu viele Nutzer geben sich nun allerdings spielverderberisch und installieren auf ihren Computern Programme, die eingespielte Werbung automatisch unterdrücken. Das ist schlecht fürs Geschäft und muss unterlaufen werden. Das Mittel der Zukunft wurde in der Presse als „Journalistische U-Boote“ bezeichnet. Das kann so weit gehen, dass Werbung als Artikel kaschiert daherkommt. Da wird dann ein Produkt in einem scheinbar objektiven Bericht als vorzüglich angepriesen, und nur wer sehr genau hinschaut, kann erkennen, dass es sich nicht um einen redaktionellen Beitrag handelt, sondern um Werbung. Wer nun diesen Trend kritisiert, sollte sich an die eigene Nase fassen: Genau diese Kritiker sind nämlich im Zweifelsfall die ersten gewesen, die das dauernde Aufploppen ehrlicher, klarer und entsprechend lästiger Werbung auf ihren Bildschirmen ausgeblendet haben.

Die Abonnenten von Zeitungen und Zeitschriften werden von den für das Internet-Geschäft Zuständigen schon deshalb als quantité négligeable wahrgenommen, weil viele dieser Abonnenten ihre Daten nicht digital zur Verfügung gestellt haben: Denen kann man also keine auf sie individuell zugeschnittene Werbung auf ihren Computer-Account schicken. Schade ist das. Andererseits gelten diese Leser ohnedies als eine aussterbende Spezies, was sie – unter dem Druck der in dieser Rede bisher geschilderten geschickten Verlagspolitik – nolens volens selbst einsehen werden. Von einigen Widerstandsnestern abgesehen, wird es sie bald nicht mehr geben. Vermutlich wird in naher Zukunft ein renommiertes Museum eine Zeitungsleserin in seine Sammlung aufnehmen. Die Einweihung wird von großen Medienkonzernen gesponsort werden. Unbestätigten Angaben zufolge wird jetzt schon darüber diskutiert, wie die Leserin präsentiert werden soll. Vieles spricht für: ausgestopft.

* * *

Und wo bleibt bei all dem der Journalismus? In der Tat: Der ist bisher in meiner Rede zu kurz gekommen. Bisher war ich ja eher damit beschäftigt, zu zeigen, wie die medialen Obrigkeiten den Journalismus behindern. Kommen wir also zu dem, was mich angeht und was auch vielen unter Ihnen, verehrtes Publikum, am Herzen liegt. Kommen wir zum nicht ironischen, nicht sarkastischen Teil meiner Rede.

Trotz aller Widrigkeiten ist der deutsche Journalismus immer noch sehr gut, sowohl in der gedruckten Form als auch Online. Teils ist er sogar besser als früher. Das gilt im besonderen für den investigativen Journalismus. Noch vor fünf Jahren hatte man den Eindruck, allzu viele Journalisten meinten, investigativ zu arbeiten, wenn sie zum Telefon greifen und eine Nummer wählen. Das hängt zusammen mit der neuen Neigung, alles Nötige im Internet zu recherchieren.

Wer die Internet-Recherche beherrscht, kann da Wichtiges, ja kaum Glaubliches finden, was Internet-Dilettanten vorenthalten bleibt. Aber alles kann man eben nicht finden. Ein Missstand in einer kleinen Stadt zum Beispiel twittert sich nicht von selbst in die Welt hinaus: Um davon Kenntnis zu bekommen, müssen Journalisten respektiert sein und in ihrem fachlichen Umfeld bekannt, so dass Informanten sich ihnen anvertrauen. Das Internet bietet eine neue Recherche-Möglichkeit, nicht mehr, nicht weniger. Investigative Journalisten wissen sie zu nutzen. Sie wissen aber auch: Sie müssen mit Leuten reden. Die Kombination der beiden Herangehensweisen hat dem hiesigen Journalismus jüngerer Zeit sehr gut getan: Im Internet recherchieren und dazu Kontakt zu den Menschen haben, die aus eigener Anschauung erzählen, was im Argen liegt: Das hat zu etlichen wichtigen Aufdeckungen geführt. Und das hat unserem Gemeinwesen, der Bundesrepublik, gut getan.

