Leuchtturmpreisträger 2018: MeToo-Rechercheteam der ZEIT
Laudatorin: Anja Reschke

Hamburg, 29. Juni 2018

Laudatorin Anja Reschke. Foto: Wulf Rohwedder

Seien wir ehrlich. Warum sind wir Journalisten? Wir wollen Aufmerksamkeit. Manch einer vielleicht nur für sich, die meisten aber, für eine Sache. Wir wollen ein Schlaglicht werfen auf Themen, die wir als wichtig für die Öffentlichkeit erachten und die vielleicht sonst im Verborgenen bleiben würden. Wir wollen Missstände aufdecken, Entwicklungen aufzeigen, Debatten anstoßen, informieren, Argumente liefern, damit der Bürger zu mündigen Entscheidungen finden kann, damit sich eine Gesellschaft weiter entwickeln kann. Dafür brauchen wir Aufmerksamkeit.

Das ist Ihnen gelungen. Sie haben jede Menge Aufmerksamkeit erreicht. Sie haben sozusagen mitten in einem pianissimo Geplätscher ordentlich auf die Pauke gehauen. Sie haben die metoo Debatte, die sich bis dahin nur im schillernden, aber fernen Hollywood abspielte, und von den meisten hier rein aus boulevardesker Neugier verfolgt wurde, nach Deutschland geholt. Da waren alle wach. Seitdem wird auch hier diskutiert. Nicht nur, oder inzwischen längst nicht mehr über den Fall eines Regisseurs,  sondern allgemein. Wie gehen Männer und Frauen miteinander um? Haben wir als Gesellschaft zu viel und zu lang die Augen verschlossen. Welche Machtstrukturen machen solche Missbräuche  eigentlich möglich. Geht das Thema sexuelle Übergriffe nicht viel tiefer? Ist in der Arbeitswelt, in der Männer und Frauen nach dem Gesetz eigentlich doch längst gleichgestellt sein sollten, doch vieles beim Alten geblieben?

Dass ein Vergewaltigungsvorwurf im Saarländischen Rundfunk sogar aktenkundig war, dass er sozusagen aufgeschrieben, gelocht und abgeheftet wurde, ohne dass damals irgendeine Konsequenz erfolgte, zeigt, wie wenig Beachtung dem Thema Sexismus geschenkt wurde. Das haben Sie mit ihren Artikel verändert. Es ist etwas in Bewegung geraten. Und zwar nicht nur in der Filmbranche.

Sie haben es sich dabei nicht leicht gemacht. Sie sind nicht der Versuchung erlegen, den Mann einfach als Schwein darzustellen und die ganze komplexe Materie zwischen Frauen und Männern schwarz weiß aufzumalen. Sie machen nicht SIE zum guten, armen Opfer und IHN zum bösen, mächtigen Täter. Sie zeichnen diesen Graubereich sehr genau nach: Zwischen dem Moment, in dem eine hofft, sich mit körperlichen Reizen einen Vorteil zu verschaffen und dem Moment, in dem genau das zu ihrem Nachteil umschlägt.

Oberflächlich betrachtet mag es in ihrem Text nur um einen Regisseur und ein paar Schauspielerinnen gehen. Wer sich damit zufrieden gibt, hat die Botschaft ihres Textes nicht verstanden. Es geht nicht um DEN EINEN Skandal. Es geht um viel mehr. Es geht um Strukturen in unserer Gesellschaft. Darum, dass viele Frauen – bis heute – glauben, ihren Körper, ihr Äußeres einsetzen zu müssen, um weiterzukommen, weil das, worauf es im Beruf eigentlich ankommt, das Können, bei Frauen oft nicht genug zählt oder nicht gesehen wird. Weil Frauen eben immer noch auf das schöne Geschlecht reduziert werden oder sich selbst darauf reduzieren. Das ist ein Muster, das so tief sitzt, schon so lange gelebt wird in unseren Gesellschaften, dass es auch für einen selbst oft schwer ist, das zu erkennen. So heißt es in ihrem Text

„Thielemann geht hart mit sich selbst ins Gericht, auch heute noch in dem Berliner Café: “Warum habe ich mich hübsch gemacht und bin mit ihm in die Suite gegangen? Zu einem, der als Schürzenjäger bekannt war?” Sie gibt sich die Antwort sogleich selbst: “Weil ich so dringend mitspielen wollte.”

