Leuchtturm-Sonderpreisträger 2013: Jochen Wagner
Laudatorin: Ulrike Maercks-Franzen, Vorstand Netzwerk Recherche

Der freie Journalist Jochen Wagner hat gegen den Bonner „General-Anzeiger“ geklagt und erst einmal gewonnen. Wir finden das so bemerkenswert, dass wir ihn – und damit auch viele ungenannte Mitstreiter – auszeichnen wollen mit einem Sonderpreis beim netzwerk-recherche-Leuchtturm 2013.

„Auszeichnungen, … sind ein Gradmesser für den publizistischen Anspruch, dem sich unsere Branche jeden Tag stellt. Sie belohnen die hohe Qualität einer redaktionellen Leistung. Und genau diese Qualität ist das zentrale Kriterium für den Erfolg unseres Mediums heute und in Zukunft – gedruckt, online und mobil.“…
Denn besonders im Lokalen können und müssen wir unsere Kompetenz täglich neu beweisen. Hier steht der Marktplatz der Meinungen, der das Gespräch der Bürger in den Städten und Gemeinden bestimmt.
… Die lokale und regionale Berichterstattung ist die tragende Säule unseres Mediums.“ …

Das – und natürlich einiges mehr – sagte der Vorsitzende des Kuratoriums des Theodor-Wolff-Preises, unter anderem auch langjährige BDZV-Präsidiums – und Presseratsmitglied, Hermann Neusser, am 4. September diesen Jahres in München bei der Verleihung des diesjährigen Theodor-Wolff-Preises. Dem allen ist nur zuzustimmen. Hinterlässt uns aber leicht verwundert. Hermann Neusser ist der Verleger des „Bonner General-Anzeiger“. Der Bonner „General-Anzeiger“ ist uns ein Begriff. Unter anderem, weil im letzten Jahr ein Kollege aus der Bonner Redaktion mit einem Leuchtturm für seine hartnäckige Recherche in einem Mordfall, die letztendlich nach 16 Jahren zur Aufdeckung führt (und inzwischen auch zu einer Verurteilung des Mörders) ausgezeichnet wurde.

In seiner Laudatio hob Markus Grill damals hervor, dass wir mit dem Leuchtturm eine Recherche auszeichneten, die unter den ganz normalen, ja banalen Bedingungen regionaler Lokalberichterstattung entstanden ist. Die eher der Neugier und der Hartnäckigkeit eines Einzelnen zu verdanken ist, den das Unbehagen über einen mysteriösen Fall nicht losließ, so dass er neben der normalen Redaktionsarbeit, neben den Ansprüchen und dem Dauerstress der aktuellen lokalen journalistischen Kärrnerarbeit diesen bewundernswerten Aufwand an Recherche trieb trotz polizeilicher Widerstände und Unverständnis der Redaktionsleitung, zusätzlich also und vieles davon in seiner Freizeit. So hat es uns Wolfgang Kaes im letzten Jahr berichtet und wir haben die Ergebnis für die Sache, den Aufwand vielleicht sogar als selbstverständlich genommen und mit unserem Preis belohnt.

Aber hat der Bonner „General-Anzeiger“ nicht gerade noch einen Preis gewonnen?

Ja richtig, auch die Kollegen von Freischreiber konnten nicht umhin, die Redaktion des Bonner „General-Anzeigers“ auszuzeichnen – mit ihrem „Hölle-Preis“ für die im Umgang mit den freien Mitarbeitern unfairste Redaktion, mit folgender Begründung: „Die Tageszeitung Bonner Generalanzeiger zahlt deutlich unter den gewerkschaftlich ausgehandelten Vergütungsregeln. Gegen die Dumping-Honorare klagten rückwirkend zwei langjährige freie Mitarbeiter… Ausgerechnet ein Haus, dessen Autoren regelmäßig mit renommierten Journalistenpreisen bedacht werden – (siehe oben – ), weigert sich, langjährige Autoren angemessen zu bezahlen.“

Das zeigt die andere Seite der Medaille, die konkrete Erscheinungsweise prekärer Arbeitsbedingungen im lokalen Journalismus. Das wäre vielleicht kein Thema für Auszeichnungen des netzwerks recherche, obwohl ich persönlich den Aspekt der Rahmenbedingungen journalistischen Arbeitens immer für eine wichtige, nicht zu vernachlässigende Sache halte.
Nun gehen die Preise des netzwerks recherche auch eher nicht an Verleger und Verlage, und an Redaktionen nur, wenn sie insgesamt Träger umfassender oder auch unermüdlicher und kontinuierlicher Recherchen und Berichte sind – über den messbaren Anteil einzelner hinaus. Auch dafür gab es in den letzten Jahren gute Beispiele wie z.B. 2009 der Preis für den Reporterpool von NDR Info.

