Faktenchecks

 Illustration: Smaranda Tolosano für GIJN

Zum Original auf Englisch

von Mariam Elba

Ihr habt wochen- oder monatelang eine Geschichte recherchiert und den Entwurf dafür geschrieben, der*die Redakteur*in hat diesen abgesegnet. Und jetzt?

Jetzt steht ihr vor der scheinbar gewaltigen Aufgabe des Factchecking – sicherstellen, dass jede Aussage in eurem Artikel einer genauen Prüfung standhält.

Ohne die richtigen Tools, um von Beginn der Recherche an organisiert zu bleiben, und eine gut organisierte Quellendokumentation wird es schwer, eure Geschichte auf Fakten zu überprüfen.

Das muss aber gar nicht schwer sein. In diesem Kapitel erklären wir, wie man das Factchecking im Rechercheprozess einfach vorbereiten kann.

Wir konzentrieren uns auf die Praxis des Factchecking der eigenen Geschichte oder der von Kolleg*innen innerhalb der Redaktion und vor der Veröffentlichung oder Ausstrahlung des Beitrags – was als interner Faktencheck vor der Veröffentlichung bezeichnet wird. In diesem Kapitel wird nicht auf die externe oder unabhängige Faktenchecks eingegangen, die beispielsweise von Anbietern wie Politifact, FactCheck.org, Reuters Fact Check, der African Factchecking Alliance oder FactChecker.in durchgeführt wird, um Desinformationen auf Social-Media-Websites oder anderswo zu entlarven. (Dazu findet ihr mehr Infos im Leitfaden zur Faktenprüfung von investigativen Geschichten.)

 

Factchecking heute

Im „Chicago Guide to Factchecking“, von der Autorin Brooke Borel, wird John Banta, Leiter der Recherche-Abteilung des Magazins Vanity Fair zitiert. Er fasst die Rolle des Fact-checkers wie folgt zusammen: „Wir bieten einen Service an, bei dem wir alles auseinandernehmen – wir nehmen den Motor aus dem Auto, werfen die Teile auf den Boden und setzen ihn wieder zusammen.“

Beim Faktencheck wird die Recherche also auseinandergenommen, um sicherzustellen, dass sie solide, präzise und fair ist. Vor Jahrzehnten war diese wichtige Aufgabe in Nachrichtenredaktionen noch Standard. Heute sind hauptberufliche Fact-Checker in Nachrichtenredaktionen jedoch selten, vor allem, weil die Budgets in den letzten Jahrzehnten geschrumpft sind und sich Nachrichtenredaktionen diese nicht mehr leisten können.

Dennoch gibt es in einigen Nachrichtenmagazinen noch Factchecking Ressort, wie z. B. bei The New Yorker. Andere US-Nachrichtenmagazine prüfen Fakten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen: Bei The Nation beispielsweise ist eine rotierende, aber solide Gruppe von Freien mit der Faktenprüfung betraut. Dennoch ist es heutzutage in Nachrichtenredaktionen weitaus üblicher, dass Reporter*innen allein für das Factchecking ihrer eigenen Geschichten verantwortlich sind, wobei die Rechtsabteilung das letzte Wort hat.

Wer auch immer das Factchecking durchführt – ein*e freiberufliche*r Fact-checker, ein Mitglied eines investigativen Projektteams oder der*die Reporter*in selbst – macht in der Regel immer die selben Schritte, nämlich in etwa diese: Man hat einen Entwurf fertig, teilt diesen mit dem Fact-Checker, zusammen mit den Quellen, Notizen und allem anderen, was ihr für die Berichterstattung über die Geschichte verwendet habt. Sofern die Redaktion nicht den „magazinartigen“ Faktencheck macht, bei dem jede einzelne Tatsachenbehauptung überprüft wird, kann der Fact-Checker mit dem Reporter besprechen, welche Abschnitte der Geschichte wie überprüft werden sollten.