Beim Film gebe es ein Überangebot an Sex, sagt auch Jany Tempel. Sie selbst war mit mächtigen Männern aus der Branche zusammen und gibt zu, dass sie manchmal nicht so genau unterscheiden konnte, ob sie einen Mann einfach attraktiv fand oder ob sie der Attraktion der Macht erlag und sie sich eine Rolle versprach. Genau hier verläuft sie, die Grenze: zwischen einvernehmlichem Sex auf der einen Seite – auch wenn er ein Mittel sein mag, um eine Rolle zu bekommen – und erzwungenem Sex auf der anderen Seite.

Wohlgemerkt, all die Fälle und Vorkommnisse spielen Mitte der 90er, wir reden hier nicht mehr von den 50ern. Ist diese Zeit vorbei?

Für die Aufmerksamkeit  beim Publikum sind Geschichten über Sex und Übergriffe oder gar Vergewaltigung  hochgradig attraktiv. Also sehr verführerisch für Journalisten. Aber gleichzeitig saugefährlich.

Der Fall Kachelmann sitzt uns allen in den Knochen, oder besser, er sollte es. Eine der schlimmsten Verleumdungskampagnen unter Beteiligung vieler vieler Medienschaffender. Es ist gut, dass dieser Schock wachsam macht. Dass sich viele fragen: Darf man das? Einen Namen nennen. Nur weil einer beschuldigt wird? Wann ist es Rufmord? Muss nicht die Unschuldsvermutung vor allem anderen gelten.

Sie wissen, wie oft man Geschichten erzählt kriegt. Wir alle haben sie schon zugeraunt bekommen. Der und der soll das und das. Die hat sich hochgeschlafen, der steigt jedem Rock hinterher, sogar die Besetzungscouch hat es zur allgemeinen Belustigung in den Sprachgebrauch geschafft. Anscheinend hat nie jemand genauer nachgefragt, wie sich das denn anfühlt, wenn man auf so einer Couch landet. Aber das nur am Rande

Das schwierige an diesen Gerüchten und dem Geraune ist: Ab wann ist es eine Geschichte, die journalistischen Standards entspricht? Die man guten Gewissens veröffentlichen kann. Jeder, der schon mal im Bereich sexueller Übergriffe, Missbrauch, egal ob gegen Jungen oder Mädchen, Männer oder Frauen recherchiert hat, weiß, wie schwer es ist, dass sich Menschen öffnen und dass gerade die, die sich gedemütigt und beschmutzt fühlen, den Mut und die Kraft aufbringen, mit Namen in der Öffentlichkeit zu stehen.

Der Pressekodex sieht klare Richtlinien vor, für Verdachtsberichterstattung. Sie haben sich nicht auf die Schilderungen einer einzigen Frau verlassen, sondern, wie es Journalisten tun sollten, versucht, sich ein Bild zusammen zu setzen. Sie haben sogar – und das ist eine Neuerung unserer Zeit – ihre Zweifel öffentlich gemacht. Beschrieben, wie sie vorgegangen sind, wie sie mit sich gerungen haben. Nichts deutet auf Leichtfertigkeit hin. Nichts darauf, dass es ihnen darum ging, schnell die Knallergeschichte raus zu jagen, mit der man als Journalist Ruhm erringen kann. Ruhm der schnellen Aufmerksamkeit. Wenn es sich dann später als falsch herausstellt, ist doch egal! Hauptsache erster.

Sie haben sich Zeit gelassen, sie haben versucht, die Aussagen ihrer Kronzeuginnen zu überprüfen. Die Orte, den Zeitpunkt, sie haben nach Personen gesucht, die Aussagen bestätigen, die Behauptungen plausibel machen. All das klingt nach Sorgfalt. Nach Recherche.

Und das unterscheidet ihren Text von einem reißerischen Boulevardbericht. Auch ihrem Text nimmt man ab, dass es Ihnen um mehr ging, als eine Person an den Pranger zu stellen. Sondern darum, eine Struktur auf zu zeigen. Aber – und das wissen wir alle hier im Raum – ohne Fall hätte man nicht zugehört. Ohne Fall – hätte dieser Text nicht diese Wirkung entfaltet. Ohne Fall hätte er keine Aufmerksamkeit bekommen. Und darum geht es doch im Journalismus.

Herzlichen Glückwunsch an Jana Simon, Annabel Wahba und Christian Fuchs und das Rechercheteam der Zeit.

 

Die Laudatio von Anja Reschke ist als Videomitschnitt hier verfügbar.