Laudatio zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2016
Austerpreisträger: Facebook
Laudator: Dr. Thilo Weichert, deutscher Jurist und Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein (2004 bis 2015)
Sehr geehrte Damen und Herren,
George Orwell schreibt ist seinem Roman „1984“: „Der große Bruder sieht dich an“. Dieser macht mit Zwei-Minuten-Hass-Sendungen und Hasswochen Stimmung gegen einen unsichtbaren Feind. Seine Zwiesprache führt zu Zwiedenken: „Freiheit ist Sklaverei“, „Unwissenheit ist Stärke“.
Weshalb zitiere ich George Orwell, wenn das „Soziale Netzwerk“ Facebook als „Informationsblockierer des Jahres“ gewürdigt wird und die „Verschlossene Auster“ verliehen bekommt? Netzwerk Recherche wählte Facebook aus, weil die Internet-Plattform zum „Katalysator für den Hass“ geworden ist. Über Facebook wird gegen Flüchtlinge, PolitikerInnen, JournalistInnen, demokratisch engagierte Menschen gehetzt und das Medium lässt dies geschehen. Zwar hat Facebook nach massivem medialem und politischem Druck zum Jahreswechsel 2015/2016 ein Löschteam der Firma Arvato mit angeblich 300 „Customer Care Agents“ beauftragt, rassistische, Gewalt verherrlichenden, diskriminierende und fremdenfeindliche Inhalte zu entfernen. Wie das geschieht und nach welchen Kriterien, blieb bis heute im Dunkeln. Facebook ist das bevorzugte Instrument für Hasspropaganda geblieben. Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook, predigt derweil: „Nur Liebe und Toleranz können gegen Hass helfen“. Sie ruft die Nutzenden zur „Counterspeech“ auf, womit ein Umdenken erreicht werden könne.
Meine Counterspeech richtet sich gegen Facebook. Das Netzwerk Recherche fordert das US-Unternehmen zu Recht auf, umzudenken und endlich Transparenz herzustellen. Daran denkt Facebook bisher ebenso wenig, wie Fremdenhasser durch Counterspeech zu Menschlichkeit bekehrt werden konnten.
Das Geschäftsmodell von Facebook basiert darauf, dass unkontrolliert Meinungen verbreitet werden. Dabei werden Daten gesammelt und kommerziell verwertet. Transparenz und Kontrolle wären für dieses Geschäftsmodell Gift.
Seit Jahren verweigert sich das Unternehmen der kritischen Öffentlichkeit. Facebook ist für diese wie für JournalistInnen kaum erreichbar. Um die Kontakte der Pressesprecherin zu finden, ist Recherchekompetenz nötig. Auch heute stellt sich Facebook, soweit ich gehört habe, nicht der Diskussion. Dieses Wegducken, verbunden mit der Verbreitung von Jubelmeldungen, hat System.
Im Jahr 2011 hinterfragten deutsche Datenschutzbehörden die Überwachung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern durch sog. Social Plug-Ins auf Fanpages und über „Gefällt-mir“-Buttons auf Webseiten. Bis heute verweigert Facebook erfolgreich die Auskunft hierüber. Inzwischen liegt ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, der klären soll, wer für die Überwachungsmaßnahmen Facebooks verantwortlich ist und wie sich Betroffene hiergegen zur Wehr setzen können. In einem anderen Verfahren signalisierte der Europäische Gerichtshof auf eine Klage von Max Schrems hin, dass Facebooks klandestine Datenverarbeitung in den USA und dessen nicht minder klandestine Komplizenschaft mit dem Geheimdienst National Security Agency gegen europäische Grundrechte, gegen den Schutz von personenbezogenen Daten und freier Kommunikation, verstößt. An der Überwachungspraxis des Unternehmens hat dies bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Facebook wertet anscheinend nicht nur die Metadaten der Nutzenden aus, sondern auch, unter Missachtung des Telekommunikationsgeheimnisses, die Inhalte der privaten Nachrichten.
Facebook hat zu ca. 1,6 Milliarden Nutzenden, etwa ein Siebtel der Weltbevölkerung, detaillierte Kenntnisse über Kommunikation und Lebensgewohnheiten. Bisher war keine kritische Öffentlichkeit, keine demokratische Instanz, kein Gericht und keine Behörde in der Lage, Licht in diese Aktivitäten zu bringen. Bekannt ist aber, dass Facebook im Jahr 2015 seinen Gewinn auf 1,5 Mrd. Dollar gegenüber dem Vorjahr verdreifacht hat.
Auch das deutsche Bundeskartellamt bezweifelt, dass dieser Gewinn rechtmäßig zustande kommt. Am 2. März dieses Jahres leitete es gegen den US-Konzern und seine Tochterfirmen in Irland und Deutschland ein Verfahren ein wegen des Verdachts, seine Marktmacht auszunutzen. Der Vorwurf: Facebook trägt Daten zusammen, ohne darüber hinreichend aufzuklären, wie und wofür die Daten erhoben werden. Es bestünden „erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Vorgehensweise“.
