Laudatio zur Verleihung der Verschlossenen Auster 2007
Austerpreisträger: Wladimir Putin
Laudator: Prof. Dr. Heribert Prantl leitet die Redaktion Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung
Stefan Aust war schneller: Er hat Putin schon vor mir und vor uns gratu-liert und ist dazu eigens nach Moskau geflogen. Im Spiegel vom 4. Juni ist auf einem großen Foto auf Seite 116 zu sehen, wie Aust sich vor un-serem Preisträger verneigt. Das Bild ist wie von einem Hofmaler arran-giert, der Kreml-Photograf hat just in dem Moment aufs Knöpfchen ge-drückt, in dem Aust tut, was er sonst nie tut: er beugt devot den Kopf. Das Bild demonstriert andererseits die Kunst des Kreml-Hofphotografen, kleine Männer erhöht, ja groß herauszubringen.
Putin hat das eigentlich nicht nötig. Damals, als KGB-Major in Dresden, hätte er es sich nicht träumen lassen, dass eines Tages die Chefredakteu-re von großen Zeitungen und Zeitschriften der G-8-Staaten vor ihm zum Sammelinterview und zum Dienermachen Schlange stehen. Im Hinter-grund des genannten Audienz-Bildes im Spiegel Nr. 23 sieht man frei-lich noch nicht unseren Preis, die verschlossene Auster, sondern eine große Landkarte des russischen Imperiums; aber das bleibt sich eigent-lich gleich – denn Russland unter Putin ist eine verschlossene Auster.
Sehen Sie es mir als innenpolitischen Redakteur nach, wenn ich Ihnen bei der Betrachtung der russischen Auster mit einem innenpolitischen Vergleich komme: Stellen wir uns einmal vor, Deutschland würde nicht von Angela Merkel, sondern von August Hanning, dem früheren Ge-heimdienstchef regiert. Und stellen wir uns vor, Hanning hätte um sich herum lauter ehemalige Geheimdienstler und Obskuranten versammelt: Den ehemaligen Agenten Tiedge als Innenminister, Schalck-Golodkowski als Wirtschaftsminister, Bernd Schmidbauer als Außenmi-nister, Holger Pfahls als Verteidigungsminister.
Stellen wir uns weiter vor, ehemalige Geheimdienstler besetzen die Chefposten der größten deutschen Unternehmen: der frühere Leuna-Vermittler Dieter Holzer ist also Chef bei Siemens, Karlheinz Schreiber macht die Kohle für die RAG und der Privatdetektiv Mauss kümmert sich um die Telekom.
Dieser Albtraum vermittelt eine kleine Ahnung davon, was in Russland los ist. Der grosse Unterschied zwischen Deutschland und Russland ist allerdings der: In Deutschland findet man in den Geheimdiensten nicht unbedingt die Hellsten des Landes; BND, Verfassungsschutz und MAD rekrutieren sich nicht gerade aus der jungen Elite; die strebt woanders hin, die geht zu Mc Kinsey und Max Planck. In Russland ist das anders: Dort fühlt sich der Geheimdienst nicht nur als Elite, er ist es. Wer etwas werden will, geht zum Dienst. In einem Land, in dem wenig funktio-niert, funktioniert der Geheimdienst. Es ist ein Geheimdienst, der im Alltag nicht Furcht und Schrecken verbreitet, sondern Chancen verteilt – und nur ab und zu das kleine Quantum Angst, das man zum unange-fochtenen Regieren auch benötigt.
Dieser Geheimdienst war, als die regierende KPdSU vor 16 Jahren von der politischen Bildfläche verschwand, jünger, aufgeklärter, technik-orientierter und auslandserfahrener als Staat und Partei zusammen. Die-ser Geheimdienst ist für das heutige Russland mindestens in dem Maß modern, wie Lenin für Russland modern war, als er 1917 nach Russland kam. Der Geheimdienst verkörpert das Selbstbewusstsein des Landes, er trägt den Führungsanspruch Russlands auf die Weltbühne, es nimmt den desaströsen heimischen Staatsapparat in den Griff, er realisiert den alten Lieblingsmythos der Tschekisten: Nur der Geheimdienst ist in der Lage, das Land zu reformieren. Der russische Präsident stilisiert sich zum gu-ten Zaren – von Peter zu Putin.