Nach dem Faktencheck diskutiert man mit den Factcheckern, welche Änderungen gemacht werden könnten/sollten, welche Begründungen es dafür gibt und welche als angemessen erscheinen. Anschließend geht der fertige Entwurf an die Rechtsabteilung (manchmal prüft die Rechtsabteilung den Entwurf, bevor der Faktencheck abgeschlossen ist) und dann an die Textredaktion, bevor er veröffentlicht wird.

Unabhängig davon, ob der Faktencheck von den Reporter*innen oder von jemand anderem durchgeführt wird, muss jede Recherche unbedingt auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Warum ist das so wichtig? In ihrem Buch bringt Borel es auf den Punkt: „Zwischen all dem Lesen, den Interviews und dem Nachdenken kann die Grundlage bröckeln und zerfallen. Vielleicht ist das Problem minimal – ein einfaches Missverständnis oder ein Kopierfehler … Wenn der Riss klein ist und die verbleibenden Quellen solide sind, könnte die Geschichte überleben. Dennoch ist es ein Riss, und aufmerksame Leser*innen könnten an dem Rest der Geschichte zweifeln.“

Wenn mehrere dieser kleinen Risse auftreten, könnte dies die Glaubwürdigkeit des Artikels und das Vertrauen der Leser*innen gefährden – umso mehr, wenn es ein falsches Zitieren einer Quelle oder die fehlende Angabe von Kontext für ein Zitat ist.

Da es jedoch in der Realität selten ist, dass die eigene Arbeit von einem internen Factchecker überprüft wird, zeigen wir euch, wie ihr eure investigativen Geschichten mit der gleichen Sorgfalt überprüfen könnt wie ein Factchecker in einer Nachrichtenredaktion.

Tipps und Tools

 

Organisiert bleiben

Das Wichtigste ist ein einheitliches Organisationssystem. Entwickelt ein System, mit dem ihr gut klar kommt – Dropbox, Google Drive oder einfach die Festplatte des eigenen Computers verwenden (achtet darauf, dass ihr ein Backup-Laufwerk habt) – und richtet Ordner mit leicht erkennbaren Titeln ein. Wenn ihr mit einem Team zusammenarbeiten, besprecht mit den anderen Mitgliedern, wie ihr die Zusammenarbeit organisieren wollt, und vereinbart, dass ihr euch an die Absprachen haltet. Erstellt für jede Quelle, mit der ihr sprecht, ein Kontaktblatt, dokumentiert, wann ihr mit ihr gesprochen habt, und erstellt einen eigenen Ordner für die Aufzeichnungen der Interviews.

Selbst wenn ihr noch keine konkrete Vorstellung davon habt, wie eure Geschichte verlaufen soll, ist es wichtig, ein System einzurichten und sich daran zu halten. Meine ehemalige Kollegin, die Archivarin Talya Cooper, gibt hier viele gute Tipps für die Organisation Ihrer Recherche, insbesondere für den Umgang mit sensiblem Material.

Referenzen hinzufügen

Referenzen zu den Quellen sind der Schlüssel, um jede Tatsachenbehauptung leicht belegen zu können.

Notiert euch bei der Arbeit am Entwurf, woher jede einzelne Tatsachenbehauptung stammt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dafür, aber ich persönlich bevorzuge Fußnoten, um die Quellen nach jedem Satz zu dokumentieren. Einige Journalist*innen lassen ihre Geschichten durch einen Texteditor laufen und sammeln jede Tatsachenbehauptung in einer Tabelle, die in Tatsachenbehauptung und Quellen unterteilt ist, einschließlich Links, Dateinamen und Audio-Timecodes.

Achtet darauf, dass ihr konsistent bleibt. Euer System zur Speicherung und Organisation des Materials ist zentral dafür, Quellen für Tatsachenbehauptungen einfach nachvollziehen zu können.

Stellt sicher, dass die Quellen solide sind

Um das Factchecking zu erleichtern, stellt sicher, dass eure Quellen zuverlässig, fair und genau sind.