Etwas, sagen wir, bizarr war eine Feststellung des Branchenblatts „journalist“, die da lautet: „Im investigativen Journalismus geht es längst nicht mehr nur um Fakten, sondern auch darum, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie die Menschen begeistert.“ Wie soll man das verstehen: Haben Journalisten bisher sich nicht auf ihr Handwerk verstanden, waren investigative Berichte früherer Jahre langweilig geschrieben? Oder: Sollen Leser „begeistert“ sein, wenn sie zum Beispiel von der Missachtung der Menschenrechte oder von Korruption im großen Stil erfahren? Auch einem angesehen Blatt wie „journalist“ kann einmal ein Satz misslingen. Ich zitiere diesen nur, weil er einen relativ neuen Trend offenbart: Das ist der Hang zu sogenannten „weichen“ zum Nachteil der sogenannten „harten“ Geschichten.

Es geht nicht zuletzt um den Hang zum Ich-Journalismus und zur von näheren Kenntnissen oder stichhaltigen Argumenten nicht unbedingt befrachteten Meinungsäußerung. Beides wird sicherlich dadurch befördert, dass im Internet so viel Meinungsaustausch jenseits der professionellen Informationsmedien stattfindet. Viele Portale des Internets geben Lesern die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern. Die Gelegenheit nutzen sehr viele sehr gern, und viele dieser Kommentatoren wissen auch, wovon sie reden.

Der professionelle Journalismus sollte danach streben, informierter und besser zu sein als die privaten Kommentare im Internet. Leider gibt es heute zu viele dürftig argumentierende Meinungsstücke. Ein guter Kommentar, ein fundierter Leitartikel ist etwas ganz anderes als ein flockig formuliertes Meinungs- und Befindlichkeitsstück, in dem der Autor oder die Autorin von seinen oder ihren jüngsten Erlebnissen erzählt. Und ein politischer Kommentar, dessen Autor sich nur in der Tagespresse sowie Wikipedia schlau gemacht hat, bringt auch nicht viel. Ein egomanischer und egozentrischer Journalismus, wie er seit einiger Zeit um sich greift, nimmt sich selbst am wichtigsten: Das wird auf die Dauer nicht hinreichen, das weckt vor allem Verdruss.

Dies zumal, da Journalisten derzeit ohnedies keinen besonders guten Ruf haben. Die Medienberichterstattung über einzelne Ereignisse wurde nicht gut aufgenommen: Die von Meinungsforschungsinstituten befragten Leser und Fernsehzuschauer vermissten sachliche Information. Das galt für die Berichterstattung über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, das gilt jetzt noch viel mehr für die Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine. Was Journalismus leisten kann: objektiv berichten, alle Seiten zur Sprache kommen lassen, auf dieser Grundlage Analysen verfassen: darauf muss mehr Sorgfalt verwendet werden. Journalisten müssen die russische Regierung nicht mögen, wenn sie aber gar keine Mühe darauf verwenden, die Beweggründe von Putins Politik herauszufinden und zu erklären, dann geben sie damit all jenen recht, die sagen, dass sie sich lieber auf irgendwelchen sites im World Wide Web informieren.

