Leuchtturmpreisträger 2016: Can Dündar für die mutigen Recherchen seiner Zeitung sowie für seinen Kampf um die Pressefreiheit
Laudator: Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments
Hamburg, 8. Juli 2016 – es gilt das gesprochene Wort –
Verehrter Herr Preisträger des diesjährigen Leuchtturms,
lieber Can Dündar,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Scholz, lieber Olaf
verehrter Herr Lutz Marmor,
sehr geehrte Damen und Herren,
Can Dündar ist ein mutiger und ein charismatischer Mann. Ein Mensch, der für seine Überzeugungen eintritt und der dafür einen hohen Preis zahlen musste. Jemand, der wegen seines Rückgrats bedroht, fast ermordet und schließlich ins Gefängnis gesperrt wurde.
Herr Dündar, angesichts der Gefahr, der Sie ausgesetzt waren, sind wir umso glücklicher, dass Sie heute hier in Hamburg bei uns sein können, um diesen Preis entgegen zu nehmen.
Anrede,
ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie vor fast 25 Jahren prognostiziert worden ist, dass wir das Ende der Geschichte erreicht hätten: ein goldenes Zeitalter der Demokratie, der Liberalität und der Grundrechte würde nun anbrechen hieß es damals von Francis Fukuyama und totalitäre Tendenzen wären historisch erledigt. So hieß es.
Selten ist eine Prognose schneller Lügen gestraft worden: denn auf unserem europäischen Kontinent gibt es eine Rückkehr zum neuen Autoritarismus und er findet neue Anhänger.
· Grenzen sind in Europa wieder gewaltsam verschoben worden.
· Eine ganze Weltreligion wird unter Generalverdacht gestellt.
· Medienvertreter und Künstler sind Verdächtigungen und schlimmen Drohungen ausgesetzt und
· es gibt eine stärker werdende Bewegung, die am liebsten gleich die ganze EU abwickeln will.
Diese Liste ließe sich fortsetzen, aber sie ist keine zufällige Sammlung von Punkten, sondern das Genannte steht in einem inneren Zusammenhang. Während noch bis vor ein paar Jahren viele Radikale und Populisten sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen konnten, haben sie ihn nun gefunden. Der Feind steht für die Apologeten der Spaltung fest: Es ist Europa!
Europa, als Modell für eine im Inneren liberale und tolerante Gesellschaft, die Vielfalt zu ihrem Wesenskern macht.
Europa, das in seinen Außenbeziehungen auf Dialog und präventive Konfliktvermeidung setzt.
Das Konzept Europas, das wir als Lehre aus der schlimmen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, basiert auf dem Schutz der Grundrechte und niemand kann Mitglied in dieser Union werden, ohne es vollumfänglich zu akzeptieren. Aber mehr noch: mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte existiert eine universelle und globale Werteordnung, die es uns erlaubt, Kritik an den inneren Zuständen in anderen Ländern zu üben, ohne dass dies eine unerlaubte Einmischung ist.
Dieses Konzept, das uns zumindest auf unserem Kontinent über Jahrzehnte den Frieden möglich und unsere Gesellschaften sicher und wohlhabend gemacht hat, wird nun immer mehr in Frage gestellt. Das erlebe ich im Europaparlament, wo um die hundert Abgeordnete tagtäglich versuchen, ihren Hass zu sähen und das europäische Modell lächerlich zu machen. Aber auch in immer mehr Regierungszentralen auf unserem Kontinent gibt es den Wunsch, die eigene Nation wieder in den Mittelpunkt zu rücken und dabei das Streben nach gemeinsamen Lösungen zu vernachlässigen. Wir erleben das bei dem Widerwillen gegen eine gemeinsame Migrationspolitik, bei der Terrorabwehr und der Bekämpfung der Steuerflucht.
Die Wiederentdeckung des Nationalismus – der im Gegensatz zum Patriotismus andere Nationen herabwürdigt – geht meist einher mit der Forderung oder der tatsächlichen Beschneidung von Grundrechten. Die illiberalen Tendenzen sind ein globales Phänomen und wir finden es im Denken von Donald Trump genauso wie von Vladimir Putin oder Recep Erdogan. Und neben dem beschriebenen Hass auf das europäische Modell, das – als wäre dies etwas Schlimmes! – als feminin, ökologisch und homosexuell denunziert wird, zielen die Angriffe vielfach auf Journalisten.