Darum also hier unser Preis und unsere Anerkennung für einzelne, ja fast vereinzelte, einsame Kollegen.
Zur hartnäckigen Recherche gehört neben all den oft auch hier hervorgehobenen Eigenschaften, den ausgeprägten handwerklichen Fähigkeiten und der Schlauheit, der Listigkeit und der Hartnäckigkeit oft auch eine besondere Kraft – wir sprachen davon schon bei unserem Hauptpreis.

Es braucht Mut. Es braucht die Weigerung, Ungerechtigkeit, Unrecht hinzunehmen. Es braucht den Willen zur Aufklärung ebenso wie den starken Wunsch nach Veränderung. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da steht man mit seiner Person und mit seinem Namen für diesen Anspruch ein. Ich glaube, das tut man leichter, wenn man sich für andere, für eine oder „die“ Sache, eine Idee, für andere Menschen, für Aufklärung und Änderung engagiert.

Aber es braucht noch viel mehr Mut – und vielleicht auch eine gehörige Portion ganz „unprofessioneller“ Wut, wenn man sich entschließt, sich gegen Bedingungen zur Wehr zu setzen, die die eigene Arbeit entwerten, sie unerträglich oder sinnlos machen.

Und das haben die Kolleginnen und Kollegen getan, die wir heute mit einem Sonderpreis im Rahmen der Leuchtturm-Verleihung hervorheben und ehren wollen.

In den letzten Jahren haben eine ganze Reihe von freien Journalistinnen und Journalisten gegen die unzumutbaren Zeilen- und Fotohonorare geklagt, die ihnen dieselben Verleger nur für ihre tägliche, für die Zeitung überlebensnotwendige Zulieferung aktueller Texte und Bilder zugestehen wollen, die auf der anderen Seite den hohen Wert und die existentielle Rolle der lokalen Berichterstattung nicht genug hervorheben können.

Zwar haben sie über ihren Verband, den BDZV, mit den Journalistengewerkschaften nach langjährigen Verhandlungen zur Umsetzung des 2002 novellierten Urhebervertragsrechts immerhin im Jahr 2010 sogenannte Gemeinsame Vergütungsregeln vereinbart, die für alle verbindlich einen Mindeststandard der Bezahlung für freie Journalisten regeln sollen. Aber trotz dieser verbindlichen Vereinbarung zur Umsetzung einer gesetzlichen Vorgabe zahlen viele Verlage ihren freien Journalisten ein viel geringeres Honorar.
Dennoch zögern viele Freie, ihr Recht bei den Verlagen einzufordern. Aber offensichtlich –das zeigen die ersten Urteile – führt kein Weg daran vorbei. Das können die Verbände nicht für den einzelnen einklagen, das muss – mit aller möglichen juristischen und moralischen Unterstützung – jeder selbst tun. Es gibt erste Erfolge.

Zum Beispiel in Pforzheim. Dort hat ein Journalist von 2001 bis 2011 für die Pforzheimer Zeitung als freier Autor und Fotograf gearbeitet. Zuletzt bekam er 33 Cent für die Zeile und zwischen 11 und 27,50 € Fotohonorar. Er klagte. Das Landgericht Mannheim verurteilte Anfang August den Verlag zu einer Nachzahlung von mehr als 47 000 Euro plus Zinsen – es fand die dort gezahlten Honorare – auch schon fü4r die Jahre vor 2010 – unangemessen.