Wir befinden uns derzeit in einer enormen Umbruchphase: Das Internet ist etabliert. Die Anzeigen brechen weg, die Leser auch. Also versuchen die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sich dem anzupassen, was in den Verlagen für den Geschmack der neuen Zeit gehalten wird. Wie der aussieht, schaut man sich den Diskussionsseiten im Internet ab oder – viel überzeugender – man achtet darauf, wie die eigenen Kinder mit Medien umgehen: Kinder die in Haushalten aufgewachsen sind, wo mit Zeitungen und Zeitschriften bis heute gelebt wird. Viele Mütter und Väter stellen desillusioniert fest: Selbst mit Mitte zwanzig meinen ihre Kinder, ausreichend informiert zu sein, wenn sie diverse Online-Portale gelegentlich am Tag konsultieren, um die jeweils aktuellen Hauptnachrichten zu erfahren. Daher kommt man als Verlagsmensch schnell auf die Idee: Ein lukratives Geschäft gebe es auf die Dauer nur, wenn man aufs Internet setze.

Die Kolleginnen und Kollegen, die Online-Journalismus betreiben, machen vielfach wunderbar engagierte Arbeit – die leider nicht selten von den Arbeitgebern nicht adäquat bezahlt wird. Ob das Ausmaß ihres Engagements, ob ihre Arbeit von den Lesern angemessen honoriert wird, wenn die Leser für die Online-Lektüre zahlen müssen, ist noch nicht abzusehen.

Wie bei allen großen Erfindungen, ist auch im Hinblick auf das Internet zu befürchten, dass derzeit übers Ziel hinausgeschossen wird. Ein Beispiel: Die Atomindustrie schien eine einfache Versorgung mit Energie sicherzustellen. Jahre später musste man sich von dieser Idee verabschieden. Derzeit sagen etliche Verlage, die journalistische Zukunft liege im Internet. Das bleibt abzuwarten. Dem Online-Journalismus wird derzeit wahrscheinlich mehr potentielle Lukrativität unterstellt, als er mittelfristig wird einlösen können.

Kurzfristig ist ohnedies wenig zu gewinnen. Nicht ohne Grund wird ein journalistisches deutsches Internet-Portal von Mäzenen gesponsort. Die Verlage machen mit ihren Internet-Auftritten wenig Profit – sofern sie nicht, wie gesagt, Tierfutter verkaufen. Gegen letzteres ist nichts einzuwenden, es hat halt nur mit Journalismus nichts zu tun. Ob sich das ändern wird: Man wird sehen.

So, und wie macht man sonst Profit? Da gibt es eine ganz einfache Lösung: Man sollte sich vielleicht ein bisschen mehr für die vielen Millionen Leser interessieren, die nach wie vor ein Magazin, eine oder mehrere Zeitungen abonniert haben. Man sollte, auch wenn man es nicht schön findet, selbst mittlerweile mehr als fünfzig Jahre alt zu sein, diese Leser nicht in strategischen Verlags-Reden mit dem Hinweis darauf abtun, dass die Leserschaft veralte. Die Lebensaussichten der heutigen Deutschen sind so gut, dass es vollkommen unverständlich ist, mit welcher Hektik die journalistische Umstellung aufs Internet betrieben wird: Diese Hektik ist überflüssig, sie ist kontraproduktiv. Und sie geht mit Missachtung der Leser einher.

Sehr viele Leser, die für Zeitungen und Zeitschriften Geld ausgeben, sind in aller Regel jene, die nicht das Bedürfnis und nicht die Zeit haben, Stunden am Tag zu bloggen oder auf Facebook und Twitter unterwegs zu sein, weil sie nämlich in der Zeit ihrem Beruf nachgehen und Geld verdienen. Sie wollen eine ordentliche Zeitung haben, ein ordentliches Magazin. Und, nebenbei, diese Leser sind bei den Anzeigenkunden besonders beliebt: viele von ihnen haben nämlich das Geld für die angepriesenen Waren.