Journalisten sind die ersten, die attackiert werden und diese Angriffe sind vielfach erst die Fanfare, um den Umbau der Gesellschaft in Richtung Autoritarismus einzuleiten, bei dem dann das Justizsystem, Parlamente, der Kulturbetrieb und anderes unter die Knute kommen.
In der Türkei wurde nicht nur Can Dündar mit seinem Kollegen Erdem Gül verhaftet, sondern die Medien insgesamt wurden drangsaliert und Abgeordnete im In- und Ausland geraten genauso wie Künstler zunehmend unter Druck.
In der Türkei sind immer noch viele Journalisten unter Arrest oder sie werden mit abenteuerlichen Begründungen angeklagt. Stellvertretend will ich heute nur Erol Önderoglu nennen, der als Vertreter von Reporter ohne Grenzen aktiv für die Freilassung von Can Dündar gekämpft hat. Ich appelliere eindringlich an die Zuständigen in der Türkei, endlich damit aufzuhören, Journalisten zu verfolgen und zu bedrohen.
Die Pressefreiheit ist eines der vornehmsten Grundrechte und wer die Axt daran anlegt, der trifft nicht nur die Presse, sondern er räumt gleich die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und Pluralität ab.
Anrede,
aber so, wie wir mit aller Schärfe die Angriffe auf Journalisten und Medien durch Regierungen zurückweisen müssen, ist doch mindestens ebenso bedrohlich, wenn vermeintlich einfache Bürger mit wutverzerrtem Gesicht über die angebliche Lügenpresse schimpfen und entsprechende Plakate bei Demonstrationen schwenken. Diese sogenannten Wutbürger verletzen eklatant die Spielregeln und das darf man ihnen nicht durchgehen lassen. Denn: Jeder Angriff auf einen Journalisten oder auf Medien ist ein Angriff auf die Gesellschaft als Ganzes und deshalb darf das niemals akzeptiert werden.
Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, Kritik am politischen System, an der EU oder an bestimmten politischen Entscheidungen zu verhindern – im Gegenteil: dass Medien frei arbeiten können und Journalisten keine Sorgen um ihr Wohlergehen haben müssen, ist grundlegende Bedingung der Demokratie!
Deshalb wäre ich froh, wenn aus Anlass der heutigen Preisverleihung ein Moment des Innehaltens folgen würde. Wenn wir wieder einen Konsens herstellen könnten und den Umgang miteinander erneut zivilisieren würden. Denn auch die verbale Gewalt im Netz, in den Diskussionsforen und den sogenannten sozialen Netzwerken führt immer mehr zu einer Entgrenzung der Gewalt aus den Netzen hinaus. Aber es darf eben keine rechtsfreien Räume oder No-Go-Areas geben.
Anrede,
Can Dündar ist ein Vorbild. Ein „Leuchtturm für besondere publizistische Leistung“ und mit ihm wird zu Recht die gesamte Redaktion der Cumhuriyet ausgezeichnet. Das ist gut so und diese Auszeichnung ist eine klare Botschaft aus der Pressestadt Hamburg an die Regierungszentrale in Ankara. Ich hoffe, diese Botschaft wird verstanden.
Herr Dündar, ich gratuliere Ihnen zu dem heutigen Preis und wünsche Ihnen persönlich und Ihrer Redaktion alles erdenklich Gute.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(ENGLISH VERSION)
Hamburg, 8th July 2016 – the spoken word shall be binding
Mr. Recipient of this year’s Lighthouse Award, dearest Can Dündar,
Mr. Governor Scholz, dearest Olaf,
Mr. Lutz Marmor,
Ladies and Gentlemen,
Can Dündar is a brave and charismatic man. Here is a person who has paid a high price for his convictions. Someone who was threatened, almost murdered, and thrown in prison, all because of his grit: his strong will, passion, and perseverance.
Mr. Dündar, in light of the danger you have faced, we are all the more pleased and delighted that you are able to be here in Hamburg today to accept this award.
I can still remember very clearly, how almost 25 years ago it was predicted by Francis Fukuyama that we had reached the end of the story: the dawn of the golden age of democracy, liberalism, and fundamental rights. Totalitarian tendencies were now in the books; no more than history. Or so it was said.