Der Geheimdienst in Rußland ist viel, viel mehr als ein Geheimdienst; er ist der alleinige Platzanweiser für die vorderen Reihen der russischen Gesellschaft. Juri Andropow, der Nachfolger Breschnews als Staats- und Parteichef, war zuvor auch lange, sehr lange Geheimdienstchef gewe-sen. Aber damals, 1983, war der Geheimdienst noch eingebunden in die Strukturen von Staat und Partei, er war allenfalls Staat im Staat. Heute ist er der Staat.
78 Prozent der führenden politischen Elite waren oder sind mit dem KGB beziehungsweise seinen Nachfolgeorganisationen verbunden. Pu-tin war früher Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, der die Nachfolge des KGB angetreten hat. Seine Administration ist die Spitze eines Eis-bergs. Dieser Eisberg heißt Russland.
Diese Herrschaft einer nur partiell gewählten Geheimdienst-Aristokratie ist einmalig in der Weltgeschichte. Sie ist intelligent, sie ist klug genug, um nicht nur von Demokratie zu reden, sondern auch die Fassaden dafür auszubauen; es gibt in Russland alles, was man braucht, um eine Demo-kratie zu suggerieren, aber es gibt keine Demokratie. Potemkin ist also nicht nur eine historische Gestalt; Potemkin ist ein Russe im Machtappa-rat Putins; er baut nun auch Glasperlenspiele mit den Grundrechten.
Ein Geheimdienst, der sich den Staat zu eigen gemacht hat, will sich die Medien zu eigen machen. Wenn man sich die Medien zu eigen gemacht hat, dann gehören einem auch die Journalisten, dann muss man sie nicht mehr eigens anwerben – wie das in Deutschland der BND gemacht hat: er hat Journalisten durch Journalisten ausspionieren lassen. Im System Putin wird gelegentlich süffisant darauf hingewiesen.
Natürlich existiert Pressefreiheit in Russland, wenn man darunter ver-steht, dass es keine staatlichen Zensurbehörden gibt, die Artikel aus den Zeitungen werfen und Druckerpressen versiegeln. 40 000 Zeitungen und Zeitschriften sind auf dem russischen Markt und die Zahl der Rundfunk- und Fernsehsendern wächst, es gibt beeits über 3500. Dementprechend sagte unser Preisträger in einem ZDF-Interview vor einem Jahr: „Das ist unmöglich alles zu kontrollieren, und wir versuchen das auch nicht.“ Warum nicht? Weil es eine Art von verschleierter Zensur gibt.
Wenn einer kritisch berichtet und dabei einem lokalen Machthaber auf die Füße tritt, wird er schnell zur Persona non grata und kriegt nie wie-der einen Job beim Radio. Wer mit seinem privaten Radio Geld verdie-nen will, muß sich arrangieren mit den örtlichen Machthabern, schon um überhaupt eine Sendelizenz zu bekommen. Das schafft ein Klima des vorauseilenden Gehorsams.
Natürlich herrscht Meinungsfreiheit in Russland. Problematisch wird die Freiheit erst dann, wenn man seine Meinung gesagt hat – wenn man sich eingemischt hat in die Dinge, die einem angeblich nichts angehen: in den Tschetschenienkrieg, in den Fall des inhaftierten Unternehmers Chodorowski, den Mord an der Kollegin Politkowskaja. Also tut man das lieber nicht, im Zweifel informiert man die Leser und die Hörer erst gar nicht über Ereignisse, die ein abträgliches Bild von Russland zeigen könnten – und so hat die Geiselname von Beslan in den russischen Me-dien kaum stattgefunden. Wenn gleichwohl darüber geschrieben und gesendet wird, dann gibt es ein gewisses Risiko. Zunächst ein finanziel-les, dann ein juristisches: Es gibt immer mehr vorübergehende Festnah-men und Strafverfahren wegen Lüge und wegen Beleidigung der Ver-treter der Macht eingeleitet worden. Die Zahlen darüber differieren. Sie liegen im Hunderter-Bereich jährlich.