Zum Beispiel aber auch Potsdam: Dort hatte ein freier Sportjournalist der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ eine Nachzahlung von 3.030 € plus Zinsen für die Texte gefordert, die er zwischen Februar 2010 und Mai 2011 verfasst hatte – also seit Inkrafttreten der Vergütungsregeln. Seit 2004 hatte er für die Zeitung gearbeitet und fast die gesamte lokale Berichterstattung übernommen. Hier folgte das Gericht – entgegen z.B. der Rechtsauffassung der Verbände der Argumentation des Verlags, dass die Regelungen auf ihn nicht anwendbar seien, sondern nur in Westdeutschland gelten würden.

In beiden Fällen ist Berufung eingelegt. Das kann dauern.

Noch anhängig ist ein Verfahren in Bochum, in dem ein Kollege ein Nachzahlung von rund 40 000 € fordert. Hier hat das Gericht nach erster Anhörung erst einmal ein Gutachten angefordert – eine Sachverständige soll prüfen, welche Honorare angemessen sind. Das kann dauern.

Einen langen Atem brauchte auch die Kollegin Alice B. aus Bremen.
Mit einem Vergleich endete im Frühjahr vor dem Bundesarbeitsgericht ein dreijähriger Rechtsstreit zwischen der Bremer Journalistin B. (52) und der zum Ippen-Konzern gehörenden Kreiszeitung mit Sitz in Syke bei Bremen. 20 Jahre lang hatte B. für das Blatt gearbeitet: für minimale Honorare Texte und Fotos geliefert und zudem in den letzten neun Jahren für kleine Pauschalen wöchentliche Themenseiten erstellt. Dann bemerkte sie, dass der Verlag viele ihrer Texte und Fotos weiterverkaufte, vor allem an die Nordwest-Zeitung (NWZ) und die Nordsee-Zeitung (NZ). Sie sei weder vorher gefragt noch zusätzlich bezahlt worden, sagt B. Mehrfach protestierte sie vergeblich bei der Kreiszeitung, dann forderte sie direkt von NWZ und NZ je 10.000 Euro Honorarnachzahlung. Als die Kreiszeitung davon erfuhr, setzte sie die alleinstehende zweifache Mutter sofort vor die Tür.
Alice B. ging vors Arbeitsgericht. Sie wollte erreichen, dass sie weiterbeschäftigt und rückwirkend als Festangestellte eingestuft würde – samt erheblicher Nachzahlungen. Sie verlor in zwei Instanzen, gab aber nicht auf.
Vor dem Bundesarbeitsgericht schlossen jetzt beide Seiten einen Vergleich. Demnach endete ihre Mitarbeit tatsächlich 2010, und sie verzichtet auf Honoraransprüche gegen NWZ und NZ; aber die Kreiszeitung zahlt ihr jetzt 10.000 Euro „Abschlusshonorar“. Das ist zwar nicht so viel wie erhofft, aber immerhin das Doppelte jener Summe, die der Kammervorsitzende in der ersten Instanz als Vergleich vorgeschlagen hatte.

Wie alle vorgenannten Kollegen möchte auch Alice B. nicht mit vollem Namen genannt werden. Sie will, sie muss noch weiter arbeiten – und ist skeptisch, wie andere Auftraggeber auf soviel Widerstandskraft und Hartnäckigkeit reagieren könnten.

Das gilt auch für einen der beiden Kollegen, die – und so schließt sich der Kreis – gegen den Bonner „General-Anzeiger“ klagten, mit Erfolg zumindest in der ersten Instanz.

Auch sie wollten nicht länger hinnehmen, dass es zwar seit 2010 nach den gesetzlichen Bedingungen vereinbarte Gemeinsame Vergütungsregelungen gibt – in langen Jahren mit dem Verband verhandelt, in dem ihr Verleger eine maßgebliche Rolle in den Gremien spielte und spielt, sich aber ausgerechnet ihr Verlag weigert, seine Honorare entsprechend diesen Vergütungsregeln zu gestalten.
„Unangemessen niedrig“ fand auch das Landgericht Köln ein Zeilenhonorar von 25 Cent pro Zeile für mehr als 400 Zeitungsbeiträge aus den Jahren 2009 bis Januar 2011 und verurteilte den Verlag zu einer Nachzahlung von knapp 10.600 € plus Zinsen, weil es mehr als das Doppelte, nämlich 56 Cent pro Zeile, als angemessen ansetze. Im 2. Fall wurden sogar nur 21 Cent pro Zeile gezahlt und ein Fotohonorar von 20,45 € . Diesem Kollegen wurde eine Nachzahlung von rund 38.400 € plus Zinsen zugesprochen.