Facebook spioniert die Privatsphäre der Weltbevölkerung aus. Angesichts dessen ist es eine fast schon ein lustige Randnotiz, dass deren Chef Mark Zuckerberg – und das ist sein gutes Recht – alles tut, um Blicke in sein Privatleben zu verhindern, etwa wenn er auf seinem Laptop Kamera und Mikrofon abklebt oder wenn er rund um sein Wohnhaus Grundstücke aufkauft, um fremde Blick in sein Heim auszuschließen.
Derweil optimiert Facebook im Verborgenen seine Algorithmen, mit denen das Unternehmen Stimmungen einfängt und Stimmung macht. Es berechnet die Wahrscheinlichkeit, welche Information jemand sehen möchte, damit er diese kommentiert, anklickt und weiterverbreitet, oder damit er zum Kauf animiert wird. In den von Facebook geschaffenen Filterblasen gedeihen Meinungen und Informationen – seien diese auch noch so menschenverachtend und gewaltverherrlichend.
So präzise Facebook dies beherrscht, so wenig will das Unternehmen das Aussieben krimineller Inhalte beherrschen. Facebook zeigt sich zwar rigoros bei nackter Haut, ist aber lax bei Gewaltdarstellungen und Hasspropaganda. Damit verletzt Facebook die Werte unserer mitteleuropäischen Kultur und unsere Gesetze. Diese Gesetze gelten nicht nur für europäische Unternehmen, sondern auch für globale Konzerne wie Facebook, wenn sie auf unseren Märkten Geld verdienen.
Es wird behauptet, Facebook dürfe nicht zur Zensurstelle werden. Es trifft zu, dass Informations- und Meinungsfreiheit die Grundlagen unseres demokratischen Gemeinwesens sind. Richtig ist aber auch, dass auch private Unternehmen diese Grundrechte beachten müssen. Die Forderung, dass Facebook illegale Inhalte löscht, hat nichts mit politischer Zensur zu tun, wenn die Selektions- und Löschprozesse öffentlich und demokratisch kontrolliert wären. Dies verweigert Facebook. Und die Politik sieht keinen Grund, insofern gesetzlich Transparenz und Informationsfreiheit herzustellen.
Wir befinden uns in einem Entmündigungsprozess durch Unternehmen wie Facebook, der noch längst nicht am Ende ist. Facebook dringt mit seiner Datenanalyse tief in die Psyche seiner Mitglieder ein. Selbst vor Experimenten mit diesen schreckt das Unternehmen nicht zurück. Zuckerberg schwärmt davon, wie seine „künstliche Intelligenz“ schon heute seine neugeborene Tochter zu überwachen in der Lage ist. Facebooks Geschäftspolitik zielt aber auch auf die Kontrolle des gesellschaftlichen Lebens. Ehemalige Mitarbeiter berichten, dass Facebook mindestens über anderthalb Jahr hinweg Einfluss auf die Verbreitung von Artikeln und Nachrichten im Netzwerk genommen haben soll. Die MitarbeiterInnen, die für Facebook Inhalte löschen, dürfen von JournalistInnen nicht befragt werden. Eine unabhängige Überprüfung findet nicht statt.
Die Antwort der Politik auf die Intransparenz ist jämmerlich: Als Datenschutzbehörden 2011 Facebook wegen Rechtsverstößen anprangerten, nahm der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich das Unternehmen in Schutz. Facebooks Europavertreter Richard Allen hatte in Aussicht stellte, eine Datenschutz-Selbstverpflichtung zu erarbeiten. Passiert ist nichts. Bundeskanzlerin Merkel macht auf einer eigenen Fanpage für sich und den Konzern Werbung. Nachdem Facebooks Datenübermittlungen in die USA mittels Safe Harbor vom Europäischen Gerichtshof gestoppt wurden, legalisiert die EU-Kommission jetzt diese illegale Praxis mit einem sog. Privacy Shield.
Bei George Orwell hatte es „Big Brother“ am Ende geschafft, von der ursprünglich rebellierenden Hauptperson Winston Smith geliebt zu werden. Big Brother war mit seinen Liebes- und Hassbekundungen und mit seiner Menschenkontrolle erfolgreich.
Wir leben in einer Demokratie und einem Rechtsstaat. Facebook muss sich, so versprechen es zumindest unser Grundgesetz und unsere Europäische Grundrechtecharta, an unsere von Parlamenten beschlossenen Gesetze halten. Diese sehen vor, dass, wenn Grundrechtsverletzungen stattfinden – seien dies Datenschutzverstöße oder die Verbreitung von Hassbotschaften – die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden. Hierfür müssen wir wissen, was die Verantwortlichen tun. Erst recht ist Transparenz geboten, wenn Unternehmen ihre ökonomische Macht gesellschaftlich und politisch ausspielen. Facebook ist nicht „sozial“, dann wäre es offen und transparent, es ist unsozial. Vielleicht erkennt das Unternehmen, dass Offenheit letztlich eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den eigenen Kunden sein kann.
Herzlichen Glückwunsch, Facebook, zur Verleihung der „Verschlossenen Auster“.