Die russische Opposition drängt auf die Straße, weil sie sonst keine Öf-fentlichkeit mehr findet. Das Parlament wurde gleichgeschaltet, die Me-dien sind fast alle gezähmt. Was im Jahr 2000 mit der Übernahme des Fernsehesenders NTW durch das staatliche Unternehmen Gasprom be-gann, endete damit, dass heute alle überregionalen Fernsehsener in Pu-tins Russland dem Staat gehören oder Unternehmen, an an denen der Staat die Aktionmehrheit besitzt. Im Fernsehen ist es fast schon wieder so, wie es zu Sowjet-Zeiten war. „Die Sender könnten ihre Nachrichten-redaktionen genausogut auch zusammenlegen“, hat mir der Moskauer Spiegel-Korrespondent Mettke berichtet. Und bei den Printmedien ent-wickelt sich die Sache ähnlich.
Wenn in Deutschland Journalistenpreise verliehen werden, ist in der Preis-Begründung oft von „mutigem Journalismus“ die Rede. Es handelt sich bei diesem „mutigen Journalismus“ dann in Wahrheit schlicht und einfach um ordentlichen Journalismus: um einen Journalismus, der aus-dauernd recherchiert, tiefgründig argumentiert, glänzend formuliert, der aber nicht überall, vielleicht auch nicht bei der Chefredaktion, Ge-fallen gefunden hat. Journalismus gilt bei uns schon als mutig, wenn er heftige Reaktionen auslöst, wenn der Journalist viele Leser- und Hörer-briefe beantworten und sich womöglich in der Redaktionskonferenz heftigen Diskussionen stellen muß.
Was mutiger Journalismus wirklich ist, das kann man in Russland stu-dieren. Es ist der Journalismus von wenigen. Es ist der Journalismus der Unerschrockenheit und der Courage; der Journalismus des Entlassungs-riskos, ja manchmal sogar des Lebensrisikos; der Journalismus des Wi-derstands – des Widerstands gegen die eigene Angst und Anpassung in einem Milieu, in dem die Wahrheit gern durch belanglosen Kram und Larifari ersetzt wird.
Das System Putin, dass dieses Milieu erzeugt, geht davon aus, dass es am besten weiß, was Russland braucht – und dass keine andere Kraft da ist, die die Kraft hätte, die Zukunft des Landes zu sichern; und dass des-halb alles schädlich ist, was diese einzige Kraft schwächen könnte. Putin weiß, was für das Land gut ist – so, wie Atatürk es einst in der Türkei gewußt hat;: deshalb ist die Meinungsfreiheit in Russland die Freiheit, Putin zu lieben; die meisten Russen machen davon Gebrauch.
Und Pressefreiheit in Russland ist die Freiheit, so zu schreiben, wie Pu-tin es mag. Die meisten Medien machen davon Gebrauch. Nikolai Swa-nidse, ein bekannter Moderator des russischen Staatsfernsehens, sagt das so: „Unsere Gäste aus den USA und Europa verstehen das vielleicht nicht, aber der klassische sowjetische Zuschauer ist nicht an Alternati-ven gewöhnt.“ Die Wahl zu haben, sei ermüdend, „denn dann muss man nachdenken“. Putin geht davon aus, dass er für die Leute denkt.