Grundsätzlich kann man wohl sagen: Wer heute eine seriöse Zeitschrift oder eine seriöse Zeitung liest, möchte nicht, dass diese nur für Leute gemacht werden, die so alt sind wie die eigenen Kinder. Diese Leser  wünschen sich, je nachdem, mal solide, knappe, mal ausführliche Information oder kluge Unterhaltung oder seriöse Analyse und Kommentierung, wie sie sie seit jeher bekommen haben. Und wer weiß, ob nicht heute 25-Jährige, wenn sie ihr Leben aufgebaut haben, das nicht auch so sehen werden: ob sie nicht gute Information über ihre Stadt, ihre Region, ihr Land und mehr wünschen, die sie kontinuierlich über alles, was ansteht, unterrichtet. Ob sie das dann Online lesen oder auf gedruckten Papier: diese Frage ist zweitrangig. Solange Online-Journalismus aber weniger erwirtschaftet als Zeitungen und Zeitschriften, sollte man letztere nicht – salopp gesagt – in die Tonne treten: die Altpapiertonne.

Es ist richtig, dass alle Zeitungen und Zeitschriften sich auf niedrigere verkaufte Auflagen werden einrichten müssen. Auch die Anzeigenentwicklung ist nicht gut. Was folgt daraus? Das bedeutet, dass Pressehäuser ihre Ansprüche an die Rendite zurückschrauben müssen. Mehr als zehn bis fünfzehn Prozent Rendite werden künftig in aller Regel nicht mehr erwirtschaftet werden können (Ausnahmen gibt es natürlich). Das ist wohl der Grund, warum einige Konzerne ihre Titel jetzt abstoßen. Dazu gebe ich Ihnen jetzt eine Vergleichszahl: Noch zu Zeiten der alten Bundesrepublik – lange vor der Erfindung des Internet – wurde von Buchverlagen gesagt: Mehr als acht Prozent Rendite seien bei dem Verkauf von guten Büchern nicht drin. Viele Buchverlage wurden und werden genauso geführt. Von dem, was bei acht Prozent Rendite übrig bleibt, kann ein Unternehmen, können alle dort Beschäftigten, gut leben, jedenfalls dann, wenn das Unternehmen nicht an der Börse notiert ist. Ich gestehe, dass ich mich gefreut habe, als ein weltweit bedeutender Medienkonzern im Jahr 2012 sich von der Börse zurückgezogen und die begebenen Aktien zurückgekauft hat: Damit hat das Unternehmen mehr Handlungsfreiheit. Diese Handlungsfreiheit kann es nun nutzen: im Sinn des Journalismus, immerhin der „Vierten Gewalt“ – oder eben lediglich im Sinn der Profitmaximierung. Zu dieser Alternative, vor der das Unternehmen steht, nur ein Satz:

Ohne ein Gran Idealismus sollte man sich mit Journalismus besser nicht befassen.

* * *

In dieser Rede habe ich es vermieden, Namen zu nennen. Um einen Namen komme ich jetzt nicht herum: Thomas Middelhoff. Als Thomas Middelhoff der Chef von Bertelsmann war, hielt er einmal an der amerikanischen Ostküste eine Rede, vor ganz großem Publikum. Am Ende seiner Rede, so wurde mir erzählt, habe Middelhoff sein Jacket ausgezogen. Er habe es in die Menge geworfen und gerufen: „I would die for Bertelsmann“.

Er würde für Bertelsmann sterben: So sollte man nicht reden, man sollte den Mund nicht so voll nehmen.

Es gibt manche Journalisten, die nie gesagt haben, dass sie für ihr Unternehmen sterben würden. Aber sie sind gestorben, in Ausübung ihres Berufes. Gestorben sind viele Journalisten, die sich um gute Berichterstattung bemüht haben; in den jüngst vergangenen Jahren sind besonders viele Journalisten in verschiedenen Ländern zu Tode gekommen, aus Versehen oder absichtlich wurden sie umgebracht; oder schlicht vor laufenden Smartphones exekutiert. Diese Journalisten sind gestorben, nicht für ein Unternehmen, sondern für ihre Profession: Sie wollten zeigen, schreiben oder sagen, was ist. An diese tapferen und nun toten Leute denke ich manchmal und jetzt besonders: am Ende dieser Rede.