Üblicherweise stützt man sich bei der Recherche viel auf Primärquellen, darunter (aber nicht ausschließlich): Dokumente und Datensätze von Regierungsbehörden, Archivmaterial, Gerichtsakten, Interviews und Pressemitteilungen. Verlasst euch nicht auf Social-Media- oder Blog-Beiträge, die die Quelle ihrer Informationen nicht angeben.

Wikipedia kann eine gute Ressource sein, wenn man mit der Recherche zu einer Geschichte beginnt. Es ist jedoch keine zuverlässige oder akzeptable Quelle, da jede*r eine Seite bearbeiten und Informationen hinzufügen kann, ohne diese zu belegen.

Inzwischen werden Apps für künstliche Intelligenz wie ChatGPT immer häufiger eingesetzt, aber sie sind oft unzuverlässig. 2023 verwendete ein Anwalt, der einen Kläger in einem zivilrechtlichen Verfahren im Luftfahrtbereich in den USA vertrat, ChatGPT, um einen Schriftsatz vorzubereiten. Wie Benjamin Weiser für die New York Times berichtete: „Es gab nur ein Problem: Niemand – weder die Anwälte der Fluggesellschaft noch der Richter selbst – konnte die Entscheidungen oder die in der Klageschrift zitierten und zusammengefassten Zitate finden. Das lag daran, dass ChatGPT alles erfunden hatte.“

Speichert alle Links

Zusätzlich zu Dokumenten, öffentlichen Aufzeichnungen und Quelleninterviews kann man auch Quellenmaterial aus dem Internet verwenden. Da Webseiten, Artikel und Social-Media-Beiträge im Handumdrehen entfernt oder geändert werden können, ist es wichtig, die Links nicht nur zu speichern, sondern auch zu archivieren, falls sie nicht mehr funktionieren. Die Wayback Machine ist hierfür ein unverzichtbares Tool und bietet außerdem eine hervorragende Möglichkeit, auf archivierte Versionen alter Webseiten zuzugreifen: Man kann zu verschiedenen Zeitpunkten zurückgehen, um zu sehen, wie eine Webseite vor Jahren oder sogar Jahrzehnten ausgesehen hat. Wenn man beispielsweise einen Social-Media-Beitrag speichern möchte, den man auf X (ehemals Twitter) findet, kann man diesen auf archive.is speichern.

Wichtige Fragen zum Factchecking

Während meines ersten Jobs als Factchecker bei The Intercept entwickelte die frühere Factchecking-Abteilung eine Reihe von Richtlinien. Das half eine Tatsache zu überprüfen, für die es keine ausreichende Quellenangabe gab, oder wenn die Quellenangabe die Aussage nicht unbedingt bestätigte. Folgende Fragen stellen sich dann:

  • Können wir mit Sicherheit sagen, dass diese Aussage wahr ist?
  • Können wir Beweise vorlegen, die Kritiker*innen überzeugen?
  • Können wir uns ein realistisches Szenario vorstellen, in dem Gegenbeweise vorgelegt werden, die die Publikation dazu zwingen würden, eine Korrektur zu veröffentlichen?

Wenn sich herausstellen sollte, dass wir eine dieser Fragen nicht mit Sicherheit beantworten können, dann wissen wir, dass wir andere Quellen finden oder den*der Reporter*in eine alternative Formulierung vorschlagen müssen. Wenn ihr eure eigene Arbeit auf Fakten überprüft, solltet ihr diese Fragen im Hinterkopf behalten.