Putins System ist ein System der fürsorglichen Entmündigung. Putin betrachtet sich als den Gebrechlichkeitspfleger Russlands, dem man die-se Aufgabe nicht auch noch durch eine widerborstige Presse und eine unabhängige Justiz erschweren soll. Er will, um etwas zu dieser richter-lichen Unabhängigkeit zu sagen, das russische Verfassunsgericht von Moskau nach Petersburg verpflanzen – und verweist zur Begründung, geschickt, auch auf das deutsche Beispiel: Während das deutsche Bun-desverfassungsgericht seinen Sitz, der weitab vom Schuss, in Karlsruhe, als Symbol für seine Unabhängigkeit von den anderen Staatsorganen preist, wehrt sich das russische Gericht verzweifelt, in die „Provinz“ ab-geschoben zu werden, weil die Richter zu Recht befürchten, dort über-haupt nicht mehr zur Kenntnis genommen zu werden. Putin kennt den westlichen Begriff von Unabhängigkeit, den westlichen Begriff von Freiheit recht genau – das zeigte sein schlitzohriger Vergleich der De-monstrationsfreiheit in Moksau und Heiligendamm.
Pressefreiheit bedeutet: Schreiben was man weiß – und fragen was man wissen will. Das System Putin führt dazu, es viele Journalisten gar nicht mehr wissen wollen. Eine selbstkritsche Zwischenbemerkung: Wie ist das eigentlich bei uns? Gibt es nicht auch hier nicht wenige Journalisten, die es gar nicht mehr wissen wollen? Warum nicht?
Putin ist populär. Und seine Popularität trägt nicht nur deswegen kultische Züge, weil Pressefreiheit in Russland vor allem die Freiheit ist, Putin gut zu finden. Putin versucht, einen gewaltigen Balanceakt zu bewältigen – zwischen der alten und der neuen Welt Russlands, zwischen der russischen Seele und der Globalisierung, dem nach wie vor reklamierten Führungsanspruch Russlands auf der Weltbühne und dem noch immer desaströsen heimischen Staatsapparat..
In dieser Situation ist für Putin Demokratie nicht die Herrschaft des Volkes, sondern die Herrschaft derer, die für das Volk gut sind und die darüber entscheiden, was für dieses Volk gut ist. Unter Jelzin gab es mehr Pressefreiheit, unter Jelzin war das Telefon wieder ein Rechercheinstrument. Unter Putin weiß jeder Journalist wieder, dass man mit dem Telefon nicht mehr weit kommt (Preisträger Putin würde an dieser Steller auf die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und auf dort gepflogene Praxis der Telefonüberwachung verweisen).
Nicht Putin, sondern Jelzin hat sich allerdings durch Verfassungsänderung eine fast diktatorische Machtposition gegeben, die Putin ausnutzt, aber nicht ausreizt – sonst hätte er schon längst mit einer ihm gewissen Mehrheit die Verfassung geändert, um weiter im Amt bleiben zu können.
Dass er die Pressefreiheit kastriert hat, schadet ihm in der Bevölkerung wenig. Er ist beliebt, weil er „führt“, weil er den unter Jelzin vagabundierenden Turbokapitalismus in staatlichen Griff genommen hat und weil er „Sicherheit“ verspricht. Er versteht darunter auch Sicherheit vor der „Verunsicherung“ durch die Presse. Putin hat übrigens in der russischen Bevölkerung den Beinamen „der Deutsche“ – wohl deshalb, weil er nicht säuft und weil er pünktlich ist; vielleicht auch wegen seines Eintretens für Odnung und Sicherheit.
Diese Sicherheit aber ist eine trügerische, eine falsche Sicherheit. Eine Staat, der Maulsperren verordnet, versperrt sich selbst seine Zukunft. Deshalb verleiht das Netzwerk Recherche dem russischen Präsidenten Putin die „verschlossene Auster“: Symbol für die anhaltende Behinderung der freien Presse.
Herr Präsident, dieser Preis soll als Mahnung dienen – und als Aufruf: Wir wünschen Ihnen und Ihrem Land damit gute Besserung.
Господин президент, Владимир Владимирович, пусть будет этот приз напоминание и вызов. Таким образом желаем Вам и вашей стране скорее выздороветь.