Rarely has a prediction been proved wrong so fast: namely, on our European continent there has been a regression to the new authoritarianism, easily attracting new followers.
– Borders have once again been violently reshuffled.
– An entire world religion is being called into suspicion.
– Media outlets and artists are exposed to suspicion and threats, and
– There is an ever stronger movement that would gladly phase the entire EU out.
The list goes on and on. But it isn’t a random assortment of points, but rather the aforementioned occurrences are deeply intertwined. Until recently, many right wing extremists and populists could not unite on an idea together. But alas, they have found a source of unity. The enemy is certain: it is Europe!
Europe, a model of a progressive and tolerant society to its very core. Europe, in whose foreign relations dialogue and conflict prevention are essential pillars.
The concept of Europe that we developed from the lessons of the atrocities of the first half of the twentieth century is based upon the protection of fundamental human rights. No one may become a member of this union without having fully and unconditionally embraced this cornerstone of the European Union. Furthermore, there is a universal and global system of values that comes hand in hand with this general assertion of human rights, which allows criticism of the innermost conditions of other countries to be exercised without ever becoming an unauthorized intrusion.
This concept, which has allowed for peace to blossom and has ensured the security and well-being of our societies, is coming ever-more into question. I experience this in the European Parliament, where around 100 representatives try daily to spread their hate, and to make a laughing stock of the European model.
In many government administrations across our continent, there is the increasingly prevalent wish for their nation to be in the spotlight, thereby abandoning the concept of solving conflicts in partnership with one another. We are seeing this take hold in the unwillingness of nations to hold common policies on immigration, counter-terrorism, and tax-evasion.
The rediscovery of nationalism — which unlike patriotism, degrades other nations—comes often with the challenge to and violation of fundamental human rights. These regressive tendencies are a global phenomenon, chiefly evident in the opinions and desired policies of Donald Trump, Vladamir Putin, and Recep Erdogan. Next to this explicit hate for the European model, which has been derided—as if these are bad things—as feminine, environmental, and homosexual—the attacks on journalists have begun to pile up.
Journalists are almost always the first ones to be attacked by the throngs of right wing extremists. First it starts as fanfare, ensuring the restructuring of society towards authoritarianism, and then among others, the justice system, parliament, and culture get sucked in as well.
In Turkey, it wasn’t just Can Dündar and his colleague Erdem Gül who were arrested, the entire media landscape was bullied into submission. Now, it is not only Turkish members of parliament who are being threatened and put in danger, but members of foreign parliaments too, comparable to the repression of artists in the country.
In Turkey there are still many more journalists under arrest or on trial, facing ludicrous and preposterous charges. Concretely I’ll only name Erol Önderoglu, who, as a representative of Reporters Without Borders worked tirelessly for the release of Can Dündar . I therefore urgently appeal to the responsible parties to end the senseless witch-hunting of journalists in Turkey.
Freedom of the press is one of the foremost fundamental human rights, and those who take an axe to it not only strike the press, but also at the heart of democracy, rule of law, and plurality.
Nonetheless, while we must deplore and reduce government attacks on journalists and media outlets, just as dangerous is when ordinary citizens, filled with rage, rant about the allegedly crooked and deceitful press, and demonstrate with these exact hate filled words. These so called enraged citizens blatantly violate and disregard the rules of engagement. We cannot simply stand by and allow these violations to happen, because every attack on a journalist or on the media is an attack on the society as a whole, and that is simply unacceptable.
This is very clearly not an attempt to hinder criticism of a political system or of the EU, but rather the opposite: chiefly that media outlets should be allowed to work freely, and that journalists should not have to worry about their well-being while upholding a cornerstone of democracy.
Therefore, I would be very happy if, to the occasion of today’s Awards ceremony we could do the following: to establish a consensus with one another again, and to treat each other in a civilized manner. Because verbal abuse on the internet, in discussion forums, and on the so-called social networks almost always inevitably leads to the removal of the boundary between the internet and reality. However this does not mean that there should be areas off limits or places without basic rights on the internet.
Can Dündar is a perfect example of a “beacon of light for outstanding publishing efforts” and with him we honor also the staff of Cumhuriyet in full. It is best this way, and this award is a clear message from the press-city of Hamburg to the government administration in Ankara. I hope that this message is understood.
Mr. Dündar, I would like to extend my congratulations to you, and I wish you and your staff nothing but the best.
Thank you for your attention.