Prioritäten beim Factchecking

Ebenso wichtig wie sicherzustellen, dass jede Tatsachenbehauptung in der Recherche korrekt ist, ist es, zu erkennen, welche Art von Fakten am meisten Probleme bringen, wenn sie sich als falsch herausstellen. Hier ist eine praktische Prioritätenliste:

  • Aussagen, die eine Person oder Organisation herabsetzen, alles, was als verleumderisch angesehen werden könnte;
  • Technische oder finanzielle Informationen, insbesondere wenn sie nicht zuvor gemeldet wurden;
  • Zusammenfassungen wissenschaftlicher Studien;
  • Beschreibungen rechtlicher Auseinandersetzungen (prüft Dokumente von beiden Seiten eines Falls);
  • Statistiken, Opferzahlen und andere numerische Daten;
  • Daten und Chronologie von Ereignissen;
  • Vom/ von der Reporter*in durchgeführte statistische oder andere Analysen;
  • Beschreibungen oder Zusammenfassungen offizieller Richtlinien oder Gesetze;
  • Beschreibungen der Berichterstattung einer anderen Person;
  • Formale Schreibweisen von Namen;
  • Beschreibungen bekannter historischer Ereignisse;
  • Pauschale Aussagen und Superlative: „Eine der höchsten Raten von …“;
  • Biografische Informationen, die durch Interviews recherchiert wurden.

Häufige Fehler vermeiden

Wenn Factchecker gefragt werden, auf welche Art von Fehlern sie am häufigsten stoßen, ist die häufigste Antwort: Durch Texte, die auf dem Gedächtnis basieren. Folgende Probleme häufen sich:

  • Namen und Titel: Es ist leicht, Titel von Führungskräften wie z. B. „Vorsitzende*r“ oder „CEO“ zu verwechseln;
  • Superlative: Wenn man beispielsweise sagen will: „Der Hurrikan Beryl war der schlimmste Hurrikan seit Beginn der Aufzeichnungen.“ Wie war er „der schlimmste“? In Bezug auf die Kategorie des Sturms, in die er fällt? In Bezug auf die Anzahl der Todesopfer? Es ist besser, genauer zu sein, als sich auf Superlative zu verlassen;
  • Kontextinformationen: Daten, Uhrzeiten, Orte;
  • Zahlen und Statistiken;

Überprüft alles, was ihr zu wissen glaubt. Das menschliche Gedächtnis kann selbst bei den erfahrensten Journalist*innen leicht versagen. Es kommt nicht selten vor, dass sich ein*e Reporter*in nicht mehr daran erinnert, in welchem Jahr ein bestimmtes Gesetz erlassen wurde oder wie der Titel eines*r Unternehmensleiter*in lautete. Verlasst euch nicht auf euer Gedächtnis als Quelle, sondern überprüft alles immer noch einmal.

Bessere Journalist*innen, bessere Geschichten

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ihr euer eigenes System schaffen solltet mir dem ihr das verwendete Material leicht abrufen könnt. Außerdem solltet ihr euren Entwurf während der Arbeit mit Anmerkungen versehen. Verlasst euch nicht auf euer Gedächtnis. Überprüft alles doppelt.

Wenn ihr euch diese Routine entwickelt, dann wird das dabei helfen, dass die Überprüfung von Fakten zu einem integralen Bestandteil eurer Recherche wird. Ihr werdet dadurch bessere Journalist*innen – und uere Recherchen glaubwürdiger und wirkungsvoller.

Mitarbeit an diesem Kapitel: Margot Williams

Mariam Elba ist Nachrichtenforscherin und lebt in New York. Derzeit ist sie bei ProPublica als Recherche-Reporterin tätig und unterstützt lokale Recherchen in den USA. Zuvor war sie als Associate Research Editor bei The Intercept tätig, wo sie die Factchecking-Abteilung leitete.

 

 

Margot Williams ist Forschungsredakteurin für Recherchenbei The Intercept. Sie hat zuvor bei der New York Times, NPR, dem International Consortium of Investigative Journalists und der Washington Post gearbeitet, wo sie während ihrer 14-jährigen Tätigkeit bei der Zeitung Mitglied von zwei Teams war, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurden: Für eine Recherche zu Schießereien der Polizei in Washington, D.C., auf Zivilist*innenen im Jahr 1998 und für eine nationale Berichterstattung über Terrorismus im Jahr 2001.