Das sind die nackten Zahlen. Dahinter stecken Erfahrungen. Enttäuschungen.
„Das ist Lohndumping schlechthin.“, sagt Jochen Wagner in dem Beitrag für ZAPP vom September diesen Jahres, den wir eben gesehen haben. “Es ist eine Sache der Fairness, eine gute Arbeit kostet auch gutes Geld.“

In dem ausführlichen Interview, nachzuhören und zu schauen auf der ZAPP-Seite zur Sendung, beschreibt er die Entwicklung der Honorarsituation der Freien beim GA: Konnte man vor fünf bis 10 Jahren noch einigermaßen mit dem gezahlten –und seit über zehn Jahren unveränderten Honorar über die Runden kommen, weil man wesentlich mehr Texte und Fotos unterbringen konnte. Inzwischen sind die Aufträge und die Arbeitsmöglichkeiten signifikant zurückgegangen. Der Platz für die lokale Berichterstattung ist erheblich reduziert, schickes Layout verbraucht weiteren Platz, vieles wird über den neuen Newsroom zentral gesteuert und beschickt, so dass für den lokalen Redakteur kein Spielraum bleibt, um zum Beispiel zeitaufwändige Termine, die trotzdem nur wenig Zeilen Bericht erlauben, wenigstens mit einer Pauschale zu entlohnen. Es gibt keine einheitlichen Honorarsätze – auch die beiden klagenden Kollegen bekamen unterschiedliche Zeilenhonorare -, es gibt aber auch keine Begründungen dafür, keine Aufwandsentschädigungen oder Spesen, keine Ansagen über Veränderungen, nur Vollzug, keinen verantwortlichen Ansprechpartner in der Redaktion, kein vernünftiges Verhältnis von Aufwand und Ertrag für seine Arbeit, keine Anerkennung und keinen kollegialen Umgang – nur die Drohung mit der bereitwillig in Reserve stehenden Konkurrenz vieler zu allem entschlossener journalistischer Billiglöhner. Und die gibt es eben auch.
Nicht umsonst haben von den vielen Betroffenen nur so wenige bisher geklagt. Jetzt freuen sich andere über den ersten erfolgreichen Schritt und erhoffen sich Verbesserung ihrer eigenen Lage – aber es fehlten Mut und Einsicht, sich selbst daran zu beteiligen, sich selbst in die Schusslinie zu bringen wie die hier genannten Kollegen. Sie klagen ihr gutes Recht nicht ein – aus Angst vor Repressalien, vor Auftragsverlust – auch bei anderen Verlagen.

Und man kann es ja auch verstehen – beide Kollegen, die gegen den Bonner General-Anzeiger geklagt haben, arbeiten nicht mehr für diese Zeitung, arbeiten gar nicht mehr eine regionale Tageszeitung. „Im örtlichen Bereich werde ich keine Zeile mehr los, keine Bilder“, berichtet Jochen Wagner. Er verdient jetzt sein Geld mit Meinungsumfragen und als Tellerwäscher in einer großen Behörde – schließlich gibt es eine Familie zu ernähren -, aber mit dem ihm eigenen Stolz und Selbstbewusstsein – um sich nicht weiter ständig ausgenutzt, unangemessen bezahlt und unangemessen behandelt zu fühlen.
Und er steht auch mit seiner Person, seinem Gesicht und seinem Namen für diesen Schritt, mit dem er aufmerksam gemacht hat auf eine unerträgliche und unakzeptable Situation.

Deswegen haben wir Jochen Wagner eingeladen, deswegen wollen wir ihn – stellvertretend für all die anderen hier genannten und alle, die sich ein Herz gefasst hatten –ob nun erfolgreich vor Gericht oder nicht – mit dem heutigen Sonderpreis des Leuchtturms 2013 seinen Mut und sein Engagement auszeichnen, seine Bereitschaft zur Aufklärung der Öffentlichkeit – auch und gerade, wenn es mal um die eigene Sache geht.
„Ein Verleger, der nicht jammert, der ist tot“, sagt Jochen Wagner im Interview. Journalisten, die sich nicht wehren – tja, was wird auf Dauer aus denen?